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Die Lebensmittelkrise in Westafrika – ein „wake up call“ für die Regierungen?

de Corinna Heuer
Die Menschen in Westafrika leiden unter den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen. Innerhalb kurzer Zeit haben sich die Grundnahrungsmittel extrem verteuert. Der Lebensmittelpreisindex der FAO ist im Jahr 2007 um 36 % gestiegen. Auch in 2008 hielten die Preissteigerungen an.

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In Burkina Faso sind Anfang des Jahres die Preise der wichtigsten Konsumgüter innerhalb eines Monats zwischen 10 und 67% gestiegen. Besonders hart trifft die Bevölkerung in der ganzen Region der hohe Reispreis, denn Reis ist ein Grundnahrungsmittel, das zum größten Teil importiert wird. In der Côte d'Ivoire ist der Reis derzeit 50% teurer als vor der Krise. Auch die Preise von Milch und Fleisch stiegen um 50 %, die von Zucker und Öl um 20 bzw. 40%. Die hohen Preise der Importgüter lassen auch die Preise der einheimischen Produkte steigen. Mais, Hirse, Yams, Maniok, die lokal produziert und vermarktet werden, haben sich ebenfalls extrem verteuert. Die Not ist groß, da in den meisten Ländern Westafrikas über 70% der Bevölkerung von weniger als zwei US-Dollar am Tag lebt. Diese Menschen, die immer schon den weitaus größten Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgaben, haben keinen Spielraum mehr zu sparen. Die Mütter kriegen ihre Kinder nicht mehr satt. Viele Menschen essen jetzt statt zweimal nur noch einmal am Tag.

Schwere Unruhen in Burkina Faso

Der Hunger treibt die Leute auf die Straße. Seit Anfang dieses Jahres gab es Demonstrationen in vielen Großstädten Westafrikas, bei denen es oft zu Zusammenstößen zwischen der protestierenden Bevölkerung und den Ordnungskräften kam. In der Côte d´Ivoire wurden im März bei Protestkundgebungen zwei Menschen erschossen und mehrere Demonstranten verletzt. Die heftigsten Unruhen Westafrikas gab es in Burkina Faso. Am 20. Februar entlud sich die Wut der Menschen gleichzeitig in Bobo-Dioulasso, der wirtschaftlich bedeutendsten Stadt Burkina Faso, und in der 370 km entfernten Stadt Ouahigouya. An beiden Orten waren es die Groß- und Einzelhändler, die die Proteste initiierten, um gegen die hohen Steuern zu protestieren. In Bobo-Dioulasso schlossen sich ihnen schnell junge Leute an: Lehrlinge aus Handwerk und Transportsektor, Koranschüler, Hilfsarbeiter, fliegende Händler und Schüler. Aus der Demonstration wurden Unruhen. Geschäfte wurden geplündert, Barrikaden aus brennenden Reifen errichtet. Zwei Rathäuser und ein Gymnasium wurden verwüstet, fast alle Ampeln der Stadt und Hunderte Straßenschilder zerstört. Die Polizei, die Gendarmerie und sogar die Armee wurden eingesetzt, um die Unruhen zu beenden. Mit Tränengas gingen sie gegen die wütenden Demonstranten vor. Über 200 Menschen wurden festgenommen.

In Ouahigouya traten die Händler zunächst in einen Streik, der die ganze Stadt lahm legte. Später kam es auch hier zu Unruhen und der Zerstörung von öffentlichen Gütern, wenn auch in geringerem Ausmaß als in Bobo-Dioulasso. Die Geschäfte von Händlern, die dem Streikaufruf nicht folgten, wurden geplündert. Auch hier setzten die Ordnungskräfte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen. Am Tag danach gab es eine Demonstration in Banfora, im Westen des Landes. Durch die Ereignisse am Vortag gewarnt, blieben alle Läden und öffentlichen Gebäude geschlossen und der Schaden relativ gering.

Die Regierung rief unterdessen zur Ruhe auf und suchte in den folgenden Tagen das Gespräch mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die Krisenkommunikation der Regierung war systematisch und umfassend. Regierungsvertreter sprachen mit der Vereinigung der Händler, den traditionellen Autoritäten, den Gewerkschaften, den Verbraucherverbänden, Menschenrechtsorganisationen, den wichtigsten Religionsgemeinschaften und dem Diplomatischen Corps. Dennoch konnten sie nicht verhindern, dass eine Woche nach den Unruhen in verschieden Städten der Provinz die Menschen in der Hauptstadt Ouagadougou auf die Straße gingen. Auch hier kam es zu Krawallen, die in Art und Ausmaß mit denen in Bobo-Dioulasso vergleichbar waren. 169 Personen wurden festgenommen.

Gegen die in Bobo-Dioulasso und Ouagadougou festgenommenen Personen wurden zum Teil hohe Haftstrafen verhängt. Der Chef der Oppositionspartei Rassemblement Démocratique Populaire, Nana Thibaut, hatte zu den Protesten in Ouagadougou aufgerufen und wurde als Anstifter zu drei Jahren Haft verurteilt.

Wenn wirtschaftliche Not auf politische Unzufriedenheit trifft

Fast zeitgleich kam es im zentralafrikanischen Kamerun zu schweren Ausschreitungen, bei denen fünf Menschen ums Leben kamen. Es war ein Streik von Taxifahrern gegen hohe Kraftstoffpreise, der in der Wirtschaftsmetropole Douala eskalierte. Die Preisexplosion fiel in eine Zeit großen politischen Unmuts in der Bevölkerung. Wenige Wochen zuvor hatte Präsident Paul Biya, seit 25 Jahren im Amt, angekündigt, seine Parlamentsmehrheit für eine Verfassungsänderung zu nutzen. Diese (inzwischen umgesetzte) Verfassungsänderung ermöglicht es ihm, sich 2011 ein drittes Mal für ein siebenjähriges Mandat wählen zu lassen. Über dieses Vorgehen verärgert und angesichts der enormen Verteuerung der Lebensmittel verzweifelt, schloss sich die Bevölkerung, besonders die jungen Leute, den Taxifahrern an. Aus den Demonstrationen wurden schnell Unruhen. Es wurden Straßensperren errichtet, geplündert und randaliert. Die Sicherheitskräfte gingen mit Wasserwerfern und Tränengas hart gegen die Aufständischen vor. Mehrere Menschen wurden erschossen, andere wurden mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die aufgebrachte Menge in Kamerun, die teilweise hohen Haftstrafen und die Kommunikationsoffensive in Burkina zeigen die Furcht der autokratischen Herrscher vor dem Volkszorn. Wie Kamerun wird auch Burkina Faso seit über zwanzig Jahren von demselben Präsidenten regiert.

Hilflose Regierungen

In der gesamten Region bemühen sich die Regierungen, mit den verschiedensten Maßnahmen auf die Krise zu reagieren und die Not der Bevölkerung zu lindern. In Burkina Faso, der Côte d'Ivoire, Mali und Niger wurden die Mehrwertsteuer und die Importzölle auf die Grundnahrungsmittel zeitweise ausgesetzt oder gesenkt. Die Preise der wichtigsten Konsumgüter sind staatlich kontrolliert und wurden in letzter Zeit gesenkt. In Benin wird in staatlichen Depots Mais und Reis zu stark subventionierten Preisen direkt an die Bevölkerung verkauft. In Kamerun wurden die Gehälter der Staatsbediensteten erhöht, in Niger lässt die Regierung derzeit Gehaltserhöhungen prüfen. In Burkina Faso und Mali bieten die staatseigenen Unternehmen Strom und Wasser zu vergünstigten Konditionen an.

Doch die meisten dieser Maßnahmen sind nur wenig effektiv. Die Aussetzung der Steuern und Zölle bedeutet empfindliche Einbußen für die Staatsbudgets. Gleichzeitig werden die Vergünstigungen von den Händlern kaum an die Verbraucher weitergegeben. Die staatlich fixierten Preise spielen in der Realität kaum eine Rolle. Sie werden zwar in den Medien bekannt gegeben, durch die Einzelhändler auf den Märkten jedoch nicht respektiert. In Benin wird darauf reagiert, in dem der Staat selbst verbilligte Grundnahrungsmittel an die Verbraucher abgibt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um mehr als den berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Gleiches gilt für die Gehaltserhöhungen der Staatsangestellten, denn der Großteil der Bevölkerung, die Handwerker, Bauern und Dienstleister, die häufig im informellen Sektor arbeiten, profitieren davon nicht.

Bei den geschilderten Maßnahmen handelt es sich um hilflose Versuche, die Krise kurzfristig zu managen. Die derzeitigen Preiserhöhungen sind aber größtenteils strukturell bedingt und damit langfristig. Die Hauptursache ist die gestiegene Lebensmittelnachfrage auf den Weltmärkten. Langfristig hilft dagegen nur die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion. In Afrika, mit seiner in weiten Teilen extensiven, wenig mechanisierten Landwirtschaft, gibt es hierzu noch viel Potential. In der Vergangenheit haben die Regierungen in Westafrika den ländlichen Raum sträflich vernachlässigt. Wenn die landwirtschaftliche Produktion gefördert wurde, dann im Bereich der Exportgüter wie Baumwolle, Kaffee und Kakao, nicht jedoch die Produktion von Lebensmitteln für den heimischen Bedarf. Auch die multi- und bilateralen Geber legten keinen Schwerpunkt auf die Landwirtschaft. Im Gegenteil: Durch die subventionierte Agrarproduktion einerseits und das Drängen auf weitgehende Handelsliberalisierung andererseits trug der Norden seinen Teil dazu bei, dass eine leistungsfähige Landwirtschaft in Westafrika nicht entstehen konnte.

Die Nahrungsmittelkrise – ein Push für die afrikanische Landwirtschaft?

Einige Regierungen in der Region haben erkannt, dass an der Steigerung der heimischen Produktion kein Weg vorbeiführt. In Benin sollen, so die Rhetorik der Regierung, aus Kleinbauern Unternehmer werden. Ein bestehendes Projekt wird zu einem landwirtschaftlichen Kompetenzzentrum für die ganze Region ausgebaut. Der senegalesische Präsident Wade reagierte auf die Demonstrationen in seinem Land mit einer vollmundig "Große Agraroffensive für Nahrungsmittel und Überfluss" genannten Kampagne. 500 Millionen Euro sollen investiert werden, um innerhalb von sechs Jahren die Unabhängigkeit von Nahrungsmittelimporten zu erreichen. Die Frage der Landwirtschaft ist seit langer Zeit wieder auf der Tagesordnung der internationalen Debatten. Die Afrikanische Entwicklungsbank hat angekündigt, das Budget für den Agrarbereich von 3,8 auf 4,8 Milliarden Dollar zu erhöhen. Die Weltbank stockt ihre Kredite für die Landwirtschaft von 450 Millionen auf 800 Millionen auf.

Handelt es sich bei der derzeitigen Krise also tatsächlich um einen "Wake-up call" für die afrikanische Landwirtschaft, wie Donald Kaberuka, der Vorsitzende der Afrikanischen Entwicklungsbank, kürzlich in einem Interview sagte? Sind die hohen Preise Anreiz genug, um eine massive Produktivitätssteigerung zu erreichen? Viele Faktoren müssen dazu zusammen kommen. In vielen Staaten muss das Bodenrecht reformiert werden. Immense Summen müssen mobilisiert und in Bewässerung, Transportinfrastruktur, Saatgut und Dünger, Weiterverarbeitung, Qualitätskontrolle und Marketing investiert werden. Die ländliche Bevölkerung muss in diesen Bereichen fortgebildet werden.

Damit diese Investitionen nicht verpuffen, muss der Norden seine Agrarsubventionen so schnell wie möglich einstellen und die ärmsten Staaten des Südens müssen darüber hinaus die Möglichkeit behalten, strategisch für eine gewisse Zeit einzelne Märkte durch Zölle zu schützen. Umfassende Strategien müssen entwickelt und umgesetzt werden. Dazu müssen die afrikanischen Eliten die Entwicklung des ländlichen Raums endlich in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken. Die hohen Nahrungsmittelpreise sind auch eine Folge der jahrzehntelangen Vernachlässigung der ländlichen Regionen Afrikas. Diese müssen zukünftig im Zentrum der Bemühungen stehen. Hierzu ist auf politischer Ebene die Dezentralisierung voranzubringen. Wirtschaftlich muss die Landwirtschaft einen echten Aufschwung erfahren, der die Produktivität steigert, die Nahrungsmittelsicherheit erhöht und Einkommen für die ländliche Bevölkerung schafft.

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