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"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen - Ausblick auf die Parlamentswahlen in Belgien"

von Grita Berendt
Nicht erst seit den letzten Parlamentswahlen am 13. Juni 1999 ist bekannt, daß die Parteienlandschaft in Belgien äußerst vielfältig ist. Unter Premierminister Guy Verhofstadt regiert seitdem eine „Regenbogen“-Koalition, bestehend aus sechs sozialistischen, liberalen und grünen Parteien. In der Parteienvielfalt spiegeln sich die gesellschaftliche Struktur des Landes sowie die Unterschiede zwischen zwei großen Bevölkerungsgruppen wider. Die verschiedenen politischen Ausrichtungen werden durch jeweils eine Partei in Wallonien und in Flandern repräsentiert.

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Die „Regenbogen“-Koaltition

Nicht erst seit den letzten Parlamentswahlen am 13. Juni 1999 ist bekannt, daß die Parteienlandschaft in Belgien äußerst vielfältig ist. Unter Premierminister Guy Verhofstadt regiert seitdem eine „Regenbogen“-Koalition, bestehend aus sechs sozialistischen, liberalen und grünen Parteien. In der Parteienvielfalt spiegeln sich die gesellschaftliche Struktur des Landes sowie die Unterschiede zwischen zwei großen Bevölkerungsgruppen wider. Die verschiedenen politischen Ausrichtungen werden durch jeweils eine Partei in Wallonien und in Flandern repräsentiert. Entsprechend besteht die amtierende Regierung aus folgenden wallonischen Parteien: Mouvement Réformateur (MR), Parti Socialiste (PS), und Écologistes conféderés (ECOLO). Zu den flämischen Regierungsparteien gehören Vlaamse Liberalen en Democraten (VLD), Socialistische Partij-Anders (SP.a) sowie die Grünen der AGALEV („Anders gaan leven“ = Anders zu leben).

Die Opposition wird von den konservativen Parteien Christen-Democratisch & Vlaams (CD&V) und Le Centre Démocrate Humaniste (CDH) sowie dem rechtsradikalen Vlaams Blok gestellt.

Stichtag 18. Mai 2003

Am 18. Mai werden die Karten neu gemischt. Es gilt, das föderale Parlament Belgiens, bestehend aus einer Abgeordnetenkammer mit 150 und einem Senat mit 71 Mitgliedern, in anderer Form zu besetzen.

Knapp vier Monate vor dem Stichtag sind noch keine klaren Präferenzen der belgischen Wählerinnen und Wähler zu erkennen. Die Tageszeitung „Le Soir“ veröffentlichte am 27. Januar das Ergebnis der ersten offiziellen Umfrage unter der Bevölkerung, das nur vage Tendenzen, jedoch keine klaren Hinweise auf das endgültige Wahlverhalten wiedergibt.

Den Umfragen zufolge haben in Wallonien die Sozialisten und die liberale Reformbewegung MR die besten Aussichten. Im Vergleich zu den Wahlen von 1999 legte die PS um 2,4 Prozent auf 31,6 Prozent und die MR um 3,3 Prozent auf 28 Prozent zu. Deutliche Verluste in der Wählergunst verzeichnet die ECOLO, deren Wert um 3,9 Prozent auf nur noch 14,4 Prozent gefallen ist. Auch die christdemokratische CDH hat sich mit 13,7 Prozent im Vergleich zu 16,8 Prozent bei der vorherigen Wahl verschlechtert. Dies ist vor allem auf die Abspaltung des rechten Flügels der Partei und die anschließende Neugründung der CDF (Chrétiens démocrates francophones) zurückzuführen, die laut Umfrage 1,3 Prozent der Stimmen bei der Wahl auf sich vereinen könnte. Zugelegt haben hingegen die frankophonen Rechten der Front national (FN), deren Wert um 2,8 Prozent auf 6,9 Prozent stieg.

Auch in Flandern scheint sich in der Wählerstimmung seit dem letzten Urnengang nicht viel verändert zu haben. In den Umfragen führen weiterhin die Liberalen der VLD mit 22,8 Prozent die Liste an (1999: 22,6 Prozent). Die christlich-konservative CD&V ist ihr dicht auf den Fersen, auch wenn sie im Vergleich zu den vorherigen Parlamentswahlen einen empfindlichen Verlust hinnehmen mußte (19,2 Prozent statt 22,2 Prozent). Wie in Wallonien kann auch hier die sozialistische Partei (SP.a) einige Stimmen hinzugewinnen (17,4 Prozent gegenüber 15 Prozent). Vergleichbar ist auch der Rückschritt der Grünen, da die AGALEV in der Wählergunst von 11 Prozent auf 10,3 Prozent nachgelassen hat. Ein Spiegelbild der Verhältnisse im frankophonen Teil Belgiens ist auch die Unterstützung für die Rechtsradikalen, hier vertreten durch den Vlaams Blok. Der Zuspruch für die Partei stieg laut Umfrage von 15,3 Prozent auf nun 18,1 Prozent.

Eine ähnliche Unterstützung erfährt der Vlaams Blok in den 19 Gemeinden Brüssels, in denen er von den flämischen Parteien die meisten Stimmen bekäme (5,8 Prozent; 1999: 4,1 Prozent). Bei den Umfragewerten folgen die SP.a mit 2,6 Prozent (1999: 2,4 Prozent), die VLD mit 2,2 Prozent (2,8 Prozent), CD&V mit 1,7 Prozent (2,5 Prozent) und AGALEV mit 0,9 Prozent (1,6 Prozent). Unter den frankophonen Parteien Brüssels vereint die MR die meisten Stimmen auf sich (29,8 Prozent; 1999: 30,7 Prozent). Die Sozialisten der PS haben deutlich Boden gut machen können und folgen auf dem zweiten Platz mit 20,4 Prozent im Vergleich zu 16,5 Prozent bei den Wahlen vor vier Jahren. Die ECOLO ist mit 19,3 Prozent die drittstärkste Partei (1999: 21,4 Prozent). Weiterhin folgen die CDH mit 8,8 Prozent (9,1 Prozent), die neugegründete CDF mit 3,1 Prozent und die Front National mit 2,0 Prozent (2,6 Prozent).

Status quo oder Regierungswechsel?

Die Umfrageergebnisse zeigen kaum Schwankungen innerhalb der Wählerschaft seit den letzten Parlamentswahlen. Auffallend ist die Tatsache, daß die Liberalen und Sozialisten beider Sprachräume zwar stark geblieben sind und wohl siegen würden, wenn die Wahlen zum jetzigen Zeitpunkt anstünden. Aber der dritte Partner im Bunde, die Grünen, hat in der Zustimmung der Wähler herbe Dämpfer einstecken müssen. Auch die Christdemokraten, insbesondere die CDH, bewegen sich nicht recht vom Fleck. Vielmehr wurden sie empfindlich durch die Neuformierung des abtrünnigen rechten Flügels unter dem Namen CDF geschwächt, der sie nun einiger wertvoller Prozentpunkte beraubt. Vor allem hat es aber wohl eine Abwanderung der Wählerschaft von den Mitte-Rechts-Parteien hin zu den radikalen Rechten gegeben, die sich auch in den Umfragewerten niederschlägt.

Insgesamt lassen die Ergebnisse des „Le Soir“ nicht auf ein eindeutiges Ergebnis hin schließen. Dieser Eindruck erhärtet sich aufgrund der Tatsache, daß die Zahl der Unentschlossenen sehr hoch ist: allein 40 Prozent der Befragten wissen noch nicht genau, wen sie wählen werden. Vieles deutet auf eine Fortsetzung der „Regenbogen“-Koalition hin. Doch gibt es in der nationalen wie internationalen Politik in den nächsten Wochen und Monaten noch zahlreiche Unwägbarkeiten, die das belgische Volk in seiner Wahlstimmung erheblich beeinflussen könnten. Allen voran der sich täglich zuspitzende Irak-Konflikt und die wirtschaftlichen sowie sicherheitspolitischen Konsequenzen im Falle eines Krieges.

Der Irak-Konflikt: Belgiens Vabanquespiel

Die amtierende belgische Regierung erweist sich in ihrer Haltung zur Situation im Irak als äußerst wankelmütig. Vor nicht allzu langer Zeit war Außenminister Louis Michel noch von der Notwendigkeit überzeugt, daß Saddam Hussein Einhalt geboten werden müsse. Seite an Seite mit den Amerikanern forderten die Belgier dessen Sturz. Doch mittlerweile hat die belgische Regierung eine erstaunliche politische Kehrtwendung vollzogen. Gleichsam als Nachahmer der deutschen Regierung während des Bundestagswahlkampfes 2002, weigert sie sich nun gegen eine militärische Intervention – Opportunismus pur, zugunsten des Stimmenfangs. So sprach sich Belgien - im Einvernehmen mit Deutschland und Frankreich - gegen Pläne der NATO aus, der Türkei im Falle eines Irak-Krieges militärische Hilfe zu gewähren. Doch die Hoffnung, mit diesem drastischen Meinungsumschwung dem belgischen Volk aus der Seele zu sprechen und mithin zahlreiche Wähler für sich zu gewinnen, könnte sich als Irrglaube herausstellen.

Deutschland könnte hier als abschreckendes Beispiel dienen: Schließlich hat die SPD bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 02. Februar trotz einer vergleichbaren Anti-Kriegs-Rhetorik schwerwiegende Verluste hinnehmen müssen. Auch ist für die Belgier nicht unbedingt Verlaß auf die Solidarität der Franzosen. Diese halten sich mit ihrem diplomatischem Drahtseilakt bis zur letzten Minute die Option offen, doch noch den amerikanischen Kurs einzuschlagen. Würde Frankreich einem Einmarsch in den Irak bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat zustimmen, könnte Belgien das gleiche Schicksal wie Deutschland drohen: eine außenpolitische Isolation, die kurzfristig nicht zu beheben wäre.

Aufschwung der Rechtsextremen gibt Anlaß zur Sorge

Sollte es tatsächlich zu einem Krieg kommen, würde dies im Hinblick auf die Wahlen in Belgien vor allem folgende Fragen aufwerfen: Wird die Wirtschaft einen weiteren Abschwung erleben? Welche Auswirkungen ergeben sich für die Einwanderungs- und Asylpolitik? Welche Sicherheitsmaßnahmen müssen die Regierungsverantwortlichen treffen? Vor dem Hintergrund eines derartigen Szenarios wächst die Befürchtung, dass die radikalen Parteien Vlaams Blok und Front National weitere Anhänger um sich scharen können. Bisher sind die Zugewinne dieser Parteien laut Umfrage zwar besorgniserregend, doch relativ moderat. Wie sähe der Zulauf für die Rechtsradikalen aus, wenn es zum Ausbruch eines Krieges im Irak und zu entsprechenden negativen Folgen auch für Belgien käme? Das braune Schreckgespenst lauert bedrohlich hinter der Kriegsgefahr.

Die Regierungsparteien können sich somit nicht in Sicherheit wiegen, da es zu unvorhersehbaren weltpolitischen Ereignissen von erheblichem Ausmaß kommen könnte. Derartige Entwicklungen liegen außerhalb des unmittelbaren Einflußbereichs der belgischen Politik, hätten jedoch indirekte Auswirkungen auf das Land und wären mitentscheidend für den Wahlausgang.

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