Ergebnisse im Überblick
Ciprian Ciucu von der Nationalliberalen Partei (PNL, Mitglied der EVP), bislang Bürgermeister in Bukarests Stadtbezirk 6, errang 36,16 Prozent der Stimmen. Damit lag er rund 14 Punkte vor der zweitplatzierten Anca Alexandrescu, einer parteilos angetretenen, aber von der rechtsextremen AUR unterstützen TV-Journalistin, die auf 21,94 Prozent kam. Der Kandidat der Sozialdemokraten der PSD, Daniel Băluță, erhielt 20,51 Prozent. Cătălin Drulă von der “Union zur Rettung Rumäniens” (USR) schnitt mit 13,9 Prozent ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 32,7 Prozent.
Nur ein Wahlgang, keine Stichwahl
Für die Wahlen zum primar – also für das Bürger- bzw. Oberbürgermeisteramt – gibt es derzeit in Rumänien nur eine einzige Wahlrunde. Die Stichwahl verschwand 2011 aus dem Wahlrecht, sicherlich auch mit dem Motiv, die damals aktuelle Mehrheitslage zu konservieren. Traditionelle Parteien mit bekannten Bürgermeistern profitieren von einem Wahlsystem mit nur einem Wahlgang. Seitdem fordern zivilgesellschaftliche Organisationen und kleinere Parteien die Rückkehr zu zwei Wahlgängen, um einen offeneren Wettbewerb und damit höhere Legitimität zu garantieren.
Das Vertrauen vieler Wählerinnen und Wähler gegenüber den etablierteren Parteien – PNL, PSD und auch USR auf der nationalen Ebene – ist gering. Die Umfragewerte für PSD und PNL zeigen seit langem einen negativen Trend. Die USR hat ihr maximales Potenzial erreicht und stagniert. Der Vertrauensverlust nutzt der rechtsextremen AUR, die das Misstrauen nach Kräften anfacht und mit einer Verklärung der Vergangenheit ein rückwärtsgewandtes Heilsversprechen anbietet.
Viele Wahlberechtigte, die sich in einer reformorientierten und zugleich konservativen Mitte sahen, befanden sich in der Zwickmühle, sich in ihrer Ablehnung einer Kandidatin wie Alexandrescu eher für das kleinere Übel als für eine Vision für ihre Hauptstadt entscheiden zu müssen. Sie standen vor der Frage, wie sie taktisch am besten wählen sollten, um Alexandrescu zu verhindern. Indem sich die Mitte auf potenziell drei Kandidaten verteilte, war die Wahl für viele eine Art “Schuss im Dunkeln”. Wie “taktisch” die Bukarester am Ende abstimmen würden, war die große Unbekannte vor der Wahl.
Druck auf die politische Mitte
USR und PNL hatten das Risiko der „Kannibalisierung der Mitte“ kommen sehen: Gespräche für einen gemeinsamen Kandidaten beider Parteien in Bukarest wurden durch die PSD-Drohung, man werde die nationale Regierungskoalition platzen lassen, wenn nicht jede Partei einen eigenen Kandidaten präsentiere, torpediert. Die PSD winkt regelmäßig mit der Keule hinter dem Rücken, man könne das Regierungsbündnis auflösen (und damit der AUR Tür und Tor öffnen). Die PSD betreibt immer wieder Oppositionsarbeit aus der Regierungskoalition heraus und versucht sich als Partei zu profilieren, die sich um die Anliegen der „kleinen Leute“ kümmere.
Dagegen ist die Agenda von Ministerpräsident Ilie Bolojan (PNL), in den Fragen Haushaltskonsolidierung und Bürokratieabbau „zu liefern“, um einerseits europäische Mittel für Rumänien zu sichern, die an die Umsetzung von Reformen geknüpft sind. Andererseits möchte er die PNL um den Preis unbequemer und mitunter harter Schnitte vom Ruf des rein machtorientierten Opportunismus befreien.
Die Erwartung: Handeln!
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Regierung Ergebnisse bei Strukturreformen vorlegt und Handlungsfähigkeit zeigt.
Das rumänische Haushaltsdefizit liegt derzeit bei über neun Prozent. Aufgrund der hohen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite fällt Rumänien mathematisch aus der Gruppe der Länder mit einem positiven Investment-Rating heraus. Nur die Mitgliedschaft in der Europäischen Union stützt das Land und verpflichtet die Ratingagenturen zur Beibehaltung des Ratings.
Die EU stellt daher Forderungen: Während viele EU-Mitgliedstaaten die sechste oder siebte Tranche der Post-Covid-Finanzhilfen (in Rumänien „PNRR”) eingereicht und ausgezahlt bekommen haben, hat Rumänien noch Schwierigkeiten die vierte Zahlungsanforderung einzureichen (ca. 2,6 Mrd. Euro), da viele Benchmarks von einer Entscheidung des Verfassungsgerichts zu den Sonderrenten der Richter und Staatsanwälte abhängig sind. Das Gericht hatte zuletzt eine Änderung der Pensionsregelungen abgelehnt. Die noch nicht gelöste Pensionsfrage für Richterinnen und Richter ist nicht zuletzt ein Symbol, ob man auch die staatlichen Gutverdiener bei der Haushaltskonsolidierung in die Pflicht nimmt – nicht nur die kommunalen Angestellten, die Gehaltskürzungen von bis zu zehn Prozent befürchten.
Komplexe Botschaft der Bukarester
Der überraschend deutliche Wahlsieg Ciprian Ciucus ist ein Erfolg – auch für Ministerpräsident und PNL-Chef Ilie Bolojan. Ciucu, stellvertretender Vorsitzender der PNL auf Landesebene, gilt als Vertrauter Bolojans, der bei der Presseerklärung direkt neben “seinem” Kandidaten stand. Für den Staatspräsidenten, Nicușor Dan, werten politische Beobachter das Ergebnis als Niederlage, da sein ausgleichender und zögerlicher Kurs bei staatlichen Reformen abgelehnt wurde. Dass es im liberalen Bukarest die AUR-nahe Kandidatin Anca Alexandrescu auf Rang zwei schafft, ist ein politischer Paukenschlag und eine Demütigung für PSD, USR und PNL.
Nicht nur die Zweitplatzierung Alexandrescus war ein Misstrauensvotum gegen die etablierten Parteien, auch die schwache Wahlbeteiligung ist ein deutliches Signal. Die Kandidaten von PNL und PSD hatten im Wahlkampf versucht, sich vom Image ihrer Parteien zu lösen. Auf mitunter riesigen Plakaten an Häuserwänden waren die Parteilogos verschämt klein und in einer unteren Ecke zu erkennen – ein Zeichen für die realistische Selbsteinschätzung der jeweiligen Parteienvertreter. Der Unzufriedenheit entkamen sie dennoch nicht: Abstimmung mit den Füßen und Denkzettel zugleich.
Aufbruch oder Umbruch?
Für die größeren Parteien hat die Wahl Symbolcharakter. Wie geht es weiter? Wer steht vor welchen Herausforderungen?
Präsident Dan haben die Bukarester einen Denkzettel verpasst. Die Bürgerinnen und Bürger schenkten dem mit ihm in Verbindung gesehenen Kandidaten Drulă kaum ihr Vertrauen. Er trat für die USR an, die Dan einst mitgegründet hatte. Mit dem schwachen Abschneiden der USR verblasst auch der Glanz des Reformers, mit dem Dan als Präsident angetreten war. Innerhalb der Koalition steigt die Legitimität des Reformkurses von Bolojan. Wenn Dan darauf reagiert, beschwört er den Widerstand der PSD herauf. Das Dilemma ist programmiert.
Für den PSD-Kandidaten Băluță ist das Ergebnis bitter. Er konnte sich vom Nimbus seiner Partei nicht lösen und wurde obendrein von einer AUR-nahen Parteilosen auf Rang drei verwiesen. Hier ging womöglich die Saat der Machtspiele des PSD-Chefs Sorin Grindeanu auf: Im Zweifel wählen die Menschen das (populistische) Original. Ob die PSD ihr Doppelspiel innerhalb der Regierung aufgibt, bleibt abzuwarten. Vielleicht mag es taktische Gewinne bringen – am Ende treibt dies die Menschen in die Arme der Extremen. Womöglich sieht die PSD auch AUR als Machtoption für eine zukünftige Koalition.
Das Gespenst AUR, das sich durch das „kipplige“ Wahlrecht durchaus in einer Bürgermeisterschaft Alexandrescus hätte materialisieren können, ist zwar einstweilen aus dem Bürgermeisteramt ferngehalten. Die AUR passt auch nicht zum mehrheitlich liberalen Wählerklientel der Hauptstadt. Anca Alexandrescus Zweitplazierung bedeutet jedoch eine Bedrohung für die traditionellen Parteien. Ihr Erfolg ist umso verwunderlicher, da sie in früherer Zeit lange für die PSD Ämter und Funktionen bekleidet hatte – von glaubhafter Systemferne keine Spur.
Ciprian Ciucu und Ilie Bolojan stehen trotz des respektablen Wahlergebnisses unter enormem Erfolgsdruck. Sie bekamen Vertrauen. Doch politische Bestrafung droht, wenn es enttäuscht wird. Vor dem PNL-Chef und seinem Vize liegen nun zwei große Herausforderungen.
Erstens: Beide müssen in ihren Ämtern inhaltliche Ergebnisse vorweisen können, was in Koalitionen schwierig werden kann. Der kommunale Haushalt von Bukarest wird zu großen Teilen für Gehälter sowie Subventionen für Nahverkehr und Fernwärme absorbiert. Wie auf der nationalen Ebene wird es in Bukarest Einschnitte erfordern, um neue Gestaltungsmöglichkeiten zu erhalten.
Zweitens: Die von ihnen angeführte PNL muss den Makel einer rein machtorientierten Partei loswerden, um auch landesweit den Negativ-Trend abzuwehren. Bolojan und Ciucu obliegt es daher, auch in den eigenen Reihen jene zurückzudrängen, die für den Vertrauensverlust verantwortlich waren – und einen politischen Nachwuchs aufzubauen, der sichtbar wertebasiert auftritt und handelt. Für die PNL fängt die Arbeit jetzt richtig an.
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