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„Griechenland ist der Lackmustest für die Lösungsfähigkeit Europas!“

EU-Kommissar für Energie Günther H. Oettinger und Daniel Caspary MdEP bei der KAS in Karlsruhe

„Das wäre, wie wenn Iowa pleite ginge.“ Bilderreich, prägnant und engagiert kontrastierte am Montagabend Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie, Binnen- und Außenperspektiven der europäischen Finanz- und Schuldenkrise – nicht nur zum Thema Griechenland. Vor rund 230 Gästen warb der frühere Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg im Karlsruher ZKM für die europäische Idee und warnte vor energiepolitischem Wunschdenken. Eingeführt in den Vortrag "Wirtschaft - Währung - Energie: Herausforderungen für Europa" hatte der Karlsruher Europaabgeordnete Daniel Caspary.

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Caspary würdigte das europäische Engagement Oettingers schon in seiner Zeit als Ministerpräsident und unterstrich die Herausforderungen dessen Amtes als Kommissar für Energie: Die energiepolitischen Interessen von 27 Staaten „unter einen Hut“ zu bekommen, sei eine außerordentlich komplexe Aufgabe. Caspary zog eine Parallele zwischen nicht beachteten Tsunami-Warnsteinen in Japan und dem schwindenden Bewusstsein für die kriegerischen Tragödien in Europas Geschichte. „Alle drei bis vier Generationen, so haben Forscher festgestellt, werden Katastrophen wieder vergessen!“, warnte Caspary vor einem Aufweichen des europäischen Gedankens: "Wir brauchen Europa, damit sich Geschichte zumindest einmal nicht wiederholt!"

„Europa ist die untere Betriebsgröße“

Energie-Kommissar Oettinger griff Casparys Einstieg auf: „Wir haben Kriege gewonnen, erlitten, verschuldet, verloren!“ Bürger könnten als Idealisten unter dem Motto „Nie wieder Krieg!“ Europäer sein, oder auch als Egoisten, denn Baden-Württemberg und Deutschland stünden als Exportmeister in Europa an erster Stelle. Oettinger warnte angesichts der Krise und mit Blick auf das Erstarken einschlägiger, Brüssel-kritischer Parteien in europäischen Nachbarländern vor einem Rückfall in nationalistisches Denken: „Erstmals ist der Gedanke des vereinten Europas in Lebensgefahr!“ Ein Rückfall in vor-europäische, nationalstaatliche Strukturen hieße, sich willentlich in die geopolitische Bedeutungslosigkeit zu begeben. Oettinger: „Europa ist die untere Betriebsgröße.“ Es liege angesichts des knallharten weltweiten Wettbewerbs insbesondere mit China und auch vor dem Hintergrund der Protestbewegungen rund um das südliche Mittelmeer in der Hand der Europäer, ob sie im Zentrum der Weltkarte bleiben wollten, oder sich in eine Randlage zurückziehen wollten. „Europa zu festigen, ist die Aufgabe der Generation unserer Zeit.“

"Deutschland profitiert auch von der Krise"

Für Stammtischparolen und deutsche Überheblichkeit in der Krise zeigte Oettinger kein Verständnis: „Wir sind mit der Verschuldung der öffentlichen Haushalte von rund 82 Prozent unseres Bruttosozialproduktes Teil des Problems.“ Selbst mit einer durch die Schuldenbremse gedeckelten Schuld, steige diese, da durch den demographischen Wandel die Zahl der Schuldner sinke. Mit dem sinkenden Vertrauen in Nachbarländer profitiere Deutschland von seiner Bonität, da es für die eigenen Kredite allenfalls geringe Zinsen zahlen müsste. Daher sei es geboten, den Griechen Hilfe anzubieten. Der verantwortungsvolle Umgang auch mit dem überschuldeten Griechenland sei der internationale „Lackmustest für die Lösungsfähigkeit Europas“. Doch Verantwortung, mahnte Oettinger mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse des Landes, trage auch Griechenland: „Wenn die Griechen ihre Verpflichtungen nicht erfüllen wollen, ist das Land nicht zu retten.“

Energiepolitische Debatte: „Sind wir zu satt?“

Oettinger warnte vor Tendenzen der Technikfeindlichkeit und des „Aussitzens“ im Energiebereich, mit denen unser Land Gefahr liefe, sich aus der Wettbewerbsfähigkeit zu verabschieden. „Sind wir zu satt?“, fragte der EU-Kommissar provokant.

Die in Deutschland beschlossene Energiewende beleuchtete Oettinger dann aus einer europäischen Perspektive. Deutschland habe europaweit die höchsten Energiepreise, was sich nachteilig im Standortwettbewerb auswirke. Der deutsche Abschied aus der Kernenergie sei beschlossen. Dennoch irre, wer glaube, in Zukunft keinen Atomstrom mehr zu nutzen. Unsere europäischen Nachbarn setzten weiterhin auf Nuklearenergie, Großbritannien wolle deren Anteil sogar verdoppeln. Die Stromnetze in Europa stünden nicht isoliert, rein nationale Lösungen nicht Ziel führend: „Atomstrom ist immer in der Steckdose.“ Der ausschließliche Einsatz von „grünem Strom“ sei derzeit eine Illusion. Strom lasse sich bislang – außer durch Pumpspeicherwerke – kaum speichern. Solar- und Windenergie seien ungeachtet des noch nicht erfolgten Ausbaus der Leitungsnetze nicht grundlastfähig. Auch in der Mobilität nehme die Bedeutung der Elektrizität zu: „Strom wird das Maß aller Dinge“, so Oettinger. Die Versorgungssicherheit stehe heute jedoch auf der Kippe. Oettinger lobte die von der Regierung Schröder einst verabschiedete Agenda 2010. „Jetzt brauchen wir eine Agenda 2020, sonst droht uns eine schleichende Deindustrialisierung!“

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