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Neue Wege zum Berufsabschluss

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Befragt man Jugendliche in Deutschland nach ihrer Zukunft, so zeigt sich in allen aktuellen Untersuchungen eine positive Grundstimmung. Die guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und der demografische Wandel, der ihre Arbeitskraft aufwerten wird, sorgen für Zuversicht unter den Jugendlichen.

Die heutigen Jugendlichen präsentieren sich kontrolliert, vernünftig und zielstrebig. Dabei stehen Bildung, Karriere und ein gutes Einkommen hoch im Kurs. Das gilt aber nicht für alle. Wie die PISA-Studien in den letzten Jahren zeigen, wird die Bildungsorientierung der Jugendlichen stark von dem Bildungsniveau der Eltern, deren sozioökonomischem Status und der ethnischen Herkunft beeinflusst. Gerade auch die Frage, ob ein Migrationshintergrund vorliegt, wirkt sich darauf aus, wie erfolgreich die Schullaufbahn durchschritten und beendet wird. Die erfreuliche persönliche Zuversicht der Mehrheit der Jugendlichen lässt diejenigen erst recht in einer Verliererposition erscheinen, die in schulischer und beruflicher Ausbildung schlecht abschneiden.

Dabei beginnen die Leistungsunterschiede bereits in der Grundschule. Kinder aus bildungsfernen Familien, in denen es nur wenige Bücher gibt, gehen bereits mit einem Leistungsrückstand von bis zu einem Jahr an den Start. Wie der internationale Leistungsvergleich der IGLU- und der TIMSS-Studie von Dezember 2012 zeigt, ist in den Disziplinen Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule eine Risikogruppe von fünfzehn bis zwanzig Prozent der Schülerschaft erkennbar, der am Ende für die weiterführenden Schulen wichtige Basisfähigkeiten fehlen und die es schwer haben wird, eine erfolgreiche Bildungskarriere einzuschlagen. Kinder mit Migrationshintergrund schneiden überall deutlich schlechter ab als ihre Altersgenossen ohne Migrationshintergrund.

 

Ränder der Leistungsgesellschaft

Wie die PISA-Studien und Shell-Studien verdeutlichen, ist ein starkes Gefälle nach sozialer Herkunft im Blick auf Bildungsaspiration, Schulerfolg und persönlicher Zuversicht bei der Gestaltung der Zukunft zu erkennen. Laut Shell-Ergebnissen gehören zwanzig Prozent zu den zögerlichen, resignierten und unauffälligen Jugendlichen, die keinen großen Erfolg in Schule und Ausbildung vorweisen können, sich aber mit ihrer gegenwärtigen Lebenslage abgefunden haben. Ebenfalls zwanzig Prozent machen die erfolglosen „robusten Materialisten“ aus. Sie wollen zwar einflussreiche Positionen bekleiden und dabei das Leben genießen, ihre leistungsmäßigen und sozialen Kompetenzen reichen dafür allerdings nicht aus.

Diese Jugendlichen sieht die Shell-Studie am Rande der Leistungsgesellschaft. Vor allem Jugendliche ohne Schulabschluss oder die 1,7 Millionen Jugendlichen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung gehören zu einer Gruppe von Jugendlichen, die kaum Möglichkeiten für eine berufliche Laufbahn sehen.

Seitdem sich Deutschland an den PISA-Studien beteiligt, zeichnet sich eine Risikogruppe ab, der es nicht gelingt, in den Berufsbereich zu münden, da sie die Anforderungen des Übergangs in den Beruf nicht bewältigen kann. Je nachdem, wie man misst, lässt sich das Potenzial der bildungsarmen Jugendlichen in Deutschland auf acht Prozent (Schulabbrecher/-innen) bis zwanzig Prozent (PISA-Risikogruppe) eines Jahrgangs beziffern. Diese Zahlen entsprechen überschlägig gerechnet bis zu 150.000 jungen Menschen, die jedes Jahr nur eingeschränkt ausbildungsfähig den Arbeitsmarkt erreichen. Jugendliche Misserfolgskarrieren häufen sich vor allem bei Jugendlichen ohne Schulabschluss und mit Hauptschulabschluss. Hinzu kommt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund geringere Kompetenzwerte als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund aufweisen.

„Aber wenn sie zu uns in die Schule kommen, haben unsere Schüler/-innen schon viel erlebt, schwierige familiäre Geschichten, Geschichten von Migration, Flucht, Arbeitslosigkeit, auch von Gewalt. Und wir verlangen von ihnen, dass sie einfach funktionieren“ (Hauptschullehrerin). Sie funktionieren jedoch nicht, sind oft phlegmatisch, ängstlich, desinteressiert, ohne Biss – und so ernten sie in der Schule Misserfolge. Manche resignieren vollends. Ein Teufelskreis entsteht.

Zwar wirkt ein ganzes Bündel unterschiedlicher Faktoren auf den Lern- und Entwicklungsprozess der Jugendlichen ein, doch gehören die Mitgift „Familie“ sowie die Peergroup zu den prägendsten Einflüssen. Alltagsbewältigung, familiäre Orientierung, Peergroup, soziale Einbindung und die konkreten individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen wirken ineinander und beeinflussen die persönliche Entwicklung und die Bildungsbiografie der Jugendlichen.

Gerade die Frühadoleszenz, das Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren, ist zur wichtigen Schaltstelle in der Haltung von Schülern gegenüber Schule und Lehrern geworden. Manche Lehrer sehen diese Phase bereits in der Altersspanne zwischen zehn und zwölf Jahren. Die Schüler gehen in diesem Alter in eine deutlich stärkere Distanz zur Schule; ihr positiver Schulbezug sowie auch die Akzeptanz der Lehrer gehen zurück, damit verbunden die Schul- und Lernfreude.

 

Schule vor neuen Herausforderungen

Demgegenüber gewinnen Peergroups und jugendkulturelle Welten an Bedeutung und Einfluss. In diesem Alter bilden sich auch schuldistanzierte Milieus heraus, in denen die Schuldistanz durch die Peers Anerkennung findet und somit der Selbstwert der Jugendlichen gestärkt wird. Schule und Bildung erfahren eine Konkurrenz durch die Anerkennung der Peers. Das hat wiederum Rückwirkungen auf die Schule beziehungsweise den Unterricht. Es kommt zur jugendkulturellen Durchdringung der Schule – mit der Folge, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den von der Schule geforderten Leistungen und der jugendlichen Eventkultur entsteht. Verschärft wird diese Spannung durch die Entwicklung vom Bildungsprivileg zum Bildungszwang. Den Jugendlichen ist durchaus bewusst, dass ein erfolgreicher Bildungsabschluss die Voraussetzung für eine spätere erfolgreiche Teilnahme am Arbeitsmarkt ist.

International zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Soziale Ungleichheit, geschlechtsspezifische und ethnische Segregation, Armut, Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsmarktlage bilden ein Geflecht der Benachteiligung, mit dem eine Reihe von modernen Gesellschaften zu kämpfen haben. „Good-Practice-Center“ versuchen, über international bestehende Lernpartnerschaften und Kooperationen die effective measures of school-to-work-transition zu analysieren und daraus Konsequenzen zu ziehen. Persönliche und strukturelle Faktoren summieren sich zu einem Zusammenspiel, das in biografischen Verläufen Lern- und Bildungsprozesse befördert oder behindert. Eltern und Peers sind genauso wie Schule und Medien in diesen Prozess involviert. In der Schule entwickeln sich beispielsweise aus diesem Konglomerat Anerkennungsproblematiken, die jugendliche Risikoschüler dazu veranlassen, sich von schulischen Bildungsprozessen ganz bewusst zu distanzieren, nicht nur über schulischen Absentismus, sondern auch durch schulisches Stören oder mit schlechten Abschlüssen.

Die zwanzig Prozent „robusten Materialisten“ unter den Jugendlichen (Shell-Studie) sind durch ein niedriges Niveau von Leistungsfähigkeit und schulischer Abschlusskompetenz gekennzeichnet. Viele von ihnen haben sich bereits während der Schulzeit aufgegeben. Sowohl in fachlicher als auch in sozialer und persönlicher Hinsicht sind die Jugendlichen in ihrer Entwicklung weit zurück. Geringe Selbstständigkeit, Unzuverlässigkeit, geringe Lern- und Leistungsbereitschaft, niedrige Ausdauer und ungenügendes Durchhaltevermögen kennzeichnen diese Jugendlichen. Das sind in der Ausbildung belastende Dauerthemen der Ausbilder.

Zahlreiche Studien zeigen, dass eine Gruppe von zwanzig Prozent der Jugendlichen nicht mithält. Bei jedem fünften Jugendlichen ist ein soziales Deklassierungsdenken zu erkennen. In der Mehrzahl sind es junge Menschen aus bildungsfernen Schichten und zerrütteten Familien. Diese Jugendlichen hatten bereits in der Schule das Gefühl, abgehängt zu sein.

Allerdings verbessert der demografisch bedingte Rückgang der Schülerzahlen mit einer als problematisch einzustufenden Bildungsbiografie die Ausbildungssituation der Jugendlichen. Der demografische Wandel allein wird es allerdings nicht richten. Um zu verhindern, dass die Gruppe der Geringqualifizierten weiter wächst, steht die schulische und berufliche Bildung vor neuen Herausforderungen. Dabei ist bereits ein Training von Soft Skills in der Grundschule von Bedeutung. Wie amerikanische Programme zeigen, können persönliche und soziale Fähigkeiten in der Grundschule erfolgreich vermittelt werden.

 

Erfahrungen positiver Selbstwirksamkeit

Betrachtet man im Nachhinein die gescheiterten Bildungsbiografien von Jugendlichen, dann ist festzustellen, dass viele dieser Jugendlichen zwischen zwölf bis vierzehn Jahren der Schule „verloren“ gegangen sind. Die Pädagogen in den Schulen stellen fest, dass die Jugendlichen mit dem „Normalmodell“ Schule kaum zu erreichen sind. Daher ist über neue Lernformate nachzudenken, die praktisches Arbeiten und Lernen verbinden. Mit dem „produktiven Lernen“ wird Kindern und Jugendlichen eine Alternative zu den kognitiv ausgerichteten Lernsettings angeboten, die ihnen zu Erfahrungen positiver Selbstwirksamkeit verhelfen könnten.

Neben einer Begleitung in der Schule und einer assistierenden Betreuung in der Ausbildung sind diese Jugendlichen, die mehrfach Risiken in ihrer Entwicklung ausgesetzt sind, auf eine enge Zusammenarbeit von verschiedenen Institutionen angewiesen. Konkret plädiert die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrem Reformansatz (siehe Literaturhinweis) für die Einführung einer Jugendagentur, in der die relevanten Akteure unter einem Dach zusammenarbeiten, ohne dass sie ihre Herkunftsbehörde aufgeben müssen. Diese Jugendagenturen wären für die gesamte Fallsteuerung zuständig. Denn die vorhandene Unübersichtlichkeit der zahlreichen Maßnahmen ist für den Jugendlichen wenig hilfreich. Die Bündelung und Steuerung der Maßnahmen, eine frühe Berufsorientierung und ein praxisorientiertes Lernformat sowie eine assistierte Ausbildung sind wichtige Unterstützungsmaßnahmen, die den Jugendlichen mit Startschwierigkeiten den Weg zu einem erfolgreichen Berufsabschluss ermöglichen.

 

Christine Henry-Huthmacher, geboren 1955 in Saarbrücken, Studium des Sozialrechts, der Sozialpsychologie und Soziologie, Koordinatorin für Bildungs-, Familien- und Frauenpolitik in der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.


Literatur

Christine Henry-Huthmacher / Elisabeth Hoffmann (Hrsg.): Der erfolgreiche Weg zum Berufsabschluss – neue Reformvorschläge, Sankt Augustin / Berlin 2011.