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Veranstaltungsberichte

„Arabischer Frühling“ oder „Islamistischer Winter“?

Am 10. Oktober 2012 veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel in Kooperation mit dem Interdisciplinary Center Herzlyia (IDC) eine Konferenz zum Thema „Der Nahe Osten zwischen Demokratisierung, neuem Autoritarismus und Staatszerfall“. Prominente Vortragende waren der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Andreas Schockenhoff MdB, sowie Generalmajor der Reserve Amos Gilad.

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Nach Grußworten von Prof. Uriel Reichmann, Präsident des IDC, Dr. Boaz Ganor, Lehrstuhlinhaber für Terrorismusbekämpfung, und Michael Mertes, Direktor der KAS Israel, führte Dr. Amichai Magen thematisch in den Vortragsabend ein.

Dr. Magen, Direktor der politischen Abteilung des IDC, skizzierte in seiner Einführung wichtige Fragen, die im Laufe der Veranstaltung im Mittelpunkt stehen sollten. Wo befinden sich die arabischen Staaten knapp zwei Jahre, nachdem die Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi die Unruhen in der arabischen Welt ausgelöst hat? Die Sorge vieler Israelis, dass säkulare bzw. moderate Parteien in freien Wahlen schwach abschneiden und Islamisten an die Macht kommen, scheint sich zu bestätigen. Doch wie werden Machtteilhabe und Regierungsverantwortung die islamistischen Parteien verändern? Im Fokus der Veranstaltung stand ferner das Erstarken nichtstaatlicher Akteure.

Auf diese Leitfragen kam der Gastredner aus Deutschland schnell zu sprechen.Dr. Schockenhoff wies darauf hin, dass Israel derzeit drei sicherheitspolitische Prioritäten habe: Iran, Iran, Iran. Dabei ging der Außenpolitiker auf die unterschiedlichen Sichtweisen von Israelis, Amerikanern und Europäern ein. So werde zum Beispiel differenziert zwischen der Fähigkeit zur Erreichung nuklearer Waffen und deren tatsächlichem Besitz . Diese „rote Linie“ werde von Barack Obama, Benjamin Netanjahu und europäischen Regierungen bzw. Brüssel unterschiedlich gezogen. Zwar sei der Weg der Diplomatie und Sanktionen noch nicht ausgereizt, betonte Dr. Schockenhoff, doch Israels Sicherheit sei für die Bundesrepublik „nicht verhandelbar“.

Des Weiteren konzentrierte sich Dr. Schockenhoff auf die jüngeren politischen Entwicklungen in der arabischen Welt. Dabei verglich er die Herausforderung der dortigen Gesellschaften mit den Herausforderungen in Ost- und Mitteleuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Damals wie heute waren und sind das Streben nach Freiheit und ökonomischen Veränderungen die treibenden Kräfte des Wandels. Allerdings wird die Freude über den Mut der Menschen, die die alte politische Ordnung in Frage stellten und Diktaturen stürzten, begleitet von vielfältigen Sorgen, zuweilen auch Skepsis.

Dies gilt bspw. für die Situation in Ägypten. Freie Wahlen allein führten noch keine Demokratie herbei. Vielmehr bedürfe es gefestigter Institutionen, politischer Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger und tiefgreifender Reformen insbesondere in den Sicherheitskräften. Dramatisch verschlechtert habe sich die Situation auf dem Sinai, denn dort ist seit Sturz des Mubarak-Regimes ein nahezu rechtsfreier Raum in direkter Nachbarschaft zu Israel entstanden. Daher gehöre es zu Präsident Mursis drängendsten Aufgaben, die staatliche Präsenz wiederherzustellen.

Als Fazit hielt Dr. Schockenhoff fest, dass zwei Jahre nach Beginn der Proteste die arabische Welt weiterhin in Bewegung bleibe und vielerorts die Unzufriedenheit über die Politik anhalten werde. Jedoch müsse man den Menschen und Regierungen Zeit geben und sich von der im Westen verbreiteten Illusion verabschieden, dass eine Demokratie über Nacht entstehen könnte. Diese Erkenntnis, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, sei nicht zuletzt eine Erfahrung aus unserer eigenen deutschen Geschichte. Gefragt sei deshalb europäisches Engagement und Unterstützung, die bevorstehende kräftezehrende Transformation zu bewältigen.

Eine israelische Sicht der Dinge präsentierte im Anschluss Amos Gilad, der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in militärischen Fragen berät. Spezielles Augenmerk richtete der Generalmajor der Reserve zunächst auf die Vorgänge in Ägypten und stellte die Frage, ob die Muslimbruderschaft – als inzwischen stärkste politische Kraft – den Frieden mit Israel halten werde. Noch vor Jahren schien dies undenkbar, doch die Lage habe sich geändert. Verantwortlich dafür ist dieMacht des Militärrats, der die ägyptische Regierung davon abhalten würde, den seit 1979 bestehenden Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen.

Dennoch vermittelte die sicherheitspolitische Analyse des Militärberaters ein düsteres Bild vom Sinai, was in erster Linie mit Aktivitäten zahlreicher terroristischen Gruppierungen und der Organisierten Kriminalität begründet ist, die die Schwäche des Staates ausnutzten. Die wiederholten Angriffe nichtstaatlicher Akteure auf ägyptische Sicherheitskräfte und Soldaten – auch an der Grenze zu Israel – belegen zum einen, dass der Sinai von Kairo lange Zeit stark vernachlässigt wurde, und zum anderen die anhaltende Instabilität in der Region. Eines der Ziele der Terroristen bestünde darin, gab Amos Gilad zu bedenken, israelische Vergeltungsaktionen zu provozieren. Sollten derartige Operationen tatsächlich durchgeführt werden und auf ägyptisches Gebiet übergreifen, sei „der Vertrag von 1979 Geschichte!“.

Zusätzlich zur Situation auf dem Sinai müssen die Entwicklungen in Jordanien in die Sicherheitsanalyse einfließen, wie Gilad betonte. Die Fähigkeit der jordanischen Streitkräfte, den Terrorismus einzudämmen, sei eng verbunden mit der israelischen Sicherheitspolitik. Folglich habe Israel die Stabilität des Königreichs aktiv zu fördern. Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist die Verortung Israels sicherheitspolitischer Grenze an die jordanisch-irakische Grenze. Dies spricht für eine starke strategische Partnerschaft mit Amman.

In den Ausführungen durfte ein Lagebericht zu Syrien nicht fehlen. Amos Gilad sprach mit Blick auf Präsident Assad von einem Teufel, aber „zumindest einem, den wir kennen“. Daher verwundert es nicht, dass Gilad für die Zeit nach Assad ein düsteres Szenario zeichnete. Seiner Ansicht nach werde Syrien in Chaos und einem jahrelangen Bürgerkrieg versinken. Mit Sorge blickte er in diesem Kontext auch auf die Golan-Höhen, die gegenwärtig eine der ruhigsten Grenzen der gesamten Region bildeten. Auf die Frage, ob er schlussendlich mit einer Demokratisierung Syriens rechne, zeigte sich Amos Gilad äußerst skeptisch: „Nein, in keinem Fall. Es wird enden wie in Gaza!“

Die Kooperation zwischen israelischen und palästinensischen Sicherheitskräften bezeichnete Gilad als unerlässlich für die nationale Sicherheit. Aus israelischer Perspektive hätten derzeit jedoch andere Themen Priorität: das iranische Atomprogramm, die verschlechterte Sicherheitslage an den Grenzen zu Ägypten und zum Libanon sowie die Unsicherheiten durch die Umbrüche in der arabischen Welt.

Die Vorträge und die anschließende Diskussion mit dem Publikum haben verdeutlicht, dass die Vorgänge in Nordafrika und im Nahen Osten in Israel mit großem Interesse sowohl von der Öffentlichkeit als auch in politischen Kreisen verfolgt werden. Nichts wäre für Israels Sicherheit wünschenswerter als Staaten in der Nachbarschaft, die sich friedlich und demokratisch entwickelten und Formen der regionalen Kooperation oder gar Integration praktizierten. Deshalb sind Veranstaltungen, wie sie die KAS Israel und das Interdisciplinary Center Herzliya gemeinsam durchführen, besonders wichtig, um das Thema „Arabischer Frühling“ von unterschiedlichen Standpunkten zu beleuchten, aber auch die Erneuerungsprozesse in der arabischen Welt zu begleiten. Angesichts der Herausforderungen von drohender Instabilität, einem nuklearen Iran und der Zunahme von politischem und religiösem Extremismus scheint klar, dass Demokratieförderung und Rechtsstaatlichkeit nur mit großem Einsatz und Ausdauer erzielt werden können. Die Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel wie in der Region insgesamt wird die Menschen, die diese Ziele teilen, dabei nach Kräften unterstützen.

Simon Perger, Nadine Mensel

Einen Bericht der israelischen Presse zur Veranstaltung finden Sie hier.

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