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Veranstaltungsberichte

Die Zukunft der Erinnerung

von Michael Mertes

Wie können junge Deutsche und Israelis gemeinsam der Opfer der Shoah gedenken?

Am 31. Juli kamen rund 160 Interessierte, darunter viele „Jeckes“, Überlebende der Shoah und junge Leute, zu einer gemeinsamen Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ins Jerusalemer Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum. Das Thema „Zukunft der Erinnerung – Gemeinsames Gedenken in Deutschland und Israel“ war Gegenstand eines drei Generationen übergreifenden Gesprächs, das auch nach dem Ende der einstündigen Paneldiskussion zu einem intensiven Erfahrungs- und Meinungsaustausch unter den Teilnehmern anregte.

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In seinem Grußwort erläuterte Michael Mertes, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel, weshalb sich die Frage nach der „Zukunft der Erinnerung“ Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit neuer Dringlichkeit stelle: „Wir stehen heute an einer entscheidenden Wegmarke in der Geschichte des Gedenkens an die Shoah. Noch können wir Jüngeren den Vertretern jener Generation persönlich begegnen, die diese Zeit selbst erlebt und erlitten haben. Keine historische Studie kann solche Zeitzeugen-Berichte ersetzen. Deshalb brauchen wir neue Formen der Weitergabe dieses Zeugnisses von Generation zu Generation.“

In den vergangenen Jahrzehnten, so Mertes, sei die Shoah „zum unaufgebbaren Bezugspunkt des Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland geworden“. Zur Begründung zitierte er aus der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 1. März 2008 vor der Knesset: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir“, so hatte die Bundeskanzlerin damals betont, „waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes.“

Marianne Karmon, Ehrenvorsitzende der Freunde von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel, berichtete von ihren eigenen Erfahrungen in der Begegnung mit Deutschland, aus dem sie 1939 noch entkommen konnte, und den Deutschen. Sie habe diese Verbindung schon in den Fünfzigerjahren wiederaufgenommen – zu einer Zeit, als man dafür in Israel noch viel Unverständnis erntete.

Der Designierte Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, Andreas Michaelis, sprach über Begegnungen mit Überlebenden der Shoah aus der Zeit, als er – noch junger Diplomat – zum ersten Mal an der Botschaft Tel Aviv tätig war. Es habe ihn immer bewegt, wie viel Offenheit und Freundlichkeit ihm als Deutschem in Israel entgegengebracht worden seien. Das Nachdenken über die Zukunft der Erinnerung sei nicht nur deshalb wichtig, weil es immer weniger Vertreter der Erlebnisgeneration gebe, sondern auch deshalb, weil sich die Zusammensetzung beider Gesellschaften durch Migration – in Deutschland zum Beispiel durch muslimische Zuwanderer – nachhaltig verändere.

In der von Dr. Gil Yaron souverän geleiteten Diskussion kamen dann auch Sprecher der „dritten Generation“ zu Wort. Yaron selbst erinnerte an das Gebot der Pessach-Haggada, wonach es die Pflicht jeder Generation ist, sich so zu betrachten, als sei man selber aus Ägypten ausgezogen. Yael Dinur, die als israelische Freiwillige mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin tätig sein wird, sprach über die Notwendigkeit und die Möglichkeit, sich auch aus großem Zeitabstand in die Empfindungen der Opfer – aber auch in die Köpfe der Täter – hineinzuversetzen. Jakob Odenwald, der als deutscher Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Seniorenheim Beit Barth und im Central Archive for the History of the Jewish People in Jerusalem arbeitet, analysierte im Blick auf eigene Erlebnisse die Schwierigkeiten eines gemeinsamen Gedenkens, wenn die Beteiligten es vom Standpunkt der Täter- und der Opferperspektive aus versuchen. Ronit Vered von der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft, näherte sich diesen Themen unter dem Aspekt, was die Schule leisten könne, um Erinnerung wach zu halten und ihren Inhalt nicht bloß als abstrakten Lehrstoff zu vermitteln.

Ist ein „gemeinsames Gedenken in Deutschland und Israel“, wie es der Titel der Veranstaltung zu behaupten scheint, überhaupt möglich? Diese Frage blieb letztlich offen. Dr. Christian Staffa, Geschäftsführer Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, plädierte dafür zu akzeptieren, dass die verschiedenen Blickwinkel nicht – jedenfalls nicht vollständig – miteinander harmonisiert werden können. Das gelte auch für die Spannung zwischen individueller und kollektiver Perspektive. So wichtig staatliche Geschichts- und Gedenkpolitik auch sei, sie könne den Blick auf das Leid der einzelnen Opfer und die Motive der einzelnen Täter nicht ersetzen. Michael Mertes stimmte dem zu, meinte aber auch, dass für das Selbstverständnis eines Gemeinwesens, das der Menschenwürde als oberstem Grundsatz verpflichtet sei, die oft beklagte Formel- und Ritualhaftigkeit staatlichen Gedenkens wesentlich sei; allerdings müssten diese Formeln und Rituale in jeder Generation neu mit Leben erfüllt werden.

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