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Rechte Positionen in der CDU?

von Kristina Schröder

Vorschläge zur Abgrenzung des politisch Legitimen

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Es ist die Aufgabe von Parteien, als Transmissionsriemen zwischen Bevölkerung und Staat zu wirken – darüber besteht weitgehend Einigkeit. Der Anspruch des Bürgers ist dabei: Seine Position soll von einer Partei vertreten werden und damit im politischen Diskurs eine Rolle spielen. Alle Parteien, die auf dem Fundament der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, haben somit gemeinsam die Aufgabe, alle Positionen, die von Bürgern innerhalb dieses Spektrums in nennenswerter Anzahl vertreten werden, aufzunehmen, zu integrieren und zu artikulieren.

Natürlich ist dennoch jede Partei programmatisch frei. Sie muss bei einer Verschiebung oder Verengung ihres inhaltlichen Spektrums jedoch damit rechnen, dass sich andere Parteien etablieren. So kam es in der deutschen Parteienlandschaft zunächst links, dann rechts zur Etablierung der Linkspartei beziehungsweise der Alternative für Deutschland (AfD).

Eine derartige Entwicklung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Zahl der Wähler der sich programmatisch verengenden Partei insgesamt sinkt. Unter Umständen lassen sich in der Mitte tatsächlich mehr Stimmen gewinnen, als links oder rechts verloren gehen. Dennoch ist eine solche Entwicklung demokratietheoretisch problematisch. Bürger, die linke oder rechte Positionen vertreten, aber eben nicht linksradikale oder rechtsradikale, und sich damit zweifelsohne mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung identifizieren, haben drei Möglichkeiten: eine Partei zu wählen, von der sie sich nicht mehr gehört fühlen, gar nicht zu wählen oder eine Partei zu wählen, deren moderater Flügel zwar ihre Positionen vertreten mag, deren radikaler Flügel aber zentrale Grundwerte unserer Gesellschaft infrage stellt. Diese Problematik zeigt sich auf der rechten Seite des Parteienspektrums wesentlich schärfer, da in der AfD inzwischen extremistische Kräfte deutlich stärker sind als in der Linkspartei.

Vielfach wird daher gefordert, dass die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) sich wieder stärker gegenüber rechten politischen Positionen öffnen soll – auch von der Autorin, die sich selbst diesem Flügel nicht zurechnet. Dies ist jedoch ein anspruchsvolles Unterfangen, sowohl in der Außenwahrnehmung als auch inhaltlich. In der Außenwahrnehmung wird sich die CDU bei einer Reintegration des rechten politischen Spektrums mit Kritik auseinandersetzen müssen. Diese Kritik wird mit moralischer Wucht formuliert werden. Denn sie fußt auch auf einer zweifachen Neudefinition des politisch Legitimen, die in den letzten beiden Jahrzehnten stattfand.

Ein antitotalitärer Konsens war für die Gründung der Bundesrepublik Deutschland konstitutiv. In den 1950erund 1960er-Jahren wussten viele noch aus eigener Erfahrung, was Hannah Arendt meinte, wenn sie eindrücklich beschrieb, dass Nationalsozialismus und Stalinismus bei allen Unterschieden notwendig auf die „Ausscheidung von ‚Schädlichem‘ oder Überflüssigem zugunsten des reibungslosen Ablaufs einer Bewegung hinauslaufen“. Die erbarmungslose „Herrschaft des Terrors“, die daraus folgte, war für die jüdische Theoretikerin, die 1933 vor den Nazis floh, ein Element totaler Herrschaft. Nationalsozialismus und Stalinismus hielt sie für „Variationen des gleichen Modells“, und dieser Geist prägte die junge Bundesrepublik.

Mit der 68er-Bewegung wurde dieser Konsens erstmals in größerem Umfang angegriffen. Der Feind stand rechts und saß im Zweifel in Gestalt des eigenen Vaters am Küchentisch. Ho Chi Minh, Mao und Che Guevara waren die umjubelten Popstars der Bewegung, und man kann zugunsten dieser jungen Akademiker nur hoffen, dass im antiimperialen Kampf schlicht zu wenig Zeit blieb, sich mit dem Denken und Wirken dieser Figuren wirklich auseinanderzusetzen. Zwanzig Jahre später brach der Kommunismus zusammen, und der antitotalitäre Konsens erlebte eine letzte Blüte. Die Schicksale der Menschen, die dem Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, der Frauenhaftanstalt Hoheneck oder dem Jugendwerkhof Torgau entkommen waren, zeigten drastisch, wie die vermeintlich so menschenfreundliche Ideologie des Sozialismus dem „neuen Menschen“, auf den sie angewiesen war, auf die Sprünge half: Menschen mussten unter Schlafentzug über Tage in knöcheltiefem Wasser stehen, Eltern wurden ihre Kinder weggenommen und angeblich schwer erziehbare Mädchen und Jungen gezwungen, ihr Erbrochenes zu essen.

Die Staatsräson des wiedervereinigten Deutschlands war daher zunächst immer noch streng antitotalitär. Dies fiel auch erst einmal umso leichter, da das „Ende der Geschichte“ gekommen zu sein schien. Fortan ging es nicht mehr um die große Systemfrage, sondern nur noch darum, welche Positionen im politischen Diskurs als legitim gelten und mit welchen Parteien koaliert werden darf. Mit der ersten Tolerierung einer SPD-geführten Regierung durch die SED-Nachfolgepartei 1994 im Magdeburger Landtag begann die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), den antitotalitären Konsens aufzukündigen.

„Kampf gegen Rechts“

Anfangs war die Empörung groß – nicht umsonst konnte die Union mit der „Rote Socken-Kampagne“ 1994 noch einmal knapp die Bundestagswahl gewinnen. SPD und auch Grüne waren also darauf angewiesen, für Kooperationen mit der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und späteren Linken, zu denen es in den folgenden Jahren immer häufiger kam, gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen. Der antitotalitäre Konsens der Bundesrepublik störte dabei nur. Ihn nach und nach aufzukündigen, half eine zweite Entwicklung, die Anfang der 1990erJahre begann.

Ausländerfeindliche Gewalttaten hatten Anfang der 1990er-Jahre ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen waren Orte, an denen Menschen allein wegen ihrer Nationalität oder Hautfarbe um Leib und Leben fürchten mussten – und oft auch tatsächlich ermordet wurden.

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde daraufhin zu Recht politisch immer relevanter; es entstand eine Vielzahl an Initiativen und Organisationen, die sich diesem Thema widmeten. Der Bund stellte in den folgenden Jahren stetig wachsende staatliche Mittel zur Verfügung – allein das Familienministerium inzwischen über 100 Millionen Euro im Jahr.

Allerdings bedeutet die Auseinandersetzung mit politischem Extremismus im Subtext immer auch ein Aushandeln dessen, was im politischen Diskurs noch als legitim, als nicht extrem gilt. Das macht dieses Feld politisch so brisant. Die Linke in Deutschland hat dies erkannt und die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus clever und wirkmächtig zu ihrem Terrain gemacht.

Dafür nahm sie eine entscheidende Umdeutung vor: nämlich dessen, was eigentlich bekämpft werden soll. Aus dem Kampf gegen Rechtsextremismus wurde der „Kampf gegen Rechts“. Hier ist nicht bloß sprachliche Faulheit am Werk. Vielen, die sich mit staatlicher Unterstützung auf diesem Feld tummeln, geht es tatsächlich darum, alles zu bekämpfen, was nicht links ist.

Die alte 68er-These, dass die kapitalistische Gesellschaft eine zumindest präfaschistische sei, hallt hier noch nach. Und die Organisationen und Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens, die diesen „Kampf“ gern betont wacker unterstützen, scheint die mangelnde Unterscheidung zwischen rechten und rechtsextremen Positionen auch nicht zu stören – ebenso wenig, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus völlig unter den Tisch fällt.

In diesem geistigen Klima politisch rechte Positionen (wieder) in der CDU zu verorten, wird einigen Mut erfordern und noch mehr gedankliche Klarheit und Argumentationsbereitschaft, vor allem in der Abgrenzung zu rechtsradikalem Gedankengut. Hier bedarf es eindeutiger Kriterien.

Als Ausgangspunkt für die Suche nach geeigneten Abgrenzungskriterien lohnt sich ein Blick auf die theoretische Untermauerung des „Kampfes gegen Rechts“, also der Herangehensweise, die gerade nicht zwischen rechten und rechtsradikalen Positionen unterscheiden möchte. Hierfür wird meist auf die Forschungsergebnisse zur sogenannten „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ rekurriert – einen Begriff, den der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer geprägt hat (vgl. Deutsche Zustände, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2002–2011).

Was sind abwertende Einstellungen?

Im Kern geht es bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit um feindselige Mentalitäten gegenüber bestimmten sozialen Gruppen, die aufgrund abwertender und ausgrenzender Einstellungen entstehen. Sie sollen den Kern rechtsradikalen Denkens ausmachen.

Was aber sind abwertende Einstellungen? Wenn man beispielsweise sagt „Muslime sind minderwertig“, ist dies eindeutig eine pauschale Abwertung aller Menschen, die einer bestimmten Religion angehören. Die Aussage aber „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ ist anderer Natur. Auch sie ist fast immer abwertend gemeint, kann sich jedoch auf eine empirische Grundlage stützen: Es gibt die zweifelsohne seriösen Studien des bekannten Kriminologen Christian Pfeiffer zur Verbreitung gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen unter Muslimen, auf die man sich berufen kann. In der Polizeilichen Kriminalstatistik sind Flüchtlinge, die überwiegend Muslime sind, bei Straftaten gegen das Leben, bei schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung überrepräsentiert. Und natürlich gingen auch die meisten Terroranschläge der letzten zwei Jahrzehnte von Menschen aus, die Muslime sind und ihre Tat auch damit begründeten. Wer behauptet, „Muslime neigen häufig zu Gewalt“, wertet Muslime also nicht aufgrund eines diffusen Überlegenheitsgefühls ab, sondern kann sich auf Fakten stützen.

Die meisten Anhänger des Konzepts Heitmeyers würden hier wahrscheinlich nicht unterscheiden und sowohl die Aussage „Muslime sind minderwertig“ als auch die Aussage „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ mit dem Verdikt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ versehen – dies wird aus der Formulierung der Items, mit denen „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ gemessen wird, deutlich (zur Kritik an der Konzeption der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vgl. Viola Neu / Sabine Pokorny: „Ist ‚die Mitte‘ (rechts)extremistisch?“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65, 40/2015, S. 3–8).

Abgrenzungskriterien

Die Autorin hingegen schlägt als ein erstes Abgrenzungskriterium zwischen rechtem und rechtsradikalem Denken das Vorhandensein einer empirischen Grundlage vor. Abwertende Aussagen, die schlicht eine eventuell sogar biologisch begründete Minderwertigkeit bestimmter Gruppen behaupten, sind eindeutig rechtsradikal, wenn nicht sogar rechtsextrem. Bei abwertenden Aussagen, die sich auf Fakten stützen können, ist dies erst einmal zu verneinen.

Allerdings sind auch Argumentationen auf empirischer Grundlage niemals per se objektiv. Jede Studie kann mit mehr oder weniger guten Argumenten angegriffen werden. Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik lassen sich fundiert dadurch relativieren, dass unter den Flüchtlingen junge Männer klar überrepräsentiert sind, und diese Personengruppe wird weltweit, in allen Kulturen, häufiger kriminell als alte Damen. Und natürlich gibt es noch den klassischen linken Einwand, der auf Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend oder Ausgrenzung im aktuellen Leben der Täter verweist, was vielfach belegt zur Gewaltneigung beiträgt. Auch diese Einwände gegen die Aussage „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ können sich also auf eine gewichtige empirische Grundlage stützen.

Wer hier im Recht ist, wird sich nicht ex cathedra und auch niemals abschließend entscheiden lassen. Aber der ernsthafte Diskurs darüber bringt uns schon weiter. Und daher ist dies ein zweites Abgrenzungskriterium zwischen rechtem und rechtsradikalem Denken: die Diskursbereitschaft. Rechtsradikale würden die genannten Argumente gegen die Behauptung einer höheren Gewaltneigung von Muslimen mit Verachtung beiseite wischen. Rechte hingegen würden wahrscheinlich Gegenargumente anbringen, um ihre ursprüngliche These zu stützen. Sie wären aber zumindest zu einer ernsthaften Auseinandersetzung bereit.

Die Abgrenzungskriterien „Empirische Grundlage“ und „Diskursbereitschaft“ reichen aber noch nicht aus. Angenommen, man akzeptiert die Aussage „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ und steht einem einzelnen Mitglied dieser Gruppe, einem Muslim, gegenüber. Darf man ihm unterstellen, zu Gewalt zu neigen? Nein! Verdikte über einzelne Menschen dürfen niemals nur aufgrund von statistischen Häufungen von negativen Merkmalen in der Gruppe dieser Menschen gefällt werden. Jeder Mensch hat – und dies ist ein drittes Abgrenzungskriterium – erst einmal das Recht auf eine individuelle Betrachtung seiner Person.

Natürlich kann man einwenden, dass statistische Wahrscheinlichkeiten auch Aussagen über einzelne Personen zulassen. Dennoch ist es nicht nur eine zivilisatorische Errungenschaft, diese Annahme bewusst auszublenden und einer unbekannten Person nur aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit erst einmal nichts Negatives zu unterstellen, sondern es ist auch ein Gebot der Würde jedes einzelnen Menschen und damit konstitutiv für unser friedliches Zusammenleben.

Sollte die CDU sich wieder stärker für rechte Positionen öffnen, wofür demokratietheoretisch einiges spricht, wird eine überzeugende und präzise Abgrenzung zu rechtsradikalem Gedankengut von existenzieller Bedeutung sein. Die drei skizzierten Kriterien können hierzu einen Beitrag leisten.

Kristina Schröder, geboren 1977 in Wiesbaden, 2002 bis 2017 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 2009 bis 2013 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, seit 2017 Kolumnistin bei der Tageszeitung „Die Welt“.
 

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