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Event Reports

Die Parteienverdrossenheit arabischer Wähler in Israel

Analysen und Lösungsansätze

Am 11. Februar 2013 veranstaltete die KAS Israel gemeinsam mit dem Israel Democracy Institute (IDI) und dem Konrad Adenauer Program for Jewish-Arab Cooperation (KAP) der Universität Tel Aviv ein ganztägiges Seminar zur Politik arabischer Parteien in Israel nach den Knesset-Wahlen vom 22. Januar 2013.

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Diese Wahlen machten deutlicher denn je, vor welchen Herausforderungen arabische Politik in Israel steht – vor allem, was die Ansprüche sind, die die arabischen Bevölkerung Israels an sie stellt. Vertreter aus Forschung und Politik referierten zu diesem Themenkomplex und diskutierten dabei über Fragen wie die politische Partizipation arabischer Israelis, die Möglichkeit eines Zusammenschlusses der arabischen Parteien und die veränderte Protestkultur in der arabischen Öffentlichkeit.

Die Veranstaltung war thematisch in drei Blöcke unterteilt. Dabei ging es erstens um eine Analyse und Bewertung der Wahlergebnisse und zweitens um die Frage, ob arabische Politik inner- oder außerhalb des Parlaments stattfinden sollte. In einem dritten Teil wurde diskutiert, inwiefern sich arabische Politik in Israel an einem Scheidweg befindet.

Frau Prof. Anita Shapira, Leiterin des Forschungsprogramms „Nation State“ am IDI, begrüßte als Vorsitzende der ersten Sitzung die Redner und Teilnehmer. Grußworte kamen von Herrn Prof. Yedidia Stern, der die relativ niedrige Beteiligung der arabischen Israelis an den Wahlen als „nicht akzeptabel“ bewertete, und von Herrn Michael Mertes, Leiter der KAS Israel. Mertes würdigte die Zusammenarbeit zwischen dem IDI und dem Konrad Adenauer Programm für Jüdisch-Arabische Kooperation (KAP) an der Universität Tel Aviv. Beide Partner seien für die KAS Israel von herausragender Bedeutung.

Die erste Sitzung begann mit einem Vortrag von Herrn Arik Rudnitzky vom KAP. Dieser widmete sich dem Kernproblem, mit dem die arabische Bevölkerung in Israel konfrontiert ist: nämlich sich in einem Staat politisch zu engagieren, der sich explizit als jüdisch definiert. Die arabischen Parteien nähmen zu diesem Thema unterschiedliche Positionen ein, aber stimmten darin überein, dass die Teilhabe am politischen Geschehen der arabischen Bevölkerung diene und daher legitim sei – als eine Art von „zivilem Dschihad.“ Außerdem greife nach Ansicht der arabischen Politiker auch das Prinzip der „indigenen Rechte“. Hiernach leite sich das Recht auf politische Partizipation daraus ab, dass die arabischen Israelis bereits Einwohner des heute israelischen Territoriums waren, noch bevor es zum Staat wurde. Die Legitimität der arabischen Parteien sei damit historisch gesichert und brauche nicht die Bestätigung der Knesset. Trotz der Motivation, der arabischen Bevölkerung zu dienen, sei diese von ihren Führern enttäuscht, die ihr keine „nationale Vision“ oder neue Perspektiven erschließe.

Die folgenden zwei Vortragenden sprachen interne Aspekte der arabisch-israelischen Politik an. Dabei stellte Herr Dr. Mohanad Mustafa vom Center for Academic Studies in Or Yehuda die „Islamische Bewegung“ in Israel dar. Mustafa meinte, das Islamic Movement übersehe den jüdischen Charakter Israels ganz bewusst; erst seit 1989 beteilige es sich an israelischer Politik. Dabei habe es sich von einer ausschließlich religiös zu einer auch gesellschaftspolitisch engagierten Bewegung entwickelt, die sich von den islamischen Bewegungen in Europa oder in arabischen Ländern grundlegend unterscheide. Allerdings gebe es des Islamic Movement Spaltungen und unterschiedliche Denkrichtungen. Es habe zwar Bemühungen gegeben, sich zu vereinigen. Diese seien aber aus taktischen Gründen gescheitert.

Frau Dr. Orna Cohen vom Truman-Institut der Hebräischen Universität Jerusalem widmete sich in ihrem Vortrag den soziologischen Profilen der arabischen Knesset-Abgeordneten. Ausgangspunkt war die Frage, wer die Abgeordneten eigentlich sind und wie sie sich von ihren Vorgängern unterscheiden.

Im Laufe der Zeit hätten sich die arabischen Abgeordneten dabei von Mitgliedern der „Satellitenparteien“, oft mit geringen Hebräischkenntnissen, zu Mitgliedern auch zionistischer Parteien gewandelt. Nahezu alle brächten nun einen akademischen Hintergrund mit und sprächen oftmals ausgezeichnetes Hebräisch. Sie hätten dabei auch die Fähigkeit bewiesen, sich in zionistische Parteien zu integrieren. Der erste arabische Kandidat der Arbeitspartei wurde 1981 in die Knesset gewählt. Die Zahl arabischer Abgeordneter in zionistischen Parteien ist momentan auf einem Tiefpunkt, was bedeutet, dass die Zahl der arabischen Knesset-Abgeordneten insgesamt zurückgegangen ist.

Momentan liege das Durchschnittsalter dieser Parlamentarier bei Mitte fünfzig; bisher habe es zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig gelegen. Ältere Abgeordnete stünden dabei einer sehr jungen Wählerschaft gegenüber. Ahmed Tibi beispielsweise beginne nun schon sein vierzehntes Jahr in der Knesset. Die Wähler allerdings wollen neue Gesichter sehen, energiegeladene und junge Politiker, denen zugetraut wird, Veränderungen bringen zu können. Gerade letzteres sei ein besonderes Anliegen, und seit dem Jahr 1977, das den Wechsel von der Arbeitspartei zum Likud gesehen hatte, lasse sich sich eine immer größer werdende Enttäuschung unter den arabischen Wählern beobachten. Es sei daher leicht verständlich, dass eine Veränderung im soziologischen Profil der Politiker großen Einfluss auf das Wahlverhalten habe.

In der sich den drei Vorträgen anschließenden Diskussion stimmte Herr Rudnitzky zu, dass das Alter der arabischen Abgeordneten ein zentraler Kritikpunkt sei.

Die zweite Sitzung fand statt unter dem Vorsitz von Frau Prof. Tamar Hermann, Vizepräsidentin der Open University.

Der erste Vortrag behandelte außerparlamentarische Politik am Beispiel des „High Follow-Up Committee for Arab Citizens of Israel“. Herr Dr. Nohad Ali vom Western Galilee College der Universität Haifa sprach über den Wunsch der arabischen Bevölkerung in Israel, durch ein von ihnen gewähltes Organ repräsentiert zu werden. Dies werde von manchen Arabern als ein erster Schritt in Richtung Autonomie gesehen. Eine solche Institution würde aber von ca. 40 Prozent der israelischen Juden abgelehnt. Das Follow-Up Committee stelle dabei eine solche Institution dar, die von Israel zwar de facto, aber nicht de jure anerkannt werde. Die Stärke des Komitees liege darin, dass es keine Konkurrenz zu den arabischen Parteien darstelle und nicht mit diesen in Konflikt geraten wolle. Trotz gewissem Erfolg werde dem Komitee abgesprochen, seine Ziele erreicht und Führungsqualitäten bewiesen zu haben. Wie Prof. Herman später bemerkte, werde aber auch der Knesset von der Mehrheit der arabischen Bevölkerung kein Vertrauen entgegengebracht.

Die Direktorin des Injaz Center, Frau Ghaida Rinawie-Zoabi, sprach anschließend über den Einfluss von arabischen zivilgesellschaftlichen Organisationen auf den arabischen politischen Diskurs. Dabei wies sie darauf hin, dass während des letzten Wahlkampfes die Boykott-Aufrufe, die vereinzelt über soziale Netzwerke stattfanden, nicht allgemeine Themen wie „Faschismus“ etc. aufgegriffen hätten, sondern gegen die arabischen Parteien selbst gerichtet gewesen seien. Kritisiert worden seien deren unangemessenes Verhalten, Untätigkeit und Ineffektivität. Und obwohl die arabischen Israelis normalerweise keine Unterstützung aus der arabischen Welt oder von den Palästinensern erhielten, seien die von der Arabischen Liga in diesem Jahr zum ersten Mal aufgerufen worden, an die Wahlurnen zu gehen. Dies habe aber kaum Einfluss gehabt. Die fehlende Unterstützung zeige sich beispielsweise darin, dass die Arabische Liga in den fünf Jahren, die Rinawie-Zoabi im Follow-Up Committee saß, nie etwas mit dem Komitee zu tun haben wollte.

Einen wichtigen Aspekt stellte Prof. Hillel Frisch von der Bar Ilan-Universität mit dem Thema der arabischen Proteste dar. An dieses Thema ging er aus einem theoretischen Blickwinkel heran. Seine These lautete, dass die Proteste der israelischen Araber im letzten Jahrzehnt zurückgegangen seien. Er stellte drei Modelle vor, welche die Entstehung von Protesten erklären. Laut dem ersten Modell, das von den meisten Wissenschaftlern vertreten würde und aus den 1950er/60er Jahren stamme, seien Frustration und Aggression die Anlässe zu protestieren. Nach dem zweiten Modell allerdings müsse für Protestbereitschaft zuvor erst eine Phase der Verbesserung stattgefunden haben.

Das dritte Modell wird von Prof. Frisch selbst vertreten. Demnach sind rationale Überlegungen und politische Chancen die Auslöser breit angelegter Proteste. Die ersten zwei Modelle könnten das Protestverhalten der arabischen Israelis nicht erklären, da deren Frustration im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zwar gewachsen sei, während die Proteste zurückgingen. In den 1990er Jahren jedoch – den Jahren des Oslo-Prozesses, in denen die Frustration zurückging –, sei es für die israelischen Araber strategisch weitaus wichtiger gewesen zu protestieren. Dies erklärt dann auch, weshalb diese Jahre mehr Gewalt und Protest sahen, die Zeiten des Stillstands im Friedensprozess dagegen weniger. Die wachsende politische Apathie der arabischen Israelis manifestiere sich nicht nur im Rückgang ihrer aktiven und passiven politischem Partizipation, sondern auch im Rückgang ihrer Proteste.

In der anschließenden Diskussion wurde von Dr. Mustafa und Dr. Ali angemerkt, dass die Frage offenbleibe, wie Proteste zu definieren seien. Die Aktivitäten von Interessenverbänden sei beispielsweise auch eine Form des Protestes. Frau Rinawie-Zoabie wies außerdem darauf hin, dass die arabischen Israelis sich auch nicht an den Protesten für soziale Gerechtigkeit in Israel 2011/2012 engagiert hätte, was aber auf eine fehlende Integration der arabischen Minderheit hinweise.

Die letzte Sitzung bestand in einer offenen Debatte, die von Herrn Mohammad Darawshe moderiert wurde, einem der Geschäftsführer der Abraham Fund Initiative. Die Diskussion stand unter der Fragestellung, ob und inwiefern sich arabische Politik an einem Scheideweg befindet. Dabei kamen die Debattierenden immer wieder auf einen möglichen Zusammenschluss der arabischen Parteien zurück. Frau Nadia Hilou, ehemals Abgeordnete der Arbeitspartei, sah die Uneinigkeit der arabischen Parteien als einen Faktor, der zu einem Boykott der Wahlen geführt habe. _Prof. Yitzhak Reitervom Ashkelon Academic College und dem Jerusalem Institute for Israel Studies betrachtete die Idee einer Vereinigung der arabischen Parteien jedoch als Ausdruck von „Wunschdenken“. Sie könnten zwar kooperieren, aber keinen gemeinsamen Block bilden.

Gerade diesen nicht zustande gekommene Block bezeichnete der Generalsekretär der Ta’al-Partei, HerrOsama Saadi, als „verpasste Chance“. Auf der anderen Seite stelle sich die Frage, ob ein Zusammenschluss tatsächlich mehr Stimmen eingebracht hätte. Als „Heilmittel“ gegen politisches Desinteresse wäre auch ein Zusammenschluss der Parteien ungeeignet, da die Probleme der arabischen Bevölkerung in Enttäuschung und internen gesellschaftlichen Problemen lägen (so FrauDr. Mary Totryvom Oranim College) sowie in der Tatsache, dass die arabischen Israelis nicht das Gefühl hätten, auf Entscheidungen Einfluss nehmen zu können (so HerrAyman Odeh, Generalsekretär der Chadasch-Partei). So sei die Wahlbeteiligung in den 1990er Jahren weitaus höher gewesen. Eine Möglichkeit, laut Herrn Saadi, wäre die Bildung eines parlamentarischen Blocks.

Einige Diskussionsteilnehmer waren sich außerdem darin einig, dass nach gemeinsamen Interessen zwischen den arabischen und jüdischen Parteien gesucht werden müsse. Dem setzte Ayman Odeh entgegen, dass sich die Meinungsverschiedenheiten durch das gesamte politische Spektrum ziehen und eine solche Überlegung keine Resultate bringen würde. Dennoch, resümierte Mohammad Darawshe, solle trotz der tiefen ideologischen Gräben zwischen den arabischen und jüdischen Parteien nach Verbindungspunkten gesucht werden. Die Frage nach der richtigen Vorbereitung für die nächsten Wahlen sei schon jetzt dringlich. Man dürfe nicht erst zwei Wochen vor dem Wahltermin damit beginnen, über einen mögliche Listenverbindung zu sprechen.

Prof. Shapira und Michael Mertes beendeten das Seminar mit kurzen abschließenden Bemerkungen. Prof. Shapira wies darauf hin, dass Themen wie Jugendliche, Bildung und Frauen in einem anderen Seminar angesprochen werden sollten. Herr Mertes lobte die ergiebige Diskussion, die sicherlich allen Teilnehmern Anstöße zu einer vertiefenden Behandlung des Themas mit auf den Weg gegeben habe.

Fazit:__zit:__t:____

Erstens stimmten alle Seminarteilnehmer darin überein, dass die passive und aktive politische Partizipation der arabischen Israelis angegangen werden muss. So müssen Wege und Mittel gefunden werden, den arabischen Bürgern Israels das Interesse an Politik wieder näherzubringen; dazu gehört auch, die Strukturen der arabischen Parteien neu zu überdenken und die Kandidatenprofile an die Wählerschaft anzupassen.

In diesem Zusammenhang muss zweitens die Frage nach einem möglichen Zusammenschluss der arabischen Parteien zu – beispielsweise – einem parlamentarischen Block ernsthaft besprochen werden und Hindernisse schon jetzt aus dem Weg geräumt werden. Dies sei nicht machbar am Vorabend der Wahlen.

Wie akut die Probleme der politischen Beteiligung sind, zeige sich drittens am Protestverhalten der arabischen Bevölkerung. Desillusionierung und Enttäuschung haben sich breit gemacht, die Hoffnung auf Veränderung ist zurückgegangen. Die arabischen Parteien sollten diese problematische Lage ernst nehmen, praktische Resultate zur Priorität erheben und den Scheideweg, an dem die arabische Politik steht, als Chance begreufen.

Elena Müller

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