Als Vorspeise wurde ein „Nordisches Vorgericht“, danach eine Tasse Ochsenschwanzsuppe, eine Mastkalbskeule gereicht, und zum Nachtisch stand eine Mandel-Charlotte auf dem Menüplan des Presseempfangs im feudalen Hotel „Der Achtermann“ in Goslar. Noch opulenter fiel das Speisenangebot für die ausländischen Gäste aus: nach dem Geflügelsalat die – heute zu Recht verfemte – Schildkrötensuppe, anschließend Tournedos Rossini (Rinderfilet mit Gänseleber, Trüffel und Madeirasauce) und zum Abschluss eine Käseplatte. Das klingt so, als ob es nicht nur eines schlagenden symbolischen Beweises des wachsenden Wohlstandes in Deutschland bedurft hätte, sondern spricht auch dafür, dass sich im gegenüber dem Hotel gelegenen Odeon-Theater vom 20. bis 22. Oktober 1950 ein Ereignis von nationaler und auch internationaler historischer Bedeutung abspielt: der erste Bundesparteitag der CDU.
Goslar 1950
Zum ersten Bundesparteitag der CDU vor 75 Jahren
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Nicht weniger ausgeklügelt mutete die Wahl der Musik an. Zwar mag Goethes Egmont ein Trauerspiel sein, aber die Ouvertüre aus der Feder Ludwig van Beethovens erzählt seit jeher die Geschichte von Unterdrückung, Aufbegehren, dem Kampf für die Freiheit und dem Weg zum Sieg der Libertas. Einen weiteren musikalischen wie auch politischen Markstein setzte ebenfalls das Singen der dritten Strophe des „Deutschlandliedes“ – ein bemerkenswerter Akt, weil das Lied zu diesem Zeitpunkt noch nicht anerkannt war und sich Bundespräsident und Kanzler erst 1952 darauf verständigten, es zur Nationalhymne zu erwählen. Passend dazu zierte der erste Satz der dritten Strophe des „Deutschlandliedes“ „Einigkeit und Recht und Freiheit“ in goldener Schrift den Vorhang hinter der Goslarer Bühne. Als „Hommage“ an den europäischen Integrationsprozess, der erst im Mai mit dem Schuman-Plan Kontur gewonnen hatte, prangte noch darüber ein großes, grünweißes „Europa-E“.
Warum Goslar?
Bemerkenswert war auch die Wahl Goslars als Tagungsort. Heidelberg war als unzerstörte, verkehrsgünstig gelegene Stadt zunächst im Rennen; Berlin schien aus politischen Gründen geradezu unvermeidbar zu sein. Man solle sich, so mahnte der stellvertretende Oberbürgermeister von Berlin, Ferdinand Friedensburg, „nicht in das Idyll von gestern begeben, sondern die harte, nüchterne Gegenwart aufsuchen“. Heidelberg und Berlin fielen durch. Bundeskanzler Konrad Adenauer fürchtete in Sachen Berlin vor allem, dass die CDU nicht in der Lage gewesen wäre, dort geschlossen aufzutreten. Und wenn zwei im Clinch liegen, gibt es fast immer einen lachenden Dritten – in diesem Fall die alte Reichsstadt Goslar, die der ideale Kompromisskandidat war: Wie Heidelberg unzerstört, jedoch als Zonenrandstadt direkt an der „blutenden Wunde Deutschlands“, wie es in der Begrüßung des Vorsitzenden des CDU-Landesverbandes Niedersachsen, Adolf Cillien, hieß. Es mag auch das ausgesprochen gute Verhältnis des niedersächsischen Wirtschaftsministers Otto Fricke zu Konrad Adenauer gewesen sein, das bei der Wahl des Ortes „mitgeschwungen“ hatte.
Die intensiven Debatten im Vorfeld und die sorgfältige Form der Inszenierung widersprachen zumindest vordergründig der Intention Adenauers, den ersten „gesamtdeutschen CDU-Parteitag“ als reine „Arbeitstagung“ und nicht als „politische Demonstration“ zu gestalten. Diese Sorgfalt hatte einen Grund, der in den Betrachtungen zu Goslar seltener zutage tritt: Die Gründung der Bundespartei war keinesfalls nur ein Automatismus, der sich beinahe logisch aus dem Wahlsieg der Union 1949 und der Regierungsbildung ergab. Zwar stand spätestens seit dem Herbst 1948, in dem ein ausgearbeitetes Parteistatut vorgelegt wurde, die Idee einer Bundespartei im Raum, aber letztlich hatte bis in das Frühjahr 1950 der feste Wille dazu gefehlt, auch deshalb, weil es alles andere als ein Spaziergang war, die selbstständigen Landesparteien und ihre selbstbewussten Landesvorsitzenden zusammenzuführen und zugleich die Frage zu klären, ob auch die widerborstige CSU aus Bayern noch in irgendeiner Form integriert werden könne. Und auch der dann 1950 klar und endgültig vollzogene Bruch mit der Ost-CDU und ihrem Vorsitzenden Otto Nuschke brachte Herausforderungen für die Repräsentanz des Ostens in Goslar mit sich.
Tatsächlich ist die Einsicht Adenauers in die immer drängender werdende zeitnahe Notwendigkeit der Konstituierung der Bundespartei, die bei ihm anfangs eher wenig ausgeprägt war, auch ein Krisensymptom dieser Anfangsphase. Adenauer selbst beklagte im Februar 1950, die Bundesregierung sei „noch nicht richtig organisiert und schlagkräftig“, und tatsächlich waren die Herausforderungen dieses Jahres erheblich: Die wirtschaftliche Erholung nach dem Krieg erfuhr Anfang 1950 einen deutlichen Dämpfer. Das Kapital für Investitionen in den „Aufschwung“ war knapp; vor allem mussten Nahrungsmittel importiert werden, weil die Bevölkerungszahlen durch den Zustrom der Vertriebenen angestiegen waren. Beides setzte die marktwirtschaftliche Ausrichtung der CDU unter Dauerfeuer der SPD-Opposition.
Kampf gegen den „Bolschewismus“
Noch dramatischer waren die außenpolitischen Baustellen: Die Saarfrage stellte Adenauers Herzensprojekt der deutsch-französischen Annäherung infrage. Noch gravierender: Mit dem Überfall der nordkoreanischen Truppen auf Südkorea am 25. Juni 1950 drohte aus dem Kalten Krieg eine „heiße“ Auseinandersetzung zu werden, was – gemeinsam mit den Nachrichten über eine entstehende „Ostzonenpolizeiarmee“ – die Frage nach einem westdeutschen Wehrbeitrag virulent machte und damit eine Debatte mit erheblichem innenpolitischem Sprengpotenzial oben auf die Agenda setzte.
Das schwang deutlich im Eröffnungsreferat Adenauers vor den 385 Delegierten und 600 Gästen, nicht zuletzt auch christliche Demokraten aus den Nachbarländern, mit dem programmatischen Titel „Deutschlands Stellung und Aufgabe in der Welt“ mit: Es sei der einzige Weg, den Frieden zu sichern, den Westen stark zu machen, und es werde keinen Krieg geben, „wenn Sowjet-Rußland eine Macht gegenübergestellt wird, die ihm gewachsen ist“. Das christliche Gedankengut der CDU sei eine große Hilfe beim Kampf gegen den „Bolschewismus“. Es werde sich entscheiden, so Adenauer in zeittypischer Pathetik, „ob Freiheit, Menschenwürde, christlich-abendländisches Denken der Menschheit erhalten bleibt oder ob der Geist der Finsternis und der Sklaverei, ob der anti-christliche Geist für eine lange Zeit seine Geißel über die hilflos am Boden liegende Menschheit schwingen wird“.
Gerade die religiös aufgeladene Sprache erfüllte ihren eigenen Zweck, denn die Rede Adenauers gerät auch zu einer Abrechnung mit einem einflussreichen Gegner seiner Politik, dem KZ-Überlebenden und evangelischen Theologen Martin Niemöller, der schon die Gründung der Bundesrepublik in beinahe kulturkämpferischem Duktus kritisiert hatte („In Rom gezeugt und in Washington geboren“) und sich nun vehement gegen jeden deutschen Verteidigungsbeitrag auch im Rahmen einer europäischen Armee wandte. Gustav Heinemann, gerade einmal elf Tage zuvor als erster deutscher Bundesminister aus eben diesem Grund als Innenminister zurückgetreten und noch bis 1952 CDU-Mitglied, fand bei Adenauer keine Erwähnung. Das hätte der vielleicht wichtigsten Botschaft widersprochen, die von Anfang an den Parteitag prägen und als kraftvolle Botschaft im Gedächtnis bleiben sollte: eine geschlossene, schlagkräftige Partei!
Volkspartei und überkonfessionell christlich
In diesem Sinne war es geradezu instrumentell, zwei wichtige Kernmerkmale, die die lokalen Gründungen der CDU so deutlich geprägt hatten und die den revolutionär neuen Charakter der Partei ausgemacht haben, in die nationale Konstituierung zu überführen: Erstens den überkonfessionellen Charakter der Partei, auf den Adenauer in Goslar selbst großen Wert gelegt hatte und der im Bundesvorstand mit fünfzehn Katholiken und zehn Protestanten seinen Niederschlag gefunden hatte. Dass sich die evangelischen Delegierten klar zur Politik des Kanzlers und zur Idee der Union bekannt hätten, das sei, so der Rheinische Merkur seinerzeit, „die augenfälligste und bedeutsamste Ernte der Goslarer Tage“ gewesen. Zweitens: Der Charakter der Volkspartei, die alle Bevölkerungsgruppen, Frauen und Männer, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Stadt und Land ansprechen sollte.
Bei diesem Unterfangen lag der Teufel im Detail: Im ersten Parteivorstand der Bundespartei war – leider zeittypisch – nur eine Frau vertreten, und dieser Makel wurde dadurch verschlimmert, dass die geachtete KZ-Überlebende und Hamburger Bundestagsabgeordnete Margarete Gröwel in den Pressemitteilungen der CDU nachlässig und fälschlicherweise als „Maria Grövel“ aufgeführt wurde. Dabei hatte sich ausgerechnet Adenauer sehr deutlich für Margarete Gröwel ausgesprochen und den Wunsch geäußert, dass die 51-Jährige im engeren Vorstand als „junge frische Kraft“ an seiner Seite mitarbeiten solle. Immerhin – zumindest für die 1950er-Jahre – haben zwei weitere Frauen, Mathilde Gantenberg und Luise Rehling, eigene Referate zum Parteitagsprogramm beigesteuert.
Für die junge Generation trat Josef Hermann Dufhues, Mitbegründer und Vorsitzender der Jungen Union, als Redner in Erscheinung. Er sorgte sich um die staatsbürgerliche Erziehung der Jugend und stellte eine bemerkenswerte Forderung auf, nämlich die Errichtung einer Konrad-Adenauer-Bildungsstätte der Union – ein Schelm, wer dabei nicht gleich an die Politischen Stiftungen denkt.
Was den Ausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen angeht, so stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1950 fest, dass Adenauer auf diesem Feld ebenfalls nichts dem Zufall überlassen habe. Es müssten wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen getroffen werden, die einiges an Festigkeit verlangen würden, und hier könne man aus der Auswahl der Redner einiges schließen. „Über die soziale Frage, die notgedrungen auch die Mitbestimmung umfasst, spricht nicht Arnold, der kluge und zähe Widersacher Adenauers vom linken Flügel der Partei, sondern Gockeln, dessen Haltung mehr vermittelnd ist.“ Dass am Ende nur Jakob Kaiser im Vorstand die Arbeitnehmer vertrat, war ein Defizit.
Für die Belange der Heimatvertriebenen
Zum Volksparteicharakter gehörte gerade in den 1950er-Jahren auch der Umgang mit den Vertriebenen, der einen breiten Raum in Goslar einnahm. Das wurde schon am Fahnenschmuck in der Harzstadt offenbar: An der Straße vom Bahnhof in Goslar bis zum Hotel „Der Achtermann“ prangten nicht nur die Fahnen der Länder im Westen und der Länder in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), sondern auch die Fahnen der Provinzen jenseits von Oder und Neiße, die freilich nicht so einfach zu besorgen waren. Für ihre Belange sprach der „Anwalt der Vertriebenen“, Linus Kather, in Goslar in einem eigenen Referat. Dabei ist durchaus pikant, dass gerade Kather, der Adenauer später vorwarf, die Heimatvertriebenen nur als „Stimmvieh“ zu missbrauchen, in Goslar betonte, dass es ein Fehler sei, die Vertriebenen sich selbst zu überlassen. Davon profitiere nur der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, just jene Partei, der er dann vier Jahre später selbst beitreten sollte, weil er in der CDU seine Ambitionen auf eine steilere Karriere nicht erfüllt sah. Damit stand er fast stellvertretend für die Angst, die die CDU in Goslar erfüllte und die sie lange nicht mehr loslassen sollte – nämlich die Furcht, die Vertriebenen würden radikaleren Parteien zuneigen, wenn sie ihre Erwartungen nicht eingelöst sähen.
Zu einer politischen (und öffentlichen) Kundgebung geriet der letzte Teil des Parteitages unter dem Motto „Deutschland und der deutsche Osten“. Er wurde auch zur berechtigten Bühne für Adenauers parteiinternen „Gegenspieler“ und frisch gewählten Stellvertreter Jakob Kaiser; beide waren in der Frage der Wiedervereinigung demonstrativ um Einigkeit bemüht. Hatte Adenauer noch am Vortag betont, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sei „unser großes Ziel, das wir niemals aus dem Auge lassen und das wir […] auch erreichen werden“, so machte sich fast wortgleich Jakob Kaiser für die „Heimführung der achtzehn Millionen“ Deutschen stark. Die Sowjetunion müsse erkennen, „dass sie bei dem Versuch, Deutschland zu bolschewisieren, auf Granit beißt“. Von geradezu prophetischer Kraft zeigt sich dabei ein Satz des Berliner Abgeordneten Ferdinand Friedensburg, der in Richtung Osten die Verpflichtung betonte, „unsere Wirtschaft so stark zu machen, daß wir am Tage der Befreiung unseren armen Brüdern und Schwestern die volle Wohltat des hier Geleisteten zuteilwerden lassen können“.
Die „Kanzlerpartei“
Dass weder Konrad Adenauer in seinen Erinnerungen noch sein Biograph Hans-Peter Schwarz den Goslarer Parteitag erwähnten, tut seiner Bedeutung nicht nur als Wendepunkt in der Geschichte der CDU, sondern auch für den Adenauer-Mythos keinen Abbruch: Letztlich ist das böse Wort des „Kanzlerwahlvereins“ oder, netter formuliert, der „Kanzlerpartei“, eine Auswirkung von Goslar. Nicht nur, weil damit eine selten unterbrochene Tradition begonnen wurde, dass nämlich der CDU-Kanzler oder die CDU-Kanzlerin auch Bundesvorsitzende oder Bundesvorsitzender der CDU sein würde: Wenn es jemals in der CDU so etwas wie einen Krönungsparteitag gab, dann war es dieser erste Bundesparteitag. Zwar hatte an Adenauer bereits zuvor kein Weg mehr vorbeigeführt, jedoch trug der ganze Parteitag zu einer weiteren deutlichen Stärkung seiner Position im Machtgefüge der CDU bei.
Dass es dieser Stärkung bedurfte, zeigte exemplarisch die verunglückte Wahl seines späteren Amtsnachfolgers Kurt Georg Kiesinger zum geschäftsführenden Parteivorsitzenden, der sich – auch das für die CDU der damaligen Zeit durchaus bemerkenswert – für seine Mitgliedschaft in der NSDAP rechtfertigen musste. Die Popularität des Kanzlers wurde dabei nicht beschädigt. Die Neue Zeitung formulierte etwas ungelenk: Jedes Erscheinen des Bundeskanzlers sei mit einem „die Grenzen konventioneller Höflichkeit weit überschreitenden Beifall“ bedacht worden, und er habe mit seiner Wahl „ein imponierendes und undiskutierbares Vertrauensvotum“ erhalten.
Einmal mehr sei deutlich geworden, dass die CDU „die Partei Adenauers ist“. Eine Partei, die nunmehr nach ihrer „verspäteten Konsolidierung“, wie es Günter Buchstab formuliert hat, nicht nur zur Geschlossenheit nach innen fand, sondern auch ihre Grenzen nach außen, in der Abgrenzung von Radikalen auf der rechten Seite und der SPD auf der linken Seite, abgesteckt hat. Es sind diese Stichworte – Geschlossenheit und die Abgrenzung gegen Radikalismus –, die den „zweiten Akt“ der Parteigründung bis in die Gegenwart hochaktuell machen. Allein schon deshalb hätte das gelegentliche parteigeschichtliche „Stiefkind“ Goslar mehr Aufmerksamkeit verdient, und es ist gut, dass die (Bundes-)CDU dieses Ereignisses im Jubiläumsjahr 2025 besonders gedenken will.
Michael Borchard, geboren 1967 in München, promovierter Politikwissenschaftler, Leiter Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.