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Veranstaltungsberichte

Virtuelle Demokratie – Soziale Auswirkungen

von Friedrich Christian Matthäus

Edition Campo Grande

Die erste Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Virtuelle Demokratie“ fand an der Katholischen Universität Dom Bosco in Campo Grande zum Thema sozialer Fragen innerhalb internetbasierter Aktivitäten statt. Rund 100 Studenten und Experten kamen zusammen, um anhand von Fallbeispielen Herausforderungen und politische Brennpunkte zu diskutieren.

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Conceição Butera, Professorin an der Katholischen Universität Dom Bosco, begrüßte in ihren einleitenden Worten die Zuhörerschaft und beschrieb die zur Debatte stehenden Themen als zukunftsweisend für die Konsolidierung des brasilianischen demokratischen Systems auf lokaler, bundes-wie nationalstaatlicher Ebene. Sie hob die gute Beziehung zu Erzbischof Dom Dimas hervor, der als Beiratsmitglied der KAS Brasilien für die Kontaktherstellung zur Stiftung verantwortlich war und somit seit Jahren erstmals erneut Stiftungsaktivitäten nach Mato Grosso do Sul brachte. Christian Matthäus, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der KAS Brasilien, schloss sich den Worten an und betonte den bestimmenden Einfluss Sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram auf die Meinungsbildung insbesondere der jüngeren Generation. Weder politische Kampagnen noch Informationsvermittlung könnten heutzutage ohne den extensiven Einsatz dieser Plattformen gemanagt werden. Dies stelle die Politik, die Wirtschaft, aber auch die eigene Wahrnehmung von Umwelt und Informationen vor völlig neue Herausforderungen. KAS Brasilien arbeite in ihrer Öffentlichkeitsarbeit bereits seit Jahren mit diesen Kanälen; die Virtuelle Demokratie ist seit 2012 ein Schwerpunktthema der Politischen Bildungsarbeit.

Ricardo Kadouaki, Projektkoordinator des Instituts für Technologie und Gesellschaft (ITS) zu Rio de Janeiro eröffnete die Vortragsreihe zu dem Thema „Bürgerbeteiligung via Sozialer Medien“: Laut Kadouaki bildeten Virtuelle Kampagnen unserer Zeit die Grundlage für die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Er skizzierte seine These anhand der ab 2010 stattgefundenen weltweiten Massenproteste zur uneingeschränkten freien Meinungsäußerung, u.a. während des Arabischen Frühlings, aber auch in der Türkei, in Venezuela, Hong Kong und nicht zuletzt ab 2013 in Brasilien. Die brasilianische Gesellschaft habe zu diesem Zeitpunkt bewiesen, dass Proteste, die über Soziale Medien organisiert werden, in ihren Forderungen zunehmend dominanter geworden seien. Menschen organisierten sich prinzipiell eher, wenn Benachteiligung und Unzufriedenheit überhandnähmen, was besonders bei sozial benachteiligten, jungen Menschen eine Vertrauenskrise gegenüber der Regierung und politischen Parteien fördere. Das Internet eigne sich besonders, um aktuelle Missstände anzuprangern. Der nun folgende, logische Schritt sei es jedoch, qualitative und konstruktive Kritik vorzubringen, und Vorschläge – auch seitens staatlicher Entscheidungsträger - zu machen, um das Internet als nachhaltige Diskussionsplattform zu nutzen. Mit dem Projekt „Plataforma Brasil“ stellte Kadouaki eine qualitative Diskussionsalternative zu Facebook vor, auf der transparent Vorschläge eingebracht werden könnten, um virtuelle Bürgerbeteiligung zu garantieren. Themen würden hier nach Priorität geordnet und im Anschluss diskutiert. Ein Interessierter könne auf diese Weise Vorschläge zur politischen Reform Brasiliens einbringen. Es bedürfe lediglich persönlicher Motivation und Interesse an den betreffenden Themen. Die Zukunft werde zeigen, ob die „Plataforma Brasil“ sich tatsächlich als qualitatives Medium virtueller politischer Diskussionen etablieren könne.

Camila Braga ist für die Kommunikation über Soziale Medien in der Stadtverwaltung Curitibas zuständig. Sie unterstrich, dass es unterschiedliche, oft nicht nachvollziehbare Interessen seien, die Menschen dazu anregten, Profilen auf Sozialen Netzwerken wie Twitter zu folgen. Stets wirke das Neue und Unkonventionelle im Internet anziehend. Auch sie unterstrich die virtuelle Organisation von Protesten über Soziale Medien. Die Frage allerdings sei, wann und inwieweit man bereit sei, ein Teil Sozialer Medien zu werden. Soziale Medien öffneten darüber hinaus die Verwaltungen für ihre Bürger und müssten sich so der Verantwortlichkeit ihres Handelns oder Nichthandelns stellen. Dies generiere eine verstärkte öffentliche Kontrolle, ob sie ihrem Bürgerauftrag auch tatsächlich gerecht würden. So kreierte Curitiba eine App, mit der auf Missstände in der Stadt aufmerksam gemacht werden könne – sei es fehlende oder zerfallende öffentliche Infrastruktur, Fehlverhalten staatlicher Behörden oder Bürger oder das Melden eines Delikts. Mit dem Übertragen eines Bildes oder eines kleinen Videos, das mit einem Smartphone oder einem Tablet direkt an die entsprechenden Behörden weitergeleitet werde, sei dies über diese in der Stadt bereits populäre App nun möglich. Die Stadtverwaltung und ihre Ämter verpflichteten sich, jede Anfrage zu beantworten. In der Stadtverwaltung Curitibas, so Braga, werde Marketing mit Sozialen Medien und den Stimmen der Bürger verknüpft. Transparenz werde durch die zunehmende Nutzung Sozialer Medien immer höher, und Antworten auf direkte Bürgeranfragen schneller gegeben. Sie sieht diese Entwicklungen zu mehr Offenheit und Verantwortlichkeit als durchweg gewinnbringend für alle Bürger.

Emerson Cervi, Professor an der Staatlichen Universität zu Paraná, unterstrich die Verbindung zwischen konventionellem Aktivismus, der „offline“, also in der realen Welt, ablaufe, aber mittlerweile online geplant würde. Das Konzept der Virtuellen Demokratie, so Cervi, eigne sich besonders für Diskussionen zu spezifischen Themen. Auffallend sei, dass die persönlichen Seiten von Politikern in sozialen Netzwerken wesentlich lebhafter und aktuell gestaltet seien als diejenigen der staatlichen politischen Institutionen. Probleme würden die Wahrung des Schutzes der persönlichen Würde betreffen. Im Netz ungefilterte und die Persönlichkeit verletzende Kommentare – dies trete vermehrt im Vorfeld zu Wahlen auf - würden in Gänze sichtbar werden. Der Wert eines Kommentars werde daher daran gemessen, ob er sich an einem weiteren orientiert, und damit empathische Reflexion beweise. Cervi stellte zahlreiche Statistiken vor, die zeigten, dass sich Internetnutzer häufig nur mit Personen austauschten, die die gleiche Meinung vertreten und somit Teil einer Gruppe- oder Untergruppe seien. Anhänger der sozialistischen Präsidentin Dilma Rousseff interagiertem demnach virtuell kaum mit den Anhängern des wirtschaftsliberal-konservativen Herausforderers Aécio Neves – und umgekehrt – während die Interaktionen mit Gleichgesinnten fast immer gegeben seien. Die Offenheit für neue Argumente sei somit stark eingeschränkt, was ein weltweit zu beobachtendes Phänomen sei. Cervi bestätigte somit Kadouakis These, dass das Internet noch keine qualitative Diskussionsplattform hervorgebracht habe, sondern dem Teilen von Informationen mit Gleichgesinnten diene.

Reinaldo Themoteo, Soziologe und Redakteur der KAS Brasilien, ging in seinem Vortrag „Die Cyberkultur Brasiliens“ auf die Evolution des Mediums Internet ein. Dieses eröffne heutzutage eine noch nie dagewesene Multifunktionalität durch Apps und neue Virtuelle Räume, die eine anschließende Selektion von Inhalten in qualitativ Wichtiges und Unwichtiges für jeden Einzelnen aber gleichzeitig auch schwieriger gestalte. Wie die Proteste in Brasilien 2013 gezeigt hätten, könnten auch spontane über soziale Netzwerke organisierte Proteste Druck auf die regierende Parteien ausüben, die allerdings gebraucht würden, um einen Dialog zwischen verschieden Denkenden überhaupt erst garantieren zu können. Wie könne also politische Partizipation am effektivsten und nachhaltigsten erreicht werden? Laut Themoteo sei der zu gehende Weg politische Aufklärung und Bildung, sowohl virtuell als auch konventionell. Die Konrad-Adenauer-Stiftung verpflichte sich der Politischen Bildung in ihren Grundsätzen und biete Fortbildungskurse sowohl on-als auch offline an, um die Werte und Prinzipien des demokratischen Staates zu stärken.

Im Anschluss an die Vorträge entstand eine lebhafte Diskussion unter den Studenten, deren Interesse bis weit nach Beendigung der Veranstaltung in den Konversationen mit den Dozenten deutlich wurde. Campo Grande ist ein in diesem Rahmen besonders interessanter Veranstaltungsort, der geprägt von seinem ländlichen und dünn besiedelten Charakter fernab politischer Metropolen Brasiliens, rund 100 Studenten ermöglichte, den Link zwischen virtueller und realer Welt im eigenen Hörsaal herzustellen.

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Franziska Hübner

Franziska Hübner bild

Referentin Stabsstelle Evaluierung

Franziska.Huebner@kas.de +49 30 26996-3513
Virtuelle Demokratie - Campo Grande KAS Brasilien

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