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Reportajes internacionales

Kolumbien: Die Parteien im Wahljahr

de Prof. Dr. Stefan Jost
Nach den Kongress- und Präsidentschaftswahlen 2010 ist für Kolumbien auch 2011 ein Wahljahr. Ende Oktober werden alle Bürgermeister und Gemeinderäte sowie alle Gouverneure und Parlamente in den 32 Departments gewählt. Diese Wahlen werfen ihre Schatten voraus. Die Parteien sind auf der Suche nach Kandidaten und Koalitionen. Themen stehen noch nicht auf der Tagesordnung.

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Ausnahmslos alle Parteien befinden sich in einer komplexen Ausgangssituation. Selbstverschuldete innerparteiliche Probleme, unklare Koalitionsoptionen, schwierige Kandidatennominierungen und für vier von ihnen ihre Zugehörigkeit zur Regierung der „Nationalen Einheit“ sind dabei die aktuell wichtigsten Faktoren.

Die Präsidentenpartei „de la U“

Die Präsidentenpartei „de la U“ befindet sich in einer mehrfach öffentlich sichtbar gewordenen Schieflage zwischen der notwendigen Unterstützung von Präsident Santos und der Uribe geschuldeten Loyalität als ehemaligem Präsidenten.

Die “de la U“ ist weniger Partei denn Präsidentenwahlmaschine, dies aber sehr erfolgreich. Starkes, eigenständiges Führungspersonal ist nicht nachgewachsen.

Der entscheidende Faktor ist Santos als Staatspräsident, der im Rechtskontext eines präsidentialistischen Regierungssystems zwar keine unmittelbare Parteipolitik betreiben darf, allerdings über die entsprechenden „cuotas burocráticas“ d.h. über Ämter und Pfründe verfügt, was noch immer als loyalitätsbegründendes Mittel ausreicht.

Die Trennlinie zwischen Santistas vs Uribistas, sei diese nun inhaltlich oder „gefühlsmäßig“ begründet, geht durch die Partei. Dies hat bislang vor allem zu einer Lähmung als Partei geführt.

Uribe wiederum hat sich nicht aufs politische Altenteil zurückgezogen. Er bemüht sich, einen politischen Führungs- oder Mitgestaltungsanspruch zur Sicher-stellung der von ihm gestalteten Politik zu formulieren. Allerdings ist ihm dies allein in der „de la U“ nicht möglich oder aus-reichend.

Seit Februar 2011 führt er mit ehemaligen Mitstreitern, aber auch aktuellen Politikern der „de la U“ sogenannte „talleres democráticos“ (demokratische Workshops) auf eigene Rechnung durch, um auf diese Weise Themen, Kandidaten und Koalitionen zu schmieden und seinen Einfluss vor allem in den Regionen zu stärken.

Eine Schlüsselstellung kommt dabei der Hauptstadt Bogotá zu, mit über 8 Millionen Einwohnern das wichtigste politische Zentrum des Landes. Der Bürgermeister-posten Bogotás gilt als der wichtigste nach dem Amt des Staatspräsidenten.

In Bogotá haben alle Parteien ein Kandidatenproblem. Aktuell gibt es keine Kandidatur, die als Selbstläufer gilt. Selbst Uribe, dem Ambitionen auf die Kandidatur nachgesagt wurden, brachte die Unter-stützung eines Kandidaten der Grünen Partei ins Spiel.

Auch wenn Uribe eine Kandidatur bislang ausgeschlossen hat, sollte man dies nicht als sein letztes Wort ansehen. Hier könnte noch eine Überraschung ins Haus stehen.

Ein fast schon altes Thema: Santistas vs Uribistas

Von Beginn an hatten viele in Politik und Medien die Frage auf dem Bildschirm, wann Uribe und Santos aneinander geraten würden. Intern ist das Beziehungsthermometer dem Vernehmen nach um deutliche Grade angestiegen. Nach außen wird von beiden nach wie vor eher Deeskalation betrieben, auch wenn die eine oder andere Stellungnahme Bände spricht.

Rational betrachtet besteht zu dieser teils artifiziellen Diskussion im Kern jedoch kaum einen Anlass.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Uribe und Santos. Dies betrifft zum einen den Regierungsstil. Uribe war deutlich konfrontativer, deutlich ab- und ausgrenzender als Santos, der viel dialogorientierter, integrierender wirkt.

Und selbstverständlich setzt Santos eigene Akzente, sicher auch stärker als von dem ein oder anderen seiner konservativen Wähler und Förderer erwartet worden war.

Die Betrachtungsweise des Übergangs von Santos zu Uribe ist in der politischen Arena verständlicherweise weit entfernt von einer naheliegenden Zwei-Phasen-Analyse.

Santos hätte keinen Raum, seine jetzt auf den Weg gebrachten Reformen zu thematisieren oder gar umzusetzen, wenn die „Politik der demokratischen Sicherheit“ der Regierung Uribe zwischen 2002 und 2010 nicht dazu geführt hätte, dass der kolumbianische Staat in einem beträchtlichen Umfang wieder das staatliche Gewaltmonopol aus der Verfassung auch in die territoriale Wirklichkeit umgesetzt hätte.

Die Bevölkerung sieht diesen Streit eher gelassen. Santos verfügt über äußerst hohe Zustimmungswerte, was der positiven Bewertung der Regierungszeit Uribes auf der anderen Seite aber keinen Abbruch tut.

Die Konservative Partei

Die Konservative Partei (PC) erlitt in den Präsidentschaftswahlen im Juni 2010 eine bittere Niederlage. Aufgrund ihres guten Wahlergebnisses bei den Kongresswahlen im März, sie wurde zweitstärkste Partei, ist sie jedoch eine der Säulen der Regierung der „Nationalen Einheit“ von Staatspräsident Santos.

Sie stellt die Mehrzahl der Minister und einflussreiche dazu. Dennoch ist die Handschrift der Konservativen Partei nach dem Empfinden der Partei nicht ausreichend erkennbar. Auch gibt es in Schwerpunktsetzung wie Einzelfragen der Reformpolitik der Regierung Santos deutliche Kritik. Ein Rückzug aus der Koalition ist jedoch aktuell nicht zu erwarten.

Der Ende vergangenen Jahres neu gewählte Parteivorsitzende Salazar bemüht sich um eine Profilschärfung der Partei auch in der Regierung, ohne sich aber in die Hände von Uribe zu begeben. Eine Einladung Uribes an den „talleres democráticos“ teilzunehmen lehnte die PC ab, ohne allerdings Koalitionen mit dem Uribe-Lager auszuschließen. Man will jedoch erkennbar nicht gänzlich in das Uribe-Boot einsteigen, sondern sich hinreichend Spielraum erhalten.

Die eher konservativen Strömungen, die während des Präsidentschaftswahlkampfes zu Santos übergelaufen waren, da sie sich mit der Kandidatur von Noemí Sanín nicht repräsentiert sahen, sind jetzt überwiegend diejenigen, die sich in ihren Erwartung der Weiterführung der Politik von Uribe durch Santos enttäuscht bis verraten fühlen. Dies hat interessanterweise dazu geführt, dass Santos Schützenhilfe des letzten durch die Konservative Partei gestellten Staatspräsidenten Pastrana erhält, obwohl gerade er die Kandidatur von Sanín mit dem Argument, man dürfe Santos nicht die Konservative Partei übergeben, befördert hat.

Die öffentlich aus Madrid formulierte Kritik, der PC-Parteichef verhalte sich illoyal und wie ein Provinzbürgermeister hat in der Partei zu einer breiten Solidarität mit Salazar geführt. Auch Santos unterstützte auf dem jüngsten Ideologiekongress der PC demonstrativ die aktuelle Parteiführung und erklärte konstruktive Kritik explizit als willkommen.

Allerdings ist nicht zu verkennen, dass Unbehagen bis Unmut in der Konservativen Partei über den Protagonismus, den Santos der PL zuweist, weiter fortbestehen. Es bleibt abzuwarten, zu welchem Zeitpunkt und bei welchem Thema die Konservativen ihre in Gang gesetzte Profilschärfung nicht nur auf Parteitagen, sondern im Gesetzgebungsprozess manifest werden lassen.

Die liberale Partei

Während die Konservative Partei darunter leidet mehr Minister als öffentlich erkennbaren Einfluss zu haben ist es bei der Liberalen Partei (PL) umgekehrt.

Santos verweist recht häufig auf seine liberale Herkunft und läßt den Liberalen viel Spielraum. Die Ernennung des Sohnes von Samper, des letzten liberalen Staatspräsidenten der 90er Jahre, zum Beauftragten für die Kongressbeziehungen des Staatspräsidenten sind sensibel verfolgte Signale.

Das „Leiden“ der Liberalen könnte sich bald abschwächen. Im Kongress dürfte bis Mitte des Jahres ein Gesetz verabschiedet werden, durch das zwei Geschäftsbereiche aus bisherigen Verknüpfungen ausgegliedert und selbständige Ministerien werden, das Justiz- und das Umweltministerium. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Rafael Pardo, liberaler Parteichef und Präsidentschaftskandidat 2010, oder einer seiner Vertrauten neuer Justizminister wird.

Der „Cambio Radical“

Der ebenfalls aus dem liberalen Lager entstandene, bis zum Wiederwahlstreit in der Uribe-Koalition verbliebene Cambio Radical (CR) ist mit seinem Präsidentschaftskandidaten Vargas Lleras als Innen- und Justizminister im Kabinett Santos vertreten. Lleras spielt eine herausragende Rolle in der Umsetzung des Reformpakets im Kongress.

Die Fraktionen von PL und CR haben sich in den beiden Kammern des Kongresses zu einer gemeinsamen Fraktion zusammengeschlossen und damit die konservative Fraktion auf den dritten Platz verwiesen. Eine Vereinigung der beiden Parteien steht auf der Tagesordnung. Abzuwarten bleibt, ob es flächendeckend zu einer gemeinsamen Kandidatur beider Parteien bei den Wahlen 2011 kommt, und welche Ergebnisse diese bringen.

Ob diese liberalen Wiedervereinigungen die ersten Vorboten einer mit Santos abgesprochenen Präsidentschaftskandidatur von Vargas Lleras als liberaler Spitzenkandidat 2014 anzusehen sind, bleibt abzuwarten.

Die Lesart, dass der Stratege Santos in der „Unidad Nacional“ nicht nur ein Mittel zur Umsetzung seines Reformpaketes, sondern auch die einmalige Chance sieht, die aus dem liberalen Lager stammenden Parteien PL, CR und „de la U“ bei den nächsten Wahlen wieder unter einem Dach zu vereinen, gewinnt an Anhängern.

Die anderen Parteien sollten sich jedenfalls darauf einstellen, dass Santos, der schon öffentlich damit kokettiert, dass er nicht unbedingt eine zweite Amtszeit will, sich nicht zur Wiederwahl stellt.

Der „Polo Democrático“

Ausgesprochen schwierig stellt sich die Lage für das linke Parteienbündnis Polo Democrático dar. Die seit dessen Gründung schwelende latente Auseinandersetzung zwischen dem eher pragmatisch/ sozialdemokratisch gesinnten Flügel und den dogmatischen linken Hardlinern konnte im Präsidentschaftswahlkampf überdeckt werden, obwohl der aus der Guerrillabewegung M-19 stammende Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro dem pragmatischen Flügel angehört. Petro erzielte einen beachtlichen 4. Platz bei den Präsidentschaftswahlen. Seine Kritik an den korrupten Klientelbeziehungen vor allem in der Polo-Regierung Bogotás hat zu staats-anwaltlichen Ermittlungen u.a. gegen den Bürgermeister des Polo, Samuel Moreno und seinen Bruder, einen Polo-Senator, geführt. Es gilt als ausgeschlossen, dass der Polo Bogotá erneut gewinnen kann.

Ende 2010 erklärte Petro seinen Austritt aus dem Polo. Seitdem ist offen, ob er eine eigene Partei gründen will oder sich einer der bestehenden anschließt. Sein denkbarer Anschluss an die GRÜNEN stieß dort nicht gerade auf einhellige Begeisterung.

Die Wahlen des Jahres 2011 könnten das Ende dieses Wahlbündnisses und damit dem Versuch einer linken Alternative zu der der Sozialistischen Internationale angehörenden Liberalen Partei bedeuten.

Die „Grüne Partei“

Die „Grüne Partei“, trotz ihres Namens nicht mit der ideologischen Ausrichtung gleichnamiger europäischer Parteien zu verwechseln, konnte in den Präsidentschaftswahlen mit dem ehemaligen Bürgermeister von Bogotá, Mockus, einen beachtlichen Erfolg erzielen und in den 2. Wahlgang einziehen. Damit war aber auch der bisherige Höhepunkt dieser Partei erreicht. Ihre wenigen Kongressmitglieder werden in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Der Schwung der Präsidentschaftswahlen konnte erkennbar nicht für die Konsolidierung eines neuen Parteiprojekts mitgenommen werden. Die Wahlkampfstärke der Partei, Personalismen in ein geschlossenes Führungsquartett allerdings sehr unterschiedlicher Naturelle einzubinden und mit inhaltlichen Botschaften zu verbinden und so ein kritisches, für das politische System Kolumbiens noch nicht verlorenes Wählerpotential zu mobilisieren, erlitt im Vorfeld der innerparteilichen Debatte um die Kandidatur in Bogotá unter Umständen irreparable interne wie externe Schäden.

Das Kokettieren des schließlich nominierten Kandidaten Penalosa mit der Unterstützung durch Uribe hat die Sollbruchstellen zwischen Personalismus und inhaltlich orientiertem Parteiprojekt auch bei den Gründen offengelegt. Die Enttäuschung in der grünen Wählerschaft ist unverkennbar.

Aktuell scheint durchaus fraglich, ob die GRÜNEN ihr strategisches Ziel, die Wahlen 2011 für eine territoriale Konsolidierung ihrer politischen Strukturen zu nutzen tatsächlich erreichen können. Sollte ihnen dies nicht gelingen, dürften die GRÜNEN wieder in den Status einer Splitterpartei zurückfallen.

PIN- „Partei der Nationalen Integration“

Diese aus dem rechten und paramilitärischen Milieu kurz vor den Wahlen 2010 entstandene Partei konnte bei den Kongresswahlen erstaunlich gut abschneiden, spielt in der Öffentlichkeit keine Rolle, arbeitet aber an der Penetrierung weiterer Regionen. Es steht zu befürchten, dass sich diese parteipolitische Form camouflierter Interessenpolitik illegaler Gruppierungen auch bei den Wahlen 2011 in bestimmten Departments durchsetzen kann.

Ausblick

Der Ausgang der Wahlen 2011 ist vor dem oben geschilderten Hintergrund für alle Parteien von einer über die eigentlichen Wahlen hinausgehenden Bedeutung. Nach knapp über einem Jahr der Regierung Santos werden diese Wahlen ein erstes landesweites Stimmungsbarometer darstellen und die kommunale und regionale Machtverteilung für die nächsten vier Jahre determinieren. Dies wiederum kann erste Aufschlüsse über denkbare Positionierungen für die Präsidentschaftswahlen des Jahres 2014 wie die künftige Strukturierung eines unter Umständen deutlich stärker bipolar ausgerichteten kolumbianischen Parteiensystems ergeben.

Die mit diesen Wahlen verbundene Dynamik beschränkt sich zurzeit weitgehend auf parteiinterne Ebenen. Ob und inwiefern die zunehmend externen Wirkungsfaktoren schon pre-elektorale Spaltungstendenzen in die „Unidad Nacional“ hineintragen oder solche erst nach dem Wahltag zum Tragen kommen, bleibt abzuwarten.

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