Single title
Anrede
vielen Dank für die freundliche Begrüßung. Es ist für mich eine große Freude, mit Ihnen heute über die Zukunft Europas im 21. Jahrhundert zu sprechen.
Wir Deutsche konnten uns auf die Amerikaner in den letzten fünf Jahrzehnten immer verlassen.
Ohne die Amerikaner hätten wir diese fünfzig Jahre im freien Teil unseres Vaterlandes, in der Bundesrepublik, so nicht überstanden.
Für mich steht fest: nur in enger Zusammenarbeit der Europäischen Union und im engen Bündnis mit den Vereinigten Staaten können Freiheit und Sicherheit erhalten und der Frieden bewahrt werden.
Wir Deutsche haben in der Vergangenheit immer wieder die amerikanische Hilfe erfahren.
Wir haben allen Grund zu großer Dankbarkeit:
Wir denken an die ökonomische Hilfe der Amerikaner im Rahmen des Marshall-Planes 1947.
Dessen psychologische Wirkung bei uns in Deutschland war noch wichtiger. Der Marshall-Plan war das Zeichen: Die Amerikaner glauben an uns und an unsere Zukunft.
Dann halfen uns die Amerikaner während der Berlin-Blockade 1948/1949. Damals war Berlin von der Sowjetunion abgeriegelt worden. Nur über eine Luftbrücke, bei der auch amerikanische Piloten ihr Leben riskieren, konnte Berlin als Symbol der Freiheit vor dem Zugriff des Kommunismus bewahrt werden.
Und schließlich stand Amerika bei der Wiedervereinigung ohne Wenn und Aber auf unserer Seite.
Ich denke dabei in Dankbarkeit an die amerikanischen Präsidenten. Ohne sie hätten wir die Deutsche Einheit nicht erreicht. Ich nenne Ronald Reagan, der vor zwei Wochen von uns gegangen ist. Er schuf mit seiner konsequenten Politik der Freiheit die Voraussetzung für die spätere Entwicklung zur Deutschen Einheit. Unvergessen ist sein Ruf am Brandenburger Tor im Jahr 1987: Mr. Gorbatschow öffnen Sie dieses Tor, Mr. Gorbatschow reißen Sie diese Mauer nieder!
Ebenso werde ich immer in Erinnerung behalten, wie er mit mir einen Soldatenfriedhof in Deutschland besuchte.
Das war ein Zeichen der Freundschaft zwischen Deutschland und Amerika. Es war eine Geste des neu gewachsenen Vertrauens und der Anerkennung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern.
Und es war Georg Bush sen., der mit seiner Politik die Deutsche Einheit erst ermöglichte. Er hat den Deutschen und auch mir vertraut und uns vorbehaltlos in den Jahren 1989 und 1990 unterstützt.
Deshalb werden wir George Bush und der amerikanischen Regierung immer dankbar dafür sein, was sie für die deutsche Wiedervereinigung getan haben.
Und ich denke in Dankbarkeit an Bill Clinton. Er hat uns Deutsche auf dem Weg der Einheit mit großer Sympathie und wertvoller Unterstützung begleitet. Er war es auch, der als einer der Ersten in den USA die Bedeutung der Wirtschafts- und Währungsunion der Europäischen Union erkannte.
Dieses große Zeichen der Freundschaft verpflichtet uns, auch in schwieriger Zeit ganz an der Seite der Amerikaner stehen.
Vor fast drei Jahren wurden unsere amerikanischen Freunde von einem barbarischen Terrorakt wenige Kilometer von hier heimgesucht.
Über zweieinhalb Tausend unschuldige Menschen fanden den Tod.
Terror ist die Geißel der Gegenwart. Wir müssen gemeinsam dagegen vorgehen.
Der Kampf gegen den Terrorismus ist nicht nur eine Angelegenheit der Amerikaner. Er ist eine Aufgabe der ganzen zivilisierten Welt.
Wir in Europa dürfen uns dieser Herausforderung nicht entziehen.
Für uns Deutsche gilt nach wie vor die Erkenntnis des ersten deutschen Bundeskanzlers, auf die er seine erfolgreiche Außenpolitik aufbaute:
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik muss auf zwei gleich berechtigten Säulen ruhen:
der engen Einbindung in die Europäische Union und in der festen transatlantischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten.
Diese Partnerschaft gründet sich auf einem breiten Fundament gemeinsamer Werte wie der Demokratie, den Menschenrechten und der individuellen Freiheit.
Diese Partnerschaft gründet sich aber auch auf enge wirtschaftliche Beziehungen:
Deutschland ist in den Vereinigten Staaten der drittgrößter ausländische Investor und der drittgrößte ausländische Arbeitgeber.
Darüber hinaus ist Deutschland der größte europäische Handelspartner der USA und der fünftgrößte Handelspartner der USA überhaupt.
Europa ist in den letzten Jahrzehnten zu einem starken wirtschaftlichen Partner der USA geworden.
Die Europäische Union ist nach der Erweiterung mit seinen jetzt 25 Mitgliedsländern zur weltweit stärksten Wirtschaftskraft neben den USA geworden.
Mit der Schaffung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999 und der Einführung des Euro am 1. Januar 2002 ist die Euro-Zone – nach
China und Indien - das bevölkerungsreichste Wirtschafts- und Währungsgebietgebiet der Welt.
Mit 20 Prozent hat es inzwischen den höchsten Anteil an den weltweiten Exporten. Beim Bruttoinlandsprodukt liegt das Euroland im weltweiten Vergleich hinter den USA an zweiter Stelle.
Die Europäische Union und die USA sind weltweit die mit Handel und Investitionen am stärksten verflochtenen Wirtschaftsräume der Welt.
Beide Wirtschaftsräume zusammen vereinen heute rund vierzig Prozent der gesamten Weltwirtschaftsleistung.
Der Handel zwischen beiden Wirtschaftsräumen hat sich bis heute immer weiter verstärkt. Zwischen 1990 und dem Jahr 2000 verdoppelte sich der transatlantische Handel von jährlich rund 270 Milliarden Dollar auf rund 560 Milliarden Dollar.
Amerikanische Unternehmer tätigten in den 90er Jahren die Hälfte ihrer gesamten Investitionen in Europa!
Umgekehrt tätigen europäische Unternehmen drei Viertel aller Auslandsinvestitionen in den USA.
Über 4,4 Millionen Amerikaner werden von Tochtergesellschaften europäischer Unternehmen beschäftigt. Umgekehrt finden rund 4,1 Millionen Europäer bei amerikanischen Tochtergesellschaften in Europa Arbeit – allein in Deutschland mehr als 400.000 Beschäftigte.
Wirtschaftlich, aber auch politisch gilt: Europa braucht Amerika, und Amerika braucht Europa.
Europa hat vor wenigen Wochen gewaltige Veränderungen erlebt:
Am 1. Mai traten zehn Staaten der Europäischen Union bei. Noch nie kamen so viele Länder auf einmal in die Europäische Union.
Von den zehn neuen Mitgliedsländern gehörten allein acht Staaten zum früheren Ostblock, jenseits des „Eisernen Vorhangs“.
Noch 1989 – die Sowjetunion führte noch den kommunistischen Ostblock - hätte niemand zu hoffen gewagt, dass diese Länder bereits zu Beginn des neuen Jahrhunderts Mitglied des Hauses Europa sein würden.
Durch die Erweiterung hat sich das Gebiet der Europäischen Union um ein Drittel vergrößert. Die Einwohnerzahl ist von 380 Mio. auf nunmehr 450 Mio. Menschen gestiegen.
Die politische Landkarte Europas hat sich durch die Erweiterung stark verändert. Für Deutschland ist von großer Bedeutung, dass es von seiner Randlage in der EU in die Mitte der Europäischen Union gerückt ist. Von meinem Büro wenige Meter östlich des Brandenburger Tors ist es nach Warschau kürzer als nach Amsterdam.
Ich empfinde es als großes Glück, dass unser jahreslanges Eintreten und Kämpfen für die Erweiterung der Europäischen Union Wirklichkeit geworden ist.
Für mich war immer klar, die Europäische Union bliebe unvollständig, wenn allein Westeuropa dazu gehörte.
Die Ost-Erweiterung wird den bisherigen 15 Mitgliedsstaaten ein zusätzliches Wirtschaftswachstum bescheren.
Mit gut einem Prozent zusätzlichem Wirtschaftswachstum wird vor allem Deutschland von der Erweiterung profitieren.
Natürlich sind mit der Erweiterung auch Probleme verbunden. Aber die werden sich lösen lassen. Das hat Europa bisher immer bewiesen.
Zu diesem Europa mit 25 Mitgliedsstaaten war es ein langer Weg von über einem halben Jahrhundert.
Vorausschauende Politiker in Europa formulierten bereits kurz nach Kriegsende die Vision einer dauerhaften Friedens- und Freiheitszone auf dem europäischen Kontinent.
Es ist jetzt 58 Jahre her, dass Winston Churchill seine große Züricher Rede hielt.
Er sprach 1946 davon, dass sich die europäischen Staaten eine Ordnung geben sollten, unter der sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben könnten.
Es waren Persönlichkeiten wie der Franzose Robert Schuman, der Italiener Alcide de Gasperi, der Belgier Paul Henri Spaak und der Deutsche Konrad Adenauer, die am Anfang des Weges zur Europäischen Union mutig vorangingen.
Sie hatten ein Europa mit offenen Grenzen und einer pluralistischen Gemeinschaft vor Augen.
Die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“, die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“, der Europäische Binnenmarkt und schließlich die Verträge von Amsterdam und Maastricht waren wichtige Stationen auf dem Weg zur „Europäischen Union“ mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik.
Wir müssen uns einmal vergegenwärtigen: Die Europäische Gemeinschaft begann 1957 mit sechs Mitgliedern. Jetzt zählt sie 25 Mitglieder. Ich bin zuversichtlich, dass sich der große europäische Wirtschaftsraum festigen und weiterentwickeln wird. Nur so wird er in einer multipolaren und globalisierten Welt konkurrenzfähig bleiben.
In den zehn jetzt neu beigetretenen Ländern fanden am 13. Juni zum ersten Mal und in den übrigen 15 Ländern zum wiederholten Male Direktwahlen zum Europäischen Parlament statt. Das war und bleibt für Europa ein großartiges Ereignis.
732 Abgeordnete aus 25 Staaten bilden jetzt das neue Europäische Parlament.
Erstmals ziehen direkt gewählte Abgeordnete aus den zehn Beitrittsländern ins Europäische Parlament ein.
Nie zuvor in der Geschichte haben Parlamentarier aus so vielen und so unterschiedlichen Ländern in einem Parlament zusammen gearbeitet.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum geeinten Europa war die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Einführung des Euro am
1. Januar 2002.
Bei der Entscheidung für eine gemeinsame europäische Währung waren für mich zwei Aspekte besonders wichtig:
Zum einen sprachen wirtschaftliche Gesichtspunkte für ihn: Preise und Märkte werden transparenter, Umtauschgebühren entfallen und Wechselkursrisiken werden ausgeschaltet.
Somit wird die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft des Euro-Raumes auf dem Weltmarkt weiter zunehmen.
Bereits heute ist festzustellen, dass die Europäische Union zu einem attraktiven Wirtschaftsraum geworden ist.
Viele Länder streben in die Euro-Zone. Zahlreiche strukturelle Veränderungen, die durch den Euro in Gang gesetzt wurden, haben den europäischen Wirtschaftsraum gestärkt.
Das Euroland hat den höchsten Anteil an den weltweiten Exporten (19 Prozent). Und beim Bruttoinlandsprodukt liegt es weltweit gleich hinter den USA an zweiter Stelle.
Für mich steht deshalb außer Frage: Der Euro hat sich nach dem Dollar und vor dem Yen zur wichtigsten Währung der Welt etabliert. Der Euro ist schon jetzt eine Erfolgsgeschichte.
Und wegen seiner Vorteile wird der Euro in naher Zukunft auch in London und Zürich die offizielle Landeswährung sein.
Ein zweiter Gesichtspunkt bei der Entscheidung für den Euro war, dass er weit mehr sein wird als ein gemeinsames Zahlungsmittel. Er wird sich als ein Identifikationsmerkmal und ein sichtbares Zeichen der Zusammengehörigkeit entwickeln.
Die Europäische Union wird durch den Euro als Friedens- und Freiheitsordnung für das 21. Jahrhundert noch enger zusammen wachsen.
Für mich ist und bleibt der Friedensgedanke der Kern der europäischen Integration.
Deshalb gibt es nach meiner festen Überzeugung zur Politik der europäischen Einigung keine vernünftige Alternative.
Wenn gefragt wird, „Was bringt uns die europäische Einigung?“, so kann ich vor allem sagen:
Durch sie haben wir es geschafft, schon über fünfzig Jahre in Frieden und Freiheit zu leben.
Über den ehemaligen tiefen Gräben, die über mehrere Jahrhunderte durch Kriege in Europa aufgerissen worden waren, wächst eine neue starke Gemeinschaft zusammen.
Der Euro hat die Europäische Einigung unumkehrbar gemacht.
Durch die Wirtschafts- und Währungsunion ist die europäische Einigung irreversibel, das heißt, unumkehrbar geworden.
Mit der Einführung der gemeinsamen Währung und der Erweiterung der Europäischen Union auf 25 Staaten sind wichtige Ziele im Prozess der europäischen Einigung erreicht.
In den nächsten Jahren werden Bulgarien und Rumänien Mitglied der Europäischen Union werden.
Mit den neuen und potentiellen Mitgliedsländern sind auch zugleich die Außengrenzen der Europäischen Union beschrieben. Ich hielte es für falsch, die Europäische Union über die genannten Länder hinaus auszudehnen.
Wir dürfen die Europäische Union nicht überdehnen. Sie hat natürliche und geschichtlich begründete Grenzen.
Mit der Erweiterung ist der Rohbau fertig. Das Haus Europa ist „wetterfest“. Nun muss der Innenausbau weiter vorangetrieben werden. Zu diesem Innenausbau gehört vor allem die Vollendung der Politischen Union.
Ein wichtiger Schritt dazu ist die Verabschiedung des Verfassungsvertrages.
Dieser Vertrag stellt die Europäische Union auf eine neue Grundlage. Durch ihn werden die Institutionen und Beschlussverfahren reformiert.
Die Rechte des Europäischen Parlaments werden durch den Vertrag gestärkt. So soll zukünftig der Kommissionspräsident vom Parlament gewählt werden.
Auch ist der Verfassungsvertrag ein erster Schritt, keine weiteren Zuständigkeiten nach Brüssel zu verlagern.
Nach der Verabschiedung der Verfassung, der Erweiterung der EU und der Einführung des Euro stehen wir vor zwei weiteren, wichtigen Herausforderungen:
Erstens bleibt es eine dauernde Aufgabe, die Akzeptanz Europas bei den Bürgern zu stärken.
Die Bürger erwarten vor allem Erfolge bei der inneren Sicherheit. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern ist deshalb unerlässlich.
Zweitens ist es wichtig, dass wir zu einer gemeinsamen Außenpolitik kommen. Europa muss lernen, mit einer Stimme zu sprechen.
Dabei ist es wichtig, dass die EU weiterhin fest zur transatlantischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten steht.
Der Bau des Hauses Europa und die transatlantischen Partnerschaften sind kein entweder/oder, sondern ein sowohl/als auch.
Die europäische Einigung hat den Mitgliedsländern in den letzten fünf Jahrzehnten Frieden, Freiheit und Wohlstand beschert.
Die Bilanz des letzten Jahrhunderts ist außerordentlich positiv.
Lassen Sie uns auf dem erfolgreichen und für beide Seiten glücklichen Weg der transatlantischen Freundschaft weiter gehen.
Wir haben allen Grund, mit Leidenschaft und Optimismus dieses Haus Europa weiter zu bauen und die deutsch-amerikanische Freundschaft weiter zu pflegen und auszubauen.