Heimat ist immer da - Politisches Bildungsforum Berlin
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Kreativ wird nur, wer sich nicht beständig selbstvergewissern muss, wer eine stabile Basis seines Handelns hat. Dazu gehören die gewohnten Orte, Freunde und Familie, eine sinnstiftende Perspektive und damit ein Ziel. Alle Aspekte zusammen bezeichnen das, was wir allgemein Heimat nennen. Dabei ist Heimat nichts Statisches, sondern sie ändert sich im Laufe des Lebens beständig. Sie will immer wieder überwunden und sich neu angeeignet werden. Heimat ist aber immer konkret und fordert zur Verantwortungsübernahme auf. Normalerweise spricht man nicht über seine Beheimatung, aber sie wird herausgefordert, wenn die Strukturen sich ändern und kann einem zum Problem, wenn man sie zwangsweise verlassen musste.
"Die Heimat"
Deutschland, Anfang der siebziger Jahre: ein Land voller Angst vor allem Fremden. Der einzige Italiener an der Schule wirkt wie ein außerirdisches Wesen. In den Achtzigern sind es die Türken, die zum ersten Mal die Tische vor die Wirtschaft stellen. Während die Wetterauer den ersten Döner im Landkreis als Widerstandsnahrung feiern, erobert der lange verschwundene Hitler den öffentlichen Raum in Funk und Fernsehen. In den Neunzigern träumt der Erzähler seinen großen Traum vom Wetterauer Land, verschwindet allerdings erst mal mit seiner Cousine unter einer Bettdecke am Ostrand der neuen Republik. Die Heimkunft gelingt innerfamiliär, das Haus der Großmutter wird als musealer Ort rekonstruiert, während im Ort wenigstens der Grundriss der 1938 niedergebrannten Synagoge wiederhergestellt wird. Aber noch im neuen Jahrtausend, als die ganze Republik ständig den Begriff »Heimat« diskutiert, will niemand vom früheren Leben in der konkreten Heimat wissen, als es die noch gab, die es seit ihrer Deportation nicht mehr gab.
Mit untrüglichem Gespür für alles Abgründige in der gelebten Normalität erzählt Andreas Maier von Deutschland zwischen Weltkrieg, Mauerfall und Jahrtausendwende; davon, wie es sich die Menschen gemütlich machen in vierzig Jahren Geschichte. Unbestechlich ist sein Blick auf eine Heimat, die seit jeher Fiktion ist.
Erscheinungsdatum: 13.03.2023
Andreas Maier, 1967 im hessischen Bad Nauheim geboren, studierte Philosophie und Germanistik, anschließend Altphilologie. Er lebt zurzeit bei Frankfurt am Main.
Autoren-Stipendium der Arno Schmidt Stiftung 2015
Franz-Hessel-Preis 2012
Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis 2011