Kaum etwas bewegt die Deutschen so sehr wie das Thema Migration. Im Zentrum der politischen Auseinandersetzung steht dabei die Asylpolitik. Der vergangene Bundestagswahlkampf war geprägt von hitzigen Debatten über die Dysfunktionalitäten des deutschen und europäischen Asylsystems, auf die die Attentate von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München ein düsteres Schlaglicht geworfen hatten.
Die große Brisanz des Flüchtlingsthemas geht einher mit veränderten Einstellungen in der Gesellschaft. Nicht erst seit den Attentaten fordern breite Teile der Bevölkerung mehr Restriktionen im Umgang mit irregulärer Migration. Über die letzten Jahre vollzog sich ein Umdenken, das nicht zuletzt in der Erkenntnis wurzelt, dass es aufgrund endlicher Ressourcen nur durch mehr Ordnung und Restriktionen in der Migrationspolitik gelingen kann, den wirklich Schutzbedürftigen gerecht zu werden.
Dabei gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass Deutschland sich mit der Aufnahme von über zwei Millionen Menschen aus humanitären Gründen im Laufe der vergangenen drei Jahre erneut zum Hauptaufnahmeland in Europa entwickelt hat. Die hohen Zuzugszahlen treffen dieses Mal jedoch auf andere Rahmenbedingungen als noch vor zehn Jahren: Angespannte Finanzlagen in den Kommunen, Fachkräftemangel und strukturelle Defizite in relevanten Politikfeldern wie Bildung und Wohnen erschweren eine dauerhafte Integration.
Vor allem das deutsche Schulsystem steckt in einer regelrechten Integrationskrise: Deutschland ist mit vierzig Prozent Schulkindern mit Migrationshintergrund das Land mit dem höchsten Anteil an unter den OECD-Staaten. Dabei verfügen Kinder, die über das Asylsystem zuwandern, im Schnitt über deutlich niedrige Bildungsvoraussetzungen, die unser Schulsystem nicht ausreichend kompensieren kann: Im internationalen Vergleich sind die Leistungsunterschiede zwischen zugewanderten und einheimischen Schülerinnen und Schülern in keinem vergleichbaren Land so groß wie in Deutschland.[1] Aber auch bei der Arbeitsmarktbeteiligung fällt die Bilanz trotz individueller Erfolgsgeschichten ernüchternd aus. So waren Ende 2023 beispielsweise nur knapp vierzig Prozent aller Syrerinnen und Syrer im erwerbsfähigen Alter sozialversicherungspflichtig beschäftigt.[2]
Angesichts der immensen integrationspolitischen Herausforderungen, mit denen Städte und Kommunen konfrontiert sind, bedeuten vorübergehend sinkende Asylantragszahlen keine echte Entlastung. Veränderte geopolitische Realitäten werfen zudem die grundlegende Frage auf, inwiefern die im internationalen Vergleich sehr großzügigen europäischen Schutzansprüche, die weit über den Ursprungsgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehen, in diesem Umfang aufrechterhalten werden können.[3]
Nur ein Bruchteil außereuropäischer Zuwanderer kommt aus Erwerbsgründen
Zweifellos zählt die Asylthematik zu den entscheidenden Politikfeldern, in denen die Bevölkerung mehr politische Entschlossenheit und strukturelle Veränderungen erwartet. Die künftige Bundesregierung steht in der Verantwortung, die Weichen für eine Asylpolitik zu stellen, die Staatsinteressen, Bürgeranliegen und Flüchtlingsschutz wieder in Einklang bringt und zugleich Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft findet. Aber nicht nur in der Asylpolitik ist eine politische Neuausrichtung notwendig. Eine Verengung der Debatte auf die Asylthematik birgt die Gefahr, dass andere migrationspolitische Bereiche wie die Arbeitsmarktmigration in den Hintergrund geraten. Dabei ergeben sich gerade in diesem Politikfeld vielversprechende Handlungsmöglichkeiten.
Unter Ökonomen besteht Einigkeit, dass die deutsche Wirtschaft angesichts des demografischen Wandels künftig weit stärker auf qualifizierte Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten angewiesen sein wird, um die Fachkräftebedarfe zu decken und wettbewerbsfähig zu bleiben. Es wird nicht ausreichen, allein auf inländische Potenziale oder Zuwanderung aus der europäischen Nachbarschaft zu setzen. Letztere ist bereits seit einigen Jahren rückläufig.
Die Strategie der Ampelregierung war es, durch eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes die qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten zu steigern, indem die Anforderungen an Bildungsabschlüsse, Berufserfahrung und Gehaltsschwellen weiter abgesenkt wurden. Dieser Ansatz hat bislang jedoch nur eine begrenzte Wirkung entfaltet. Die Erwerbszuwanderung aus Drittstaaten befindet sich weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. Im Jahr 2023 erhielten etwas mehr als 70.000 Personen aus Drittstaaten einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit.[4] Im Vergleich dazu kamen über 500.000 Drittstaatsangehörige aus humanitären Gründen nach Deutschland, über 100.000 aus familiären Gründen und knapp 60.000 zu Bildungszwecken. Damit waren weniger als zehn Prozent der außereuropäischen Zuwanderung nach Deutschland erwerbsbezogen.
Gute Ausgangsbasis für Strukturreformen
Um die Potenziale internationaler Fachkräftezuwanderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland in Zukunft besser auszuschöpfen, ist eine Migrationspolitik notwendig, die Erwerbsmigration aus Drittstaaten in den deutschen Arbeitsmarkt aktiv steuert und das Ankommen in Deutschland erleichtert. Entsprechende Maßnahmen sind angesichts der wirtschaftlichen Relevanz nicht nur dringend nötig, vielmehr sprechen die politischen Voraussetzungen auch für eine einfachere Umsetzung als bei asylpolitischen Vorhaben.
Anders als in der Asylpolitik besteht beim Thema Fachkräftezuwanderung deutlich mehr Raum für politischen Konsens. Die Parteien der Mitte stimmen überein, dass der Fachkräftemangel eines der Haupthemmnisse für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit darstellt und Deutschland ein attraktives Einwanderungsland für internationale Fachkräfte sein soll.
Einigkeit besteht auch dahingehend, dass Flucht- und Erwerbsmigration grundsätzlich voneinander zu trennen sind und unterschiedliche politische Instrumente erfordern. Während SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen auf eine schnelle Umsetzung der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und weitere Vereinfachungen bei der Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse setzen, fordern die Unionsparteien die Schaffung einer digitalen Bundesbehörde, bei der alle Prozesse rund um die Erwerbszuwanderung zusammenlaufen. Diese Ansätze schließen sich nicht aus und könnten als Ausgangsbasis für Strukturreformen dienen, die auf mehr Zentralisierung, Digitalisierung und Serviceorientierung in den Verwaltungs- und Organisationsstrukturen rund um die Erwerbszuwanderung zielen.
Zudem bestehen weniger rechtliche Hürden als in der Asylpolitik. Während das Asylrecht in komplexe europäische Rechtsvorschriften eingebettet ist, ergeben sich aus dem sehr liberalen deutschen Aufenthaltsgesetz konkrete Leitlinien für die verschiedenen Beschäftigungskategorien. Politische Entscheidungsträger könnten die bürokratischen und praktischen Hürden für deutsche Arbeitgeber und internationale Fachkräfte gezielt in den Blick nehmen, anstatt über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zu diskutieren.
Darüber hinaus erfordern Maßnahmen zur Verbesserung der qualifizierten Zuwanderung weniger außenpolitisches Engagement als in der Asylpolitik, wo eine enge Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern und anspruchsvolle Abkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten Voraussetzung für Erfolge darstellen. Zwar sind europäisch abgestimmte Instrumente und zwischenstaatliche Abkommen auch für die Erwerbsmigration, wenn es beispielsweise um stark reglementierte Sektoren wie das Pflege- oder Bauwesen geht, nicht irrelevant. Eine Einwanderungspolitik, die Zuwanderung zu Erwerbszwecken priorisiert, sollte aber zunächst die notwendigen innenpolitischen Rahmenbedingungen schaffen, die es Arbeitgebern erleichtern, eigenständig international zu rekrutieren.
Wettbewerb um internationale Talente
Bei der Ausgestaltung einer modernen, an volkswirtschaftlichen Interessen orientierten Einwanderungspolitik lohnt es sich, neben den klassischen Einwanderungsländern wie Kanada, den USA oder Großbritannien auch innovative Ansätze kleinerer europäischer Staaten in den Blick zu nehmen.
Die Nordischen Länder setzen beispielweise auf beschleunigte und digitalisierte Einwanderungsverfahren. Die Stadt Oslo initiierte 2023 in Kooperation mit der norwegischen Einwanderungsbehörde und anderen staatlichen Institutionen ein Pilotprojekt namens Kompetansespor (deutsch: Kompetenztrack), das den Bearbeitungsaufwand von Visaanträgen unter Anwendung innovativer Technologien deutlich reduzierte. Aber auch die gezielte Einbeziehung von privatwirtschaftlichen Akteure und Forschungseinrichtungen in staatliche Initiativen erweist sich als erfolgreich, wie das Projekt Copenhagen Capacity zeigt, das dänische Arbeitgeber durch digitale Kampagnen bei der Gewinnung internationaler Fachkräfte unterstützt. Die Baltischen Staaten kombinieren digitale Plattformen intelligent mit persönlichen Anlaufstellen wie dem International House in Vilnius. Aber auch in Ländern, die sich zunehmend von Auswanderungs- zu Einwanderungsländern entwickeln – wie etwa Kroatien –, entstehen neue Strategien zur Fachkräftegewinnung aus Drittstaaten. Selbst die italienische Regierung, die vor allem aufgrund ihres harten Kurses im Umgang mit irregulärer Migration mediale Aufmerksamkeit erfährt, unternimmt große Bemühungen, um Erwerbsmigration aus dem außereuropäischen Ausland zu fördern.
Diese Beispiele zeigen: Bei der Gewinnung und Bindung internationaler Talente steht Deutschland in einem internationalen Wettbewerb.
Deutschland bleibt ein weltoffenes Land
Deutschland sollte die Chance nutzen, eine neue Vision von sich als einem Land zu präsentieren, das um internationale Fachkräfte wirbt und Menschen, die einen Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft leisten, willkommen heißt.
Dies setzt erstens voraus, dass bei der Asylproblematik endlich wieder klare Regeln gelten und diese auch durchgesetzt werden. Zweitens setzt dies ein positives Narrativ voraus, das verstärkt die Potenziale gesteuerter Erwerbszuwanderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland betont. Deutschland sollte sich gleichzeitig mit der jetzt anstehenden Lösung der Probleme in der Asylpolitik klar zum Selbstverständnis als Einwanderungsland mit „Immigration Spirit“ bekennen.
Caroline Schmidt, geboren 1992 in Caen (Frankreich), Referentin Flucht und Migration, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.
[1] Martin Spiewak: „Schaffen wir das? So nicht! Bildung und Migration“, in: Die Zeit, 07.03.2025, www.zeit.de/2025/10/bildung-migration-nachteile-schule-migrationshintergrund [letzter Zugriff: 07.04.2025].
[2] Fabian Semsarha / Lydia Malin / Dirk Werner: Wichtig für den deutschen Arbeitsmarkt: 80.000 syrische Fachkräfte arbeiten in Engpassberufen, IW-Kurzbericht, Nr. 95, Berlin / Köln, 18.12.2024, www.iwkoeln.de/studien/fabian-semsarha-lydia-malin-dirk-werner-80000-syrische-fachkraefte-arbeiten-in-engpassberufen.html [letzter Zugriff: 07.04.2025].
[3] Siehe dazu auch Daniel Thym: „Zurück zu den Ursprüngen. Was sich in der Migrationspolitik ändern muss“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.09.2024, www.faz.net/aktuell/politik/inland/zurueck-zu-den-urspruengen-was-sich-bei-der-migration-aendern-muss-19956189.html [letzter Zugriff: 07.04.2025].
[4] Bundesministerium des Innern und für Heimat / Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Migrationsbericht der Bundesregierung 2023, Berlin / Nürnberg, 15.01.2025.