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Wachstumskritik und Naturkonsum verbinden sich zu einer selbstgerechten Lebensform

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Zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Phänomene lassen sich derzeit inmitten der von ökonomischen Krisen geschüttelten Gegenwart auf den politischen und publizistischen Bühnen beobachten: Selten zuvor war so viel von „Verzicht“ die Rede, wurde über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg mehr Einmütigkeit bei der Kritik am bestehenden Wirtschaftsmodell demonstriert. Selten zuvor erfreute sich die Realwirtschaft zugleich eines so großen Zuspruchs, wurde die industrielle Basis als Garant von Wohlstand und Beschäftigung gefeiert. Man kann sagen, dass die Industrie aus einem fast weltanschaulichen Moment heraus eine Aufwertung erfährt: Sie hat dem Dienstleistungshype der 1990er-Jahre nicht nur die Stirn geboten, sondern sich einen „realen“, sprich glaubhaften Kern bewahrt.

Die „Ethik des Genug“ zu predigen ist indes wieder en vogue. „Soviel du brauchst“ lautete unlängst das Motto des Evangelischen Kirchentags in Hamburg. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung wählte „Mit Mut und Maß“ zum Slogan seiner diesjährigen Festveranstaltung, bei der auch die Kanzlerin nicht fehlte. „Abschied vom Überfluss“, „Nullwachstum“, „Exit“ und anderes mehr: Selbstanleitungen zur Begrenzung sind so präsent wie selten zuvor. Selbst der Wahlkampf in Baden-Württemberg, der seit März 2011 unter den Vorzeichen Fukushimas stand, sprach viel vom Maßhalten, während im Stuttgarter Umland die Maschinen bis zum Anschlag brummten und die Welt mit Anlagen und hubraumstarken Autos versorgten.

 

Wachstum? Ja, aber das Richtige!

Die Gewissensbisse der Wohlstandsgesellschaft sitzen so tief wie ihr Anspruchsdenken. Grünes Wachstum und smarte Technologien ja, aber Rohstoffimporte lieber nicht. Die gegenwärtig parteiübergreifend betonte Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch ist Ausdruck eines schier unauflösbaren Widerspruchs. Wer deshalb Einspruch gegen Nullrunden oder die Mär von der Substitution eines steigenden Rohstoffbedarfs erhebt, wird auch jenseits der Postwachstumsszene kritisiert. Selbst ökologische Urgesteine wie der ehemalige Grünen-Vorsitzende Ralf Fücks können dies gerade erleben.[1] Mit großer Selbstbestimmtheit scheint festzustehen, was die wahren und die falschen Bedürfnisse sind.

Was aber tun, wenn wie am Beispiel der Klimapolitik die Chancen auf internationale Vertragswerke sinken oder der Emissionshandel in Europa an seine Grenzen gerät?

Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit und einem gleichzeitig anschwellenden „naturnahen“ Konsum in Gestalt von dezentralen Energieanlagen, Bioprodukten und einer „Outdoor“-Lifestyle-Industrie mit Marken wie „The North Face“ oder „Jack Wolfskin“ (einer der Unterstützer des Kirchentags in Hamburg) kanalisiert sich in der Formel der „Privatisierung der Nachhaltigkeit“, von der der Karlsruher Technikfolgenforscher Armin Grunwald spricht.[2]

Damit ist die Vorstellung gemeint, durch korrekten oder „naturnahen“ Konsum einlösen zu können, was die Politik schuldig bleibt. Jeder kann etwas tun, lautet die Botschaft, von der CO2-neutralen Einkaufstüte bis zur energiesparenden Waschmaschine, die eine andere verdrängt (wir tappen täglich in die Reboundfalle). Der Einzelne wird ermuntert, zu richten, was staatliche Diplomatie nicht bewerkstelligt. Es ist die Illusion, die im Gefühl der eigenen Genugtuung verkennt, wo die tatsächlichen Hebel für die Lösung globaler Probleme stecken – und dass der Glaube an Institutionen und Behörden dadurch weiter sinkt wie die Zahl der Kirchensteuerpflichtigen.

 

Für die Natur konsumieren

Ob die Lösungen einer Nischenlandwirtschaft oder vermeintlich „energieautarker“ Dörfer etwas mit bezahlbaren und vom Willen der Natur unabhängigen Lösungen für Großstädte zu tun haben, ist da zweitrangig. Vor allem der eigene Mikrokosmos soll verantwortlicher werden.

Auch sonst hat sich die urbane Nachhaltigkeitsboheme von der Grundsätzlichkeit und Gemeinwohlorientierung der frühen Ökoaktivisten weit entfernt. Wer heute einen Biosupermarkt aufsucht, wird sich verwundert die Augen reiben, wie wenig vom Gedanken des sprichwörtlichen „Sonntagsbratens“ geblieben ist. Die „LPG“ in Berlin etwa wirbt damit, dass sie mit über 18.000 Artikeln eine Auswahl an Bioprodukten biete, die in Europa ihresgleichen suche. „So findest Du bei uns nicht nur eine Vielzahl an kulinarischen Spezialitäten und eine riesige Auswahl an biologischen Weinen, sondern beispielsweise auch Bio-Kosmetik in Hülle und Fülle.“[3]

„Hülle und Fülle“, 18.000 Artikel? Ging es nicht um eine andere Form des Wirtschaftens und Konsumierens, um weniger Transport und Lagerung, um die Wiederentdeckung des Wesentlichen?

Dass die Sprache auch hier in einem seltsamen Verhältnis zum Gegenstand steht, mag für einen in der ehemaligen DDR aufgewachsenen Betrachter mehr als ein Bonmot sein – weckt „LPG“ doch die Assoziation zu hemmungslosen und unter Missachtung der Natur auf Plan soll getrimmten Agro-Großbetrieben der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Aber das scheint die Kunden von „Europas größtem Biomarkt“ nicht zu stören. Man zelebriert den Konsum nicht anders als die konventionellen Discounter und hat entsprechende Labels gefunden, um am Ende nicht verzichten zu müssen.

Wer will, mag darin eine Blaupause der Gesellschaft erkennen. Wir sprechen wieder viel über das Private, über das richtige, weil zuckerfreie Müsli für die eigenen Kinder, bei deren Zukunft auch sonst wenig dem Zufall überlassen wird. Wo am Beginn der 1980er-Jahre politische Verantwortung und, nun ja, auch der von Atomwaffen bedrohte Weltfrieden standen, geht es heute geradezu biedermeierlich zu. Von der Kritik am Netzausbau über die Ökostrom-Rendite bis zum CO2-armen Urlaub und zum Erwerb hochwertiger Produkte dreht sich alles um eines: das eigene Ich.

 

Virtuelle Landlust

Als ich ein Kind war, gab es einen Werbeslogan für Fischstäbchen, der die große Welt verhieß: „Er kommt von weitem übers Meer und bringt uns unseren Fisch hierher / für uns hat er die ganze Welt bereist.“ Wer würde heute noch so texten lassen? Wir schauen verbissen aufs Regionale, das noch vor wenigen Jahren als verpönt galt, halten den weltweiten Handel für problematisch – und sind doch von ihm abhängig.

Überhaupt: das Land. Nach nichts scheinen sich die Deutschen derzeit mehr zu sehnen. Niemand will aber noch dort leben. Die Landflucht hält unvermindert an, eine wahre Stadtlust hat gerade bei den älteren Deutschen eingesetzt. Sie verstehen das Land und die Natur mit all ihren Schattenseiten auch jenseits der Katastrophennachrichten etwa über das Hochwasser deshalb immer weniger: Lag der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen vor hundert Jahren noch bei vierzig Prozent, sind es heute zwei Prozent.

Das mit den Fischstäbchen war übrigens zur selben Zeit, als man noch damit warb, dass ein Kinderquark „so wertvoll wie ein kleines Steak“ sei. Möglichst kalorien- und fettarm soll das Essen heute sein, vor der Tür und saisonal erzeugt, am besten nur das nutzend, was die Natur uns zu geben bereit ist – ein modernes Märchen, dem wir gern anhängen. Kein Biomarkt macht derweil wirklich ernst und richtet sein Angebot an Jahreszeiten, Missernten, Hagelschlägen, Dürreabschnitten, der Krautfäule, dem Kartoffelkäfer, sprich: dem Willen der Natur aus. Wir wollen alles zu jeder Zeit, nur eben bio. Und sei es aus Patagonien.

Dass die deutschen Käufer das unter dem Strich kaum berührt, zeigt nicht nur eine unlängst von der Universität Bonn veröffentlichte Studie, nach der jedes zweite in deutschen Bioläden verkaufte Produkt mittlerweile importiert werden muss. Das Geschäft mit der Heimat und den Attributen der guten Natur boomt auf allen Ebenen – als virtuelle Weltflucht in Magazinen wie Landlust mit seinen unzähligen Nachahmern wie Mein liebes Land, Mein schönes Landleben und so weiter nicht minder als beim Brotkauf.

 

Naturbewegung und Preußentum

„Wir haben den Heimatbegriff neu belebt“, sagte Renate Künast vor einigen Wochen auf der Feier anlässlich des Einzugs der Grünen in den Deutschen Bundestag vor dreißig Jahren. Damals überreichte Grünen-Chefin Petra Kelly dem neu gewählten Bundeskanzler Helmut Kohl einen Tannenzweig anstelle von Blumen. Ökologisch zu denken hieß auch, sich bewusst neben die bürgerliche Gesellschaft und ihre tradierten Symbole zu stellen. Heute ist das ganz anders.

„Natur“ und „Heimat“ waren in Deutschland dabei immer schon Synonyme für Gemeinschaft. Anders als mancher meint, sind die Deutschen eben nicht nur Kinder der Romantik, sondern auch des Industriezeitalters und der staatlichen Erziehung zu Sparsamkeit, Strenge, Pflichterfüllung in den Wander-, Sing und Heimatvereinen. Nicht zufällig steht die Naturbewegung im Zusammenhang mit dem Aufstieg Preußens im neunzehnten Jahrhundert und der Pädagogik des Wilhelminismus. Und heute? Vielleicht ist die Geschichte noch sehr lebendig. Sich in gewissen Vierteln dem Straßencafé oder Bäcker mit einem rasselnden Dieselmotor zu nähern, kann Fragen evozieren. Die Sorge um die Umwelt ist anfällig für Normen. Vor allem dann, wenn sie sich mit Angst oder einem besonderen Ordnungssinn paart.


Andreas Möller, geboren 1974 in Rostock, Leiter des Hauptstadtbüros der Aurubis AG. Autor des Buches „Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird“.
 

[1] Ralf Fücks: Intelligent wachsen. Die grüne Revolution, Carl Hanser Verlag, München 2013.

[2] Armin Grunwald: Ende einer Illusion. Warum ökologisch korrekter Konsum die Welt nicht retten kann, oekom Verlag, München 2012.

[3] www.lpg-naturkost.de/#unser-angebot (letzter Seitenzugriff: Juni 2013).

 

Zum Weiterlesen

Andreas Möller: Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird, Carl Hanser Verlag, München 2013.

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