Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Brücke oder Trenngraben?

von Michael Mertes

Die Entdeckung küstennaher Energievorkommen und die Geopolitik des östlichen Mittelmeers

Am 27./28. November 2013 diskutierten Wissenschaftler, Diplomaten und Politiker aus Israel, der Türkei, Zypern und Griechenland über Kooperationschancen und Spannungsrisiken angesichts der Entdeckungen großer Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Veranstaltet wurde dieses Seminar vom Harry S. Truman Research Institute for the Advancement of Peace an der Hebräischen Universität Jerusalem und der KAS Israel.

Asset-Herausgeber

Erstes Panel: Neue Energiequellen: Brücke oder Trenngraben?

Im ersten Panel ging es um eine grundsätzliche Analyse der politischen Chancen und Risiken. Unter der Moderation des bekannten israelischen Fernsehjournalisten Oren Nahari referierten und diskutierten Vertreter der hauptbetroffenen Länder (außer Libanon und Ägypten) über die Frage, was die Erdgasfunde im östlichen Mittelmeer für die Zukunft der regionalen Kooperation bedeuten könnten. Die israelische Perspektive wurde präsentiert von Botschafter Michael Lotem, Beauftragter des israelischen Außenministeriums für Energiefragen. Botschafter Dimitris Hatziargyrou erläuterte den Standpunkt Zyperns, Botschafter Spiros Lampridis die Position Griechenlands. Dr. Aykan Erdemir, Mitglied des türkischen Parlaments, analysierte die Situation aus der Sicht seines Landes.

Es wurde deutlich, dass das politische Kernproblem bei der Frage des Pipelineverlaufs die ungelöste Zypernfrage ist. Für Israel bieten sich verschiedene Optionen an: Zum einen eine Pipeline nach Griechenland, die allerdings wegen der Tiefenunterschiede auf dem Meeresgrund technisch sehr anspruchsvoll und dadurch sehr teuer wäre. Zweitens käme eine Erdgasverflüssigungsanlage auf zypriotischem Boden in Betracht. Die dritte Option wäre eine Pipeline über die Türkei – eine Möglichkeit, die so lange unrealistisch ist, wie die Zypernfrage ungelöst bleibt.

Aus türkischer Sicht wäre die dritte Option deshalb wünschenswert, weil sie die Abhängigkeit von Erdgas aus Russland, Iran und Aserbaidschan verringern und zugleich eine stärkere Anbindung der Türkei an die EU ermöglichen würde. Das Hauptinteresse für Griechenland und Zypern besteht dahin, dass beide Länder durch Erdgastransport dringend benötigte Staatseinnahmen generieren können. Insgesamt bestand Einigkeit darüber, dass die Kooperationschancen – und damit die Vorteile für alle Beteiligten – weitaus höher wären als die Spannungsrisiken.

Zweites Panel: Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte der Energiepolitik im östlichen Mittelmeer

Das zweite Panel befasste sich mit den ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Energiepolitik im östlichen Mittelmeer. Prof. Rauf Versan von der Istanbul University konzentrierte sich in seinem Vortrag auf Probleme bei der Anwendung des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der Vereinten Nationen, dem die Türkei und Israel nicht angehören. Unstimmigkeiten über die Ausdehnung der einander überlappenden „Ausschließlichen Wirtschaftszonen“ (Art. 55 SRÜ) sind derzeit gravierende Hindernisse auf dem Weg zur regionalen energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Nimrod Novik, leitender Wirtschaftsvertreter und ehemaliger politischer Berater des israelischen Ministerpräsidenten, veranschaulichte am Beispiel des „Egypt-Israel Natural Gas Project“ (EMG), wie ein internationales Energieprojekt zustande kommt und auf welche politischen Schwierigkeiten es stößt. Prof. Alfred Tovias von der Hebräischen Universität Jerusalem analysierte die politischen und ökonomischen Interessen der Europäischen Union im östlichen Mittelmeer. Dr. Itay Fishhendler vom Truman Institute ging in seinem Vortrag näher auf den Begriff der Energiesicherheit ein. Er unterschied dabei zwischen vier Dimensionen: Versorgungssicherheit, Energieunabhängigkeit, Akzeptanz (bei Kernkraft nicht überall gegeben) und Bezahlbarkeit. Für Israel erhebe sich die Frage, ob und in welchem Umfang es seine eigenen Erdgasvorkommen für den Export zur Verfügung stellt – es werde vielfach die Auffassung vertreten, dass diese Ressourcen allein in Israel verbraucht werden sollten.

Drittes Panel: Die geopolitischen Auswirkungen küstennaher Energievorkommen

Im dritten Panel ging es um die möglichen Veränderungen der regionalen Machtbalance als Folge der Entdeckung und Erschließung neuer Energiequellen. Prof. Michael Emerson vom Center for European Policy Studies, Brüssel, ging unter dem Motto „Fishing for Gas and More in Cypriot Waters“ der Frage nach, ob der ökonomische Zwang, die Offshore-Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer möglichst bald zu nutzen, eine Regelung der Zypernfrage beschleunigen könne. Dr. Andreas Stergiou von der Universität von Kreta prognostizierte die Entstehung einer griechisch-zypriotisch-israelischen Allianz; entscheidend sei, dass Israel dabei mitspiele. Dan Meridor, stellvertretender israelischer Ministerpräsident a.D., leitete mit seinen Überlegungen über die Stellung Israels im sich wandelnden Nahen Osten bereits zum nächsten Panel über.

Viertes Panel: Arabischer Frühling oder Arabischer Herbst? Demokratie und politische Stabilität im Nahen Osten

Prof. Moshe Maoz (Truman Center, University of Michigan) ging in seinem Vortrag auf die blutige Entwicklung in Syrien ein, vor allem auf die ethnisch-religiöse Zusammensetzung der Anhänger und Gegner des Assad-Regimes. Dabei erwähnte er besonders, dass die Furcht von dem Terrornetzwerk Al Kaida vielen Syrern das Assad-Regime als geringeres Übel erscheinen lasse. Die internationalen Vereinbarungen zur Kontrolle und Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals verschafften Assad eine vorläufige Überlebenschance.

Prof. Elie Podeh (Truman Institute) analysierte den Weg Ägyptens nach zwei Revolutionen (dem Sturz des Mubarak- und dem Sturz des Mursi-Regimes) in kurzer Zeit. Er unterschied zwischen vier Formen politischer Umbruchsituationen in der arabischen Welt: der „aktiven Revolution“ (Tunesien, Ägypten, Jemen); dem Bürgerkrieg (Libyen, Syrien); der „Refolution“, einer Mischung aus Reform und Revolution (kennzeichnend vor allem für modernisierungsbereite Monarchien wie Jordanien, Marokko, Vereinigte Arabische Emirate); der Status-quo-Orientierung in Ländern, die bereits große Umbrüche hinter sich haben (Irak, Libanon, Palästina, Algerien).

Prof. Raphael Israeli (Truman Institute, Autor des kürzlich erschienenen Buches „From Arab Spring to Islamic Winter“) untersuchte die Frage, ob die in Tunesien im Dezember 2010 einsetzende Serie von Umbrüchen in der Arabischen Welt letztlich nur illiberalen, rückwärtsgewandten islamistischen Kräften (Moslembrüdern, Salafisten und anderen) den Weg geebnet und damit einen „Islamischen Winter“ in der Region Naher Osten/Nordafrika heraufbeschworen habe. In diesem Zusammenhang problematisierte er auch das Demokratieverständnis der „arabischen Straße“.

Fünftes Panel: Ferne Spiegel – Energie, Konflikt und Kooperation am Beispiel des Persischen Golfs und des Südchinesischen Meeres

Das letzte Panel diente dem Vergleich der Lage im östlichen Mittelmeer mit der Situation in anderen Seeregionen. Dr. Ran Shauli (Truman Institute) richtete den Blick auf Südost-Asien und die dortige Suche nach Energiequellen. Dr. Micha’el Tancum (Truman Institute) zeigte in seinem Referat, wie die Gemeinsamkeit energiepolitischer Interessen Indien und Japan zu einer neuen maritimen Allianz im Südchinesischen Meer bewegt habe. Yoel Guzansky vom Institute for National Security Studies (INSS) zeichnete ein Bild der komplexen Konflikt- und Kooperationsverhältnisse, in denen sich die arabischen Golfstaaten infolge der Entdeckung neuer Ölvorkommen befinden. Dr. Christopher Pokarier (Truman Institute, Waseda-Universität Tokyo) untersuchte die australische Politik in der Osttimor-Frage und im Streit über die Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Timorsee. Der „Treaty on Certain Maritime Arrangements in the Timor Sea“ (CMATS-Vertrag) habe eine Lösung festgeschrieben, die für beide Seiten wirtschaftlich vorteilhaft sei.

Michael Mertes und Sabine Benz

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber