Asset-Herausgeber

Zölle, Handelskonflikte, Wirtschaftskriege

Was sie für die Weltordnung und Weltwirtschaft bedeuten

Werner Plumpe: Gefährliche Rivalitäten. Wirtschaftskriege – von den Anfängen der Globalisierung bis zu Trumps Deal-Politik, Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2025, 320 Seiten, 25,00 Euro.

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Wirtschafts- und Handelskriege gehören seit dem 17. Jahrhundert zur Geschichte der internationalen Beziehungen. Ob Obrigkeiten oder Staaten: Sie alle verstanden den internationalen Handel als Nullsummenspiel, in dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Die Schädigung der wirtschaftlichen Möglichkeiten des Gegners zur eigenen Stärkung, so stellt der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe fest, erschien dem Verursacher als legitim, bisweilen geradezu als zwingend. Dabei zeigt die Geschichte, dass Wirtschafts- und Handelskriege stets erhebliche Störungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Folge hatten und in der Regel mit einem hohen Preis für beide Konfliktparteien verbunden waren.

Gerade deshalb setzten die Vereinigten Staaten seit den 1940er-Jahren nach dem Vorbild der Pax Britannica in ihrem, dem „amerikanischen Jahrhundert“ (Henry Luce), auf eine inklusive Ordnung, die in einer geteilten Weltordnung das überragende Gewicht des Ordnungsstifters garantierte, zugleich aber den Teilnehmern dieser Ordnung eigene Entfaltungsmöglichkeiten bot. Konkurrierende Interessen waren Teil der Pax Americana, Wirtschaftskriege im eigenen Lager indes ausgeschlossen. Zu groß waren die Vorteile in dieser inklusiven Ordnung für alle Seiten.

Vor diesem Hintergrund rieb sich mancher Beobachter die Augen, als der amerikanische Präsident am 2. April 2025 im Rosengarten des Weißen Hauses den Beginn einer neuen amerikanischen Zollpolitik zum „Tag der Befreiung“ erklärte. „Wir werden Länder dafür bestrafen“, so fuhr Donald Trump fort, „dass sie in unserem Land Geschäfte machen und uns Arbeitsplätze, unseren Wohlstand und vieles andere wegnehmen.“ Die selbst gewählte Abkehr von der alten Ordnung des liberalen Internationalismus hätte kaum wirksamer inszeniert werden können. Doch manchem erschien die ausgelassene Stimmung wie der letzte Walzer auf der Titanic.

 

Liberaler Internationalismus

Gefährliche Rivalitäten aus der Feder von Werner Plumpe ist nicht das Buch zum Katastrophenfilm einer Ordnungsmacht, die in ihrem Abstieg zur revisionistischen Macht wird und mit ihrer gegenüber Feind und Freund auf Einschüchterung abzielenden Politik den Verlust von Autorität und Glaubwürdigkeit nach sich ziehen sowie Einfluss und Machtstellung der USA langfristig unterminieren wird. Aber es ist das Buch der Stunde, das in zehn Kapiteln das historische Wechselspiel von Phasen geregelter und friedlicher ökonomischer Arbeitsteilung mit heftigen Konflikten, die von Momenten des Wirtschaftskrieges bis hin zu gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen geprägt waren, auf analytisch-brillante Weise verdeutlicht.

Die Verhaltensmuster wiederholten sich über Jahrhunderte: vom Verhältnis Portugals gegenüber der aufstrebenden niederländischen Handelsflotte zu Beginn des 17. Jahrhunderts über die Agenden des Merkantilismus zum Ende des 17. Jahrhunderts, die großen französisch-britischen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts und den Zerfall der Weltwirtschaft zwischen 1914 und 1945 bis hin zu der heutigen Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China, in der der „Weltmarkt ohne Hüter“ dasteht.

Von der alten Wirtschaftsordnung, von freiem Handel und offenen Märkten hat die Bundesrepublik Deutschland wie nur wenige andere Staaten profitiert. Das hatte viel mit ihrer Integration in die Strukturen des Westens, einer Mischung aus angebotener Einbindung und selbst gewählter Bindung, zu tun. Die Angebotsseite verkörperte kein anderer Staat mehr als die Vereinigten Staaten von Amerika. Allen gegenläufigen Trends zum Trotz legten sie die Grundlagen für eine weitgehend wohltätige Hegemonie in den 1940er-Jahren, als der Systemkonflikt konkurrierender Ordnungsideen zum zwischenstaatlichen Legitimitätskonflikt mutierte. Die Kontingenz der Umstände wurde mit dem jeweils eigenen Geschichtsverständnis kurzgeschlossen, die Welt mit der Beweisführung der Inquisition in Freund und Feind eingeteilt und der Streit um Macht und Einfluss mit unerbittlicher Intensität ausgetragen, weil es um mehr ging „als um Macht, Einfluss, Interessen, in gewisser Hinsicht um mehr als das Dasein, nämlich um das Daseinsrecht“ (Peter Graf Kielmansegg).

Als „Empire by Invitation“ hat der norwegische Historiker und langjährige Direktor des Osloer Nobel-Instituts Geir Lundestad die westliche Ordnung einmal treffend beschrieben. Die USA stabilisierten und garantierten sie zu hohen Kosten. Und sie profitierten von ihr in erheblichem Maße. Seit den Tagen von Bretton Woods im Sommer 1944 gehörte dazu auch die Überzeugung, ein System zur Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung etablieren und als Scharnier für die Weltwirtschaft Wirtschaftskriege künftig vermeiden zu müssen. Als Subsystem wurde die multilaterale Selbstkontrolle der europäischen Integration zum wesentlichen Baustein der Pax Americana.

Mit der Zeitenwende von 1989/1991 ging die Ordnung des liberalen Internationalismus gleichsam in die globale Verlängerung. Denn mit dem Ende des Kalten Krieges schickten sich die USA an, von der Führungsmacht des Westens zur Führungsmacht der Welt aufzusteigen und die internationale Ordnung dauerhaft zu prägen.

 

Ende einer Ordnung

Heute ist unverkennbar, dass der Versuch, den „unipolaren Moment“ (Charles Krauthammer) für die Etablierung einer neuen liberalen Weltordnung zu nutzen, an sein Ende gekommen ist. Unter der Führung der USA trägt der alte Westen eine erhebliche Verantwortung für die neue Weltunordnung. Unübersichtlichkeit und Unberechenbarkeit bestimmen die Politik des 21. Jahrhunderts. Der Zerfall der alten Ordnung weist mit der Rückkehr des Neomerkantilismus und dem Rückgriff auf Zölle als Instrument der Außenwirtschaftspolitik, ja mehr noch: auf Handels- und Wirtschaftskriege zugleich selbstzerstörerische Züge auf. Die Weltwirtschaft tritt in eine Übergangsphase mit ungewissem Ausgang.

Dass Wirtschaftskriege in Konstellationen weltwirtschaftlicher Integration „zu einem Rückgang von Leistungsfähigkeit und Wohlstandsniveau führen, ohne dass dadurch sichergestellt wäre, dass die mit ihnen verbundenen politischen Zwecke erreicht werden“, macht Werner Plumpe deutlich. Daraus folgt zwingend, so fährt der emeritierte Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main fort, „dass Wirtschafts- und Handelskriege bestenfalls situativ und kurzfristig gerechtfertigt werden können. Dauerhaft sind sie für alle Parteien schädlich. Sie können im strengen Sinne auch nicht gewonnen werden, da anhaltender wirtschaftlicher Erfolg von gelingender Kooperation abhängt“ (S. 223).

Werner Plumpe ist weit davon entfernt, der Geschichte die Funktion einer Blaupause für Handlungsanweisungen zu erteilen. Historisches Wissen als Beitrag zur Selbstverständigung in der Gegenwart will er aber sehr wohl nutzbar machen; und das heißt: die Aufmerksamkeit dafür erhöhen, was eine kurzfristige und unüberlegte Politik langfristig anrichten kann.

Wirtschaftskriege, das betont der mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnete Historiker immer wieder, sind ein Mittel zur Austragung von Konflikten, nicht ihre Ursache. Sie folgen keiner ökonomischen Rationalität, sind vielmehr Teil weitergehender politischer Rivalitäten. Und gerade das macht sie so gefährlich.

Nirgendwo wird das deutlicher als am Beispiel der amerikanisch-chinesischen Rivalität. Nicht der atemberaubende wirtschaftliche Aufschwung Chinas an sich wurde zur Herausforderung für die USA, sondern die Tatsache, dass das „Reich der Mitte“ sich nicht bereitwillig der Pax Americana fügte und vielmehr eigene Strukturen jenseits der amerikanischen Ordnung aufzubauen begann. „Das Ökonomische“, so konstatiert Plumpe, „wurde aufgrund seiner Dimension deshalb politisch, weil es die Gewichte und Handlungskapazitäten in der Machtkonkurrenz definitiv zu verschieben drohte“ (S. 23). Der Garant jener Ordnung, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Chinas Aufstieg ohne eigene Stabilisierungsbeiträge ermöglichten, sah sich plötzlich als Opfer unfairer Praktiken. Dass mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ein nicht unerheblicher Grund für das Außenhandelsdefizit der USA ist, wird dabei ignoriert. In erfreulicher Deutlichkeit betont Werner Plumpe, dass hinter dem Niedergang älterer amerikanischer Industriegebiete nicht vorrangig die chinesische Konkurrenz stehe, sondern eine Mischung aus Bürokratisierung, fehlender technologischer Dynamik und mangelndem Konkurrenzdruck.

 

Welche Zukunft?

So gesehen, ist die konfrontative Politik des US-Präsidenten, der internationale Beziehungen als Nullsummenspiel und nicht auch als Kooperation zum gegenseitigen Nutzen begreift, der Versuch, die eigene Dominanz wiederherzustellen, und sei es um den Preis, in eine Ära der Wirtschaftskriege zurückzukehren. Dabei knüpft er an Rezepte der englischen Handelspolitik des 17. und 18. Jahrhunderts an. Was Donald Trump dabei übersieht, ist die Tatsache, dass „die Illusion der Handlungsfähigkeit die eigene weitgehende Unabhängigkeit von der globalen Arbeitsteilung voraussetzt“ (S. 194 f.). Tatsächlich sind die USA als immer noch größter Importmarkt der Welt heute abhängiger von der Weltwirtschaft als je zuvor. Und sie sind auf die Kooperation mit Chinas Wirtschaft angewiesen. Eine Abkopplung von der globalen Arbeitsteilung hätte somit verheerende Konsequenzen.

Damit stellt sich die Frage, die Werner Plumpe am Ende seines Buches aufwirft: „eingehegte Ordnungslosigkeit oder zerstörerischer Konflikt“? Das alte Konzept einer durch einen dominanten Akteur geprägten inklusiven Ordnung, sei es zur Zeit der Pax Britannica, sei es im Kalten Krieg oder zur Zeit des „unipolaren Moments“, so viel lässt sich sagen, gehört der Vergangenheit an. Die Zeit eines relativ stabilen weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmens ist bis auf Weiteres vorüber, ein Ordnungsstifter, der die Kosten für die Aufrechterhaltung der Ordnung übernimmt, nicht in Sicht; vielmehr müssen wir von einer neuen Ordnungslosigkeit ausgehen, in der die Wahrscheinlichkeit für Wirtschaftskriege, die jegliches Regelvertrauen zerstören, ebenso sehr zunimmt wie Wachstumsverlust und Wohlfahrtseinbußen absehbar werden.

Nun mag man einwenden, dass es dauerhafte Stabilität in Ordnungen, die eine sich laufend ändernde ökonomische Welt strukturieren sollen, gar nicht gibt. Die Frage, so Werner Plumpe, „lautet immer, ob diese Erosion in neue Formen von Ordnung oder in eine ordnungslose Phase von Auseinandersetzungen und Konflikten mündet“ (S. 232). Letzteres ist jedenfalls kein „Tag der Befreiung“, wie Donald Trump meinte. Im Gegenteil: Die Erinnerung an die Zwischenkriegszeit sollte hier mahnende Warnung sein. In der gegenwärtigen Phase des Übergangs wird man womöglich schon mit permanenten Prozessen des Neuaushandelns zufrieden sein, die zumindest zeitweilig Stabilität versprechen.

 

Victor Mauer, geboren 1968, promovierter Historiker, Lehrbeauftragter am Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.