In Zeiten, in denen Deutschland bedingt durch eine Kombination äußerer Umstände wie einer drohenden Zerstörung des Welthandelssystems durch einen erratisch agierenden US-Präsidenten und hausgemachter Fehler wie einer teils überambitionierten und ideologiegeleiteten Umweltpolitik massive Verluste bei der Industrieproduktion drohen, lohnt es sich, einen Blick auf die Geschichte der Industrieförderung in Deutschland zu werfen.
Der Staat kann die Industrie auf vielerlei Weise fördern. Die zur Verfügung stehenden Instrumente haben unterschiedliche Vor- und Nachteile. Im öffentlichen Diskurs werden oftmals direkte Maßnahmen wie staatliche Subventionen, die Stützung eines in Schieflage geratenen Unternehmens zur Sicherung der Arbeitsplätze oder der Schutz vor Mitbewerbern durch Zollschranken oder Regularien gefordert. Diese Maßnahmen haben den Vorteil, dass sie der Öffentlichkeit ein sofortiges Handeln der Politik suggerieren, was in einer Demokratie auch eingefordert wird. Sie wirken oft auch sehr schnell, allerdings kaum nachhaltig, da sie Probleme der Unternehmensführung oder des Geschäftsmodells nicht bereinigen.
Nachhaltiger, aber weitaus schwerer umzusetzen ist eine Industrieförderung durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dazu zählen der Zugang zu internationalen Märkten, den der Staat etwa vertraglich aushandelt, eine stabile Währung, die ohne eine solide Haushaltspolitik auf Dauer nicht zu haben ist, ein hervorragendes Ausbildungssystem einschließlich eines guten Forschungsumfeldes, ein rationales Steuersystem und möglichst wenig Bürokratie- und Klimaschutzlasten für die Unternehmen. Der wichtigste Punkt ist allerdings derjenige, der im öffentlichen Diskurs in Deutschland nicht mehr präsent ist: Die beste Industrieförderung ist die Herstellung eines regelbasierten Wettbewerbs, bei dem sich der Staat aus der Wirtschaft weitgehend heraushält, um die Märkte nicht zu verzerren. Über diesen Punkt besteht kein politischer Konsens, da – wie zuletzt die Ampelkoalition gezeigt hat – der Glaube an die Überlegenheit staatlicher Planung stark ausgeprägt ist.
Vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs
Betrachtet man die Industrieförderung in Deutschland seit dem Beginn des Kaiserreiches 1871, so führte nach der Reichsgründung die Kombination von einer wissenschaftlichen Spitzenposition der deutschen Universitäten, einem großen Binnenmarkt, einem Staat, der vor allem durch die Vergabe militärischer Großaufträge Montanindustrie, Maschinenbau und Werften förderte, und einer liberalen Handelspolitik zu einem rasanten Ausbau der Industrieproduktion. Demografisch sicherte ein beträchtliches Bevölkerungswachstum die Disponibilität neuer Arbeitskräfte, die im Schulsystem der deutschen Einzelstaaten eine hervorragende Ausbildung erhielten. Die weltweit vorherrschende Goldwährung brachte zwar einige spezifische Probleme wie einen nicht ausreichenden Aufwuchs des Währungsmetalls mit sich, war jedoch insgesamt ein immenser Vorteil für den internationalen Handel und gleichzeitig eine Beschränkung gegenüber allzu ausgabefreudigen Politikern.
Der Erste Weltkrieg führte zu einem erheblichen Ausbau der Industrieproduktion, gleichzeitig aber auch zu einer Inflationierung der Währung durch die ungehemmte Kriegsfinanzierung über Kredite. Das als Kriegsfolge zerrüttete weltweite Finanzsystem, die Abschottung der nationalen Märkte und schließlich die Hyperinflation im Jahr 1923 machten die Industriepolitik der Weimarer Republik dann allerdings zu einem Sonderfall.
Anhand der Zeit des Nationalsozialismus kann man die kurzfristige Leistungsfähigkeit einer gesteuerten staatlichen Planwirtschaft studieren: Der NS-Staat sicherte den Unternehmen durch die Deckelung von Lohnzuwächsen billige Arbeitskräfte, durch die Autarkiepolitik und Handelsabkommen den Zugang zu notwendigen Rohstoffen und forcierte die Forschung in für das Regime relevanten Bereichen wie etwa der Rüstung. Im Zweiten Weltkrieg verstärkten sich die Planungstendenzen erneut, wurden allerdings von Rüstungsminister Albert Speer relativ effizient mit der Wirtschaft abgestimmt. Selbst unter den Bedingungen des alliierten Bombenkrieges wurde der industrielle Output der deutschen Wirtschaft gesteigert; der Höhepunkt der deutschen Rüstungsproduktion lag im Herbst 1944. Erreicht wurde das freilich nur durch eine menschenverachtende Ausbeutung der von NS-Deutschland besetzten Gebiete, was sowohl die dortigen Rohstoffe anbelangte als auch die immense Anzahl ausländischer Zwangsarbeiter in der deutschen Industrie.
Wirtschaftliche Blaupause der „Bonner Republik“
Nach Kriegsende wurden die Kosten des verbrecherischen Krieges und dieser Raubwirtschaft deutlich. Durch die verheerenden Kriegszerstörungen, Demontagen der Alliierten, den Wegfall der Zwangsarbeit und der Rohstofflieferungen sowie die erneut durch Geldschöpfung ruinierte Währung brach die Industrieproduktion in Deutschland völlig ein. Die schwierigen Nachkriegsjahre 1945 bis 1948 waren eine direkte Folge der Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus. Interessant ist es, an den neu gebildeten beiden deutschen Staaten den Effekt der unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ansätze zu vergleichen. In der DDR wurde von Anfang an auf eine staatliche Wirtschaftsplanung gesetzt; ein Verbund sozialistischer Staaten (Council for Mutual Economic Assistance, COMECON) stellte einen gesicherten Absatzmarkt her und konnte den Großteil der industriell benötigten Rohstoffe liefern. Bis in die 1960er-Jahre hinein erzielte dieses Wirtschaftsmodell beachtliche Zuwachsraten bei der Industrieproduktion. Sobald allerdings die wesentlichen Wiederaufbauleistungen erbracht waren, machten sich die Beschränkungen staatlicher Planung sowie der fehlende Wettbewerb immer stärker bemerkbar.
Die DDR-Industrie war im Weltmaßstab 1989 nicht mehr wettbewerbsfähig, die Kosten waren viel zu hoch, da die Politik notwendige Rationalisierungsmaßnahmen verhindert hatte und aufgrund sozialer Erwägungen unwirtschaftliche Betriebe wie etwa den Kupferbergbau im Mansfelder Land oder die sächsische Textilindustrie, die nicht mit den niedrigen Lohnkosten in asiatischen Ländern mithalten konnte, am Leben erhielt. In Kombination mit einer politisch gewollten zu geringen industriellen Reinvestitionsquote – die SED versuchte seit Anfang der 1970er-Jahre, durch verstärkte Konsummöglichkeiten für die Bevölkerung ihre fehlende politische Legitimation auszugleichen („Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“) – führte dies zum Verfall der DDR-Industrie in den 1980er-Jahren.
Die Bundesrepublik dagegen erlebte unter Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit den Jahren des „Wirtschaftswunders“ von 1949 bis 1963 eine Phase ungebremster industrieller Produktionssteigerung. Schon während des Krieges hatten deutsche Wirtschaftswissenschaftler, zunehmend alarmiert durch die absehbaren Folgen der NS-Kommandowirtschaft, Pläne für eine Rückkehr zu einer Marktwirtschaft entwickelt. Nach Kriegsende konnten diese Pläne mit partieller Unterstützung durch die amerikanische Besatzungsmacht umgesetzt werden. Sie sahen im Kern eine stabile Währung durch solide Staatsfinanzen vor, einen freien Markt mit Leistungswettbewerb, keine staatlichen Eingriffe und eine Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, um die gesamte Bevölkerung am wirtschaftlichen Erfolg zu beteiligen und Sozialisierungsforderungen zu begegnen. Dieses Konzept, für das im Wirtschaftswahlprogramm der Union von 1949, in den „Düsseldorfer Leitsätzen“, der zugkräftige Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ geprägt wurde, war die wirtschaftliche Blaupause der „Bonner Republik“.
Phasen des Wachstums
Systematisiert man die Geschichte der Industrieproduktion in Deutschland bis heute, so ergeben sich für zwei Phasen – für das Kaiserreich von 1871 bis zum Kriegsausbruch 1914 und die Jahre der Adenauer/Erhard-Regierung 1949 bis 1963 – ein jeweils stürmisches Wachstum. In diesen beiden Perioden hat der Staat kaum in die Wirtschaft eingegriffen, dafür aber die Rahmenbedingungen geschaffen beziehungsweise erhalten: Der Staat hielt sich weitgehend aus der Wirtschaft heraus, es standen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, die Währung war stabil, und der Staat betrieb eine solide Finanzpolitik, wodurch die Refinanzierungskosten für Unternehmen gering waren; vergab aber auch durchaus bedeutende Aufträge wie beim Flottenbau ab 1900 oder bei der Wiederbewaffnung nach 1955. Die Steuerpolitik begünstigte die Eigenkapitalbildung in Privathaushalten und bei Unternehmen. Begünstigt wurde dies in beiden Fällen durch billige Rohstoffe und eine boomende Nachfrage auf dem Weltmarkt für deutsche Produkte, insbesondere aus dem Maschinenbau, der chemischen Industrie und der Rüstungsindustrie.
Bei der Aufgabe, den drohenden Verlust an industriellem Potenzial in Deutschland zu bremsen, sieht sich die neue Bundesregierung mit deutlich schlechteren Bedingungen konfrontiert als ihre Vorgänger im Kaiserreich oder in der Wiederaufbauphase der Bundesrepublik. Zudem sind ihre Handlungsoptionen oftmals eingeschränkt. Durch den Euro ist die Bundesrepublik nicht mehr währungspolitisch souverän, und eine Inflationierung der Währung durch eine mehr oder weniger offene monetäre Staatsfinanzierung ist erkennbar. Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bundeswehr lässt angesichts der existenziellen Bedrohung Europas durch den russischen Aggressor fraglos einen massiven Ausgabenschub notwendig werden. Das Bestreben der Bundesregierung muss dennoch sein, in allen anderen Bereichen äußerste Ausgabenzurückhaltung zu üben.
Drohender Abbau der Globalisierung
Ebenfalls abzusehen ist ein rückläufiger Zugang zu Rohstoffen auf dem Weltmarkt sowie ein Abbau des freien Handels. Die Aufgabe der neuen Regierung besteht hier darin, der exportorientierten deutschen Wirtschaft verlässliche Absatzmärkte und den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Da etliche Staaten, allen voran die USA und China, teilweise erpresserisch agieren, besteht die Gegenstrategie in langfristigen Liefer- und Handelsabkommen mit demokratischen Rechtsstaaten und einer Diversifizierung der Lieferketten. Aufgrund der Tatsache, dass viele Staaten dasselbe Problem haben und die Europäische Union der weltgrößte rechtsstaatlich agierende Akteur ist, sollten sich entsprechende Vereinbarungen mit Staaten wie Kanada, Australien, Argentinien, Chile et cetera nun relativ schnell abschließen lassen.
Innenpolitisch ist die Situation noch schwieriger. Das demografische Profil Deutschlands ist im internationalen Vergleich deprimierend, und man hat nicht den Eindruck, dass die Politik willens ist, die Lösung dieses Problems wirklich anzugehen. Langfristig muss es eine stärkere Geburtenförderung geben, kurzfristig muss die Gewinnung externer Arbeitskräften deutlich forciert werden.
Der drohende Abbau der Globalisierung wird weltweit eine Reduzierung des Lebensstandards zur Folge haben, aber auch Chancen für eine partielle Re-Industrialisierung hierzulande bieten. Deutschland verfügt unter den Ländern des Westens immer noch über eine starke industrielle Basis und kann wieder zur Werkbank der freien Welt werden; zumindest, was mittel- bis hochtechnische Produkte angeht. In einer sich abzeichnenden Weltwirtschaft mit eingeschränkter Handelsfreiheit wird der deutsche Staat sicherstellen müssen, dass industrielle Mindestkapazitäten etwa im Bereich der Halbleiterindustrien, der Medikamentenproduktion, der Stahlproduktion und so weiter bereitstehen. Die deutsche Industrie ist dazu von ihrem Know-how her in der Lage; es wird aber staatliche Hilfen beim Aufbau der Produktionsstätten sowie Abnahmegarantien erfordern. Eine Abstimmung auf Ebene der Europäischen Union kann die hierfür aufzuwendenden Kosten dämpfen.
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
Einzudämmen sind auch die innerhalb Deutschlands entstehenden Kosten, die der Staat der Industrie auferlegt. Die in den letzten Jahren überbordenden Belastungen durch umfangreiche Berichtspflichten und Bürokratie müssen zurückgeführt werden. Ebenfalls dringend erforderlich ist eine Vereinfachung des Steuerrechts.
Ein weiterer Punkt betrifft die von Deutschland im Zuge der umweltpolitischen Hybris der letzten beiden Jahrzehnte eingeführten Kosten im Umweltbereich. In Zeiten, in denen die deutsche Industrie am Abgrund steht, noch CO2-Steuern zu erheben, ist industriepolitisch höchst problematisch. Der deutschen Industrie werden massive Lasten auferlegt, während in China neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Gleiches gilt für das Verbrenner-Aus in der Europäischen Union: Wir zerstören mit diesen Vorgaben unseren wichtigsten Industriezweig selbst.
Ein zentrales Element ist die Wettbewerbspolitik. Gerade weil viele der skizzierten Rahmenbedingungen eine staatliche Intervention aus übergeordneten, nicht-wirtschaftspolitischen Gründen notwendig machen, ist ein möglichst freier Wettbewerb eine wesentliche Stellschraube für eine erfolgreiche Industrieförderung. Allerdings ist es in den letzten beiden Jahrzehnten auch unter unionsgeführten Regierungen zu einem immer stärkeren Abbau von marktwirtschaftlichen Elementen in Deutschland gekommen: durch De-facto-Preisregulierungen im Energie- und Stromsektor, die Mietpreisbremse im Wohnungsmarkt, die Einführung des Mindestlohns. Erfolgversprechende Handlungsmöglichkeiten in diesen Bereichen wären auch im nationalen Alleingang machbar.
Allerdings gehören der neuen Koalitionsregierung zwei Partner mit deutlich divergierenden wirtschaftspolitischen Grundvorstellungen an. Umso mehr wird sich ihr Erfolg daran messen, inwieweit es ihr dennoch gelingt, eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu unterstützen. „Werkbank der freien Welt“ zu werden, wäre immerhin eine Vision.
Wolfgang Tischner, geboren 1967 in Berlin, promovierter Historiker, Leiter Wissenschaftliche Dienstleistungen, Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.