Erfolgreiche Durchführung der Vorwahlen
Die in der Einheitsplattform (Plataforma Unitaria) zusammengeschlossenen Oppositionsparteien hatten Mitte November 2022 eine Kommission zur Durchführung der Vorwahlen ins Leben gerufen und diese mit anerkannten Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft besetzt. Angesichts der schwierigen Bedingungen – unterschiedliche Erwartungen innerhalb der Opposition, kritische Beobachtung durch die Regierungspartei und große logistische Herausforderungen – ist das Engagement der ehrenamtlichen Mitglieder der Kommission auf nationaler und regionaler Ebene und der rund 15.000 Wahlhelfer und 30.000 Stellvertreter hoch anzuerkennen und Grundlage für die erfolgreiche Durchführung der Vorwahlen. Geleitet wurde die Kommission durch den renommierten Juristen Jesús Casal, der seine Aufgabe umsichtig und mit klarer Kommunikation wahrnahm. Übereinstimmend werteten alle beteiligten Parteien und zahlreiche Kommentatoren in Venezuela und im Ausland die Vorwahlen als Erfolg.
Die Nationale Vorwahlkommission (Comisión Nacional de Primarias) organisierte die Wahlen auf Grundlage des nationalen Wahlregisters, das rund 20,5 Millionen eingeschriebene Wähler umfasst. Venezolaner im Ausland erhielten die Möglichkeit, sich in einem eigenen Register der Kommission einzuschreiben. Sieben bis acht Millionen Venezolaner befinden sich im Ausland. Rund 400.000 Bürgerinnen und Bürger machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Knapp 100.000 Wähler registrierten sich in den USA, 65.000 in Chile und jeweils um 50.000 in Kolumbien und Spanien. In Deutschland schrieben sich rund 2.500 Wähler ein.
Nachdem eine Anfrage der Kommission an den Nationalen Wahlrat zwecks logistischer Unterstützung einige Monate unbeantwortet geblieben war – der Wahlrat wurde zwischenzeitlich neu besetzt – entschied die Kommission, die Vorwahlen in Eigenregie zu organisieren. In Venezuela wurden 3.106 Wahllokale an öffentlichen Plätzen und in privaten Einrichtungen eingerichtet. Im Ausland gab es in dreißig Ländern in insgesamt achtzig Wahllokalen die Möglichkeit der Stimmabgabe. Der Wahltag verlief weitgehend ruhig mit einzelnen Störungen.
Klarer Wahlsieg für María Corina Machado
Die Ergebnisse sehen nach Auszählung von 65 Prozent der Wahlakten, die rund 1,6 Millionen abgegebenen Stimmen entsprechen (Stand laut zweiter Mitteilung der Wahlkommission am Abend des 23. Oktober), folgendermaßen aus: María Corina Machado von der liberalen Partei Vente Venezuela liegt mit 93 Prozent mit weitem Abstand uneinholbar vorn. Es folgt der Kandidat der traditionsreichen sozialdemokratischen Partei Acción Democrática (AD), Carlos Prosperi, mit gut 4 % der Stimmen. Die weiteren acht Kandidaten kommen auf jeweils unter ein Prozent.
Maria Corina Machado, Jahrgang 1967, entstammt einer Unternehmerfamilie im Bereich Eisen und Stahl, die in der Regierungszeit des Präsidenten Hugo Chávez von Enteignungen betroffen war. Die Industrieingenieurin mit Studium an der Katholischen Universität Andrés Bello und Spezialisierung in Finanzen begann ihr politisches Engagement im Rahmen der Organisation des Referendums der Opposition zur Abberufung von Hugo Chávez im Jahr 2004. Bei den Parlamentswahlen von 2010 war sie die Abgeordnete mit den meisten Wählerstimmen und nahm an den ersten Vorwahlen der Opposition im Jahr 2012 teil, die Henrique Capriles gewann. Im selben Jahr gründete sie die liberale Partei Vente Venezuela.
Machado gilt als Hardlinerin innerhalb der Opposition. Für viele überraschend hat sich die von der spanischen Tageszeitung El País als „eiserne Lady“ bezeichnete Politikerin im Wahlkampf für die Vorwahlen in Venezuela zu einer Art „Königin der Herzen“ entwickelt, die sowohl politisch engagierte Wähler, die sich teilweise enttäuscht von anderen Oppositionsparteien abwenden, mit Vorschlägen und Entschlossenheit anspricht als auch „einfache“ Bürger mit ihrem Enthusiasmus ansteckt.
Dilemma: Kandidaten ohne passives Wahlrecht
Zunächst hatten sich insgesamt dreizehn Kandidaten für die Vorwahlen eingeschrieben. Henrique Capriles Radonski, Vertreter der Mitte-Partei Primero Justicia und in der Vergangenheit zweimal Präsidentschaftskandidat der Opposition, Freddy Superlano von der Partei Voluntad Popular, der der ehemalige Interimspräsident Juan Guaidó angehört, und Roberto Enríquez von der christdemokratischen COPEI hatten ihre Kandidaturen kurzfristig vor den Wahlen zurückgezogen. Machado, Capriles und Superlano haben gemein, dass sie aus verwaltungsrechtlichen Gründen von Kandidaturen für öffentliche Ämter ausgeschlossen sind. Alle drei halten diesen Entzug des passiven Wahlrechts für ungerechtfertigt und politisch motiviert. EU-Außenkommissar Borrell und das EU-Parlament sprachen sich im Vorfeld der Vorwahlen gegen diese sog. Inhabilitierung aus.
lm Verlauf der Vorbereitungen der Vorwahlen deuteten sich innerhalb der Opposition bereits unterschiedliche Auffassungen zu der Frage an, wie damit umzugehen sei, falls ein für staatlich anberaumte Wahlen, sprich die Präsidentschaftswahlen, nicht zugelassener Kandidat gewinnen würde. María Corina Machados inzwischen breiter interpretierter Ausdruck „bis zum Ende“ („hasta el final“) kann ursprünglich auf diese Frage und ihren unbedingten Willen zur Durchsetzung der eigenen Kandidatur im Falle eines Wahlsieges bezogen werden. Dem gegenüber steht Capriles für die Einhaltung des „Wegs der Wahlen“ („ruta electoral“), in der die möglichst geschlossene Teilnahme der Opposition an Wahlen an erster und die Kandidatenfrage an zweiter Stelle steht. Gegner dieser Auffassung betonen, dass man sich nicht von der Regierung diktieren lassen wolle, welcher Kandidat zugelassen werde.
Überraschung: Politisches Teilabkommen von Barbados zwischen Regierung und Opposition
Capriles gab bei seinem Rückzug von den Vorwahlen an, dass er weiterhin nicht für Wahlen für öffentliche Ämter zugelassen sei und daher den Weg für eine gangbare Kandidatur frei machen wolle. Auffallenderweise kündigte er dies in engem zeitlichem Zusammenhang mit Berichten der Nachrichtenagentur Reuters über Gespräche zwischen US-amerikanischen und venezolanischen Regierungsvertretern im Verlauf des letzten Jahres in Katar an. Bei diesen sei es vor allem um Erleichterungen von Sanktionen im Gegenzug zu fairen Bedingungen für Wahlen in Venezuela und eine Wiederaufnahme des sog. Mexiko-Dialogs gegangen.
Der Mexiko-Dialog hatte in der öffentlichen Wahrnehmung seit November 2022 keine Fortschritte erzielt. Es kam dann wie von Reuters berichtet, und ausgerechnet wenige Tage vor den Vorwahlen, am 17. Oktober, unterzeichneten die Verhandlungsführer Jorge Rodríguez, Parlamentspräsident und Vertreter der Regierung, und Gerardo Blyde, Vertreter der Opposition, ein Teilabkommen zu politischen Fragen. Vereinbart wurden u.a. die Durchführung der Präsidentschaftswahlen im 2. Halbjahr 2024, die Zulassung von internationaler Wahlbeobachtung, darunter eine EU-Wahlbeobachtungsmission, die Aktualisierung des Wählerregisters im In- und Ausland und die Aufhebung von Inhabilitierungen. Letzterer Punkt wurde allerdings schon kurz darauf von beiden Seiten in Kommentaren unterschiedlich interpretiert. Im Gegenzug heben die USA zunächst befristet verschiedene Sanktionen in den Bereichen Erdöl, Gas und Gold für sechs Monate auf.
Die Opposition sortiert sich
Im Fall Capriles, der verschiedentlich Beharrlichkeit und Geschick für Verhandlungen hinter den Kulissen gezeigt hat, ist anzunehmen, dass er sowohl auf der Suche nach einer Verhandlungslösung für Venezuela als auch auf der Suche nach Bündnissen ist, die der Opposition eine gemeinsame Kandidatur ermöglichen, falls der Entzug des passiven Wahlrechts für Machado und andere weiterhin bestehen bleibt, ein nicht auszuschließendes Szenario. Auch rein zahlenmäßig kann ein Blick über die an den Vorwahlen beteiligten Parteien hinaus Sinn ergeben. Analysten weisen darauf hin, dass der Erfolg der Teilnahme von rund zwei bis drei Millionen Personen an den Vorwahlen nicht vergessen lassen sollte, dass es rund 20 Millionen Wahlberechtigte in Venezuela gibt.
Superlano äußerte anlässlich seines Rückzugs, dass Voluntad Popular die Kandidatur von Machado unterstützen wolle. Die Unterstützung der Partei Voluntad Popular für María Corina Machado kann man als Fortsetzung der Hardliner-Linie betrachten, die für die Partei mit Ende der Interimsregierung von Juan Guaidó im Januar 2023 zunächst einen Schlusspunkt fand. Für einige Beobachter gilt María Corina Machado nun, jenseits des Gewinns der Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur, als die neue Führungsfigur der venezolanischen Opposition. Dieser Posten war seit Ende der Interimsregierung unbesetzt, und findet nun bei Teilen der Opposition, in der öffentlichen und vor allem auch internationalen Wahrnehmung eine neue, charismatische und entschlossene Inhaberin.
Es bleibt abzuwarten, wie der weitere Weg der Opposition aussehen wird. Viele Beobachter sind sich darin einig, dass für einen Wahlerfolg im Jahr 2024 ein gemeinsamer Weg unabdingbar sei.
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