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Länderberichte

Politischer Vulkanausbruch in Indonesien

von Dr. Jan Woischnik, Philipp Müller

Hoffnungsträger Jokowi liegt nach vorläufigem Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vorne

Indonesien 16 Jahre nach Reformasi erneut vor politischer und sozialer Zeitenwende?

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Zusammenfassung

  • Nach dem Ende der Suharto-Ära 1998 haben im viertgrößten Land der Welt am 9. Juli 2014 bereits die dritten direkten Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Mehr als 190 Millionen Wähler waren aufgerufen, einen Nachfolger für den scheidenden Staatspräsidenten Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) zu wählen, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren durfte. In Indonesien ist der Präsident Regierungschef und zugleich Staatsoberhaupt.
  • Es ist wahrscheinlich, dass der bisherige Gouverneur der Hauptstadt Jakarta, Joko Widodo („Jokowi“) und sein Vize Jusuf Kalla, die Wahlen gewonnen haben. Sie erhielten nach der vorläufigen Auszählung der Stimmen („quick counts“) und den Angaben der beiden renommiertesten Umfrageinstitute 52,80% der Stimmen (SMRC-LSI ) bzw. 52,34% der Stimmen (KOMPAS ). Das rivalisierende Tandem aus Ex-General Prabowo Subianto und Vize Hatta Rajasa konnte hingegen nur 47,20% bzw. 47,66% der Stimmen erzielen. Auch die Ergebnisse aller anderen seriösen Institute gehen in die gleiche Richtung, mit nur unwesentlichen Abweichungen hinter dem Komma. Die amtlichen Endergebnisse werden für den 22. Juli 2014 erwartet. Allerdings zeigen die Erfahrungen mit vorhergehenden Wahlen in Indonesien, dass die „quick counts“ in der Regel sehr nah am endgültigen Wahlergebnis liegen.
  • Trotz des sich daraus ergebenden Vorsprungs von rund 5 Prozent der Stimmen, was angesichts der Wahlbeteiligung in Höhe von ca. 70 Prozent einer Anzahl von mehr als 6 Millionen Wählern entspricht, hat sich Prabowo bislang geweigert, Jokowis Sieg anzuerkennen. Er bittet darum, bis zum 22. Juli abzuwarten – was ja durchaus legitim ist. Staatspräsident SBY hat beide Parteien darum gebeten, öffentliche Siegesfeiern zu unterlassen und zunächst die amtlichen Endergebnisse abzuwarten.
  • Jokowi, dessen Vier-Parteien-Koalition im Nationalparlament auf Unterstützung anderer Parteien angewiesen sein wird, steht vor allem für eine protektionistische Wirtschaftspolitik, Korruptionsbekämpfung, Reformen im Bereich Rechtsstaat und Bürokratie sowie die Forderung nach einer geistig-moralischen Wende.
  • Das vorläufige Ergebnis ist eine Bestätigung der vorangegangenen Parlamentswahlen vom 9. April 2014, die Jokowis Partei, die bisherige Oppositionspartei PDI-P („Kämpferische Demokratische Partei Indonesiens“), mit einem Stimmenanteil von 18,95 Prozent gewonnen hatte. Zur Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten waren allerdings mindestens 25 Prozent der Stimmen notwendig, sodass bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen auf allen Seiten Koalitionsgespräche geführt werden mussten.
  • Jokowis potenzieller Sieg ist vor allem eine Zustimmung zu seiner Person und nicht zu der hinter ihm stehenden Parteienkoalition oder gar deren Programmatik. Zur Wahl standen zwei völlig unterschiedliche Charaktere: der als impulsiv geltende und der Menschenrechtsverbrechen bezichtigte Ex-Militär Prabowo Subianto sowie der als integer, geradezu schüchtern und volksnah auftretende Senkrecht-starter Jokowi. Er hat keine Militärvergangenheit, gehört auch keiner der typischen Politikdynastien an und ist damit gleichsam der Antityp der indonesischen Politik.
  • Der kometenhafte Aufstieg Jokowis und dessen sich abzeichnender Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen garantieren allerdings keineswegs den von vielen Indonesiern ersehnten tiefgreifenden Wandel der politischen Kultur des Landes und die Lösung drängender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Herausforderungen. Jokowis fehlende Machtbasis in Regierungspartei und Nationalparlament, unausgereifte Politikentwürfe und die chronisch ineffiziente Bürokratie des Landes stellen die größten Herausforderungen dar.
Das nach Bevölkerungszahl viergrößte Land der Welt hat in einer direkten Wahl einen neuen Staats- und Regierungschef bestimmt und setzt damit seine demokratische Erfolgsgeschichte fort. Doch diesmal ist vieles anders, zu lange hatte es unter der Oberfläche Indonesiens gebrodelt: ein Sieg von Joko Widodo („Jokowi“), bis zuletzt Gouverneur der Hauptstadt Jakarta, wäre mehr als eine turnusgemäße Ablösung des scheidenden Susilo Bambang Yudhoyono (SBY), der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte und das regional wie international aufstrebende G20-Land in den letzten zehn Jahren vor allem wirtschaftlich vorangebracht hatte. Vielmehr ist der 53-jährige Jokowi und sein kometenhafter Aufstieg binnen weniger Monate ein Ausbruch des großen Verlangens nach einer neuen politischen Kultur fernab von Korruption, Patronage, Nepotismus, Willkür und Machtmissbrauch. Trotz dieses „Jokowimentums“ bleibt abzuwarten, ob sich mit seinem Wahlsieg auch die Hoffnungen vieler Indonesier auf einen tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandel sowie die Lö-sung aktueller sozioökonomischer Herausforderungen ihres Landes erfüllen.

Mit dem Ausgang der Wahlen hat sich nicht nur der Favorit durchgesetzt, auch der Trend der Parlamentswahlen vom April des Jahres wurde zumindest vorläufig bestätigt. Jokowis Partei, die als links-liberal und gleichzeitig nationalistisch beschrieben werden kann, war bislang Oppositionspartei und hatte bereits die Wahlen zum indonesischen Nationalparlament gewonnen. Im Gegensatz zur vorangegangenen Wahl 2009 konnte sich die Partei von Megawati Sukarnoputri, Tochter des ehemaligen Präsidenten und Staatsgründers Sukarno, um mehr als fünf Prozentpunkte auf aktuell 18,95 Prozent steigern und ist damit nach Jahren der Opposition neue stärkste Kraft im Nationalparlament. Dort tummeln sich wie in der Vergangenheit traditionell viele Parteien, diesmal schafften zehn von ihnen den Sprung über die 3,5 Prozent-Hürde. Prabowos Partei, die stark nationalistische GERINDRA, wurde erst 2008 gegründet und landete bei den Parlamentswahlen auf dem dritten Platz. Sie kam auf über 11,79 Prozent der Wählerstimmen und konnte damit ihr Ergebnis gegenüber 2009 (4,46 Prozent) um über sieben Prozentpunkte verbessern.

Analyse des Wahlergebnisses: Faszination Mensch

Traditionell spielen Personen in Indonesiens Politik eine weitaus größere Rolle als Parteien oder deren Programmatik. 2004 gewann Susilo Bambang Yudhoyono vor allem deshalb, weil er sich erfolgreich als Saubermann in einer von Korruptionsaffären nur so triefenden politischen Klasse darstellen konnte. Mit der Präsidentschaftswahl 2014 erreichte das personenzentrierte Wahlverhalten der Indonesier eine nie dagewesene Bedeutung, da den Wählern mit Jokowi und Prabowo zwei Kandidaten zur Auswahl standen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Der sich nach den vorläufigen Auszählungen abzeichnende Wahlsieg Jokowis ist deshalb in erster Linie mit der großen Zustimmung zu seiner Person zu erklären. Gewonnen haben Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Zurückhaltung eines gewöhnlichen Muslims von der Hauptinsel Java. Jokowi verkörpert damit das absolute Gegenteil des etablierten Politikertypus in Indonesien: er ist bescheiden und volksnah, gilt als ehrlich und unbestechlich, kommt nicht aus einer Oligarchen-Familie und hat auch keine Vergangenheit im Militär. Insbesondere ist er nicht Teil der zur Genüge bekannten Clique von Politikern, die bereits zu Suharto-Zeiten politisch aktiv gewesen ist und derer viele Indonesier inzwischen überdrüssig sind. Seine Vorliebe für Heavy-Metal-Musik und die rot-blauen Karohemden machten ihn vor allem bei der jüngeren Bevölkerung Indonesiens sehr beliebt. Der 53-jährige ehemalige Möbelhändler aus Surakarta ist seit 2012 Gouverneur der Hauptstadt und Megacity Jakarta. Seitdem ging es für ihn steil nach oben, innerhalb weniger Monate stieg er zum neuen Superstar und Medienliebling der indonesischen Politik auf. Er selbst hatte sich lange Zeit nur vage zu einer möglichen Präsidentschaftskandidatur geäußert und auf die Parteichefin Megawati Sukarnoputri und deren Entscheidungsbefugnis verwiesen. Die Tochter des Staatsgründers Sukarno, die von 2001-2004 selbst Präsidentin des Inselreiches war, hatte sich von den hohen Zustimmungswerten Jokowis überzeugen lassen und ihn letztendlich kurz vor den Parlamentswahlen als Spitzenkandidaten ihrer Partei für die darauffolgenden Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben.

Auf der gegnerischen Seite stand Prabowo Subianto, hochrangiger Ex-Militär und ehemaliger Schwiegersohn des langjährigen Staatschefs Suharto. Er ließ im Wahlkampf keine Gelegenheit aus, sich als „starker Mann“ darzustellen: so ritt er beispielsweise auf dem Rücken eines weißen Pferdes in ein Stadion ein, um sich von seinen Anhängern ganz nach Feldherren-Manier feiern zu lassen. Als ehemaliger General und Militär war es für ihn leicht, sich als entscheidungsstarken und durchsetzungsfähigen Führer zu inszenieren. Faszination übte er vor allem auch deshalb aus, weil der bisherige Staatspräsident Yudhoyono gerade in seiner zweiten Amtszeit mit Entscheidungsschwäche, fehlender Führung und Unentschlossenheit assoziiert wurde. Kritiker werfen ihm vor, dass er zwar die Wirtschaftskraft des Landes vorangebracht hatte – während seiner Amtszeit wuchs das BIP um durchschnittlich fünf bis sechs Prozent – zentrale politische Reformen und die Durchsetzung gesetzlich garantierter Minderheitenrechte allerdings sträflich vernachlässigt habe.

Auch was die Vergangenheit betrifft unterschied sich Prabowo deutlich von seinem Kontrahenten Jokowi: dem ehrgeizigen Ex-General werden im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Studenten bei den Unruhen 1998 sowie seiner Zeit als General in Ost-Timor Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen. Die USA haben ihn deshalb mit einem Einreiseverbot belegt. Obwohl seine fragwürdige Vergangenheit im Wahlkampf vor allem vom politischen Gegner immer wieder zur Sprache gebracht wurde, tat sie seiner Beliebtheit bei den indonesischen Wählern keinen großen Abbruch. Prabowo war bis zur Bekanntgabe von Jokowis Kandidatur monatelang sogar Favorit auf das Amt des Staatspräsidenten und ließ bis dato alle anderen Kandidaten deutlich hinter sich.

Den kompletten Länderbericht als PDF-Datei zum Download finden Sie oben.

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10. Juli 2014
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