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Reportajes internacionales

Neues aus Macondo

de Reinhard Willig, Janina Kopfmüller

Update zu den Präsidentschaftswahlen in Peru

Am 10. April 2016 wählt Peru sein neues Staatsoberhaupt und weniger als zwei Wochen vor dem entscheidenden Tag steht nicht fest, welche Kandidaten antreten beziehungsweise antreten dürfen. In den peruanischen Medien erscheinen fast täglich Meldungen über neue Anschuldigungen gegen die Kandidaten wegen Verstößen gegen das reformierte Wahl- und Parteienrecht, verbunden mit entsprechenden Ausschlussanträgen bei der Wahlgerichtsbarkeit.

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Diese versucht gegen die Zeit Entscheidungen herbeizuführen deren Tragweite die Legitimität – sprich die soziale Akzeptanz – des gesamten Wahlprozesses beeinträchtigen. Die Meinungsforschungsinstitute kommen kaum nach, diese in ihren Umfragen zu berücksichtigen. So entstehen ständig wechselnde Wahlszenarien, deren Aussagekraft für einen wahrscheinlichen Wahlausgang zumindest begrenzt ist. Die Situation ähnelt Macondo, dem Ort des Magischen Realismus von Nobelpreisträger Garcia Márquez, wo alles möglich ist, aber eben nicht alles wahrscheinlich.

Vor dem Nationalen Wahlgerichtshof (Jurado Nacional de Elecciones- JNE) trugen sich zunächst 19 Präsidentschaftskandidaten verschiedener Parteien beziehungsweise Allianzen innerhalb der Einschreibungsfrist für den ersten Wahlgang ein. Zwei Wochen vor der Wahl hat sich diese Zahl auf nunmehr 13 Kandidaten verringert.

Freiwillig zogen Felipe Castillo von „Siempre Unidos“ (Immer vereint), Renzo Reggiardo von „Perú Patria Segura“ (Peru sichere Heimat) und Vladimir Cerrón vom „Movimiento Libertario“ (Befreiende Bewegung) ihre Kandidaturen zurück. Die Kandidatur von Daniel Urresti der „Partido Nacionalista Peruano“ (Peruanische Nationalpartei) wurde von der Parteiführung gegen seinen Willen zurückgezogen. Die Gründe für die Rückzüge lagen offensichtlich in den geringen Wahlchancen der Kandidaten. Um nicht die Rechtspersönlichkeit ihrer Partei zu verlieren, zogen sie deshalb auch ihre Teilnahme an den Kongresswahlen zurück.

Anders in den Fällen von Julio Guzmán und Cesar Acuña. Wegen fehlerhafter Prozesse der inneren Parteidemokratie schloss der Nationale Wahlgerichtshof Julio Guzmán von „Todos por el Perú“ (Alle für Peru) vom Wahlprozess aus. César Acuña von „Alianza para el Progreso“ (Allianz für den Fortschritt) dagegen wurde ausgeschlossen, weil er trotz des Verbots, auf Wahlveranstaltungen Wahlgeschenke zu verteilen, eine Spende überreicht hatte. Bereits davor hatte er unter anderem mit Plagiatsaffären für Aufsehen gesorgt, wodurch er viele Wählerstimmen einbüßte und seinen aussichtsreichen Platz in den Umfragen verlor.

Beide Ausschlüsse sorgten innerhalb der peruanischen Bevölkerung, den Medien und auch Wahlexperten für großen Unmut. Dem Nationalen Wahlgerichtshof wurde vorgeworfen, durch administrative Entscheidungen auf den Ablauf des Wahlprozesses und letztlich auch auf den Ausgang der Wahl Einfluss zu nehmen.

Das Gerücht, dass Julio Guzmán zudem der verdeckt favorisierte Kandidat der amtierenden Regierung sei, machte die Situation noch komplizierter. So kam es zu zusätzlichen Spannungen zwischen dem Nationalen Wahlgerichtshof und dem amtierenden Präsidenten, nachdem letzterer im Namen seiner Partei „Partido Nacionalista“ (Nationalistische Partei) dem Wahlgerichtshof widersprüchliche Entscheidungen und fehlerhaftes Abwägen in seinen Urteilen durch Unterzeichnung eines Dokuments vorwarf, das den Rückzug der Präsidentschaftskandidatur Daniel Urrestis und der gesamten Nationalistischen Partei aus dem Wahlprozess erklärte. Dieses Dokument wurde von sechs Personen des Parteivorstandes, darunter Präsident Ollanta Humala und seine Frau und Parteichefin Nadine Heredia, unterzeichnet. Die interne Opposition rief erfolglos den Wahlgerichtshof an, um den Vorstandsbeschluss zum Rückzug der Kandidaten aus dem Wahlprozess für ungültig zu erklären. Zwischenzeitlich bildete sich eine innerparteiliche Protestbewegung gegen die Entscheidung der Parteispitze mit der möglichen Folge der Spaltung der Partei.

Hauptprofiteur der Ausschlüsse von Julio Guzmán und Cesar Acuña scheint nach derzeitigen Prognosen Pedro Pablo Kuczynski zu sein, der mit 77 Jahren älteste Präsidentschaftskandidat. Aufgrund seiner politischen Ausrichtung kann er auf eine größte Anhängerschaft unter den besser gebildeten Gesellschaftsschichten zählen. Hinzu kommt, dass sich dieser Anhängerkreis noch um einen Teil der jüngeren Generationen erweitert hat, die bislang zum Großteil Julio Guzmán unterstützt hatten. Nun nimmt Kuczynski, der zuvor noch auf neun Prozent kam, mit 14 bis 16 Prozent den zweiten Platz in aktuellen Umfragen ein.

Ein besonderer Aufschwung gelang zudem Alfredo Barnechea von der Partei „Acción Popular“ sowie Verónika Mendoza vom Links-Bündnis „Frente Amplio“, die in den aktuellen Umfragen auf jeweils neun bis zwölf Prozent kommen. Alfredo Barnechea überzeugt vor allem mit seiner Vertrauenswürdigkeit und konkreten Wahlkampfvorschlägen, die bei den restlichen Präsidentschaftskandidaten nur schwer zu identifizieren sind. Er wird von vielen als „Newcomer“ gesehen, obwohl er bereits seit Jahrzehnten im politischen Geschäft ist. Seine jetzige Partei „Acción Popular“, der er sich 2010 anschloss, ist eine der ältesten Parteien Perus. Sie wurde bereits in den 60ern von Expräsident Fernando Belaunde Terry gegründet.

Auch Verónika Mendoza erkämpft sich mit ihrem Linksbündnis eine immer größere Beliebtheit. So stieg ihr Ansehen und sie schaffte in den Umfragen der letzten Wochen einen prozentualen Sprung von vier auf neun bis zwölf Prozent. Allerdings führt ihre spezielle Sympathie für das venezolanische Gesellschaftsmodell und die nahe Verbindung zu radikalen linken Gruppen zu breiter Skepsis in der Wählerschaft. So bleibt offen, ob sie es trotzdem schafft, in dem von in der Vergangenheit vom linksradikalen Terrorismus erschütterten Peru mit ihren Ansichten in die Stichwahl zu kommen.

Im Fall Alan Garcías haben sich die Wahlaussichten durch die weitreichenden Veränderungen in der Aufstellung der Präsidentschaftskandidaten nicht stark verändert. Er konnte sich zwar auf sechs bis sieben Prozent verbessern, ist aber damit Letzter in dem 4-köpfigen Verfolgungs-Peloton hinter Keiko Fujimori. Bereits seit mehreren Monaten kämpft der zweifache Expräsident mit der größten Anzahl an Gegenstimmen (antivotos) unter allen Präsidentschaftskandidaten. Dies und die ebenfalls geringe Unterstützung für den Expräsidenten Alejandro Toledo (2 %) lässt einmal mehr darauf schließen, dass die peruanischen Wähler einen Wandel und Erneuerung für ihr Land herbeisehnen.

Kaum haben sich die Wogen um den Ausschluss von Julio Guzmán und Cesar Acuña geglättet, wurden Ausschlussanträge gegen die beiden in den Umfragen führenden Kandidaten Keiko Fujimori und Pedro Pablo Kuczynski sowie einiger ihrer Listenkandidaten gestellt. Ausschlussgrund ist – wie im Falle von César Acuña – der Verstoß gegen Artikel 42 des Wahlgesetzes. Dieser Artikel verbietet es den Kandidaten, im Rahmen des Wahlkampfes finanzielle oder sonstige Geschenke über einen Wert von umgerechnet etwa fünf Euro zu verteilen.

Neben Acuña wurde auch der Kongresskandidat Vladimiro Huaroc sanktioniert, da er auf einer Wahlkampfveranstaltung Lebensmittel verteilt hatte. Seine Kandidatur als Vizepräsident auf dem Ticket von Keiko Fujimori blieb bislang allerdings davon unberührt. Nun hat es die Präsidentschaftskandidatin selbst getroffen, weil auf einer ihrer Wahlkampfveranstaltungen Prämien für Wettbewerbe verteilt wurden. Der in erster Instanz zuständige Wahlgerichtshof von Lima hat keine ausreichenden Gründe für den Ausschluss Fujimoris festgestellt. Nach der Anfechtung dieses Urteils, steht nun jedoch noch die Entscheidung des Nationalen Wahlgerichtshofes als zweiter Instanz aus. Ähnliches gilt für Pedro Pablo Kuczynski, zu dessen Fall es aber noch keine Verlautbarung des zuständigen Wahlgerichtshofes gibt.

Gefahren für die Legitimität des Wahlprozesses

Der laufende Wahlkampf ist – auch für peruanische Verhältnisse – ungewöhnlich stark geprägt von gegenseitigen Anschuldigungen von Wahlvergehen der Präsidentschaftskandidaten sowie Kritik an den Entscheidungen der Wahlgerichte. Für konstruktive Auseinandersetzungen und Debatten zu den Hauptanliegen der Wähler bleibt kaum Zeit.

Die vom Kongress nur unter massivem Druck des Nationalen Wahlgerichtshofes und zivilgesellschaftlicher Organisationen Ende 2015 verspätet verabschiedete und gegenüber den aufgestellten Forderungen lückenhafte Reformen des Wahlrechts haben die Wahlgerichte zweifellos in eine schwierige Lage gebracht. Hinzu kommt eine bislang praktizierte Rechtsprechung ohne Abwägung der Schwere der Sanktionen und ihrer politischen Konsequenzen, was den Entscheidungsspielraum des Gerichtes weiter einschränkt.

Bereits der Ausschluss der beiden Präsidentschaftskandidaten Guzmán und Acuña hat zu ernsten Diskussionen über die Legitimität des Wahlprozesses geführt. Es wurde bereits eine Verschiebung der Wahlen gefordert, was jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht umzusetbar ist. Beide ausgeschlossenen Präsidentschaftskandidaten wollen die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) anrufen, weil sie sich in ihrem Grundrecht auf Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess verletzt fühlen.

Würde der Wahlgerichtshof auch noch Keiko Fujimori und Pedro Pablo Kuczynski von den Wahlen ausschließen, wäre der laufende Wahlprozess endgültig ad absurdum geführt. Entscheidet er jedoch im Sinne der beiden Kandidaten, setzt er sich weiterhin dem Vorwurf der Wahlmanipulation aus. Die Debatte um den eventuellen Ausschluss Fujimoris hat den Wahlkampf um das Pro und Contra des „Fujimorismus“ bereits polarisiert. Schon jetzt verfügen die einzelnen erfolgversprechenden Präsidentschaftskandidaten in diesem Sinne über mehr „fremde“ Stimmen als eigene. Demgegenüber wären die Nachteile eines Ausschlusses von Keiko Fujimori für das politische System nach Meinung der politischen Beobachter allerdings beträchtlich größer.

Wettquoten statt Wahlprognosen

Interessant ist, dass das peruanische Wettgeschäft sich nun auch den Präsidentschafts-wahlen angenommen hat. So wurden die Fußballwetten vom ersten Platz des internationalen Internet-Wettbüros Bettson.pe verdrängt. Schenkt man den abgeschlossenen Wetten vordergründig Glauben, so wird Keiko Fujimori die nächste Präsidentin und die Stichwahl am 5. Juni 2016 findet zwischen ihr und Alfredo Barnechea von der „Acción Popular“ statt. Allerdings macht der Wettexperte Oscar Balbuena von Bettson.pe aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit vergleichbaren Wettprozessen entscheidende Einschränkungen bezüglich der Projektion der Wettquoten. So sieht er die Wettquote von Keiko Fujimori als nicht ausreichend an (weil sie eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 % repräsentiert), um in der Stichwahl gegen Pedro Pablo Kuczynski oder Alfredo Barnechea zu bestehen, die geringfügig geringere Wettquoten aufweisen. Da nur einer von ihnen in die Stichwahl kommen kann, aber beide ähnliche Wählerpräferenzen repräsentieren, wird dieser Finalist auch gegen Keiko Fujimori letztendlich gewinnen. Wer von den beiden in die Stichwahl kommt und gegen Keiko Fujimori antritt, wird demnach der nächste Präsident des Landes.

Fazit

Nicht nur die kritischen Entscheidungen des Nationalen Wahlgerichtshofes tragen zur Zuspitzung des Konflikts über den unabhängigen und demokratischen Charakter der Wahlen bei. Auch der Präsident und seine Ehefrau, Nadine Heredia, wecken durch die Unter-zeichnung des oben erwähnten Vorstandsbeschlusses ihrer Partei den Anschein, die Legitimität des Wahlprozesses und seiner Institutionen in Frage zu stellen.

Die Problematik des Wahlprozesses wird von den politischen Gruppierungen unterschiedlich bewertet. Einige sehen den Wahlgerichtshof mit seinen Entscheidungen nicht auf der Höhe der Herausforderungen, andere als Opfer der Umstände, hervorgerufen durch den „Geburtsfehler“ der Reformen im Kongress, der Teilreformen und Wahlfristen verabschiedete, die zu der jetzigen Situation führten. Auf dieser Linie befinden sich auch die Beobachterdelegationen der EU und der OEA. Sie sehen beispielsweise in der Möglichkeit der Annullierung von Kandidaturen so kurz vor der Wahl eine Verunsicherung der Wähler. Ihnen wird vermittelt, dass das Wahlergebnis letztendlich nicht vom Urnengang sondern von Gerichtsentscheidungen abhängt. Dieser Eindruck wird eine schwere Hypothek für die Legitimität der künftigen Regierung sein.

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