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Über die Neujustierung der Konsumentenfreiheit

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Konsum und persönliche Lebensgestaltung gehören zusammen. Sie sind Komponenten der wirtschaftlichen Grundrechte. Ludwig Erhard hat 1957 in seiner Schrift Wohlstand für Alle formuliert, dass die Freiheit des Staatsbürgers auch darin bestehe, „das zu konsumieren und sein Leben so zu gestalten, wie dies – im Rahmen der finanziellen Verfügbarkeiten – den persönlichen Wünschen und Vorstellungen des einzelnen entspricht“.

Diese grundgesetzlich abgesicherte Konsumentenfreiheit nutzen die Deutschen ausgiebig. Auch im laufenden Jahr ist nach Angabe der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg mit steigenden Ausgaben zu rechnen.

2012 flossen vom durchschnittlich verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 2.922 Euro circa 75 Prozent in den Konsum – für Ernährung, Wohnen, Bekleidung, Reisen und Freizeit. Insgesamt beliefen sich die privaten Konsumausgaben in jeweiligen Preisen auf 1,52 Billionen Euro.[1] Circa fünfzehn Prozent wurden für nicht-konsumtive Zwecke, das heißt etwa für Versicherungsbeiträge, Zinszahlungen für Kredite oder Unterhaltszahlungen, verwendet. Zehn Prozent des verfügbaren Einkommens dienten der Ersparnisbildung.[2]

 

Macht Kaufen noch glücklich?

Vor allem wegen der besonders hohen Beschäftigtenzahl von 41,9 Millionen (viertes Quartal 2012) haben die Deutschen durchschnittlich mehr Geld in der Tasche – zumal 2012 die Tariflöhne mit 2,7 Prozent so stark stiegen wie seit drei Jahren nicht mehr. Das wirkt sich positiv auf die Kaufkraft aus. So positiv diese Entwicklungen sind, manch einer scheint sich nicht wirklich darüber zu freuen. Konsum hat in manchen Kreisen etwas Despektierliches erhalten. Vor allem wird gefragt, ob Konsum wirklich „glücklich“ macht und ob er unsere Lebensgestaltung wirklich verbessert.

Nimmt man allein die deutsche Kaufkraftentwicklung oder die Ausstattung der Haushalte mit Gebrauchsgütern zur Grundlage, dann geht es uns heute enorm viel besser als vor Jahrzehnten: „Die Kaufkraft der Nettostundenverdienste hat sich im Nachkriegsdeutschland mehr als verfünffacht: Ein Warenkorb, der 1950 noch dem Gegenwert einer vollen Stunde Arbeit entsprach, ist heute bereits nach elf Minuten verdient.“[3] So sind beispielsweise inzwischen rund neunzig Prozent der privaten Haushalte in Deutschland mit einem Mobilfunktelefon ausgestattet. Ökobilanztechnisch ist darin wohl kein Fortschritt zu sehen. Allgemeine Freude herrscht hingegen mit Sicht auf die Lebensqualität darüber, dass sich die Arbeitszeiten in den letzten Jahren deutlich zugunsten von mehr Freizeit reduziert haben. Dass diese Entwicklung, die gewiss auch einen Wohlstandsgewinn darstellt, in offiziellen Statistiken bisher kaum Berücksichtigung findet, wird zu Recht kritisch angemerkt.

Dabei ist das Verständnis des Konsumbegriffes nicht rein materiell und individuell bestimmt. Zwar bedeutet er, „wirtschaftliche Güter und Dienstleistungen zu erlangen und privat zu nutzen“, und bezieht sich „auf die Einkommensverwendung, die Marktentnahme und Nutzung von Konsumgütern“. Zugleich sind dies nicht „einfach isolierte Entscheidungen eines Individuums. Vielmehr ist der Konsum hinsichtlich der Bedürfnisse, der Produkte und der Ausrichtung auf andere Personen sozial geformt, er entwickelt sich in Abhängigkeit von individueller Sozialisation, Trends und Moden.“[4]

 

Überforderung beim Konsum

Wer von Konsum spricht und damit nur eine zufriedenstellende Konsumgüterausstattung der Haushalte versteht, greift in der Tat zu kurz. Gesellschaftliche Einflüsse spielen ebenso eine Rolle. Sie führten ganz offensichtlich dazu, dass auch der wirtschaftlich freie Staatsbürger der Zeiten Erhards ein anderer war als der von heute. Der Verbraucher ist sich seiner Verantwortung bei Konsumentscheidungen gewiss deutlich bewusster, als es früher der Fall war – ohne allerdings stringent danach zu handeln. Wenn man es sich leisten kann, steigt man eben doch ins Flugzeug, um privat zu verreisen.[5] Im Geschäft bleibt der Preis oft das ausschlaggebende Argument. Dennoch steigt der Druck, bei der Herstellung von Bekleidung beispielsweise bestimmte Standards einzuhalten. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder auch bestimmte Formen der Nahrungsmittelproduktion und Nahrungsmittelbehandlung werden zunehmend abgelehnt. Man fordert mehr Transparenz entlang der Wertschöpfungsketten und hinterfragt – oft abstrakt – Essgewohnheiten und Mobilitätsformen.

Es scheint also, als stünden Verbraucherfreiheit und Verbraucherverantwortung vor einem neuen und prekären Spannungsverhältnis: Soll man beispielsweise das neueste Smartphone erwerben, obwohl man um die mangelnden Arbeitsstandards bei Zulieferern weiß? Mindestens steht der Verbraucher mehr denn je vor der Aufgabe, Informationen einzuholen und zu bewerten, um verantwortlich entscheiden zu können. Allerdings ist fraglich, ob das bei der Vielzahl alltäglicher Konsumentscheidungen zeitlich und sachlich überhaupt möglich ist.

Der Otto Normalverbraucher beantwortet dieses Dilemma mit einem ökologisch ambivalenten Patchwork-Lebensstil. Er trennt den Müll, kauft als Stadtmensch möglichst Bioprodukte, prüft aber nicht in gleichem Maße andere Kaufgewohnheiten. Wie verlockend ist da der Ruf nach der Politik, die die schwierige Entscheidungsfindung des überforderten Verbrauchers mit einer Regel- und Kontrollflut, besonders aber durch Preissteuerung strukturieren könnte. Wir erkennen heute, dass der einstige Versuch von „fünf D-Mark pro Liter Normalbenzin“ keine Absurdität war – und gehen nicht jüngste Debatten um eine Plastiktütensteuer in dieselbe Richtung? Es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich der Verbraucher schnell in einem System wiederfinden könnte, in dem von Konsumfreiheit nicht mehr viel übrig bliebe!

Zu bedenken ist auch, dass niedrige Preise – besonders im Bekleidungs- und Lebensmittelbereich – nicht generell von Übel sind. Gerade die Volksparteien sollten darauf bedacht sein, dass den Menschen mit geringen Einkommen nicht ein überzogenes Qualitäts- und Nachhaltigkeitsbewusstsein aufgedrängt wird, das sie sich nicht leisten können und auf das sie – und nicht nur sie – teilweise schon genervt reagieren.

 

Auf dem Weg zum „Tugendstaat“?

Missionarischer Eifer ist im politischen Raum fraglos hinreichend vorhanden. ZEIT-Redakteur Jan Ross sprach vom „Tugendstaat“, der „nicht einfach Vorschriften (das tut jeder Staat)“ erlässt, „er will mit einem immer perfekteren Ensemble von steuernden Eingriffen seine Bürger moralischer, gesünder und umweltbewusster machen“ – und dies mit einer „besserwisserischen, gouvernantenhaften Tendenz“, die beunruhige.[6]

Ludwig Erhard würde es wohl ähnlich sehen und sekundieren, dass die Konsumenten niemanden brauchen, der ihnen ihre Entscheidungen abnimmt, wohl aber Unterstützung und Befähigung, um verantwortliche Konsumentscheidungen treffen zu können. In einer unübersichtlicher werdenden Welt kosten Freiheit und Mündigkeit mehr als vorher, deswegen darf man jedoch den Anspruch auf Freiheit und Mündigkeit nicht gänzlich aufgeben.

Die gute Ausstattung mit materiellen Gütern bleibt eine der Grundvoraussetzungen für ein gutes Leben, auf die eine weitsichtige, marktorientierte Wirtschaftspolitik hinwirken muss. Dem steht nicht entgegen, dass neu darüber nachgedacht werden sollte, in welchem Verhältnis Arbeit und Freizeit, materielle Güter und immaterielle Werte stehen. Ludwig Erhard hat das in einer vollkommen anderen historischen Situation bereits angeregt: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, daß zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen ‚Fortschritt‘ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen. Hier ist dann aber nicht mehr nur der Wirtschaftsminister, sondern in gleicher Weise der Theologe, der Soziologe und der Politiker angesprochen.“[7] Im Kern ist dieser Gedanke in die Arbeit der 2009 eingerichteten Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ eingegangen. Ihre Ergebnisse werden bis zum Ende der Legislaturperiode wissenschaftlich untersucht.[8]


David Gregosz, geboren 1983 in Leinefelde, Koordinator für Internationale Wirtschaftspolitik, Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

[1] Statistisches Bundesamt (2013): Pressemitteilung vom 15.03.2013 – 105/13.  www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/03/PD13_105_811pdf.pdf?__blob=publicationFile.
[2] Vergleiche Statistisches Bundesamt (2011): Datenreport 2011. Kapitel 6. Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung, Seite 137 ff.
[3] IW Köln (2010): Wohlstand in Deutschland. IW-Dossier Nr. 3 vom 3. Mai 2010, Seite 4.
[4] Birgit Weber (2010): Konsum in der sozialen Marktwirtschaft. In: Haushalt – Markt – Konsum. Informationen zur politischen Bildung. Nr. 308. 03/2010, Seite 46.
[5] Das betrifft insbesondere Menschen mit höheren Haushaltseinkommen (die erfahrungsgemäß mit höheren Bildungsabschlüssen einhergehen). Studien belegen, dass sie sich trotz ihrer vergleichsweise hohen Bildungsniveaus umweltschädlicher verhalten als Befragte mit niedrigerem Haushaltseinkommen. Die Bezieher niedrigerer Einkommen fahren zum Beispiel deutlich weniger mit dem Pkw, nutzen seltener privat oder geschäftlich das Flugzeug oder machen seltener Reisen zu entlegenen Zielen.
[6] Jan Ross, (2011): „Verschont uns!“, in: Zeit-Online, 31.05.2011: www.zeit.de/2011/22/Tugendstaat-Liberalismus.
[7] Ludwig Erhard (1957): Wohlstand für Alle, Düsseldorf, Seite 233.
[8] www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/index.jsp.

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