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Reuters / Gleb Garanich

Länderberichte

Bosnien und Herzegowina: Politische und gesellschaftliche Auswirkungen ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine

von Sven Petke, Jan Petzke

Der Westbalkanstaat im Visier der Politik Russlands

Die russische Aggression gegen die Ukraine hat die seit Jahren in Bosnien und Herzegowina (BiH) wahrnehmbare Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland verstärkt. Russland versucht, ethnische und politische Trennlinien auszunutzen und zu verhärten. Dazu setzt es seine Helfer ein. So pflegt Milorad Dodik, neugewählter Präsident der Republika Srpska, eine der zwei Entitäten des Landes, ein nach außen hin freundschaftlich dargestelltes Verhältnis zu Putin. Jedoch hat sich ein Jahr nach Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, abgesehen von gestiegenen Preisen, am Alltagsleben der Menschen wenig verändert. Dabei ist auf politischer Ebene einiges passiert: Am 2. Oktober 2022 fanden Wahlen zur Regierungsbildung auf gesamtstaatlicher Ebene, in beiden Entitäten, Föderation von Bosnien und Herzegowina (FBiH) und Republika Srpska, den Kantonen und in Brčko statt. Außerdem wurde BiH am 15. Dezember 2022 durch den Europäischen Rat zum Beitrittskandidaten der Europäischen Union (EU) erklärt. Die EU will ihren Einfluss in BiH erhöhen und wahrnehmbarer machen. Sie trifft dabei auf eine mehrheitlich positive Resonanz.

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Die Bilder vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wecken bei vielen Menschen in BiH Erinnerungen an die Jahre 1992 bis 1995, die direkte Betroffenheit durch die russische Aggression in der Ukraine ist aber weniger zu spüren. Durch das Daytoner Friedensabkommen von 1995, welches den Bosnienkrieg beendete, ist der Westbalkanstaat in die zwei Entitäten Republika Srpska (RS) und Föderation von Bosnien und Herzegowina (FBiH) aufgeteilt. Während Menschen in Sarajevo und Tuzla, jeweils Städte in der FBiH, vor dem Hintergrund des im Krieg selbst erfahrenem Leids gegen den Angriffskrieg Russlands auf die Straße gingen, wurde in Banja Luka, Regierungssitz der RS, für die russische Politik demonstriert. In der Hauptstadt Sarajevo sind jedoch kaum Ukraine-Fahnen zu sehen. Besonders im Vergleich zu anderen Ländern sind es auch wenige ukrainische Flüchtlinge, die sich derzeit im Land aufhalten.. Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) wurden in Bosnien und Herzegowina bis zum 22. Januar 2023 insgesamt 150 Geflüchtete in die Statistik aufgenommen. Das Staatsministerium für Ausländerangelegenheiten allerdings sprach bereits im vergangenen Sommer von knapp 365 aus der Ukraine eingereisten Personen. Der Ministerrat hatte im Frühjahr 2022 entschieden, dass sich Ukrainer bis zu sechs Monate im Land aufhalten dürfen, ohne Asyl beantragen zu müssen. Im Gegensatz zur EU, wo ukrainischen Flüchtlingen vorübergehender Schutz für mindestens ein Jahr und Zugang zum Arbeitsmarkt erteilt wurde, müssen Geflohene in Bosnien und Herzegowina eine Arbeitserlaubnis per Antragsverfahren erwerben. Dies macht das Land für Flüchtlinge aus der Ukraine unattraktiv. BiH hat, gleichwohl es durch den EU-Kandidatenstatus dazu verpflichtet ist, seine Visa-Politik noch nicht an die der EU angepasst. Weiterhin können sich Bürger der Russischen Föderation bis zu 30 Tage visumsfrei in BiH aufhalten. Dementsprechend hat die EU-Delegation in BiH das Land dazu aufgerufen, die Einreisebestimmungen zu ändern.[1]

 

Bei den in Folge des Kriegs stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen und dem gebremstem Konsumverhalten bildet auch BiH keine Ausnahme. Laut Zahlen des IWF lag die durchschnittliche Inflationsrate im vergangenen Jahr bei 10,5 %, im September 2022 wurde sogar ein Wert von 17,3 % erreicht. Die Regierung der Föderation von Bosnien und Herzegowina hat einmalige steuer- und abgabefreie Unterstützung als Inflationsausgleich in Höhe von 1080 KM(etwa 550 €) für Beamte des öffentlichen Dienstes sowie zusätzliche einmalige Hilfe in Höhe von 100 KM (etwa 50 €) für Rentner, Kriegsveteranen und Zivilinvaliden zugesagt. Trotz der schwierigen Wirtschaftslage hat sich die offizielle Arbeitslosenquote marginal um 0,1 % verringert. Für 2023 sieht die Weltbank Chancen einer Abfederung gestiegener Preise durch mögliche Reformen. Energieknappheit herrscht in keiner der beiden Entitäten. Russland beliefert BiH weiterhin mit Erdgas.

 

Neben dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war das Jahr 2022 auch aus innenpolitischer Sicht sehr ereignisreich. Am 2. Oktober wurde auf gesamtstaatlicher, föderaler sowie kantonaler Ebene gewählt. Die Regierungsbildung im Gesamtstaat sowie in der Republika Srpska ist bereits erfolgt, in der FBiH steht sie hingegen noch aus. Milorad Dodik wurde zum Präsidenten der RS gewählt. Er ist einer der wenigen Politiker in Europa, der sich offen und deutlich an die Seite Wladimir Putins stellt. Erst Anfang Januar, am vom gesamtstaatlichen Verfassungsgericht verbotenen Nationalfeiertag der Republika Srpska, fand eine Parade in Ost-Sarajevo (in der RS gelegen) statt, bei der auch Mitglieder der pro-russischen Motorradbande Nachtwölfe anwesend waren. Am gleichen Tag verlieh Dodik dem russischen Präsidenten in dessen Abwesenheit den höchsten zu vergebenden Orden der RS. Damit wolle er sich für dessen Einsatz und Liebe für den überwiegend von Serben bewohnten Landesteil bedanken. Die Botschaft, die Dodik sendet ist eindeutig und hinterlässt wenig Interpretationsspielraum: Er sieht Putin als Freund. Der russische Präsident dient Dodik als Rückendeckung, weshalb dieser nicht zuletzt kurz vor den Wahlen am 2. Oktober in Moskau empfangen wurde, um Putin persönlich zu treffen. Davon abgesehen hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine eine untergeordnete Rolle im Wahlkampf gespielt. Jedoch nicht nur für seine Wahlkampagne ersuchte Dodik die Unterstützung Putins. Auch für seine Bestrebungen, die Republika Srpska aus dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina herauszulösen, setzt der Präsident der RS auf Zustimmung aus Russland. Sowohl die USA als auch Großbritannien hatten in der ersten Jahreshälfte 2022 unter anderen Dodik Sanktionen auferlegt. Dieser verkündete im vergangenen Sommer, sein sezessionistisches Vorhaben solle etwas verzögert werden, um die geopolitische Lage der RS nicht weiter zu verkomplizieren.

 

Die Spannungen zwischen einzelnen politischen Akteuren veranlassen Autoren aus dem Ausland immer wieder dazu, die Lage in BiH als instabil zu bezeichnen. Jedoch sieht die in Banja Luka geborene Armina Galijaš vom Zentrum für Südosteuropastudien in Graz genau in dieser Destabilisierung durch Rhetorik eine stabilisierende Funktion. Für die Autorin ist das Ganze „Teil eines politischen Spiels“.[2] 

 

Die Spaltung des Staates Bosnien und Herzegowina ist auch auf diplomatischer Ebene wiederzuerkennen. Zwar hat der bosnische Vertreter in der Generalversammlung der UN sowohl am 2. März 2022 für die Verurteilung des russischen Angriffskrieges als auch am 12. Oktober 2022 für die Integrität der Ukraine gestimmt, der bis zur vergangenen Wahl im dreigliedrigen Staatspräsidium vertretene Dodik lehnte dieses Vorgehen jedoch ab. Er unterstützte auch die von Russland während des Krieges durchgeführten Scheinreferenden in der Ost-Ukraine, da er ähnliche Ziele in der RS verfolgt.

 

BiH orientiert sich nur teilweise an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU. So wurden die Sanktionen der EU gegenüber Russland nicht umgesetzt. Eine klare Linie ist also nicht zu erkennen. Auf einer von der russischen Regierung veröffentlichten Liste der „unfreundlichen Länder“ bleiben nur zwei der sechs Westbalkanstaaten unerwähnt, Serbien und Bosnien und Herzegowina. Während Dodik immer wieder seine Nähe zu Serbien und Russland bekräftigt, demonstrierte Denis Bećirović, Mitglied des neu gewählten Staatspräsidiums, hingegen sein Interesse an der NATO. Bećirović traf Generalsekretär Jens Stoltenberg am 16. Januar dieses Jahres in Brüssel und stellte die Weichen für intensivere Zusammenarbeit zwischen NATO und BiH. Die ebenso im Staatspräsidium vertretene Željka Cvijanović, ehemalige Präsidentin der RS und Nachfolgerin Dodiks im Staatspräsidium, stellte klar, dass dieser Besuch nicht im Namen des Präsidiums stattgefunden habe, sondern es sich lediglich um ein individuelles Treffen handle. Der russische Botschafter in Sarajevo hat wiederholt mit Reaktionen gedroht, sollte es zum NATO-Beitritt BiHs kommen. Bosnien und Herzegowina sei frei in seinen Entscheidungen und könne jeder Organisation beitreten. Wenn man sich jedoch für ein Bündnis entscheide, dessen Ziel die Zerstörung Russlands sei, habe man das Recht auf Selbstverteidigung, so die russische Botschaft in einem Facebook-Post.[3]

 

Am 15. Dezember 2022 wurde Bosnien und Herzegowina vom Europäischen Rat zum EU-Beitrittskandidaten erklärt. Sicherlich ein Versuch der EU, den Westbalkanstaat enger an sich zu binden und den EU-Beitritt erneut als Perspektive aufleben zu lassen. Nachdem sowohl die Ukraine als auch Moldawien im Juni des vergangenen Jahres im Eilverfahren den Beitrittskandidaten-Status erhalten hatten, war dieser Schritt in BiH eine naheliegende Entscheidung. Die 14 bereits im Jahr 2019 von der EU vorgeschriebenen Reformpunkte müssen jedoch zunächst umgesetzt werden, um die Beitrittsverhandlungen beginnen zu können. Der Kandidatenstatus ist ein Signal, das lange auf sich warten ließ und welches im Land auch nur mit mittelmäßiger Freude aufgenommen wurde. Beiderseitig war wenig zum Vorankommen im EU-Beitrittsprozess beigetragen worden, sodass eine gewisse Europamüdigkeit entstand.

 

Gleichzeitig ist die EU in BiH weiterhin militärisch präsent. Die Stabilisierungsmission EUFOR Althea wurde Anfang November 2022 durch den UN-Sicherheitsrat erneut verlängert. Russland stimmte unter Protest zu und setzte seine Veto-Macht nicht ein. Auch Kräfte der Bundeswehr beteiligen sich nun wieder an dieser Mission. Erstmals nach einem Jahrzehnt beschloss der Deutsche Bundestag im Sommer letzten Jahres die Entsendung von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten in das Land. Von diesem Kontingent befinden sich zurzeit 33 Personen vor Ort. Kurz nach Kriegsbeginn hatte die EU bereits die beinahe Verdopplung der aktuell in Bosnien und Herzegowina stationierten Soldatinnen und Soldaten auf 1.100 Personen verkündet.

 

Sowohl für die EU als auch für Russland bleibt der Balkan ein wichtiges Interessensgebiet. Der Kreml zielt darauf ab, die Ausdehnung der NATO einzudämmen, da er diese als Gefahr für Russland betrachtet. Man möchte die Annäherung der Balkanstaaten an westliche Bündnisse unterbinden und die Verbindung zur Bevölkerung vertiefen. Putin bemüht sich durch Soft Power Einfluss auf die Balkanstaaten zu nehmen. Dazu gehören beispielsweise staatlich kontrollierte Medien in der RS sowie der Einfluss durch die orthodoxe Kirche. Der Vertreter der Serbisch-Orthodoxen Kirche im Interreligiösen Rat von BiH verkündete seinen Austritt zum 1. Februar dieses Jahres, da der Rat nach vorausgegangenen ethnisch motivierten Provokationen gegen Serben nicht handelte. Besonders die Republika Srpska bietet „fruchtbaren Boden“ für pro-russische Narrative, da eine historische und kulturelle Verbindung zu Russland und Serbien besteht. Die positive Darstellung Putins sowie die Rechtfertigung des Angriffskrieges gegen die Ukraine als gerechter Krieg gegen westliche Aggression stehen bei Sendern wie „Russia Today“ und „Radio Sputnik Srbija“ an der Tagesordnung. Im Gegensatz zur ideologischen fiele die wirtschaftliche Einflussnahme eher gering aus und beschränke sich hauptsächlich auf die hundertprozentige Abhängigkeit BiHs von russischem Gas, so die bereits zitierte Wissenschaftlerin Armina Galijaš. Auf der Liste der größten Investoren in Bosnien und Herzegowina befindet sich Russland lediglich an sechster Stelle. Da der Kreml mit westlichen Konkurrenten finanziell nicht mithalten kann, sind für Putin Investitionen in das Untergraben der bosnisch-herzegowinischen bzw. bosnisch-serbischen Gesellschaft, beispielsweise durch Medienkontrolle oder Unterstützung extremer Gruppierungen, effektiver. Insgesamt sei der Handlungsspielraum Russlands jedoch begrenzt: Mit Albanien, Montenegro und Nordmazedonien ist die Hälfte der sechs Westbalkanstaaten Mitglied der NATO, gleichzeitig sind die bereits genannten Länder sowie BiH und Serbien EU-Beitrittskandidaten. Im Dezember 2022 hat auch Kosovo den Antrag zum EU-Beitritt eingereicht. Putin konnte außerdem die Ankündigung, billige Energie zu liefern, nicht einhalten, sagt der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina Christian Schmidt im Interview mit der Frankfurter Rundschau.[4] Russland sowie auch China sind an der Abschaffung des OHR, dem Amt des Hohen Repräsentanten für BiH interessiert, da sie in ihm den verlängerten Arm westlicher Politik sehen.

 

Nebst Anstieg der Preise ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Alltag wenig spürbar. Die Konfrontation zwischen NATO und Russland ist in der bosnischen Politik aber präsent. Die Anspannung zwischen Ost und West findet sich in kleinem Maßstab in Bosnien und Herzegowina wieder und wird zwischen lokalen politischen Akteuren ausgetragen. Das Einmischen in internationale Politik (in Bezug auf den Angriffskrieg) begrenzt sich auf die innenpolitisch umstrittene Zustimmung der Verurteilung des Krieges in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Russland verfolgt die Absicht, seinen Einfluss zu erhöhen und westliche Bündnisse bei ihrer Erweiterungspolitik zu hindern sowie Zwietracht und Unsicherheit im Informationsumfeld zu schüren. Dem EU-Beitritt ist BiH auf dem Papier allerdings einen wichtigen Schritt nähergekommen. De facto ist es bis zum tatsächlichen Anschluss aber noch ein langer Weg.

 

[1] Radio Liberty, EU urges Bosnia to end visa-free regime for Russians, 30.01.2023, abgerufen am 06.02.2023.

[2] Armina Galijaš, „Putin empfing mich nach Mitternacht“: Russische Soft Power in der Republika Srpska, erschienen in Südosteuropa Mitteilungen (SOG), Heft 05-06/2022, 62. Jahrgang.

[3] Bosnia Daily, Nr. 5486, Sarajevo, 09.02.2023.

[4] „Wir erleben großen Fortschritt“, Interview mit dem Hohen Repräsentanten für BiH Christian Schmidt, Frankfurter Rundschau - Deutschlandausgabe vom 07.02.2023, Seite 6 / Politik.

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Jakov Devčić

Leiter des Auslandsbüros Serbien / Montenegro und Interimsleiter des Auslandsbüros Bosnien-Herzegowina

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