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von Stephan Malerius

Der Südkaukasus und die destruktive Politik Russlands

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Der Südkaukasus umfasst die Länder Armenien, Aserbaidschan und Georgien und ist sicherheitspolitisch eine seit jeher ausgesprochen instabile Region, was nicht zuletzt an den angrenzenden Großmächten Russland, Türkei und Iran und deren aggressiver Außenpolitik liegt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion gab es im Südkaukasus immer wieder militärische Konflikte: zwei Kriege zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach (1991–1994 und 2020), einen Bürgerkrieg zwischen Georgiern und Abchasen (1992–1993) sowie den „Fünf-Tage-Krieg“ Russlands gegen Georgien (2008). Russlands Strategie des divide et impera (Armenien, Aserbaidschan) beziehungsweise der offenen oder verdeckten Aggression (Georgien) hat die Entwicklung der Region dreißig Jahre lang negativ beeinflusst.

Georgien teilt im Norden eine lange Grenze mit Russland, war seit Anfang der 1990er-Jahre immer wieder Zielscheibe russischer Angriffe und muss es hinnehmen, dass auf dem eigenen Territorium in zwei abtrünnigen Gebieten (Abchasien und Südossetien) seit Jahrzehnten russische Besatzungstruppen stationiert sind. Nicht zuletzt deshalb orientiert sich das Land seit der Rosenrevolution 2003, die zum Rücktritt von Präsident Eduard Schewardnadse führte und die Opposition an die Macht brachte, unerschütterlich in Richtung Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika.

Georgien hatte gemeinsam mit der Ukraine bereits 2008 einen NATO-Beitritt angestrebt, der ihm jedoch auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im gleichen Jahr zunächst verwehrt blieb. Den nach wie vor bestehenden Ambitionen Georgiens wurde nun auf dem NATO-Gipfel in Madrid im Juni 2022 Rechnung getragen: „Wir werden die Entwicklung unserer Zusammenarbeit mit Bosnien und Herzegowina, Georgien und der Ukraine fortsetzen im Sinne unseres gemeinsamen Interesses an Frieden, Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum“, heißt es in der Gipfel-Erklärung. Seit 2008 nahm Georgien an zahlreichen NATO-Einsätzen teil, unter anderem im Kosovo und in Afghanistan, wo das Land zeitweise das größte Kontingent eines Nicht-NATO-Mitglieds stellte. Im Gegenzug sind seit 2014 mehrere Substantial NATO-Georgia Packages umgesetzt worden – Initiativen, in deren Zuge Reformen im Verteidigungssektor unterstützt, die Kompatibilität der georgischen mit NATO-Streitkräften gestärkt und so das Land näher an die Allianz herangeführt wurde. Eines der größten Hindernisse für einen NATO-Beitritt sind die ungelösten territorialen Konflikte, deren Entwicklung – wie die gesamte Sicherheitsarchitektur im Südkaukasus – entscheidend vom Ausgang des Krieges in der Ukraine abhängen wird.

Auf den ersten Blick erscheint die sicherheitspolitische Ausrichtung von Georgiens südlichem Nachbarn Armenien als genaues Gegenteil: Armenien ist Teil der russisch dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, in Gyumri ist eines der größten Kontingente russischer Truppen außerhalb der Russischen Föderation stationiert, und es gibt Gerüchte, dass eine weitere russische Militärbasis im Süden des Landes eingerichtet werden soll, was die umfassende sicherheitspolitische Abhängigkeit Armeniens von Russland unterstreicht. Das Land befindet sich zudem in einer extrem isolierten Position: Die südliche Grenze zur Türkei ist seit den 1990er-Jahren geschlossen, gegen den östlichen Nachbarn Aserbaidschan wurde im Oktober 2020 ein Krieg verloren, und die schmale Grenze zum Iran (in dessen Norden eine große aserbaidschanische Minderheit lebt) ist allenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung. Einzig mit Georgien gibt es trotz geopolitisch diametral unterschiedlicher Ausrichtung keine sicherheitspolitisch relevanten Spannungen.

Angesichts zweier aggressiver Nachbarn (Türkei und Aserbaidschan), denen Armenien wirtschaftlich und militärisch hoffnungslos unterlegen ist, sowie des Umstandes, dass die Europäische Union weit weg ist, bleibt dem Land nichts anderes übrig, als sich an Russland zu binden.

Sicherheitspolitisch besitzt Armenien somit keinen Spielraum, sich transatlantisch zu orientieren; gleichwohl ist es an engen Beziehungen zu Europa interessiert: Ab 2009 hatte das Land lange mit der Europäischen Union über ein Assoziierungsabkommen verhandelt, bevor es 2013 von Russland gezwungen wurde, der Eurasischen Wirtschaftsunion beizutreten. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass Russland Armenien im Krieg mit Aserbaidschan nicht zur Hilfe gekommen ist, was das Vertrauen in die vermeintliche Schutzmacht im Land nachhaltig erschüttert hat. Aserbaidschan schließlich gehört keinem der beiden genannten Militärblöcke an und strebt auch nicht nach einer Mitgliedschaft in der Europäischen oder der Eurasischen Wirtschaftsunion. Das Land ist dagegen kulturell, politisch und militärisch der Türkei eng verbunden. Die Türkei war es auch, die durch jahrelange Ausbildung des aserbaidschanischen Militärs und die Lieferung moderner Kampfdrohnen maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Aserbaidschan den zweiten Bergkarabach-Krieg gegen Armenien gewinnen konnte. In der sogenannten Shusha-Erklärung vom Juni 2021 vereinbarten die beiden Staaten unter anderem gegenseitigen militärischen Beistand, eine noch engere Kooperation der Rüstungsindustrien und regelmäßige Treffen der Sicherheitsräte.

Seit der von Russland vermittelten Waffenruhe im Krieg um Bergkarabach im Oktober 2020 stehen russische Friedenstruppen auf aserbaidschanischem Territorium, was dem Land zwar ein Dorn im Auge ist; gleichzeitig vermeidet es aber offene Kritik an Russland, wie es auch – ähnlich wie die Türkei – im Krieg Russlands gegen die Ukraine bemüht ist, sich nicht offen gegen Russland zu stellen. Das öl- und gasreiche Land hat seit Jahren seine Militärausgaben kontinuierlich gesteigert. Insbesondere Armenien befürchtet, dass Aserbaidschan die globale Aufmerksamkeit auf den Krieg in der Ukraine dazu nutzen könnte, die kriegerischen Auseinandersetzungen in Bergkarabach wiederaufzunehmen. Im März und im August 2022 hat es Verletzungen der Waffenruhe gegeben, die diese Befürchtungen schürten. Armenien und Aserbaidschan wen den signifikante Teile ihres Staatshaushalts für Militärausgaben auf und gehören zu den am stärksten militarisierten Ländern der Welt. Russland hat den Konflikt um Bergkarabach über Jahrzehnte genutzt, um beide Länder hochzurüsten. In den laufenden Friedensverhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan hat nun aber seit Mai 2022 die Europäische Union, die beide Staatschefs nach Brüssel eingeladen hatte, eine erfolgreiche Vermittlungsinitiative ergriffen. Zudem hatte Georgien im letzten Jahr einen Austausch von Kriegsgefangenen und Minenkarten zwischen den Parteien vermittelt. Eine Schwächung der destruktiven russischen Position im Südkaukasus angesichts der Konzentration Russlands auf den Krieg in der Ukraine könnte für beide Akteure, Georgien und die Europäische Union, eine Chance bilden, Frieden und Stabilität in der Region nachhaltig zu festigen.

 

Stephan Malerius, geboren 1968 in Itzehoe, Leiter Regionalprogramm Politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Tbilisi (Georgien).

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