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„Wandel durch Handel“ und israelische Sorgen

Nach dem Abkommen mit dem Iran gehen die Reaktionen weit auseinander

Lange wurde zwischen den fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich sowie zusätzlich Deutschland (P5+1) mit dem Iran über eine Lösung im Nuklearstreit gerungen. Mehrfach musste die Frist für den Abschluss eines Abkommens verlängert werden.

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Die Materie war durch den intensiven Ausbau des iranischen Nuklearprogramms, der sogar in den Jahren der Sanktionen stattgefunden hatte - immer komplexer geworden. Am Ende gelang es aber doch, sich auf einen Text zu einigen, der auf rund 160 Seiten die Rahmenbedingungen für eine langfristige internationale Überwachung des iranischen Atomprogramms festlegt.

Gegner des Abkommens bezweifeln, dass der Iran sich durch das Abkommen vom Saulus zum Paulus wandeln wird: Gerade in Israel stellen sich viele die Frage „Finanziert Iran mit den zusätzlich zu erwartenden Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft verstärkt Organisationen wie Hamas, Hisbollah und den Islamischen Dschihad im Kampf gegen Israel?“ Und eine weitere Sorge bleibt: Wird das Abkommen eher einen Rüstungswettlauf in der Region provozieren, eventuell sogar nukleare Ambitionen in Saudi-Arabien, Ägypten und in der Türkei hervorrufen oder verstärken? Und wird Iran dann am Ende nicht doch die Atombombe bauen?

Tatsächlich hatten sich die Rahmenbedingungen für einen grundlegenden und weitreichenden Ausgleich mit Iran und ein konstruktives Engagement in den letzten fünf Jahren aus nahöstlicher Perspektive eher verschlechtert. Die arabischen Umbrüche haben gescheiterte Staaten und konfessionalisierte Stellvertreterkriege hervorgebracht. Die schiitische Islamische Republik wird von manchen ihrer sunnitischen Nachbarn dabei mit Argusaugen beobachtet. Insbesondere die Konflikte in Syrien und im Jemen sorgen für sehr viel Unruhe in der Region und haben Iran, der nach wie vor das syrische Regime stützt, in eine schwierige Außenseiterposition gebracht. Und für die Golfstaaten sind das perzipierte iranische Hegemonialstreben und das iranische Nuklearprogramm zwei Seiten einer Medaille. Iran sorgt durch ambitionierte Aufrüstung seiner Streitkräfte zudem dafür, dass sich in der arabischen Welt die Wahrnehmung einer allzu dominanten iranischen Rolle in der Region weiter verstärkt.

Im Iran selbst ist dagegen vor allem Erleichterung zu spüren. Nach dem Abkommen haben die Menschen in Teheran und in anderen Städten auf den Straßen gefeiert. Die Freude über die Annäherung zwischen Iran und den Verhandlungspartnern, insbesondere den USA, war so groß, dass sogar USA-Flaggen geschwenkt wurden. Der traditionelle Kampfruf „Nieder mit den USA“ war dagegen nirgends zu hören. Die Begeisterung hat vor allem mit der dramatisch schlechten wirtschaftlichen Situation im Lande zu tun. Die Sanktionen haben auch den Durchschnittsiraner wirtschaftlich leiden lassen. Schon bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2013 hatte der Wahlsieger, Hassan Rohani, vor allem dadurch bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen gewonnen, dass er dem Wahlvolk ernsthafte Nuklearverhandlungen mit dem Ziel einer Beendigung der Sanktionen versprach. Die um die Loyalität ihrer Bürger besorgte konservativ-religiöse politische Elite um den obersten religiösen Führer Chamenei erteilte der Regierung Rohani das Mandat für diese Verhandlungen und verhinderte, dass innere Opponenten zu lautstark ihre Kritik am Verhandlungskurs äußern konnten.

In der Nuklearfrage erschien die Bevölkerung ohnehin relativ geschlossen und selbst bei regimefeindlichen Kundgebungen wurde das Nuklearprogramm kaum kritisiert: Das vom religiösen Führer -zumindest offiziell- als „unislamisch“ abgelehnte Konzept einer auf Massenvernichtungswaffen basierenden Sicherheitsdoktrin wurde abgelehnt, die zivile Nutzung der Nukleartechnologie aber mehrheitlich als im „nationalen Interesse des Irans“ stehend befürwortet. Das Abkommen, das strenge Kontrollen der iranischen Nuklearanlagen vorsieht, um den Bau einer Atombombe zu verhindern, stößt in der iranischen Bevölkerung daher überwiegend auf Zustimmung.

Wichtig ist dieser Verhandlungserfolg daher vor allem auch für die politische und gesellschaftliche Entwicklung im Iran. Die Regierung von Präsident Rohani wurde durch den Verhandlungsprozess und den erfolgreichen Abschluss des Abkommens nicht nur nach außen, sondern gerade auch nach innen gestärkt. Bei den im Jahre 2016 anstehenden Parlamentswahlen können sich reformorientierte und moderate Kräfte daher berechtigte Hoffnungen machen, die konservative Mehrheit im Parlament brechen zu können. Die junge Bevölkerung, die zu Zweidritteln die iranische Revolution des Jahres 1979 nur von Hörensagen und aus dem Geschichtsbuch kennt, verlangt nicht erst seit der Grünen Bewegung von 2009, sondern schon seit der Wahl des - eine liberale gesellschaftliche, kulturelle und politische Öffnung anstrebenden - Präsidenten Chatami im Jahr 1997 Reformschritte. Das Abkommen könnte dazu beitragen, dass Irans Gesicht sich künftig deutlich verändert.

Auch für manche Beobachter in Israel ist diese Entwicklungsperspektive potentiell eher positiv. So hatte der iranischstämmige israelische Nahostwissenschaftler David Menashri, schon vor zehn Jahren das Diktum verkündet, die Einschätzung der Rolle Irans hänge vor allem davon ab, ob im Iran eher der Atomzug, oder der Demokratiezug den Zielbahnhof erreichen werde. Die Chancen dafür, dass der Demokratiezug an Geschwindigkeit gewinnt, sind durch das Abkommen eindeutig gestiegen. Welchen Einfluss ein innerer Wandel des Irans auf seine Rolle haben würde, ist aber völlig offen.

Für den Westen ist das Abkommen zwar in wirtschaftspolitischer Hinsicht zunächst eine gute Nachricht: In Berlin und in anderen Hauptstädten wird der Iran als dynamisch wachsender Markt mit einer sehr gut ausgebildeten Bevölkerung gesehen. Aber aufgrund der sensiblen politischen Beziehungen zum Iran und der verbleibenden Unsicherheiten, ob das Abkommen tatsächlich erfolgreich sein wird, ist gerade die deutsche Wirtschaft um eine eher vorsichtige Annäherung bemüht. So betonen Wirtschaftskreise, wie der BGA-Vorsitzende Anton Börner, dass „der deutschen Wirtschaft die Menschenrechte im Iran nicht egal“ seien. Man setze mit Blick auf die künftig absehbare Ausweitung des wirtschaftlichen Engagements auf „Handel durch Wandel“.

Trotz kritischer Bewertungen, die die Stärkung Irans durch das Abkommen insbesondere für die regionale Dynamik negativ einschätzen, hat das Abkommen aber auch einen positiven Effekt:

Die langfristige Überprüfbarkeit der iranischen Nuklearaktivitäten und der kooperative Geist von Wien, der diesen diplomatischen Erfolg ermöglicht hat, legen die Basis für einen erforderlichen mittel- und langfristigen Prozess der Vertrauensbildung zwischen Iran und dem Westen.

Sicherheit und Zusammenarbeit in der kriegs- und krisengeschüttelten Nahost-Region werden in den nächsten Jahren sehr hart erarbeitet werden müssen. Das Abkommen könnte zumindest ein wichtiges Mosaiksteinchen einer derartigen Entwicklung, die auch die Sicherheit Israels, wie der arabischen Nachbarn Irans gewährleisten müsste, sein.

Die Rolle Deutschlands und Europas, in der Region zu Vertrauensbildung, Dialog und Zusammenarbeit beizutragen, ist nach dem Abkommen noch gewachsen.

Anders als das Abkommen über das Atomprogramm, das mit den Worten des amerikanischen Präsidenten Obama mehr auf Überwachungsmechanismen als auf Vertrauen setzt, muss eine regionale Sicherheitsarchitektur auch durch Vertrauen zwischen den regionalen Partnern und Nachbarn abgestützt sein.

Der Erfolg des Nuklearabkommens wird - sowohl für den Westen als auch für die Nachbarn Irans in der Region - ein wichtiger Indikator sein, ob Vertrauen in das Land gerechtfertigt ist.

Für die - insbesondere auch aus Berliner und Washingtoner Perspektive - wichtige israelische Sicht gilt derweil, was der iranischstämmige israelische Nahostexperte Meir Javendanfar am 16. Juli über das Abkommen schrieb:

“Meanwhile the leaders of Iran must also think about their actions. It would be unfair and inaccurate to say all Israelis and Jewish diaspora members who oppose a deal with Iran do so because they want war. After the Holocaust, Jews are very sensitive towards anyone who uses eliminationist terms against them. Iranian regime’s constant calls for Israel to be wiped off the face of the map touches this very fear, and creates a strong reaction. Therefore even after a deal, even if Iran abides by all of its commitments, as long as the Iranian regime continues to call for the elimination of Israel, a majority of diaspora Jews and Israelis will distrust anything Tehran does, and will try to counter it in the halls of Congress.”

Die israelische Position gegenüber dem iranischen Atomprogramm hatte in den vergangenen Jahren einen erheblichen Anteil daran, dass die Sanktionen gegen den Iran immer starker ausgefallen waren und auch die militärische Option von Präsident Obama - zumindest rhetorisch - auf der Agenda gehalten worden ist. Indirekt saß Israel mit am Verhandlungstisch. Weder in Teheran noch in Jerusalem sollte das Abkommen daher nun als Niederlage der israelischen Politik verstanden werden. Das Abkommen ist zustande gekommen, weil es hierzu - auch nach amerikanischer Lesart - keine bessere Alternative gab. Das Jubeln auf den Straßen Teherans über das Abkommen sollte kein Anlass für Trauer auf den Straßen Tel Avivs sein.

In der dauerhaften Konfrontation über das iranische Nuklearprogramm hatte sich die Sicherheitslage für Israel nicht wirklich verbessert. Und nach dem Abkommen ist die Hoffnung auf eine Verbesserung der israelischen Sicherheitslage keineswegs geringer geworden. Im Gegenteil: Das Abkommen könnte den Weg frei machen für eine neue iranische Außenpolitik, die den Ausgleich mit Washington auch in regionalpolitischen Fragen sucht. Die möglich erscheinende Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen würde ein großer Schritt in diese Richtung sein.

Wie schon die arabische Friedensinitiative im Jahr 2002 gezeigt hat, die von Saudi-Arabien initiiert worden war und die Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten vorsah, sind mutige und weitreichende Schritte auf dem Weg zu Frieden und Ausgleich nicht ausgeschlossen. Das Nuklearabkommen mit dem Iran sollte von allen Seiten dazu genutzt werden, weitere Schritte auf diesem langen und steinigen Weg zu gehen.

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