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Event Reports

Direct Demography – How Population Growth and Shrinkage is changing the Balance of Power in the European Union

Die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel hat es sich zum Ziel gesetzt, sowohl die deutsch-israelischen als auch die Beziehungen zwischen Israel und Europa auszubauen und zu vertiefen sowie das Verständnis für die Arbeit der Europäischen Union zu fördern.

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In diesem Rahmen organisierte die KAS einen Gastvortrag des Politikwissenschaftlers Harald Wilkoszewski im Europäischen Forum der Hebräischen Universität in Jerusalem. Wilkoszewski ist wissenschaftlicher Koordinator für den Advisory Council von Population Europe und Doktorand im Fach Sozialpolitik an der London School of Economics and Political Science.

Thema des Seminars, das von Dr. Guy Harpaz vom Europäischen Forum moderiert wurde, waren die Auswirkungen des demographischen Wandels in Europa auf die Machtverhältnisse in der Europäischen Union.

Im Fokus standen die folgenden beiden Punkte: Die Auswirkungen der demographischen Veränderungen innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten auf die Beschlussfassung im Rat der Europäischen Union im Hinblick auf die durch den Lissabon-Vertrag eintretenden Neuerungen und die Auswirkungen eines möglichen EU-Beitritts der Türkei auf die Entscheidungsfindung im Ministerrat.

Dazu lieferte der Referent zuerst einige Hintergrundinformationen zur Demographie auf europäischer Ebene und zu den Abstimmungsverfahren im Rat der EU. Wilkoszewski zeichnete die Entwicklung der Entscheidungsfindung im Ministerrat vom arithmetischen Prinzip (eine Stimme pro Staat) hin zum geometrischen Entscheidungsprinzip nach, bei dem die Anzahl der Stimmen eines Landes von seiner Einwohnerzahl abhängt.

Mit dem Lissabon-Vertrag wird von 2014–2017 ein neues Abstimmungsverfahren eingeführt, das nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit funktioniert: Um einen Vorschlag im Rat zu beschließen, wird die Zustimmung von 55% der Mitgliedsstaaten, die 65% der EU-Gesamtbevölkerung vertreten, benötigt. Um ein Vorhaben abzulehnen, d.h. eine Sperrminorität zu stellen, werden die Stimmen von mindestens vier Mitgliedstaaten, die 35% der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren, benötigt.

Aufschlussreich war ein Vergleich der Prognosen zum Bevölkerungswachstum in den einzelnen Mitgliedsstaaten, die teilweise stark differieren. Während beispielsweise für Rumänien, Italien oder Deutschland ein Bevölkerungsrückgang vorhergesagt wird, ist für Frankreich, Großbritannien und Luxemburg ein Bevölkerungswachstum zu erwarten.

Anschließend skizzierte Harald Wilkoszewski verschiedene Szenarien von Stimmkoalitionen der EU-Mitgliedsstaaten und zeigte die Auswirkungen der demographischen Faktoren sowie der Einführung des neuen Stimmrechts auf die Beschlussfähigkeit des Ministerrates auf. Dabei wurde ersichtlich, dass das Motto „size matters” gilt, die Bevölkerungszahl also ausschlaggebend ist. Eines der Szenarien zeigte beispielsweise, dass Mitgliedsstaaten mit wachsender Bevölkerung, bei Bündelung ihrer Stimmen, bis zum Jahr 2050 den Beschluss von Vorschlägen blockieren können und somit eine Sperrminorität erreichen würden. Eine koordinierte Stimmabgabe dieser Staaten ist keineswegs unwahrscheinlich, bedenkt man, dass eine junge Bevölkerung andere Präferenzen hat als eine ältere.

In diesem Zusammenhang wurde der mögliche Türkei-Beitritt thematisiert. Unter dieser Annahme wäre die Türkei im Jahr 2016 das größte EU-Mitglied, was auch enorme Auswirkungen auf die Machtverhältnisse und die Abstimmungsmehrheiten im Rat der EU hätte. Bei einer Stimmenbündelung könnten verschiedene Ländergruppen wie z.B. wachsende Staaten, neuere Mitglieder der letzten beiden Erweiterungsrunden oder die sogenannten „net receiver”-Staaten gemeinsam mit der Türkei eine Sperrminorität stellen. Letztere sind solche Staaten, die mehr Gelder aus dem EU-Haushalt erhalten, als sie einzahlen. Dahingegen würde es für die Gruppe der „net contributors”, die mehr zum Haushalt beisteuern, als dass sie an Geldern erhalten, nahezu unmöglich durch Stimmbündelung ein Mehrheitsvotum zu erreichen.

Anhand der Ausführungen des Referenten wurde deutlich, dass die Gefahr eines „dead-locks”, d.h. einer Situation, in der sich die Union durch weitgehende Konsensunfähigkeit selbst blockiert, nicht von der Hand zu weisen ist, da künftig eine Sperrminorität sehr viel einfacher zu erreichen sein wird als ein Mehrheitsvotum.

In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass die Teilnehmer bereits über umfangreiches Vorwissen zum Thema verfügten. Ein Großteil der Studenten hatte schon am Simulationsworkshop des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen am 21.11.2010 teilgenommen, bei dem auch die Beitrittsverhandlungen der Türkei auf der Agenda standen.

So wurde bei der Debatte auch besonders auf die Türkei-Frage eingegangen; es wurden Chancen und Risiken erörtert, wie auch die Wahrscheinlichkeit eines Beitritts.

Zudem wurden Fragen zur Verlässlichkeit von Bevölkerungsprognosen, dem Einfluss von Migration auf die demographische Entwicklung und der Interdependenz von Politik, Wirtschaft und Bevölkerungsentwicklung behandelt.

Interessant war der Einwand, dass durch die wachsende Integration der EU wichtige Entscheidungen künftig auch in andere Organe der EU verlegt werden und somit der supranationale Ansatz mehr Bedeutung erlangen könnte. In diesem Fall könnten Faktoren wie Parteizugehörigkeit in den Vordergrund rücken, während die Nationalität eher an Einfluss verlieren würde.

Alles in allem erlebten die Studenten ein sehr bereicherndes und interaktives Seminar, das den Zusammenhang zwischen demografischen Faktoren und der EU-Politik aufzeigte. Ein Aspekt, der trotz seiner enormen Auswirkungen in vielen Analysen oft noch vernachlässigt wird. Durch die Verbindung des praxisnahen Simulations-Workshops mit dem informativen Seminar gelang es der Konrad-Adenauer-Stiftung die israelischen Studenten näher an Europa heranzuführen und ein umfassenderes Verständnis für die Arbeitsprozesse der Europäischen Union zu erzeugen.

Evelyn Gaiser

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