Asset Publisher

Event Reports

Wege aus der Resignation

by Michael Mertes

Dennis Ross über Obamas Nahost-Agenda 2013

Am 20. Dezember 2012 veranstaltete die KAS Israel zusammen mit dem Jerusalem Center for Public Affairs in Jerusalem eine viel beachtete Konferenz zum Thema „Zwischen den Wahlen in den USA und in Israel: Veränderungen im israelischen Meinungsklima zu regionalen Kernthemen“. Höhepunkt war die Rede von Botschafter Dennis Ross, der als langjähriger amerikanischer Unterhändler im Nahost-Friedensprozess sowohl bei Republikanern und Demokraten in den USA als auch bei Israelis und Palästinensern in herausragendem Ansehen steht.

Asset Publisher

Please click here to view the contents.
Or adjust your cookie settings under privacy policy.

Dennis Ross prognostizierte, das Jahr 2013 werde für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik ein Jahr weitreichender Entscheidungen sein, auch und gerade im Blick auf den Nahen und Mittleren Osten. Das gelte für vier Themenfelder:

  • (1) Iran,

  • (2) Syrien,

  • (3) die Länder des „Arabischen Frühlings“, namentlich Ägypten, und

  • (4) den israelisch-palästinensischen Konflikt.

Bei den ersten drei Themenfeldern sieht er die Positionen der Obama-Administration und der aus den Knesset-Wahlen vom 22. Januar 2013 hervorgehenden israelischen Regierung konvergieren. Beim vierten Punkt ließ er eine gewisse Skepsis durchblicken, ohne allerdings die Möglichkeit einer Annäherung der Standpunkte zwischen den Vereinigten Staaten und Israel auszuschließen.

Während seiner Rede betonte Ross, es sei falsch zu meinen, dass die von Präsident Obama betriebene Hinwendung zum ostasiatisch-pazifischen Raum einer Abwendung vom Nahen und Mittleren Osten gleichkomme. Dieser Region gelte wegen ihrer weltpolitischen Bedeutung nach wie vor höchste amerikanische Aufmerksamkeit. Selbst wenn die USA es wollten, könnten sie es sich gar nicht leisten, den Nahen und Mittleren Osten zu vernachlässigen.

Obamas Nahost-Agenda 2013

(1) Iran: In der Region sei es oberste Priorität für Präsident Obama, den Iran von der Herstellung eigener Kernwaffen abzuhalten. Darauf habe sich der US-Präsident eindeutig festgelegt. Seine Festlegung auf das Ziel der „prevention“ schließe die Anwendung von Gewalt als ultima ratio nicht aus. Da 85 Prozent der iranischen Staatseinnahmen aus Ölexporten stammten, treffe das Ölembargo den Iran an seiner empfindlichsten Stelle. Ob das ausreiche, die iranische Führung von ihrem Kernwaffenprogramm abzubringen, werde sich 2013 zeigen. Ross betonte, bei einem Militäreinsatz gegen den Iran bedürfe es einer „Strategie für den Tag danach“ (day after strategy) – man könne zwar Kernwaffen-Produktionsstätten zerstören, nicht aber das bereits vorhandene Know-how.

(2) Syrien: Der Sturz des Assad-Regimes sei nur ein Frage der Zeit. Das Hauptproblem aus amerikanischer wie aus israelischer Sicht sei die ethnische und ideologische Gespaltenheit der syrischen Opposition. Außerdem verfolgten regionale Akteure (Iran, Türkei, Saudi-Arabien) eigene Interessen in Syrien. Alles zusammen mache es für Washington zu einer großen Herausforderung, im „Post-Assad-Syrien“ Einfluss zu wahren oder zu gewinnen. Ein amerikanischer Erfolg liege nicht zuletzt im israelischen Interesse, denn es müsse verhindert werden, dass die syrischen Chemiewaffenarsenale in falsche Hände geraten und dschihadistische Terroristen in Syrien Fuß fassen.

(3) Ägypten: Ross betonte, er ziehe die Bezeichnung „Arabisches Erwachen“ (Arab Awakening) der problematischen Metapher „Arabischer Frühling“ (Arab Spring) vor. Der Frühling dauere nur kurze Zeit – aber was in den Ländern des Arabischen Erwachens geschehe, sei der Beginn eines längeren Umwälzungsprozesses. Er warb dafür, auch die positiven Seiten dieses Erwachens zu sehen: Es habe dazu geführt, dass sich die Menschen in den Ländern des „Arabischen Frühlings“ nicht mehr als Untertanen, sondern als Bürger fühlten.

Jetzt komme es darauf an, Institutionen zu bauen, die für eine verantwortete Machtausübung (accountability) sorgen: „Die Inhaber der Macht müssen regieren (govern), sie dürfen nicht herrschen (rule).“ Pluralismus als Ausdruck politischen Wettbewerbs sei die beste Garantie für innere Stabilität in einer vor allem durch den Stadt-Land-Gegensatz gespaltenen Gesellschaft. Die vielen Stimmen in den städtischen Zentren gegen den Entwurf einer neuen ägyptischen Verfassung zeigten, dass die säkulare Opposition stärker sei, als es nach den letzten Wahlergebnissen den Anschein gehabt habe. Noch genössen die Moslembrüder den Legitimitätsvorsprung, den sie sich unter dem Mubarak-Regime hätten erarbeiten können. Eine säkulare Opposition sei damals verboten gewesen, aber das alte Regime habe die Moslembrüder bei ihrem sozialen Engagement gewähren lassen.

Ross zeigte sich zuversichtlich im Blick auf die Bereitschaft Präsident Mursis und eines großen Teils der Moslembrüder, pragmatischen Erwägungen Vorrang gegenüber der Ideologie zu geben. Mursi kenne die „ökonomischen Imperative“ und räume ihnen im Zweifel Priorität ein. Er habe nicht nur Forderungen widerstanden, den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979 aufzukündigen, sondern in den Verhandlungen über einen Waffenstillstand Israels mit der Hamas im November 2012 Vertreter des Staates Israel als Gesprächspartner akzeptiert. Die Erfahrung vom November habe ihn gelehrt, dass es sein Ansehen in der Welt enorm steigere, wenn er die Verbindung mit Israel nicht kappe und so die Rolle eines international anerkannten Maklers spielen könne. Daran habe er auch ein innenpolitisches Interesse, weil der Kampf gegen die Dschihadisten und Schmugglerbanden im Sinai nicht gegen, sondern nur mit Israel zu gewinnen sei. Die Wiederherstellung des Gewaltmonopols des ägyptischen Staates im Sinai sei sowohl für Israel als auch für Kairo von vitaler Bedeutung.

(4) Israelisch-palästinensischer Konflikt: In einer Vorbemerkung zu diesem Punkt sagte Ross, im Blick auf die palästinensische Seite sei entscheidend, ob sich palästinensische Identität auf Dauer islamistisch oder nationalistisch definiere. Es liege im strategischen Interesse Israels, dass die nationalistische Definition sich durchsetze. Ein von säkularen Momenten geprägter Gegensatz lasse sich durch Kompromisse überwinden, ein von religiösen Kräften bestimmter Antagonismus dagegen nicht. Klar sei auch, dass Israel den Konflikt nicht durch einseitige Schritte beenden könne. Es stelle sich aber die Frage, was Israel tun könne, um den gegenwärtigen Stillstand zu beenden.

Die „Dynamik des Nicht-Glaubens“

Ross identifizierte als Hauptursache des Stillstands, der sich immer weiter verfestige, eine „Dynamik des Nicht-Glaubens“ (dynamic of disbelief). Dieser Nicht-Glaube sei nicht zu verwechseln mit Misstrauen. Auch in einer Atmosphäre des Misstrauens könne der Glaube an die Veränderbarkeit des Status quo lebendig bleiben. Doch die „dynamic of disbelief“ zerstöre jede Zuversicht, sie erzeuge nur noch Resignation, Zynismus und Lähmung. Misstrauen sei allerdings der Nährboden für diesen Nicht-Glauben: Die meisten Israelis seien überzeugt, dass die Palästinenser einen jüdischen Staat ablehnen und nach einem bi-nationalen Staat zwischen Mittelmeer und Jordan strebten. Die meisten Palästinenser seien überzeugt, dass die Israelis gar nicht an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert seien – weshalb bauten sie sonst Siedlungen auf dem Boden eines künftigen Palästinenserstaates?

Um den Stillstand zu überwinden, müsse erst einmal die „dynamic of disbelief“ gebrochen werden. Dazu könne jede Seite durch ihr eigenes Verhalten beitragen. Er habe dafür einen Vierzehn-Punkte-Katalog entwickelt – mit jeweils sechs praktischen Vorschlägen an die israelische und die palästinensische Adresse sowie zwei Vorschlägen an beide Seiten. Ross betonte, dieser Katalog könne und solle politische Verhandlungen über die offenen Streitfragen nicht ersetzen; er sei nur dazu gedacht, den „Dialog der Gehörlosen“ in einen Austausch von Signalen zu überführen, in dem beide Seiten einander Empathie für die Sorgen des anderen zeigen.

Sechs israelische Signale

(1) Bietet jüdischen Siedlern eine Entschädigung bzw. Prämie (compensation) dafür an, dass sie damit beginnen, freiwillig Siedlungen zu verlassen.

(2) Baut Häuser für Siedler, die aus Siedlungen ausziehen, damit sie wissen, dass sie ein neues Zuhause haben werden. (Ross merkte hierzu an, dieser Punkt sei 2005 bei der Rückholung jüdischer Siedler aus dem Gazastreifen von der damaligen israelischen Regierung vernachlässigt worden; das verunsichere heute viele rückkehrbereite Siedler im Westjordanland.)

(3) Beendet den Siedlungsbau in Westbank-Gebieten, die Israel bei einer abschließenden Regelung (final status agreement) auf jeden Fall aufgeben wird. Ersatz sollte in den größeren Siedlungsblocks geschaffen werden, die Israel bei einer abschließenden Regelung aller Voraussicht nach behalten wird.

(4) Öffnet die Area C (etwas über 60% der Westbank), die nach den Oslo-Vereinbarungen unter voller israelischer Kontrolle steht, für – gegenwärtig untersagte – wirtschaftliche Aktivitäten von palästinensischer Seite. So zeigt ihr den Palästinensern, dass ihr es ernst damit meint, euch eines Tages aus diesen Gebieten zurückzuziehen.

(5) Erlaubt es der palästinensischen Polizei, in der Area B (fast 22% der Westbank) mehr Verantwortung wahrzunehmen und vermindert gleichzeitig eure eigene Sichtbarkeit dort.

(6) Reduziert eure Eingriffe in die Area A (18% der Westbank), die unter voller zivil- und sicherheitsbehördlicher Verantwortung der Palästinenser steht, auf das absolute notwendige Minimum.

Sechs palästinensische Signale

(1) Nehmt Israel (in den Grenzen von 1967) in die Landkarten auf, die ihr in euren Schulbüchern, Websites und Regierungsdokumenten verwendet. So zeigt ihr den Israelis, dass ihr es ernst meint mit einer Zwei-Staaten-Lösung, in der Israel seinen Platz hat.

(2) Fangt an, von „zwei Staaten für zwei Völker“ zu sprechen; von zwei nationalen Identitäten; von zwei nationalen Bewegungen, die beide eine historische Bindung an das Land haben, auf dessen Boden die beiden Staaten koexistieren werden.

(3) Tretet jeder Hetze (incitement) gegen Juden und Israelis entgegen. Hört auf, diejenigen als „Märtyrer“ zu ehren, die einen Israeli getötet haben. So zeigt ihr den Israelis, dass ihr an einer friedlichen Koexistenz mit ihnen ernsthaft interessiert seid.

(4) An die Palästinensische Autonomiebehörde: Baut Illusionen ab, bereitet eure Öffentlichkeit darauf vor, dass um des Friedens willen schmerzhafte Entscheidungen und Kompromisse unvermeidlich sein werden – übrigens auch auf israelischer Seite. „Je mehr ihr euch selbst als Opfer behandelt, desto mehr werdet ihr auf Dauer Opfer bleiben!“

(5) Lasst zu, dass palästinensische Flüchtlinge in der Westbank aus ihren Flüchtlingslagern ausziehen und fangt damit an, Flüchtlingslager in der Westbank durch nicht-provisorische Unterkünfte zu ersetzen.

(6) Schafft rechtsstaatliche Institutionen und Strukturen, damit die Israelis sehen, von welcher Art der Staat sein wird, den ihr euch wünscht.

Zwei wechselseitige Signale

(1) Fördert die persönliche Begegnung vor allem junger Menschen beider Seiten, um der wechselseitigen Dämonisierung und Entmenschlichung (dehumanization) entgegenzuwirken.

(2) Habt den Mut, ein Wort des Lobes und der Anerkennung für die andere Seite zu finden. So könnten Israelis sich positiv über die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsbehörden äußern, die auch Israel zugutekommt. Umgekehrt könnten die Palästinenser einmal würdigen, dass ihnen medizinische Einrichtungen in Israel wie zum Beispiel die Hadassah-Krankenhäuser offenstehen.

Zum Schluss seines mit viel Beifall bedachten Vortrags hob Dennis Ross noch einmal hervor, dass seine Vorschläge nicht als Ersatz für politische Verhandlungen gedacht seien. Sollte allerdings nichts gegen die sich verstetigende Lähmung durch Resignation und Zynismus auf beiden Seiten unternommen werden, befürchte er – auch wenn der Status quo derzeit stabil wirkt – eine Verschlimmerung der Lage.

Die gesamte Rede von Botschafter Dennis Ross finden Sie als Video hier.

Medienecho

Asset Publisher

comment-portlet

Asset Publisher