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Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik

von Judith Michel
Mit dem Ereignis feierte Deutschland eine erste „kleine Wiedervereinigung". Die Saarfrage hatte zuvor jahrelang die deutsch-französischen Beziehungen belastet und die europäische Einigung gehemmt. Am Ende waren dabei der Wille zur deutsch-französischen Aussöhnung und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker stärker als nationalistische Bestrebungen.

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Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Ursprung der Saarfrage liegt in der Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich um die Zugehörigkeit des saarländisch-lothringischen Grenzraums seit dem 18. Jahrhundert, die sich maßgeblich um die wirtschaftlich bedeutsamen und später insbesondere für die Rüstungsproduktion wichtigen Kohlegruben drehte. Zwischen 1919 und 1935 war das Saargebiet dem Völkerbund unterstellt, wobei Frankreich wirtschaftlich weitreichende Rechte erhielt. 1935 sprach sich eine überwältigende Mehrheit der Saarbevölkerung in einer Abstimmung für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg übergaben die amerikanischen Militärbehörden im Juli 1945 Frankreich das Saargebiet zur Verwaltung. Frankreich löste das Gebiet sogleich aus seiner Besatzungszone heraus und errichtete dort ein teilautonomes Staatsgebilde mit eigener Verfassung und Regierung, das von einer gewissen Eigenständigkeit der Selbstverwaltung, einer politischen Loslösung von Deutschland sowie einer Wirtschaftsunion mit Frankreich geprägt war. Die Interessen Frankreichs waren vornehmlich wirtschaftlicher Natur und es war keine politische Annexion geplant; doch zielten Maßnahmen des wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbaus auf eine Assimilierung mit Frankreich. Das Verhältnis zu Frankreich war in zahlreichen Konventionen geregelt. Viele dieser Konventionen wie die zum Steuerwesen, zum Haushalt und zur Rechtspflege regelten Fragen, die nicht zwischen souveränen Staaten auszuhandeln waren, sondern die normalerweise der inneren Gesetzgebung eines Landes unterlagen. Die Konventionen bedeuteten somit die Übernahme wesentlicher Hoheitsfunktionen im Saargebiet durch Frankreich.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit sprachen einige Argumente für eine starke Bindung an Frankreich: So war die politische Lage Deutschlands unklar und die wirtschaftliche Situation katastrophal. Auch konnte man so eine politische Annexion, Reparationsforderungen und Demontagen durch Frankreich verhindern. Diese Position wurde von der Christlichen Volkspartei (CVP) unter Johannes Hoffmann vertreten, die von 1947 bis 1955 – meist zusammen mit den Sozialdemokraten – die saarländische Regierung stellte. Ministerpräsident Hoffmann setzte sich für ein autonomes Saarland ein, das Teil des französischen Wirtschaftsraumes und eingebettet in das zusammenwachsende Europa sein sollte. Hoffmann gelang es, an der Saar ein geradezu vorbildliches Sozialwesen aufzubauen, was sicherlich mit zu seiner Wiederwahl 1952 beitrug. Kritik riefen hingegen seine geradezu polizeistaatlichen Methoden hervor, mit denen er gegen die „prodeutsche“ Opposition vorging. So wurden politisch nicht genehme Personen aus dem Saarland ausgewiesen und unterdrückt. Die „prodeutschen“ Parteien Demokratische Partei Saar (DPS), die Christlich Demokratische Union (CDU) und die Deutsche Sozialdemokratische Partei (DSP) wurden von der Regierung Hoffmann verboten.

Zum Leidwesen der Bundesregierung erhob Frankreich die Beziehungen zur Saar im Januar 1952 völkerrechtlich auf die diplomatische Ebene. Die Saarfrage störte aber nicht nur das deutsch-französische Verhältnis, sondern wurde zunehmend zum Hemmschuh der europäischen Integration. Nachdem das Saarproblem bereits den Beitritt Deutschlands zum Europarat und die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) belastet hatte, machte Frankreich 1954 die Lösung der Saarfrage zur Bedingung für den Abschluss der Pariser Verträge, welche die Aufhebung des Besatzungsstatuts in der Bundesrepublik sowie ihre Wiederbewaffnung regeln sollten.

 

Pläne zur Europäisierung der Saar

Vor dem Hintergrund drängender Nachkriegsprobleme hatte die Saarfrage für Bundeskanzler Konrad Adenauer zunächst keine hervorgehobene Bedeutung gehabt. Zwar ging auch er von einem deutschen Rechtsanspruch auf die Saar aus – er meinte, diesen jedoch einerseits gegen Frankreich zum momentanen Zeitpunkt nicht durchsetzen zu können und war sich andererseits angesichts des Wahlerfolgs der Regierung Hoffmann im Jahr 1952 nicht sicher, ob die Saarländer überhaupt für eine Eingliederung in die Bundesrepublik votieren würden. Er verhielt sich daher zunächst überwiegend passiv und wollte die Zeit bis zu einem Friedensvertrag mit Deutschland nutzen, die Saar politisch und wirtschaftlich von Frankreich zu lösen.

Je mehr das Saarproblem Adenauers Kurs der Westbindung erschwerte, desto intensiver bemühte er sich um eine einvernehmliche Lösung mit Frankreich. In langen Verhandlungen einigte er sich mit dem französischen Ministerpräsident Pierre Mendès France am 23. Oktober 1954 auf ein europäisches Saarstatut. Dieses baute auf älteren Plänen zu einer Europäisierung der Saar auf. Es sah weitgehende politische Autonomie für das Saarland vor, wobei die außen- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten durch einen der Westeuropäischen Union (WEU) unterstellten europäischen Kommissar wahrgenommen werden sollten. Angedacht war, das Saarland nach und nach zu einem Zentrum der europäischen Institutionen zu machen. Die bestehende französisch-saarländische Wirtschaftsunion sollte beibehalten werden bei gleichzeitiger Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Saarland. Adenauer setzte durch, dass die endgültige Entscheidung über die Saar bei Abschluss eines Friedensvertrags per Volksabstimmung ermittelt werden solle. Im Gegenzug musste er der französischen Forderung nach einem Plebiszit über das Saarstatut durch die Saarbevölkerung zustimmen. Zu diesem Zeitpunkt ging man noch von einer Mehrheit von 70 bis 80 Prozent für das Statut aus. Im Anschluss an die Volksabstimmung sollten freie Landtagswahlen unter Zulassung der bislang verbotenen prodeutschen Parteien stattfinden.

 

Abstimmungskampf um das Saarstatut

Während sich Adenauer auf die Fahnen schrieb, den provisorischen Charakter des Saarstatuts durchgesetzt und damit die Zugehörigkeit der Saar offengehalten zu haben, erwiderten seine Kritiker, das Statut stelle eine deutsche Preisgabe des Saarlandes dar. Adenauer und seine Unterstützer sahen sich mehreren Fronten gegenüber. Nicht nur die SPD als Oppositionspartei, sondern auch Teile der FDP, mit der sich die CDU in einer Koalition befand, setzten sich für eine sofortige Wiedereingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik ein.

War es für Adenauer schon problematisch, dass die Opposition und der Koalitionspartner seine Saarpolitik nicht mittrugen, so war es für ihn umso ärgerlicher, dass es auch Widerstand aus den eigenen Reihen gab. So betrieben Jakob Kaiser und sein Gesamtdeutsches Ministerium – unterstützt durch den CDU-Wirtschaftsexperten Fritz Hellwig, den rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Peter Altmeier sowie dessen Innenminister Alois Zimmer – mehr oder weniger offen eine prodeutsche Saarpolitik und lehnten das europäische Statut ab.

Auch die Saar-CDU unter Hubert Ney, die sich nun ebenso wie die anderen prodeutschen Parteien im Vorfeld des Abstimmungswahlkampfes wieder politisch betätigen durfte, rief zu einer Ablehnung des Statuts auf und brachte sich damit in Widerspruch zur offiziellen Linie der Bundespartei. Da die prodeutschen Parteien mitunter stark nationalistisch argumentierten, sorgte sich Adenauer zudem um das deutsch-französische Verhältnis. Der Kanzler war damit in der paradoxen Situation, dass er zwar keinen Zielkonflikt mit den Kritikern des Statuts hatte – auch er war der Meinung, die Saar gehöre rechtlich zu Deutschland. Während die Saarfrage für die prodeutschen Kräfte jedoch eine absolute Frage war, ordnete Adenauer sie in einen größeren außenpolitischen Zusammenhang ein. Vor die Wahl gestellt, entweder eine schnelle Rückkehr des Saarlands zu Deutschland zu erreichen oder die europäische Integration und den Westkurs der Bundesrepublik voranzutreiben, entschied er sich klar für Letzteres. Aus diesem Grund befürwortete er das Saarstatut, wodurch er in Hinblick auf die Abstimmung auf einer Linie mit der Regierung Hoffmann war, obgleich er dessen restriktive, undemokratische Politik kritisch einschätzte.

Adenauer fasste seine Haltung am 2. September 1955 bei einer Rede in Bochum zusammen: „An die Bevölkerung der Saar habe ich die herzliche Bitte zu richten: Ich verstehe, dass sie die Regierung Hoffmann nicht mehr will (…). Aber der Weg, zu einer anderen Regierung zu kommen, ist gerade, dieses Statut anzunehmen und dann in der darauf stattfindenden Landtagswahl einen Landtag zu wählen, der in seiner Mehrheit gegen die Regierung Hoffmann gerichtet ist. Wenn man das tut, dann wahrt man gleichzeitig auch die europäischen Interessen, die es nicht vertragen, daß (…) in Europa zwischen Deutschland und Frankreich wieder ein Unruheherd geschaffen wird.“ Sein Konzept lautete also, das Statut anzunehmen, um mit den anschließenden Landtagswahlen demokratische Verhältnisse herzustellen. Mit der neuen Regierung wolle man dann eine Kurskorrektur vornehmen. Es war für ihn auch eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber Frankreich, an seiner Unterstützung für das Statut festzuhalten. So antwortete er auf die vor dem Bundesvorstand gestellte Frage, was passiere, wenn das Statut abgelehnt werde: „Dann in Gottes Namen, aber haben wir das Unsrige getan!“

Adenauers Bochumer Appell mobilisierte vermutlich einerseits noch einige Unentschlossene, die nun für das Statut stimmten. Auf der anderen Seite schlossen sich nun aber die prodeutschen Parteien zum „Deutschen Heimatbund“ zusammen, die nun vereint zahlreiche Statutsgegner um sich sammeln konnten. Dies sowie eine zunehmende Unzufriedenheit mit den teils unterdrückerischen Maßnahmen der Regierung Hoffmann führten zu einem Umschwung im Abstimmungskampf. Hinzu kam ein gewachsenes Vertrauen in die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik sowie ihre gestiegene internationale Anerkennung. Auf der anderen Seite war Frankreich durch die Konflikte in Indochina und Nordafrika außenpolitisch und wirtschaftlich geschwächt. Zu guter Letzt wird auch die emotionale Bindung der Saarbevölkerung an Deutschland bei der Abstimmung eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Nach einem leidenschaftlichen, teils gewaltsamen Abstimmungskampf, der durch Familien und Freundschaften ging, bei dem Befürworter als Separatisten und Ablehner als Nationalisten und gar Nationalsozialisten beschimpft wurden, stimmten am 23. Oktober 1955 schließlich 67,7 Prozent der Stimmberechtigten bei einer Wahlbeteiligung von 96,7 Prozent gegen das Statut.

 

Wiedereingliederung

Nach dem Scheitern des Statuts trat Johannes Hoffmann zurück und es wurde eine Übergangsregierung unter dem parteilosen Präsidenten der Landesversicherungsanstalt des Saarlandes Heinrich Welsch errichtet. Bei den folgenden Landtagswahlen siegte zwar die CDU mit 25,4 Prozent, aber DPS (24,2 Prozent) und CVP (21,8 Prozent) lagen knapp dahinter. Insgesamt hatten die Heimatbundparteien die Mehrheit und bildeten unter Ministerpräsident Ney eine neue Regierung. Die Heimatbundparteien waren nun sehr bemüht zu betonten, dass das Votum nicht gegen Frankreich gerichtet sei. Auch Adenauer und der seit Februar 1955 amtierende französische Ministerpräsident Edgar Faure kamen im Telegrammwechsel überein, dass die Abstimmung nichts an den guten deutsch-französischen Beziehungen ändere.

Als das Saarstatut scheiterte, waren die Pariser Verträge, für die es gewissermaßen der „Preis“ hätte sein sollen, schon seit Monaten in Kraft. Inzwischen war die deutsche Montanindustrie in die EGKS eingebunden und eine Kohlenüberproduktion in Europa ließ die Saarkohle zu einem Zuschussgeschäft werden. Die Saarfrage hatte also auch an wirtschaftlicher Brisanz verloren. Vor diesem Hintergrund akzeptierte Frankreich nun das Recht der Saarbevölkerung auf Selbstbestimmung und ermöglichte eine Eingliederung in die Bundesrepublik. Im Gegenzug finanzierte die Bundesrepublik weitgehend die Moselkanalisierung und ließ Frankreich und dem Saargebiet wirtschaftliche Vergünstigungen zukommen. Am 27. Oktober 1956 einigten sich die Bundesrepublik und Frankreich im Vertrag von Luxemburg auf eine politische Eingliederung der Saar in die Bundesrepublik ab dem 1. Januar 1957. Die wirtschaftliche Eingliederung erfolgte dann mit einigen Schwierigkeiten ab dem 6. Juli 1959.

Dass die Rückgliederung der Saar möglich wurde, lag zum einen an den Statutsgegnern. Adenauers strikter Westkurs und sein Einsatz für die deutsch-französische Verständigung schufen aber das vertrauensvolle Klima, das für Neuverhandlungen nötig war. Auch während dieser Verhandlungen unterstützte der Kanzler Frankreich vorbehaltlos in der Suezkrise und im Algerienkonflikt, was mit zur reibungslosen Lösung der Saarfrage beitrug. Auf französischer Seite waren wiederum Politiker an der Macht, die die Zumutbarkeitsgrenze ihres deutschen Partners erkannten und nicht nur nach nationalstaatlichem Interesse entschieden. Die Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik stellte somit nicht nur einen ersten Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands dar, sondern ist insbesondere ein Markstein der deutsch-französischen Aussöhnung.

 

Literatur zur Saarfrage:

  • Elzer, Herbert, Adenauers „großes Spiel“. Staatsraison und Parteikalkül bei der Durchsetzung des deutsch-französischen Saarabkommens vom 23.10.1954 gegen Jakob Kaiser und die CDU/CSU, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 46 (1998), S. 182-245.
  • Elzer, Herbert, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Netzwerk der prodeutschen Opposition 1949-1955, St. Ingbert 2007.
  • Elzer, Herbert, Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und die „kleine Wiedervereinigung“. Die Bundesministerien im außenpolitischen Ringen um die Saar 1949 bis 1955, St. Ingbert 2008.
  • Gestier, Markus (Hg.), Auf dem (Rück-)Weg nach Deutschland. Beiträge zu Wurzeln und Wegmarken christlicher Politik im Saarland, Blieskastel 2006.
  • Hudemann, Rainer/Jellonnek, Burkhard/Rauls, Bernd (Hg.), Grenz-Fall. Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, St. Ingbert 1997.
  • Hudemann, Rainer/Poidevin, Raymond (Hg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992.
  • Kraus, Albert H. V., Konrad Adenauer und die Saarfrage in der Entscheidungsphase 1954/55, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 29 (1981), S. 217-242.
  • Küppers, Heinrich, Johannes Hoffmann (1890-1967). Biographie eines Deutschen. Düsseldorf 2008.
  • Lappenküper, Ulrich, Die deutsch-französischen Beziehungen. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, Bd. I: 1949-1958, München 2001.
  • Repgen, Konrad, Die Saarfrage im Bundesparteivorstand der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands 1950-1955. Über die Verschränkung von Innen- und Außenpolitischem in der Politik Konrad Adenauers, in: Urs Altermatt/Judit Garamvölgyi (Hg.), Innen- und Außenpolitik. Primat oder Interdependenz? Festschrift für Walther Hofer zum 60. Geburtstag, Bern/Stuttgart 1980, S. 87-125.
  • Thoß, Bruno, Die Lösung der Saarfrage 1954/55, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 38 (1990), S. 225-288.

 

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