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Vor 100 Jahren, am 30. Dezember 1922, wurde die Deklaration über die Gründung der „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ – kurz Sowjetunion oder UdSSR (kyrillisch „CCCP“) – verabschiedet. Dieser riesige Machtkomplex, der die Geschichte des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitbestimmte, fiel 1991 wieder auseinander, ohne dass die daraus erwachsenen Entwicklungen und Verwerfungen bei den mit ihrer Wiedervereinigung beschäftigten Deutschen große Beachtung gefunden hätten.

Trotz aller Umbrüche – damals wahrlich eine Zeitwende – blieb der Blick nach Osten seltsam dem Status quo ante verhaftet. Noch heute fällt es den meisten schwer, die vierzehn längst unabhängigen Staaten auf der Weltkarte zu verorten, die einst nicht-russische Sowjetrepubliken waren. Bis zuletzt hielt es kaum jemand der Mühe wert, zwischen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern und „Russen“ zu unterscheiden. Das nicht zu Unrecht als russisch wahrgenommene Sowjetimperium existierte auch in deutschen Köpfen fort – zulasten derer in den sowjetischen „Nachfolgestaaten“, die aus dieser Nachfolge aussteigen wollen.

Vor allem die deutsche Außenpolitik ließ sich von überkommenen Denkmustern leiten, indem sie sich auf das Verhältnis mit Moskau fixierte und dabei in eine unkritische, teils sträfliche Nähe und Abhängigkeit zum jetzigen Machthaber geriet. Selbst nachdem Repressionen nach innen sowie KGB-Methoden und militärische Gewalt nach außen erneut ins Zentrum des Staatshandelns gerückt waren, kam die hiesige Grundauffassung, nach der nur mit Russland die Sicherheit und Stabilität in Europa zu gewährleisten sei, kaum ins Wanken. Mancher Experte und politisch Verantwortliche zeigt sich trotz allem weiterhin geneigt, russische Einflusssphären jenseits der Landesgrenzen zu akzeptieren. Zu begründen, woraus Russland das Recht ableitet, seine Nachbarn zu dominieren oder gleich ganz zu vereinnahmen, erweist sich als rhetorisch aufwendiges Unterfangen. Unmittelbar vor dem Überfall auf die Ukraine versuchte sich Wladimir Putin in einem einstündigen Fernsehmonolog daran. Doch blieb es bei einem weitgehend unverständlichen „historiosophischen Gebräu“ (Gerd Koenen) aus großrussischen Einheitsphantasien, postsowjetisch-imperialem Phantomschmerz und jeder Menge anti-westlichen Ressentiments.

Es ist höchste Zeit, die Zentralperspektive der Kremlherren zu diversifizieren und die Sichtweisen derer einzubeziehen, die unter großen Risiken und Opfern ihr Selbstbestimmungsrecht zu verwirklichen suchen. An den allzu großen Tisch Putins möchte schließlich niemand gern geladen sein.