Ein neues Virus entsteht in Asien und zwei infizierte Personen reisen nach Deutschland ein, noch bevor die Weltgesundheitsorganisation warnen kann. In kurzer Zeit stecken sie viele andere Menschen an und nur 300 Tage später sind etwa sechs Millionen Deutsche erkrankt. Wolfram Geier spürt einen „Gruseleffekt“ wenn er sich heute anschaut, welches Worst-Case-Szenario seine Behörde schon im Jahr 2012 mit ausgearbeitet hat, um die „Risikoanalyse ,Pandemie durch Virus Modi-SARS‘“ für die Bundesregierung zu erstellen.
Der promovierte Politikwissenschaftler leitet beim Bonner Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe die Abteilung „Risikomangement und Internationale Angelegenheiten“. Seine Aufgabe ist, das Undenkbare zu denken – und Pläne zu erstellen, wie man sich darauf vorbereiten kann. Beim vierten Teil der digitalen Veranstaltungsreihe #KASkonkret sprach er mit dem Journalisten Maximilian Nowroth über seine Arbeit.
„Uns war immer klar, dass es nicht eine Frage des „Ob“ ist“, sagte Geier im Livestream auf Facebook. „Sondern nur, wann eine Pandemie kommen wird.“ Dementsprechend richtig habe die Regierung reagiert und mit ihren Maßnahmen dafür gesorgt, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern deutlich weniger Menschen an den Folgen des Coronavirus sterben. Entscheidend sei dabei neben den Tests gewesen, die Bevölkerung zu warnen und Abstands- und Hygieneregelen „lautstark zu kommunizieren“.
Allerdings wies der Abteilungspräsident auch auf Nachlässigkeiten hin. So seien „Risikopapiere zum Teil leider auch in den Schubladen geblieben. Die hätten regelmäßig geübt werden müssen – in Unternehmen, in Verwaltungen. Und durchaus auch in Schulen.“ So hätte man ein stärkeres Bewusstsein gehabt, warum die strikten Beschränkungen für das alltägliche Leben notwendig sind.
Über den Instagram-Kanal der KAS Bundesstadt Bonn stellte Zuschauerin Franciska Nowak die Frage, warum es trotz Katastrophenschutz einen derartigen Engpass bei der Schutzausrüstung in Deutschland gegeben habe. „Die Lagerhaltung ist bei uns in Deutschland für Katastrophen und ähnliche Ereignisse zum Problem geworden“, antwortete Wolfram Geier. „Mit Katastrophenschutz und Katastrophenvorsorge konnte man in Deutschland in den letzten Jahren keine Punkte sammeln.“ Das habe auch mit Geld zu tun: „Lagerhaltung beim Nicht-Eintreten von Schadensereignissen wurde als eine Investition für nichts und wieder nichts gesehen. Leider.“ Für die Zukunft werde man aus diesem Ereignis jedoch mit Sicherheit lernen.
Cedric Bierganns, Referent für Sicherheitspolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung im Büro Bonn, sieht in der Coronakrise einen willkommenen Anlass für eine dringend notwendige Debatte über die Bevorratung überlebensnotweniger Güter in Deutschland: „In der Nach-Corona-Welt werden wir uns dem Unangenehmen stellen müssen. Ob Cyberangriff, Terror-Attacke oder Pandemie – heute wappnen wir uns für morgen. Und dafür brauchen wir eine ernst gemeinte Debatte über Deutschlands strategische Reserven. Deutschland muss nicht nur bei der äußeren, sondern auch bei der inneren Sicherheit vorangehen.“
Wolfram Geier betonte, dass im Gegensatz zu anderen Katastrophen wie zum Beispiel einer Sturzflut das Besondere bei dem aktuellen Ereignis sei, „dass wir es mit einer Langzeitlage zu tun haben“. Deutschland werde noch lange mit dem Virus leben müssen. Konkret würden Abstands- und Hygieneregeln weiter gelten – und das begrüßt der Bundesbeamte. „Ich bin ganz froh, dass wir durch so ein Ereignis jetzt mal bei dem Thema Hygiene und Infektionsgefahren ein bisschen aufgewacht sind. Wir waren da sehr nachlässig in der Vergangenheit.“ Er erhofft sich, dass sich dadurch auch andere Krankheiten wie beispielsweise die Grippe weniger ausbreiten werden.
Zum Abschluss des Gesprächs wollte Benedikt Weber – einer der mehr als 60 Live-Zuschauer bei Facebook – noch wissen, was Wolfram Geier den Gegnern der Corona-Maßnahmen in Deutschland entgegnet. Dazu stellte dieser klar, dass er verschiedene Meinungen grundsätzlich begrüße. Es gehöre zu einer Demokratie aber auch dazu, sich in Krisenzeiten wie diesen an Dinge zu halten, die beschlossen wurden. Und bisher könne es eben noch keine Entwarnung geben.
Gleichzeitig gab Geier aber auch zu, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Katastrophenschutzes „in den vergangenen Analysen ein Stück weit zu kurz gekommen sind“. Das müsse man in der Zukunft „zwingend berücksichtigen – vor allem, wenn es um solche Langzeitlagen geht.“ Unterm Strich ist Wolfram Geier optimistisch, dass Deutschland aus dieser Krise gestärkt hervorgeht.
Das Gespräch bot viele konkrete Einblicke in die Arbeit einer Behörde im Ausnahmezustand. In diesem Sinne geht es am kommenden Dienstag weiter – dann im Rahmen einer ganzen Livestream-Woche der Konrad-Adenauer-Stiftung. Unter dem Hashtag #WewantEU wird es jeden Tag eine digitale Veranstaltung geben. Am 5. Mai läuft der fünfte Teil von #KASkonkret, wie immer um 17 Uhr live auf Facebook. Dann sprechen wir mit Tobias Piller, dem Italien-Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, über europäische Solidarität.