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Veranstaltungsberichte

Er baute Brücken, die auch in Zukunft halten

von Michael Mertes, Hildegard Mohr

Jerusalemer Symposium zum 100. Geburtstag von Schalom Ben-Chorin

Am 20. Juli 2013 jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des 1999 verstorbenen Religionswissenschaftlers und Schriftstellers Schalom Ben-Chorin (gebürtig Fritz Rosenthal). Aus diesem Anlass veranstaltete die KAS Israel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach am 3. Juli 2013 ein Symposium über die bleibende Bedeutung Ben-Chorins für den israelisch-deutschen und den jüdisch-christlichen Dialog. Der enorme Zuspruch, auf den diese Veranstaltung weit über Jerusalem hinaus stieß, verdeutlichte eindrucksvoll die Aktualität des Vermächtnisses von Schalom Ben-Chorin.

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Ebenso eindrucksvoll zeigte das Symposium die große Bandbreite des Schaffens und Wirkens von Schalom Ben-Chorin. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse an Schalom Ben-Chorins Witwe Avital, die kürzlich das 90. Lebensjahr vollendete und sich seit vielen Jahrzehnten für die Verständigung und Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland, zwischen Juden und Christen engagiert, setzte einen dem Thema des Abends besonders angemessenen Schlusspunkt. Der deutsche Gesandte Dr. Benedikt Haller überreichte Avital Ben-Chorin die Ehrung im Namen des Bundespräsidenten und würdigte dabei die großen Verdienste der Ordensträgerin.

In seiner Begrüßung hob Michael Mertes, Leiter der KAS Israel, unter Hinweise auf eigene Erfahrungen hervor, dass jeder, der sich für den christlich-jüdischen Dialog engagiere, über kurz oder lang unweigerlich auf Schalom Ben-Chorin und sein Vermächtnis stoße.

Als erster Redner des Abends sprach der Sohn Schalom Ben-Chorins, Rabbiner Dr. h.c. Tovia Ben-Chorin (Berlin), über die religiösen und theologischen Triebfedern für das Denken und Handeln seines Vaters. Tovia Ben-Chorin spach dabei auch als ehemaliger Rabbiner der Jerusalemer Har El-Synagogengemeinde, die 1958 als erste jüdische Reformgemeinde in Israel von Schalom und Avital Ben-Chorin mitgegründet worden war. Sein Vater habe sich, so eine von Tovia Ben-Chorins Kernbotschaften, in der Tradition jener Propheten gesehen, die – wie Jesaja oder Micha – den Gott Israels als Gott aller Völker und Menschen verkündet hätten.

Caroline Jessen vom Deutschen Literaturarchiv Marbach stellte den jungen Münchner Journalisten und Dichter Fritz Rosenthal, der sich später „Schalom Ben-Chorin“ (wörtlich: „Frieden, Sohn-der-Freiheit“) nannte, anhand von Dokumenten aus seinem in Marbach verwahrten schriftlichen Nachlass vor. Schon früh sei die Inspiration durch Martin Buber zu erkennen. Nach seiner Emigration 1935 habe Rosenthal/Ben-Chorin sich immer stärker religionswissenschaftlichen Themen zugewandt (etwa in seiner theologischen Streitschrift „Kritik des Esther-Buches“ 1938), gleichzeitig aber auch eine integrierende Rolle unter den ausgewanderten deutschsprachiger Schriftstellern im britischen Mandatsgebiet Palästina – und später in Israel – gespielt.

Über Schalom Ben-Chorin als Brückenbauer zwischen Juden und Christen sprach Stadtdekan a.D. Hans Dieter Strack (München). Er konnte dabei auf viele persönliche Begegnungen und Gespräche mit Ben-Chorin zurückgreifen. Strack betonte, von Ben-Chorin habe er „das untrennbare Ineinander und Miteinander von Glauben und Leben“ gelernt. „Man kann das Judentum nicht aus Büchern kennen lernen“, habe Ben-Chorin einmal gesagt, „sondern muss es als gelebte Wirklichkeit erfahren, mit der Schönheit des Sabbats und der Feste und mit den Härten eines Anspruchs, der oft unsere Möglichkeiten übersteigt, und mit der Gefahr einer Erstarrung in Traditionen, die den lebendigen Glauben zu ersticken drohen“. Genauso, fügte Strack hinzu, könnte er es auch als Christ sagen – die Gefahr der Erstarrung in Traditionen gelte ja in gleicher Weise für die Kirchen.

In Erinnerung geblieben sei ihm auch Ben-Chorins Selbstverständnis als Dolmetscher. Er habe in sich den Auftrag gespürt, „das Erbe der Väter zu übersetzen“. Strack merkte an, bei der Lektüre von Ben-Chorins Paulus-Buch sei ist ihm aufgefallen, „wie nahe sich der in der Diaspora Aufgewachsene dem Diaspora-Juden Paulus verbunden fühlte“. Hier zeige sich der biographische Hintergrund seines Denkens: „Schalom Ben-Chorin spürte deutlich seine Grenzen bei der Aufgabe, jüdische Inhalte in einer anderen Sprache zu vermitteln als der hebräischen, und er konnte bekennen: So wie bei Paulus die Verfremdung durch das Medium des Griechischen eintrat, so bei ihm selbst – sogar bei aller Vertrautheit seiner Muttersprache – im Medium des Deutschen.“ Hierzu schreibt Ben-Chorin selbst: „Es ist nicht unbescheiden, solche Parallelen zu ziehen. Sie sagen nichts über Größe und Wert aus, sie sprechen nur von Situation und Schicksal. Situation und Schicksal aber brachten mir die Person des Paulus so nahe, dass ich glaube, ihn aus einer Perspektive sehen zu können und sehen zu müssen, die nicht die Perspektive christlicher Theologen sein kann.“

Als seine wichtigste Erfahrung in der Begegnung mit Schalom Ben-Chorin bezeichnete Strack „die Bedeutung des Dialogs bzw. – umfassender noch – die Bedeutung des Beziehungsgeschehens überhaupt. Der ‚Baumeister des Dialogs’ wurde er genannt, für mich wurde er auch zum Baumeister eines ganz neuen theologischen Denkens, eines Denkens, in dem das ‚In-Beziehung-Sein’ im Mittelpunkt steht.“ Griechische Verfremdung und lateinisches Erbe hätten dazu geführt, dass die christliche Theologie ihre jüdischen Wurzeln vergessen und schließlich sogar verfolgt habe.

Avital Ben-Chorin dankte den Veranstaltern und allen Referenten für die umfassende Würdigung des Lebenswerks von Schalom Ben-Chorin. Sie freue sich zu sehen, dass das Vermächtnis ihres Mannes lebendig sei und auch das Potenzial habe, in die Zukunft hineinzuwirken. Vieles von dem, was er gedacht, gesagt, geschrieben und getan habe, sei seiner Zeit voraus gewesen und werde erst allmählich in seiner ganzen Bedeutung ermessen.

Zum Schluss erhielten die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums die Möglichkeit, durch Betrachten des Films „Der Mann, der sich Frieden nannte“ Schalom Ben-Chorin selbst im Medium des Films zu sehen und zu hören.

Michael Mertes / Hildegard Mohr

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