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Länderberichte

Armenier wählen Stabilität

Sargsjans Wiederwahl wahrscheinlich

Der Ausgang der Parlamentswahlen in Armenien am 6. Mai war keine Überraschung. In den Meinungsumfragen vor den Wahlen hatte sich bereits abgezeichnet, dass die Republikanische Partei (RP) von Präsident Sersch Sargsjan als Sieger hervorgehen würde. Überraschend war hingegen der überwältigende Stimmenzuwachs der Präsidentenpartei von 33 % bei den letzten Wahlen auf 44 %. Damit sind die Vorzeichen für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr gesetzt.

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Rund 2,5 Mio. Wähler waren aufgerufen, die 131 Abgeordneten der Nationalversammlung zu wählen. Mit einer Wahlbeteiligung von rd. 62 % haben die Armenier fünf Parteien und ein Wahlbündnis in das Ein-Kammer-Parlament gewählt. Die Republikanische Partei erhielt mit ihrem Erdrutschsieg mindestens 68 der 131 Parlamentssitze und damit die absolute Mehrheit. Bei den Parlamentswahlen 2007 hatte die RP die Mehrheit verfehlt und daher eine Koalition mit den Parteien Blühendes Armenien (BA), Rechtstaat (Orinats Erkir) und Daschnaktsutyun gebildet.

Der größte Gewinner der Wahlen ist aber die Partei "Blühendes Armenien", die rund 30 % der Stimmen auf sich vereinigen und damit ihren Stimmenanteil von 2007 verdoppeln konnte. Große Stimmverluste musste hingegen die nationalistische Daschnaktsutyun verbuchen. Sie wird mit nur sechs Sitzen in der Nationalversammlung vertreten sein. In der letzten Legislaturperiode hatte Daschnaktsutyun 16 Vertreter im Parlament. Die Partei war bis 2009 an der Koalitionsregierung beteiligt, hat aber im Prozess der von der RP angestrebten Normalisierung mit der Türkei die Regierungskoalition verlassen. Die kleinen Parteien "Erbe" und "Rechtstaat" (Orinats Erkir) haben nur minimale Stimmverluste verbucht und werden mit 5,8 % bzw. 5,5 % auch in der nächsten Legislaturperiode dabei sein. Die Partei "Erbe" war bis 2009 die einzige Opposition im Parlament mit sieben Sitzen. Der Parteivorsitzende war in die Kritik geraten, weil er sich über mehrere Monate in den USA aufhielt und als Reaktion auf die armenisch-türkischen Annäherung sein Parlamentsmandat aufgab.

Der Junior Koalitionspartner Orinats Erkir ist weniger durch alternative Politikangebote bekannt, als vielmehr durch die Person des Parteiführers Artur Baghdasaryan. Überraschend schlecht abgeschnitten hat mit rund 7 % die außerparlamentarische Opposition "Nationalkongress Armeniens" (ANC), ein Bündnis von einer Reihe verschiedener politischer Gruppierungen, die sich unter dem ersten armenischen Präsidenten Levon Ter-Petrosjan vereint haben. Der armenische Soziologe Aharon Adibekyan ist der Meinung, dass das schlechte Abschneiden des ANC zum einen auf die fehlenden finanziellen Ressourcen, zum anderen aber auch auf den angeschlagenen gesundheitlichen Zustand Levon Ter-Petrosjans zurückzuführen ist. Möglicherweise hat das schwache Ergebnis mit dem Vertrauensverlust innerhalb der Wählerschaft zu tun.

Demokratietest knapp bestanden

Armenien hat den Test für die Glaubwürdigkeit der Demokratiebestrebungen bestanden. Internationale Wahlbeobachter haben dem Land transparente und friedliche Wahlen bescheinigt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa(OSZE), die mit 350 Wahlbeobachtern vor Ort war, hatte keine großen Missstände verzeichnet. Gleichwohl beklagte die OSZE Unregelmäßigkeiten wie Wählerbeeinflussung, generelles Misstrauen in der Bevölkerung, teilweise ungenaue Wählerlisten. Insbesondere im Bereich des Letzteren waren nach armenischen Angaben grobe Fehler unterlaufen. So musste beispielsweise die Wahlkommission noch in letzter Minute über 1.800 Namen aus der Wählerliste streichen, weil diese Personen bereits tot waren. In armenischen Medien wurden vor allem Stimmenkäufe und Beeinflussung der Wähler angeprangert. Ein Kandidat verteilte 500 Traktoren an die Bewohner seines Wahlbezirks.

Die OSZE hat zwar die Offenheit der Wahlen gelobt, allerdings forderte der Leiter der Wahlbeobachtermission die Beseitigung der Missstände bis zu den Präsidentschaftswahlen. Interessanterweise viel das Wort "fair" bei den Bewertungen der verschiedenen Beobachtermissionen nicht. Armenische Experten sprechen von ungleichmäßigen Ressourcen, die den Parteien zur Verfügung standen. Kritisch angemerkt wird die Nutzung des Staatsapparates durch die RP sowie der Mangel an Vertrauen innerhalb der Bevölkerung.

Von 131 Abgeordneten wurden 41 durch Mehrheitswahlrecht (Direktmandate) und 90 durch Verhältniswahlrecht (Parteiliste) ins Parlament gewählt. Im Mai letzten Jahres hatte das armenische Parlament ein neues Wahlgesetz erlassen, das durch neue Verordnungen eine Verbesserung der technischen Abläufe anvisierte. Im Wesentlichen ging es um effizienteres Wahlmanagement, transparente Wahlkampffinanzierung und Klärung der Akkreditierung von Wahlbeobachtern. Das eigentliche Problem der Wahladministration ist allerdings die Wählerregistrierung, die auch von beteiligten Wahlbeobachtermissionen bemängelt wurde.

Es gibt ernstzunehmende Vorwürfe, dass die offizielle Zahl der registrierten Wähler die Zahl der wahlfähigen Einwohner übersteigt. Nach offiziellen Angaben beläuft sich die gesamte Bevölkerungszahl Armeniens auf 2.871.000, während die Zahl der Wahlfähigen mit 2.485.844 beziffert wird. Demnach liegt der Anteil der Armenier unter 18 Jahren nur bei 400.000, was nicht realistisch ist. Offenbar beinhalten die Wahllisten auch Personen, die nicht permanent in Armenien leben.

Politischer Wettbewerb zwischen etablierten Kräften

Der politische Wettbewerb spielte sich nicht vornehmlich zwischen Regierung und Opposition ab, sondern innerhalb der Regierung. Es war ein Machtkampf, der zwischen der Republikanischen Partei des Präsidenten und dem Koalitionspartner "Blühendes Armenien" (BA) des Oligarchen Gagik Tsarukjan ausgetragen wurde. Hinter der Partei, die 2005 gegründet wurde, steht Ex-Präsident Robert Kocharjan. "Blühendes Armenien" hat sich in den letzten Monaten mit Kritik an sozialen Problemen als Oppositionskraft aufzubauen versucht. Während die RP in und um Eriwan dominiert, genießt BA große Unterstützung in den ländlichen Regionen. Gegen BA gab es seitens der Wahlbeobachter Vorwürfe, wonach die Partei im Vorfeld der Wahlen in den armen Regionen des Landes Lebensmittel und andere Güter verteilt habe.

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die zwei großen Parteien der Regierungskoalition die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten. Republikanische Partei und Blühendes Armenien erhielten zusammen insgesamt über 74 % der Stimmen. Zählt man noch den Stimmanteil des kleinen Koalitionspartners Orinats Erkir mit rund 5,5 % hinzu, kommt die Koalition auf ca. 80 % der Stimmen.

Die politische Stärke der Koalitionspartner resultiert nicht in erster Linie aus ihrer erfolgreichen Reformpolitik zur Lösung der drängenden Probleme des Landes, sondern muss als Folge der völligen Zersplitterung und Politiklosigkeit der oppositionellen Parteien bzw. Gruppen gesehen werden.

Die Bilanz der letzten fünf Jahre mit Blick auf politische Initiativen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung ist nicht beeindruckend. Armut, Arbeitslosigkeit, Migration, soziale Ungerechtigkeit und Korruption sind nach wie vor weit verbreitet. Diese sind auch die Themen, die laut einer Umfrage des Caucasus Research Resource Centers einige Monate vor den Parlamentswahlen die Bürger bewegten. Die Umfrage offenbarte auch, dass insbesondere Jugendliche nicht politisches und zivilgesellschaftliches Engagement als Lösung sehen, sondern die Migration. Die Frage "Möchten Sie emigrieren?" bejahten 35 % der Befragten.

Die Überwindung dieser Mängel erfordert eine tiefgreifende Strukturreform. Die dramatische Kluft zwischen einer kleinen, wohlhabenden oligarchischen Elite und einer viel größeren, viel ärmeren Bevölkerung gehört zu den größten Herausforderungen des Landes. Die Koalitionsregierung hat zwar in den letzten Jahren einige Reforminitiativen gezeigt, aber diese reichten keinesfalls aus, um das Paradox zwischen einem zeitweise beachtlichen Wirtschaftswachstum und einer Verschlechterung der Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsteile zu beheben.

Eines der Haupthindernisse für eine nachhaltige Reform stellen die machtvollen Oligarchen dar. Besonders problematisch ist dabei die politische Dominanz dieser ökonomischen Oligarchie, ihre Vernetzung mit staatlicher Macht. Die Wirtschaftsmonopolisten waren im vorhergehenden Parlament überverhältnismäßig vertreten. Die Republikanische Partei hatte vor den Wahlen versprochen, dass in der neuen parlamentarischen Liste von RP keine Unternehmer sein würden. In der Parteiliste tauchten diese dann auch nicht auf, kamen aber über den eleganten Umweg der Direktmandate ins Parlament. Die Vorherrschaft der Oligarchen gilt aber nicht nur für die RP, sondern betrifft fast alle Parteien. Nach armenischen Berichten wurde die Mehrheit der Oligarchen wiedergewählt.

Offenbar haben sich die armenischen Wähler für Stabilität entschieden, den der Präsident und seine RP repräsentieren. In außenpolitischen Fragen wie Annäherung mit der Türkei vertritt die RP einen moderateren Standpunkt als alle ihre Opponenten. Der Europakurs der Partei genießt breite Unterstützung. In der Karabach-Frage herrscht ohnehin Einigkeit, so dass die hohen Rüstungsausgaben auch nicht von der Opposition hinterfragt werden. Innenpolitisch trauen die Wähler der Präsidentenpartei zu, die versprochene Veränderung herbeizuführen. Der Opposition hingegen mangelt es nicht nur an politischen Alternativen, sondern sie vermittelt der Bevölkerung offenbar das unsichere Gefühl, dass sich bei einem Machtwechsel die soziale und wirtschaftliche Situ-ation kombiniert mit einer unflexiblen Außenpolitik noch verschlechtern könnte. Es ist zu hoffen, dass nun das erstarkte Selbstbewusstsein der RP nicht zu einer Lethargie führt, sondern als Auftrag verstan-den wird, echte Reformen durchzuführen. Armenische Experten werten das Wahlergebnis als Aufruf zu tiefgreifenden Reformen, ohne die das isolierte Land nicht überleben könne.

Was nun?

Wird die RP mit einer knappen Mehrheit alleine regieren oder die Legitimität ihrer Regierung mit einer Koalition erweitern? Armenische Experten sind überzeugt davon, dass die RP die Bildung einer Koalition anstreben wird. Unklar ist aber, wie die Koalition aussehen könnte. Denkbar wäre eine Fortführung der bisherigen Koalition mit BA und Orinats Erkir. Dann müsste sich die RP die Macht mit dem erstarkten Partner BA teilen und sich ihre eigenen Handlungsfreiheiten berauben, könnte aber eine machtvolle Opposition verhindern. Denkbar wäre auch, dass die RP eine Koalition mit kleinen Parteien wie Orinats Erkir und der Partei "Erbe" sucht. Ideologisch stehen sich die drei Parteien am nächsten. Sie definieren sich als mitte-rechts und sehen die Zukunft des Landes in der europäischen Familie. An-fang des Jahres wurden RP, Orinats Erkir und Erbe als Beobachter in die Europäische Volkspartei aufgenommen. Allerdings geht es in der parteipolitischen Landschaft Armeniens weniger um Ideologien, als vielmehr um Personen.

Es gibt einige Spekulationen, wonach sich eine oppositionelle Allianz um die Ex-Präsidenten Levon Ter-Petrosyan und Robert Kocharjan bilden könnte. Während des Wahlkampfes hatten "Blühendes Armenien", ANC, Dashnaksutyun und "Erbe" ein gemeinsames "Election Watch Headquarters" formiert. Eine derartige Opposition von u. a. ehemaligen Machthabern wäre in der Lage, die Regierung enorm unter Druck zu setzen. Mit Blick auf die kommenden Präsidentschaftswahlen wäre es durchaus denkbar, dass sich "Blühendes Armenien" von der Republikanischen Partei distanziert und als Opposition zu profilieren versucht.

Die Parlamentswahlen waren vor allem aus zwei Gründen von Bedeutung. Erstens hatte die politische Führung des Landes einen freien und fairen Wahlgang versprochen, um damit den negativen Eindruck zu korrigieren, den die letzten Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren hinterlassen hatten. Damals war es zu massenhaften Unregelmäßigkeiten mit anschließenden Großdemonstrationen gekommen, bei denen zehn Menschen getötet und Hunderte verletzt worden waren. Seither wurde der Regierung mangelnde Legitimation vorgeworfen. Die Legitimation ist nun wiederhergestellt.

Zweitens galten die Wahlen als Vorspiel der Präsidentschaftswahlen im Februar 2013 und damit als entscheidender Stimmungstest für den amtierenden Präsidenten Sargsjan, der wohl für eine zweite Amtszeit antreten wird. Angesichts des Ergebnisses könnte Sargsjans Wiederwahl als gesichert angesehen werden. Unklar ist aber, ob Ex-Präsident Robert Kocharjan, der hinter der gefährlich erstarkten Partei "Blühendes Armenien" steht, erneute Ambitionen für das Amt des Präsidenten hegt und gegen den jetzigen Amtsinhaber antreten will. Um seine Chancen zu erhöhen, wäre er auf die Zusammenarbeit der BA mit der zersplitterten Opposition angewiesen.

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Kontakt

Dr. Thomas Schrapel

Dr

Direktor des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus

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