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Veranstaltungsberichte

Deutschland und Deutsche in Jerusalem

von Michael Mertes

Die Wiederentdeckung eines verschütteten Erbes

Rund 200 Interessierte kamen am 14. August ins Jerusalemer Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum, um an einer ebenso spannenden wie informativen Veranstaltung über „Deutschland und Deutsche in Jerusalem“ teilzunehmen. Die von der Deutschen Botschaft Tel Aviv, der KAS Israel, Mishkenot Sha’ananim und der Jerusalem Foundation gemeinsam organisierte Konferenz führte der israelischen Öffentlichkeit vor Augen, wie sehr der deutsche Beitrag zur Erschließung Palästinas im 19. und frühen 20. Jahrhundert das Stadtbild Jerusalems und anderer Städte im Heiligen Land prägt.

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Unter den Gästen waren auch der neue evangelische Propst Wolfgang Schmidt und Staatssekretär Peter Zimmermann, Sprecher der Thüringer Landesregierung. In seiner Begrüßung wies der Leiter der KAS Israel, Michael Mertes, darauf hin, dass diese Veranstaltung an die erfolgreiche Konferenz über „Jekkes und Templer“ vom Juni 2011 anknüpfe. Er hob hervor, dass die Beschäftigung mit diesem Thema für die KAS Israel ein wichtiger Beitrag zur Pflege der deutsch-israelischen Beziehungen sei.

Der deutsche Botschafter Andreas Michaelis widmete sich vor allem der Frage, wie die Beschäftigung mit dem deutschen Beitrag zur Erschließung Palästinas zwischen 1871 und 1914, namentlich der „Orientfahrt“ von Kaiser Wilhelm II. 1898 und deren Nachwirkungen, in den Gesamtkontext der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts einzuordnen sei. Angesichts der von Deutschen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begangenen Verbrechen könne der deutsche Blick zurück auf das Kaiserreich nicht unbefangen patriotisch sein. Wahr sei aber auch, dass die Kontinuität deutscher Präsenz in Jerusalem für die Deutschen ein Stück positiver Erinnerung an die Periode von 1871 bis 1914 sei. Als herausragende Zeugnisse aus dieser Zeit erwähnte er die Auguste Victoria, die Erlöserkirche, die Dormitio-Abtei, das Paulushaus und Talitha Kumi.

Als Hausherr von Mishkenot Sha’ananim begrüßte dessen Leiter Uri Dromi – zugleich namens der Jerusalem Foundation – die Gäste. Dabei gab er Anekdoten zu Besten, die von seinen Kindheitserlebnissen mit Jekkes handelten.

Anschließend referierte Prof. Haim Goren (Tel Hai College) über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema „Deutschland und Deutsche in Jerusalem“. Sein Ausgangspunkt waren die Ergebnisse einer wegweisenden Tagung im März 2007, die in einem 2011 publizierten Sammelband veröffentlicht wurden. Goren stellte dar, welche tiefen und zum Teil bleibenden Spuren die deutsche Missions- und Siedlungstätigkeit in Jerusalem hinterlassen hat. Dabei gerieten Städteplanung und Landwirtschaft, Handwerk und beginnende Industrialisierung ebenso in den Focus wie das sich entfaltende Engagement in den Bereichen Bildung, Erziehung Krankenwesen und Diakonie. Goren machte deutlich, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Komplex weiter voranschreiten, zumal das Thema inzwischen aus der akademischen Nischenexistenz herausgetreten sei und in der israelischen Öffentlichkeit wachsende Beachtung finde.

Dr. Jakob Eisler vom Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ging vertiefend auf verschiedene Aspekte ein, die Prof. Haim Goren in seinem Überblick angesprochen hatte. Um die regionale und landsmannschaftliche Vielfalt des deutschen Engagements zu verdeutlichen, orientierte er sich an einer Deutschlandkarte, die alle 16 Bundesländer zeigte. Seine Tour d’horizon begann in Berlin und Brandenburg, führte über das Rheinland, Mecklenburg, Sachsen, Hamburg und Bayern und endete in Baden und Württemberg. „Die Verbundenheit der Deutschen mit der Stadt Jerusalem und ihren gemeinsamen historischen jüdischen und christlichen Ursprüngen“, so beschloss Eisler sein Referat, „wird besonders an zwei deutschen Bauten deutlich: an der ehemaligen deutschen Propstei und dem ehemaligen Wasserturm am Ölberg. Auf beiden Gebäuden findet sich als Inschrift der Psalm 122,6: ‚Wünschet Jerusalem Glück! Es möge wohlgehen denen, die Dich lieben.’“

Professor Dieter Vieweger, Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes, würdigte in seinem Vortrag die Pionierleistung von Haim Goren und Jakob Eisler. Ihnen – und dem unvergessenen Alex Carmel – gebühre das Verdienst, „das Gedächtnis an großartige Leistungen deutschsprachiger Pioniere im Heiligen Land hoch zu halten, diese der Damnatio memoriae zu entreißen, ihnen historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die Öffentlichkeit auf deren Spuren zu leiten“. Vieweger unterstrich, das deutsche Engagement in Palästina sei nicht allein von humaner Selbstlosigkeit, sondern auch von weltpolitischen Ambitionen getragen gewesen. Dieser „friedliche Kreuzzug“ habe nicht zuletzt dem Ziel gedient, die arabisch-muslimische Bevölkerung zu missionieren. In diesem Zusammenhang zitierte Vieweger eine Äußerung von Conrad Schick aus dem Jahr 1881: „Wer einigermaßen die Dinge kennt…, wie diesem Lande wieder aufzuhelfen sein möchte, kommt bald dem Schlusse nahe, dass dies nur durch die Cultur, die das Christentum mit sich bringt, geschehen kann.“ Man übersehe leicht, so Vieweger, „dass die lokale Bevölkerung um diese Segnungen gar nicht gebeten hatte – ein Missverständnis, unter dem wir bis heute leiden.“

Zum Abschluss der Veranstaltung führte Dr. Jakob Eisler zwei Zusammenschnitte von Amateurfilmen aus den 1930er Jahren vor, die das Bild von deutschen Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern in Palästina lebendig werden ließen und beim Publikum sehr gut ankamen. Überhaupt war der ganze Abend dazu angetan, ein wichtiges Kapitel aus der Vorgeschichte der deutsch-israelischen Beziehungen neu zu beleuchten und Interesse an einer tieferen Beschäftigung mit dem Thema „Deutschland und Deutsche in Jerusalem“ anzuregen.

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