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Bemerkungen zu den Konfuzius Instituten in Deutschland

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Die ersten beiden Konfuzius-Institute wurden 2006 in Berlin und Nürnberg eingerichtet. Inzwischen sind es in Deutschland fünfzehn Institute und drei „Klassenzimmer“ an Gymnasien, mit denen die Volksrepublik China über Sprachkurse, Vorträge und Veranstaltungen von Kalligrafie- bis zu Kochkursen versucht, Einblicke in die Kultur Chinas zu vermitteln. Insgesamt handelt es sich um etwa einhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus China und Deutschland, die in Sprachunterricht und Verwaltung für die Institute tätig sind.

Fraglos sind die Konfuzius-Institute Ausdruck eines gewandelten Selbstverständnisses. China tritt zunehmend mit dem Gewicht einer Großmacht auf, die sich als bedeutender Faktor in der internationalen Politik versteht und die man nicht mehr ohne Weiteres ignorieren kann. So muss der chinesische Staat ein Interesse daran haben, neben politischer, wirtschaftlicher und auch militärischer Stärke seine jahrtausendealte Kultur und deren Bedeutung international sichtbar zu machen. Dem dienen die Konfuzius-Institute in gleicher Weise wie die analogen Einrichtungen des British Council, die Goethe Institute oder die Amerika Häuser, getragen von der jetzt in das State Department integrierten United States Information Agency.

„Soft power“ wird in China als eine Bezeichnung auch für die Arbeit der Konfuzius-Institute gewählt, was politisch sicher nicht sehr geschickt ist. Aber auch die hiesige Reaktion darauf zeichnet sich nicht gerade durch überwältigende Überzeugungskraft aus: China sei ja nur darauf aus, „unsere Herzen und Köpfe zu gewinnen“, um die eigenen politischen Ziele zu verstecken und so besser verfolgen zu können. In Deutschland ist vor allem Kritik an der Zusammenarbeit von Konfuzius-Instituten und universitären Instituten für Sinologie laut geworden. Vorgetragen wird sie immer wieder durch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich für die Rechte der Tibeter und der muslimischen Uiguren einsetzt. Der schwerwiegende Vorwurf lautet, dass die Unabhängigkeit der Wissenschaft bedroht sei und heikle politische Themen ausgeklammert würden.

Lassen sich deutsche Universitäten wirklich derart vor den Karren spannen? Sind die Institute wirklich nur eine „Plattform für die Kommunistische Partei Chinas“, wie es in einer kritischen Kommentierung hieß? So einfach sollte man es sich nicht machen und genauer hinschauen, womit wir es hier zu tun haben.

 

Ordnung und Harmonie?

In China prägen Konfuzius’ Schriften nach wie vor zwar schwindende, aber grundlegende Einstellungen breiter Schichten zu Staat, Familie und Bildung (während in Deutschland wohl vor allem „Goethe“ als Dichtername präsent ist). Familiensinn, Respekt vor Älteren, verbunden mit der Akzeptanz hierarchischer Strukturen in ihrem reziproken Verpflichtungsverhältnis, große Wertschätzung von Lernen und Bildung – auch als Mittel, um höhere gesellschaftliche Positionen in Staat und Wirtschaft zu erlangen – stehen in einem extremen Spannungsfeld mit der unpersönlichen Dynamik von Wirtschaftsprozessen in China, von Ellenbogen-Konkurrenz und erwachten Konsumbedürfnissen des Einzelnen. Letzteres klingt sehr vertraut. Die Gespräche und Spruchweisheiten von Konfuzius dagegen – in ihrer sprachlichen Form allenfalls Friedrich Nietzsches anekdotischen Sätzen und Aphorismen vergleichbar – werden ihre Fremdheit nicht verlieren. Der Zusammenhang von Ordnung und Harmonie, die Idee einer bleibend gewonnenen, friedvollen Mitte treibt durch unsere Auffassung von Lebendigkeit bereits in sich über sich hinaus.

Die Zerrissenheit zwischen konfuzianischer Tradition und modernen, von international geltenden Regeln und Maßstäben bestimmten Wirtschaftsprozessen spiegelt sich auch in der Arbeit der Konfuzius-Institute wider: Grundlegende Sprachkurse mit in China gültigen Abschlussprüfungen, Vermittlung interkultureller Kompetenzen in Verbindung mit Firmen, mit Sino-Jobs Career Days, ein besonderer Schwerpunkt Lehrerbildung in Göttingen, Ausstellungen in Berlin, Kurse in Kalligrafie und Kochen, Tai Chi-Kurse, Green Economy in China und Einführungen in das chinesische Rechtssystem.

Im Unterschied zu den Kulturinstituten anderer Staaten hat sich Hanban, die staatliche Trägereinrichtung der Konfuzius-Institute in China, entschieden, die Institute jeweils den Instituten für Sinologie an Universitäten zuzuordnen. Sie haben die Rechtsform von eingetragenen, gemeinnützigen Vereinen, die über Kooperationsvereinbarungen mit Universitäten verbunden sind. Die Vereine werden von Hanban mit rund 200.000 bis 350.000 Euro jährlich unterstützt.

Das forschungsorientierte Konfuzius-Institut in Göttingen stellt einen Sonderfall dar. Hier finanziert Hanban zwei Professuren, die über die Didaktik des Unterrichts von Chinesisch als Fremdsprache arbeiten sollen. Die Auswahl folgt den üblichen Regeln bei der Besetzung von Stiftungsprofessuren. Der Geldgeber entscheidet also nicht mit. Hintergrund ist die Tatsache, dass an der Universität Göttingen das Fach Chinesisch im Rahmen der Lehramtsprüfung für das Höhere Lehramt gewählt werden kann, bis hin zum Zweiten Staatsexamen; eine wünschenswerte Professionalisierung des Chinesisch-Unterrichts, wenn man bedenkt, dass zahlreiche Schulen in Deutschland Chinesisch als Fremdsprache bis zum Abitur anbieten. Immerhin gehört Chinesisch neben Englisch zu den am meisten gesprochenen Weltsprachen.

Die Zuordnung der zwei von Hanban finanzierten Lehrstühle zur entsprechenden Fakultät der Universität Göttingen hat allerdings auch zur Folge, dass sie unmittelbar in inneruniversitäre Verteilungs- und Machtkämpfe einbezogen werden. Dies ist der Preis dafür, dass die Konfuzius-Institute keine eigenständigen Einrichtungen sind, sondern über Vereinbarungen mit den Universitäten verbunden. Auch Universitäten bieten leider keine Garantie für rationale Auseinandersetzungen.

Die Vermutung, dass die Konfuzius-Institute beziehungsweise die Vereine entsprechend der staatlichen und politischen Verfassung Chinas zentral gelenkt würden, täuscht. Die Vereinssatzungen unterscheiden sich erheblich voneinander. Gleiches gilt für die Kooperationspartner der Institute. Sie spiegeln, neben der Hauptaufgabe, die chinesische Sprache zu vermitteln, verschiedene Schwerpunkte wider. So sitzen in den Vereinsvorständen je nach Schwerpunkt zum Beispiel Vertreter der Stadt und Universität und Vertreter von Wirtschaftsunternehmen.

 

Zusammenarbeit nur in der Wirtschaft

Auch daran zeigt sich, dass sich die Bedeutung der Volksrepublik China für die Politik und Wirtschaft Deutschlands – auch in den Augen weiter Teile der deutschen Bevölkerung – in den letzten Jahren entscheidend gewandelt hat: von der „gelben Gefahr“ und Kiesingers (mit schwäbischem „K“ gesprochenem) „Ich sage nur China, China, China“ hin zu einem gefragten Partner der Wirtschaft – einem Partner mit einem riesigen Absatzmarkt und rasant steigender Wirtschaftskraft, einem Staat, der eine erhebliche Bedeutung für die Stabilisierung von internationalen, auch deutschen Wirtschafts- und Finanzkrisen (mit allen damit verbundenen Risiken) gewonnen hat. Und das geht weit über Mercedes, BMW und Volkswagen, über deutsche Marken und das Interesse an „Made in Germany“ hinaus. Im Übrigen muss man davon ausgehen, dass sich in einer weltweit verflochtenen Wirtschaft das staatenübergreifende Interesse an beruflicher Karriere und maximalem Gewinn wenig um ideologische Konzepte schert. Demgegenüber verliert die Kritik an den Konfuzius-Instituten, sie dienten einer weltweiten kommunistischen Unterwanderung, ziemlich an Gewicht.

Deutschland genießt hohes Ansehen in China und dadurch eine einzigartige Stellung gegenüber anderen Staaten. Das gilt nicht nur für sprichwörtliche Zuverlässigkeit und für technologische Produkte. Geht man dem nach, stößt man auf Äußerungen wie: Es gebe keinen anderen Staat, der in Philosophie, in Musik und Kunst ähnliche Leistungen von Weltgeltung hervorgebracht habe wie Deutschland. Das gebe es in der angelsächsisch bestimmten Welt nicht. Bach und Beethoven, Kant, Hegel und Marx – wobei das Karl-Marx-Haus in Trier chinesischen Touristen wohl vor allem als Kulisse für Selfies dient. Aber ästhetisches und denkerisches Vermögen in einem Zusammenhang zu sehen, das begegnet einem eben in China. In Deutschland ist dieser Gedanke eher ungewöhnlich, wie auch zum Beispiel der Zusammenhang von Kalligrafie und Gesundheit. Chinesen, die in Deutschland studiert haben, Familien, die über Generationen hinweg mit Deutschland verbunden sind, sind häufig durch ein hochemotionales, emphatisches Verhältnis zu Deutschland geprägt. Emotionen, die anrühren und von einem Deutschland-Bild getragen werden, dem zu entsprechen für einen Deutschen nicht ganz einfach ist.

 

Deutsch-chinesischer Austausch

Deutsche Schulen genießen in China hohes Ansehen, trotz der PISA-Ergebnisse, die von Schülern in Shanghai und Hongkong inzwischen weit übertroffen werden. Und die Universitäten in Deutschland sind für Chinesen nicht nur interessant aufgrund fehlender Studiengebühren. Humboldts Universitätsidee und die exzellenten Forschungsuniversitäten üben eine große Anziehungskraft aus.

China hat erhebliche Anstrengungen unternommen, den Austausch von Schülern und Lehrern zu fördern. Mit Erfolg! Das Interesse deutscher Familien an der chinesischen Sprache und am Schüleraustausch ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, entsprechend wuchs die Zahl der Schulpartnerschaften. Das Bild Chinas hat sich gewandelt. Die abstrakte und irrationale Furcht vor einer „gelben Gefahr“ mit einer völlig fremden Kultur ist einer Mischung von fasziniertem Interesse an Chinas Kultur und einer sehr konkreten und rationalen Sorge um die eigene wissenschaftlich-technologische Stärke und um die Konsequenzen unserer wirtschaftlichen Saturiertheit gewichen. Letzteres zu Recht, denn chinesische Entwicklungen auch im wissenschaftlich-technologischen Bereich sind durch viele hochintelligente Menschen und deren Hunger nach Weiterkommen, durch eine kluge Forschungspolitik und den Einsatz von viel Geld zu einer zunehmend wachsenden Konkurrenz im internationalen Wettbewerb geworden.

Gut 25.000 Chinesen studieren in Deutschland. Das entspricht einer mittelgroßen Universität. Die Kooperation in Wissenschaft und Forschung hat zwischen beiden Staaten ständig auch in qualitativer Hinsicht an Bedeutung gewonnen und wird nicht zuletzt durch regelmäßige Regierungskonsultationen beider Staaten noch weiter verstärkt.

Zu Recht wehren sich Professoren der Sinologie aber gegen die Unterstellung, sie seien durch die Konfuzius-Institute in der Wahrnehmung ihrer Freiheit in Lehre und Forschung beeinträchtigt oder gar korrumpiert. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass Hanban, die chinesische Zentrale, den Versuch unternommen hätte, inhaltlichen Einfluss auszuüben. Selbst die Materialien für den Sprachunterricht kommen nicht obligatorisch von der Zentrale, sondern werden von den Instituten ausgewählt. Dass die Institute kein politisches Forum für Diskussionen über die Rechte der Tibeter und Uiguren darstellen wollen und können, ist nachvollziehbar. Der Vorwurf einer kommunistischen Unterwanderung ist dagegen einigermaßen absurd und unterstellt, Professoren und Studierende der Sinologie in Deutschland seien durch Marx und Engels und eine Staatsidee zu gewinnen, die auf die Verschmelzung von Staat und kommunistischer Partei hinausläuft. Und unter „KBW“ findet man heute das Katholische Bibelwerk und nicht den Kommunistischen Bund Westdeutschland samt Mao-Euphorie.

Das Interesse Chinas an Deutschland ist weit stärker und vielfältiger als das an vielen anderen Staaten. Neben Sprache, Schüleraustausch, Studium und Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung stellen die Konfuzius-Institute eine Chance dar, ein differenzierteres Bild des alten und des jungen China zu gewinnen, als das zuvor möglich war. Die vorhandenen Probleme von Korruption und Rechtsunsicherheit, von Umweltbelastungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit werden nicht aus dem Blick geraten. Dafür sorgen schon die Presseberichte und das Internet. Das enthebt aber nicht der Notwendigkeit, einen klaren Blick auf die Geschichte und Gegenwart Chinas zu gewinnen. In ihrem Rahmen müssen die Konfuzius-Institute hierzu einen Beitrag leisten.

 

Erich Thies, geboren 1943 in Rotenburg (Wümme), Staatssekretär a. D., von 1998 bis 2011 Generalsekretär der Kultusministerkonferenz.

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