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Über die Abwehr von Extremismus

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Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) dienen als Frühwarnsystem gegen Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten. Im Rahmen ihrer Amtsausübung sind die Behörden als Inlandsnachrichtendienste für das Sammeln und Auswerten von Informationen zu extremistischen und terroristischen Bestrebungen zuständig. Aber zu welchem Zeitpunkt kommt es zum „Kippen von Ideen“, sodass der Verfassungsschutz aktiv wird? Wann überschreiten Akteure die Grenze zum Extremismus, und wie muss eine wehrhafte Demokratie damit umgehen?

Eine solche Bewertung ist aus zwei Gründen nicht immer einfach: Erstens verlaufen die Grenzen zwischen der „demokratischen Rechten“ beziehungsweise der „demokratischen Linken“,[1] deren radikalen Auswüchsen und dem Beginn ihrer extremistischen Strömungen oftmals fließend, sodass nicht klar entschieden werden kann, in welchem Bereich sich eine Gruppierung befindet. Zweitens bedienen sich jene Akteure regelmäßig einer Sprache und eines Auftretens, die Nähe zur Demokratie suggerieren sollen, um sich scheinbar der Mitte anzunähern, obwohl die eigenen ideologischen Narrative dem diametral entgegenstehen.

Einen definitorischen Rahmen der zentralen Termini bieten das Bundesministerium des Inneren (BMI) und das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Bundesinnenministerium definiert Extremismus als „Bestrebungen, die den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte, seine Normen und Regeln ablehnen […]. Extremisten wollen die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen und sie durch eine ihren jeweiligen Vorstellungen entsprechende Ordnung ersetzen. Häufig heißen sie Gewalt als ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele gut, propagieren dieses oder setzen sie sogar ein.“[2] Das Bundesamt für Verfassungsschutz nimmt eine ergänzende Unterscheidung zum Begriff „Radikalismus“ vor: „Bei ‚Radikalismus‘ handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits ‚von der Wurzel (lat. radix) her‘ anpacken will. Im Unterschied zum ‚Extremismus‘ sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden.“[3]

Sobald die Verfassungsschutzbehörden bei einer bestimmten Bestrebung Anlass für die Vermutung haben, dass sich diese gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet, gibt es folgende Stufen der Einordnung: Zunächst wird das Beobachtungsobjekt als Prüffall klassifiziert. Dazu müssen erste Anzeichen einer verfassungsfeindlichen Einstellung oder Aktivität erkennbar sein. Die Qualität und Quantität der Informationslage, die in dieser Stufe aus öffentlich zugänglichen Quellen besteht, reicht allerdings noch nicht aus, um von einem expliziten Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit zu sprechen. Erst nach intensiver Prüfung der Datenlage und mit zunehmender Verdichtung einer verfassungsfeindlichen Bestrebung wird der Prüffall zum Verdachtsfall.

Ab diesem Zeitpunkt dürfen die Sicherheitsbehörden auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln agieren. Darunter fällt beispielsweise der „Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen oder Bild- und Tonaufzeichnungen“.[4]

In einer letzten Phase kann der Verdachtsfall in die Kategorie einer extremistischen Bestrebung hochgestuft werden. „Aus der Beobachtung […] während der Verdachtsphase muss hervorgehen, dass sich die tatsächlichen Anhaltspunkte dergestalt verdichtet haben, dass die Überzeugung besteht, dass es sich tatsächlich um extremistische Bestrebungen handelt.“[5] Sollten die Behörden zu einem späteren Zeitpunkt zu dem Ergebnis kommen, dass jene Überzeugungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht mehr in diesem Ausmaß bestehen, kann eine Herabstufung auf einen Verdachtsfall erfolgen.

Während die Prüfung extremistischer Tendenzen nach einem klaren Schema abläuft und politische Vereinigungen betrifft, bezieht sich der Begriff Radikalisierung auf individuelle Prozesse, für die es keine Blaupause gibt. Die Forschung legt aber nahe, dass sogenannte Push- und Pull-Faktoren als Gründe für den Radikalisierungsprozess erachtet werden können. Unter Push-Faktoren werden Sachverhalte verstanden, die Individuen anfälliger für extremistische Bestrebungen machen. Darunter fallen vor allem persönliche und politische Krisen, Orientierungslosigkeit, schulische oder berufliche Misserfolge, aber auch Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Herkunft oder Religion.

 

Radikalisierungsbeschleuniger Internet

Pull-Faktoren sind hingegen gezielte Angebote aus der extremistischen Szene. Neben dem Zugehörigkeitsgefühl, der Möglichkeit des internen Aufstiegs und klaren Regeln spielen auch Opfernarrative und das Angebot eines Freund-Feind-Schemas – verbunden mit der eindeutigen Benennung des vermeintlichen Problemverursachers – eine zentrale Rolle.[6]

Unabhängig von der Art des Extremismus kann man darüber hinaus feststellen, dass das Internet ein Beschleuniger von Radikalisierung ist. Der Zugang zu entsprechenden Informationen wird erleichtert, das Angebot ist vielfältig, und mittels Messengerdiensten ergeben sich einfachere Aktivierungsmöglichkeiten, sodass eine große Anzahl von Menschen schnell mobilisiert werden kann.[7] Besonders Plattformen mit unzureichenden Regulierungsmechanismen, wie beispielsweise Telegram, erhöhen die Gefahr der Radikalisierung für (jüngere) Personen, zumal extremistische Inhalte nicht effizient gelöscht werden.

Der juristische Handwerkskoffer der wehrhaften Demokratie kann auf verschiedene Instrumente zum Schutz der Demokratie zurückgreifen. Partei-, Vereins- und Betätigungsverbote sind dabei nicht nur gängige Mittel, sie werden oftmals auch in den Medien lebhaft diskutiert.

Bisher traten lediglich zwei erfolgreiche Parteiverbotsverfahren durch das Bundesverfassungsgericht in Kraft: 1952 bei der Sozialistischen Reichspartei (SRP) sowie 1956 bei der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Zwei Verfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 2003 und 2017 scheiterten hingegen. Vereinsverbote gegen extremistische Organisationen durch das Bundesinnenministerium werden häufiger ausgesprochen. Im Bereich „Rechtsextremismus“ sind bisher insgesamt zwanzig Vereine verboten worden, im Phänomenbereich „Islamismus“ neunzehn, beim Linksextremismus lediglich ein einziger. Betätigungsverbote – wie beispielsweise gegen die schiitische islamistische Organisation Hizb Allah – „werden gegenüber solchen ausländischen Vereinen erlassen, die im Inland nicht über nachweisbare Strukturen verfügen, bei denen allerdings unterhalb der Schwelle förmlicher Strukturen eine Betätigung im Inland nachweisbar ist.“[8]

Die Partei-, Vereins- und Betätigungsverbote verfolgen das Ziel, die Aktivitäten derer, die sich aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellen, zu unterbinden. So hat ein Vereinsverbot etwa zur Folge, dass ein Verein aufgelöst und das Vereinsvermögen beschlagnahmt wird. Außerdem ist die Verwendung der Vereinssymbolik und die Gründung von Nachfolgeorganisationen untersagt. Der entscheidende Vorteil des Instruments eines Vereinsverbotes ist somit das Zerschlagen bestehender Strukturen. Involvierte Personen können nicht mehr auf finanzielle Ressourcen und die materielle Infrastruktur zurückgreifen, um ihre Aktivitäten zu finanzieren und durchzuführen. Die Verwendung entsprechender Symbolik, beispielsweise von Flaggen oder Abzeichen, für propagandistische Zwecke ist ebenfalls nicht möglich, wodurch der Wiedererkennungseffekt verhindert werden soll.

Langfristig gelöst sind extremistische Herausforderungen damit jedoch oftmals nicht. Insbesondere beim Rechtsextremismus lässt sich erkennen, dass die einzelnen Gruppierungen im stetigen Austausch miteinander stehen, weshalb Mitglieder einer verbotenen Organisation mit ihrem gesammelten Wissen und bestehenden Kontakten leicht Zugang zu anderen Strukturen erhalten. Eine Entfremdung vom rechtsextremen Gedankengut, also eine Deradikalisierung, lässt sich mit dem Instrument des Partei- oder Vereinsverbots meistens nicht erreichen.

 

Erkennen, verbieten, entgegenwirken

Der Umgang mit Extremismus ist eine komplexe Angelegenheit, die Sicherheitsbehörden, Medien und Politik – aber auch die Demokratie als Ganzes – vor große Herausforderungen stellt. Die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte der Länder sowie des Bundes zeigen, dass extremistische Bedrohungen aus unterschiedlichen politischen Richtungen, den sogenannten Phänomenbereichen, kommen und es sich nicht um eine singuläre Gefahr handelt.

Extremismus, ganz unabhängig von seiner entsprechenden Ausprägung, muss frühzeitig erkannt und klar benannt werden. Auch auf kleinere extremistische Ausprägungen muss hingewiesen werden. Mit Blick auf die kommunikative Auseinandersetzung sind zwei Aspekte zentral: Zum einen ist eine Hierarchisierung des Gefahrenpotenzials unabdingbar, die Phänomenbereiche dürfen allerdings nicht politisch instrumentalisiert werden. Nach aktueller Datenlage stellt der Rechtsextremismus sowohl qualitativ als auch quantitativ die größte Bedrohung für die Demokratie dar. Die Reichsbürgerbewegung ist hingegen deutlich kleiner; sie aber nur als eine Gruppierung verirrter Rentner zu bezeichnen, wäre kommunikativ fatal. Zum anderen gehören sowohl die „demokratische Rechte“ beziehungsweise „demokratische Linke“ als auch radikale Ideen zum Bestandteil eines demokratischen Staates.

Verbote sind ein solides, aber kein allumfängliches Mittel der wehrhaften Demokratie. Gleichermaßen wichtig sind Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung – beides Konzepte, die langfristig angelegt sind und keine unmittelbare Wirkung, wie etwa die von Vereinsverboten, aufweisen. Dennoch bilden sie einen Grundpfeiler bei der Bekämpfung von Extremismus, weswegen ein personeller Ausbau sowie die kontinuierliche fachliche Anpassung an aktuelle Entwicklungen auf Länder- und Bundesebene gewährleistet werden muss. Sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Träger fördern bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein demokratisches Werteverständnis, unterstützen ein kritisch denkendes Weltbild und beraten bei individuellen Fällen. Dadurch kann einem Abrutschen in die extremistische Szene präventiv entgegengewirkt werden; gleichzeitig eröffnen sich Möglichkeiten des effizienten Ausstiegs. Nur in diesem Zusammenspiel aus harten und weichen Maßnahmen der Extremismusprävention ist der langfristige Schutz der Demokratie sichergestellt.
 

Felix Neumann, geboren 1996 in Dresden, Referent für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.


[1] Zur Verwendung der Begrifflichkeiten „demokratische Rechte“ und „demokratische Linke“ vgl. Rudolf van Hüllen: Wie unterscheiden sich Rechtsextremisten von rechten Demokraten?, www.kas.de/de/web/extremismus/rechtsextremismus/wie-unterscheiden-sich-rechtsextremisten-von-rechten-demokraten [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[2] Bundesministerium des Innern: Extremismus, www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/extremismus/extremismusnode.html [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[3] Zur Begriffsunterscheidung siehe Bundesamt für Verfassungsschutz: Extremismus, www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glossareintraege/DE/E/extremismus.html [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[4] Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Prüffall, Verdachtsfall, Vorliegen einer gesichert extremistischen Bestrebung. Definitionen und Einordnung, WD 3 – 3000 – 125/24, 28.11.2024, S. 7, www.bundestag.de/resource/blob/1035448/289912898cfd42fa378494e7da008b 3e/WD-3-125-24-pdf.pdf [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[5] Verwaltungsgericht Köln: Urteil 13 K 207/20, Rn. 566, 08.03.2022.
[6] Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e. V.: Radikalisierung und Deradikalisierung, www.bag-relex.de/wissen/radikalisierung-deradikalisierung/ [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[7] Bundesamt für Verfassungsschutz: Abschlussbericht 2022. Mainstreaming und Radikalisierung in sozialen Medien, S. 8.
[8] Bundesministerium des Innern: Fragen und Antworten zum Betätigungsverbot Hizb Allah, www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/sicherheit/hizb-allah/hiz-allah-liste.html [letzter Zugriff: 06.10.2025].

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