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von Maria Böhmer

Schutzmaßnahmen der UNESCO für Bildung, Kultur und Welterbe in der Ukraine

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Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine markiert eine Zäsur in der europäischen Geschichte und ignoriert die Grundfesten der Weltgemeinschaft. Das führt nicht nur zu einer humanitären Katastrophe, sondern auch zu einer Katastrophe für die Kultur und die Bildung in der Ukraine, deren Einrichtungen gezielt unter Beschuss genommen werden: Wenn in einem Krieg materielle und immaterielle Kulturgüter bedroht werden, wenn Sprache, Wissen oder Kunst nicht mehr weitergegeben werden können oder dürfen, dann sind das gezielte Angriffe auf die Identitäten und das kulturelle Gedächtnis eines Landes.

Es sind darüber hinaus auch Angriffe auf das kulturelle Erbe der Menschheit. In der Ukraine sind sieben Welterbestätten der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) bedroht; dabei handelt es sich unter anderem um die Sophienkathedrale und das Höhlenkloster in Kiew sowie das Historische Zentrum von Lwiw. Sie gehören zu einem historischen Vermächtnis, für das keine geografischen Grenzen gelten.

 

Tragfähige und wehrhafte Konventionen

 

Die UNESCO, als Organisation der Vereinten Nationen zuständig für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, ist höchst alarmiert. Zum Schutz von Kultur und Bildung verfügt sie über zahlreiche Instrumente und kann sich auf tragfähige Konventionen stützen, so etwa auf die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954, die die Zerstörung, die Plünderung und den Diebstahl von Kulturgut sowohl in bewaffneten Konflikten als auch in Kriegen verbietet.1 Dass darin tatsächlich eine „wehrhafte“ Konvention besteht, hat sich erwiesen, als der Hauptverantwortliche für die Zerstörung der Mausoleen von Timbuktu, Ex-Rebellenführer Ahmad Al Faqi Al Mahdi, vom Internationalen Strafgerichtshof für Menschenrechte 2016 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.

Eine wichtige Aufgabe der UNESCO liegt in diesen Fällen in der Erhebung von Daten über das Ausmaß von Zerstörungen im Kultur- und Bildungssektor, die auch als Grundlage rechtlicher Strafverfolgung bereitgehalten werden. So überwacht und analysiert sie gemeinsam mit UNITAR (United Nations Institute for Training and Research) Satellitenaufnahmen, die Hinweise über die Beschädigung und Zerstörung von Kulturgütern und Welterbestätten geben.

Doch es bleibt aktuell nicht bei der Beobachtung: Gemeinsam mit ukrainischen Behörden hat die UNESCO denkmalgeschützte Gebäude und auch Gebäude, in denen sich geschütztes Kulturgut nach der bereits erwähnten Haager Konvention befindet, mit dem blau-weißen Emblem („blue shield“) ausgewiesen. Dieses Übereinkommen sowie seine beiden Zusatzprotokolle von 1954 und 1999 bilden die rechtliche Basis für die Kennzeichnung mit dem blau-weißen Schild. Gleichzeitig unterstützt die UNESCO bei der Evakuierung beweglicher Kulturgüter und bietet Handreichungen an, die an Kulturschaffende in der Ukraine verteilt worden sind und praktische Hinweise zum sicheren Transport von Kulturgut, dessen Dokumentation sowie über die temporäre Lagerung geben.2

 

Humanitäre Hilfe und Recht auf Bildung

 

Der UNESCO-Exekutivrat hat sich im März 2022 – zum siebten Mal überhaupt in der Geschichte des Gremiums – zu einer Sondersitzung zusammengefunden. Er unterstrich das Recht auf Bildung, forderte die Bewahrung des kulturellen Erbes sowie die Sicherheit der Kulturschaffenden in der Ukraine. Auf dieser Grundlage wurde der Generaldirektorin die Vollmacht erteilt, weitere Programme zu initiieren, um der kritischen Lage in der Ukraine zu begegnen.3 Die UNESCO kann somit auch humanitäre Hilfe leisten. So sollen im Rahmen von Künstlerinnenresidenzen beispielsweise Frauen mit Kreativberufen gemeinsam mit ihren Kindern in ihrem Zufluchtsland betreut werden.4 Außerdem konnte die UNESCO auf Grundlage bereits gut ausgebauter digitaler Strukturen in der Ukraine über ihre Global Education Coalition in Kooperation mit dem ukrainischen Bildungsministerium digitale Bildungsinhalte und unter anderem auch Computerhardware sowie Vernetzung für Lehrer und Schüler zur Verfügung stellen.5

 

Wider die Instrumentalisierung von Kultur

 

Die UNESCO ist die einzige UN-Organisation mit eigenständigen Nationalkommissionen in ihren Mitgliedstaaten. Als eine von 199 Nationalkommissionen weltweit zeigt die Deutsche UNESCO-Kommission seit Beginn des Angriffskriegs Solidarität mit der Ukraine. So hat sie noch am Tag des Überfalls ein Statement veröffentlicht, das den russischen Angriffskrieg auf das Schärfste verurteilt und der Ukraine Solidarität zusichert.6 Innerhalb weniger Tage haben sich mehr als vierzig Nationalkommissionen dieser Erklärung angeschlossen; um der gemeinsamen Linie Nachdruck zu verleihen, haben sie sich dafür eingesetzt, dass die 45. Sitzung des Welterbekomitees, ursprünglich vorgesehen für den 19. und 20. Juni 2022 in Kasan, weder in Russland noch unter russischem Vorsitz stattfindet. Es ist unvorstellbar, dass unter dem Vorsitz eines Landes, das für akutes Leid und Zerstörung verantwortlich ist – noch dazu im 50. Jubiläumsjahr der Unterzeichnung der UNESCO-Welterbekonvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt –, über künftige Welterbestätten verhandelt wird. Dass die Sitzung bis auf Weiteres verschoben wurde, kann allerdings nur ein Zwischenschritt sein.

Ihre Solidarität hat die 82. Mitgliederversammlung am 24. Juni 2022 durch die Resolution „Multilaterale kulturelle Zusammenarbeit für das 21. Jahrhundert“ erneut bekundet. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs fordert die UNESCO dazu auf, sich der Instrumentalisierung von Kultur, Erbe und Geschichte für nationalistische Zwecke entgegenzustellen.7

Um aktiv zu werden, ist die Deutsche UNESCO-Kommission Mitglied im Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine geworden, dessen Anliegen es ist, zum Schutz beweglicher Kulturschätze beizutragen, Informationen zusammenzuführen und Hilfsmaßnahmen besser zu koordinieren. Initiiert wurde es von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt.

Die dezentrale Organisation des Netzwerks hat den Effekt, dass zahlreiche Akteure verschiedener Nationalstaaten miteinander kooperieren, sich über die aktuelle Lage in der Ukraine austauschen und auf dieser Basis exakt auf die Bedürfnisse und Notlagen zugeschnittene Hilfsmaßnahmen koordinieren können. Die Akteure des Netzwerks Kulturgutschutz Ukraine bieten praktische Hilfe für ihre ukrainischen Partner: Ganz konkret werden etwa Verpackungsmaterial, Klimakisten und Spezialfeuerlöscher geliefert. Seit Mitte März wurden zahlreiche Lastwagen in die Ukraine entsandt, um Museumsexponate und Denkmäler vor der Zerstörung zu schützen.

Unsere Partner in der ukrainischen Nationalkommission unterstützen wir dabei, Betreuungsangebote für ukrainische Jugendliche zu finden, die für einige Wochen Deutschland besuchen können, um sich von den traumatischen Erlebnissen des Krieges zu erholen: Für das sogenannte „Recreation-Programm“ stützen wir uns auf das engagierte Netzwerk der UNESCO-Projektschulen und engagieren uns in der Bereitstellung konkreter Handreichungen für adäquate Angebote der kulturellen Bildung. Im Juli 2022 wurde im Rahmen des Programms ein dreiwöchiges Pilotprojekt mit einer Schule in Baden-Württemberg realisiert, das ukrainischen Schülerinnen und Schülern ermöglichte, in Gastfamilien zu leben und inner- sowie außerhalb der Schule zu lernen. Eine Fortsetzung des Programms wird angestrebt.8

Unterstützung erhalten die ukrainischen Schüler und Schülerinnen darüber hinaus durch das virtuelle Engagement der kulturweit­Freiwilligen, des Freiwilligendienstes der UNESCO, die aus dem Ausland ukrainische Lehrkräfte bei der digitalen Vermittlung von Sprachkompetenzen unterstützen.

Außerdem fungiert die Deutsche UNESCO-Kommission als deutsche Kontaktstelle der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt. Wir haben einen Austausch der europäischen Kontaktstellen gestartet und Erhebungen zu den Angeboten für ukrainische Kulturschaffende und ihren Bedürfnissen durchgeführt, die in unseren Mitgliedsländern Zuflucht gefunden haben. Ziel ist es, einen Überblick über die Angebote und die Nachfrage zu erhalten, weitere, langfristige Bedarfe sowie Beispiele guter Praxis zu identifizieren und aus den bisherigen Initiativen für neue Angebote zu lernen.

Neben der UNESCO selbst und ihren Nationalkommissionen ist eine weitere Struktur für die UNESCO-Arbeit besonders wichtig: In den letzten Jahrzehnten wurden breite, multilaterale Netzwerke dezentraler Akteure geschaffen, die ein herausragendes Engagement für die Ukraine zeigen – in einer Vielzahl von Initiativen werden Vertreter von UNESCO-Projektschulen, Welterbestätten und Biosphärenreservaten aktiv, um der ukrainischen Zivilgesellschaft Hilfe zukommen zu lassen. So hat beispielsweise die UNESCO­ Creative City Hannover dem Prime Orchestra aus der UNESCO­ Creative City Charkiv eine mehrtägige Tournee durch Niedersachsen ermöglicht, auf der das Orchester Spenden für die Heimat der Musikerinnen und Musiker einspielte.

 

Bauhausstätten beherbergen Flüchtlinge

 

Auch andere Netzwerk-Akteure richteten Ausstellungen ein: So haben die UNESCO-Biosphärenreservate nicht nur Hilfsgüter zur Unterstützung der ukrainischen Schutzgebiete bereitgestellt, sondern auch Ausstellungen Raum geboten, um auf den Alltag in Kriegsgebieten aufmerksam zu machen. Ein weiteres Beispiel ist eine Ausstellung im Besucherzentrum des Welterbes der Stadt Bamberg zu den Welterbestätten der Ukraine.

Das UNESCO-Welterbe „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“, das 94 Waldgebiete in achtzehn Vertragsstaaten – darunter auch fünfzehn Gebiete in der westlichen Ukraine – umfasst, beteiligt sich ebenfalls an Hilfsaktionen: So unterstützt das Nationalparkzentrum Königstuhl im Nationalpark Jasmund auf Rügen die Initiative „SUPPORT UKRAINE“. Der Nationalpark Hainich hat sich dem Spendenaufruf „Nothilfe für die Karpaten-Schutzgebiete“ angeschlossen. Mit dem gesammelten Geld werden Transporte in die Ukraine mit Hilfsgütern organisiert.9 Die Unterstützung reicht bis hin zur Unterbringung von Geflüchteten: So beherbergen das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau in ihren historischen Gebäuden ukrainische Flüchtlinge.10

Insgesamt zeigen die ergriffenen Maßnahmen deutlich, dass unsere gemeinsame Arbeit sich nicht auf Appelle beschränkt, sondern tatsächlich solidarisch wirksam ist. Damit tragen wir zur Umsetzung der Leitidee der UNESCO bei: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“

 

Maria Böhmer, geboren 1950, Staatsministerin a. D. im Auswärtigen Amt, seit 2001 apl. Professorin für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, seit Juni 2018 Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK), Bonn.

 

1 UNESCO: Kulturgutschutz, www.unesco.de/kultur-und-natur/kulturgutschutz [letzter Zugriff: 25.08.2022].

2 International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property ICCROM: UNESCO and ICCROM join forces with the Maidan Museum of Kyiv to support Ukraine’s museums, 08.04.2022, www.iccrom.org/news/unesco-andiccrom-join-forces-maidan-museum-kyiv-supportukraine%E2%80%99s-museums [letzter Zugriff: 25.08.2022].

3 UNESCO: UNESCO unterstützt Medienschaffende in der Ukraine. Pressemitteilung, 17.03.2022, www. unesco.de/wissen/wissensgesellschaften/presse- und-meinungsfreiheit/unesco-medienschaffende-ukraine [letzter Zugriff: 25.08.2022].

4 UNESCO: UNESCO unterstützt ukrainische Künstlerinnen im Exil, 13.06.2022, www.unesco.de/kultur-und-natur/unesco-unterstuetzt-ukrainische-kuenstlerinnen [letzter Zugriff: 25.08.2022].

5 UNESCO: UNESCO unterstützt ukrainische Lernende, 30.03.2022, www.unesco.de/bildung/unesco-unterstuetzt-ukrainische-lernende [letzter Zugriff: 25.08.2022].

6 UNESCO: Deutsche UNESCO-Kommission verurteilt Angriff auf die Ukraine, Pressemitteilung, 24.02.2022, www.unesco.de/presse/pressemitteilungen/deutsche-unesco-kommission-verurteilt-angriff-auf-die-ukraine [letzter Zugriff: 25.08.2022].

7 UNESCO: Deutsche UNESCO-Kommission fordert neue Regeln für die kulturelle Zusammenarbeit, Pressemitteilung, 24.06.2022, www.unesco.de/ ueber-uns/ueber-die-duk/deutsche-unesco-kommission-fordert-neue-regeln-fuer-die-kulturelle [letzter Zugriff: 25.08.2022].

8 UNESCO: Recreation-Projekt: ukrainische Schülerinnen und Schüler besuchen UNESCO-Projektschule in Buchen, 13.07.2022, www.unesco.de/ bildung/unesco-projektschulen/unesco-projektschulen-weltweit/recreation-projekt-fuer-ukrainische [letzter Zugriff: 25.08.2022].

9 UNESCO: UNESCO-Welterbestätten zeigen sich solidarisch mit der Ukraine, 01.04.2022, www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/ukraine-solidaritaet [letzter Zugriff: 25.08.2022].

10 Ebd.

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