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Veranstaltungsberichte

Europas „normative Macht“: Imagination und Wirklichkeit

3. Jahreskonferenz junger israelischer Europaforscher in Be’er Scheva

Am 11. Juni 2014 fand an der Ben-Gurion-Universität (BGU) des Negev in Be’er Scheva die dritte Jahreskonferenz junger israelischer Europaforscher statt. Organisiert wurde diese durch thematisch vielfältige Beiträge geprägte Konferenz vom Zentrum für Europäische Politik und Gesellschaft an der BGU und der KAS Israel.

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Panel 1: Conflicts and Transitional Justice in Europe

Nach der Eröffnung durch Prof. Zvi HaCohen (Rektor der BGU) und Michael Mertes (Leiter der KAS Israel) konzentrierten sich die Redner des ersten Panels, Yair Osherov (Hebräische Universität Jerusalem, Thema „Transitional Justice in Northern Ireland“) und Omer Gendler (Hebräische Universität Jerusalem, Thema „The European Spring: How the EU Made Secession Easier“) auf das Thema „Aufarbeitung vergangenen Unrechts in Europa“.

Das Konzept der „transitional justice“ umfasst verschiedenste Situationen des Wandels von einer gewaltgeprägten hin zu einer friedlichen, in der Regel demokratischen Ordnung. Osherov nahm dabei den Konflikt in Nordirland zwischen dem protestantischen, englisch- und schottischstämmigen und dem katholischen, überwiegend irischen Teil der Bevölkerung in den Fokus. Gendler hingegen konzentrierte sich auf aktuelle Entwicklungen mit Konfliktpotential innerhalb der Europäischen Union („Europäischer Frühling“). Vor dem Hintergrund der Finanzkrise der letzten Jahre und einem dauerhaft stagnierenden Wirtschaftswachstum in vielen Mitgliedsstaaten sei ein verstärktes Streben nach Verselbstständigung von Staatsteilen (Sezession) feststellbar.

Keynote

In seiner umfassenden Analyse der Europawahlergebnisse 2014 (Thema „The EU After the European Parliament’s Elections“) nahm Prof. Antonio Bar (Juristische Fakultät, University of Valencia, Spanien) ebenfalls Bezug auf die wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre. Rechts- wie linksextreme und europakritische Parteien hätten bei dieser Wahl in einigen Mitgliedstaaten deutlich an Zuspruch gewonnen. Besorgniserregend sei auch, dass mehr als die Hälfte der Unionsbürger, nämlich 57 %, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht hätten.

Neben der negativen konjunkturellen Entwicklung in vielen Mitgliedstaaten identifizierte Bar auch strukturelle, soziologische und politische Ursachen für diese Befunde. So z.B. leide die EU unter einer Zweiteilung in einen ökonomisch starken Norden und einen ökonomisch schwachen Süden; dieses Ungleichgewicht werde nicht engagiert genug bekämpft. Daneben kritisierte Prof. Bar auch die mangelhafte Information der Öffentlichkeit – sowohl durch EU- als auch durch nationale Politiker – über die Entstehung und Wirkungsweise der Finanz- und der ihr folgenden Wirtschaftskrise und die zu ihrer Bekämpfung getroffenen Maßnahmen.

Panel 2: Normative Power Europe – Where to?

Yoav Friedman (BGU Thema „The Bologna Process and the European Normative Power Theory“) stellte in seinem Vortrag seine Forschungen über die Auswirkungen des Bologna-Prozess auf Hochschulräume außerhalb der Europäischen Union vor. Zunächst präsentierte er in einer zusammenfassenden Übersicht die wesentlichen Inhalte der auf eine europaweite Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen zielenden Reform dar. Er zeigte dann anhand verschiedener Beispiele auf, wie die Bologna-Reform außereuropäische Bildungssysteme beeinflusst, indem sie Reformprozesse an Hochschulen außerhalb der EU in Gang setzt. Er stellte die These auf, dass die vom Bologna-Prozess ausgehende „normative Macht“ der EU staatliches Handeln in außereuropäischen Ländern bestimmen könne.

Als zweite Rednerin im zweiten Panel folgte Marta Kleiman (Hebräische Universität Jerusalem, Thema „The European TNC Gap“). Sie referierte über Menschenrechtsverletzungen und andere Verstöße gegen internationales Recht durch europäische Unternehmenszusammenschlüsse im nichteuropäischen Ausland. Zwar verschreibe sich die EU selbst der Achtung der Menschenrechte, dem Rechtsstaatsprinzip und der Demokratie, verpflichte aber nicht die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen wirksam darauf, diese Standards auch im nichteuropäischen Ausland einzuhalten.

Diese Regelungslücke habe in den letzten Jahren einen „race to the bottom“ (einen Wettlauf nach unten) hinsichtlich der Produktionsbedingungen begünstigt: Nichteuropäische Länder, die den europäischen Unternehmen möglichst wenige rechtliche Vorgaben machen, zögen diese besonders an. Kleiman begründet dies damit, dass die Einflussmöglichkeiten und Machtapparate der Europäischen Union derzeit noch nicht ausreichen, um die einflussreichen Unternehmenszusammenschlüsse wirksam an diese Standards zu binden.

Or Blan (BGU, Thema „Diplomacy of Likes & Shares – the EU’s External Use of Social Media“) untersuchte die Rolle der sozialen Medien in den diplomatischen Beziehungen der EU zu verschiedenen Ländern im Nahen Osten. Im Rahmen seiner Forschung konzentriert sich Blan vor allem auf den Europäischen Auswärtigen Dienst. Dieser nutze soziale Medien, um in einem direkten und regelmäßigen Kontakt zu den Bürgern nichteuropäischer Länder einerseits die Werte der EU zu verbreiten und andererseits wirtschaftliche Interessen der EU zu fördern.

Panel 3: Higher Education Policies – EU and Beyond

Das dritte Panel wurde von Hila Zahavi (BGU, Thema „External Normative Power Europe – The Case of Higher Education“) eröffnet. Sie konzentrierte sich, ähnlich wie Friedman, auf die Reichweite des Bologna-Prozess über die europäischen Grenzen hinaus. Dabei betonte sie seine Funktionsweise als „globale Strategie“, um den nicht-militärischen, zivilen Einfluss und die normative Kraft der EU weltweit zu stärken. Sie stellte die These auf, dass die EU durch diese Tätigkeiten außerhalb ihrer Grenzen ihr Selbstbildnis formt und ihre Identität weiterentwickelt; in einem Rückkopplungsprozess würden so auch Entscheidungen und Entwicklungen innerhalb ihrer eigenen Grenzen beeinflusst.

Auch Hannah Moscovitz (BGU, Thema „Higher Education Policies and Multi-Level Identity: The Case of Flanders and Quebec“) nahm in ihrem Vortrag den Einfluss von Hochschulpolitik auf regionale Identitäten unter die Lupe. Sie untersuchte die identitätsstiftende Wirkung dieser Politik auf föderale Systeme am Beispiel von Flandern/Belgien und Quebec/Kanada. In beiden Fällen gebe es konkurrierende Identitäten auf regionaler (Flandern/Quebec), nationaler (Belgien/Kanada) und supranationaler bzw. kontinentaler (EU/Nordamerika) Ebene. Da alle drei Ebenen in die Bildungspolitik eingebunden seien, könnte diese einen integrierenden Einfluss haben und den Zusammenhalt komplexer Mehrebenesysteme stärken.

Panel 4: European Political Imagination:

Im vierten Panel lenkte Stanislav Repinetskiy (Bar-Ilan-Universität Ramat-Gan, Thema „A Time Bomb of Radical Revolution: The Russian Experience“) den Blick auf Russland und andere Länder der ehemaligen Sowjetunion. Obwohl sich viele dieser Länder in den letzten zwei Jahrzehnten dem Westen zugewandt hätten und liberale, parlamentarisch-demokratische Ordnungen etablieren wollten, seien ihre politischen Kulturen zum Teil noch von undemokratischen, faschistischen oder kommunistischen Denkweisen geprägt. Am Beispiel Russlands analysierte er, dass diese Entwicklung ihre Anfänge schon im 19. Jahrhundert genommen habe. Die politische Macht sei stets bei einer kleinen Elite konzentriert gewesen; bis heute schreckten große Teile der Bevölkerung aus Angst vor politischer und wirtschaftlicher Instabilität davor zurück, eine Verteilung der Macht auf eine breitere Führungsschicht zu fordern.

Daniel Rosenberg (Hebräische Universität Jerusalem, Thema „Legacy of Radicalism:The 1968 Revolt and the New European Right“) stellte in seinem Vortrag die Studentenbewegung der 1968er Jahre in Frankreich und Westdeutschland dar. Auch wenn die unmittelbaren Kernforderungen dieser Bewegung politisch nie umgesetzt worden seien, beeinflussten sie noch heute linksorientierte Intellektuelle in ganz Europa. Rosenberg ging vor allem auf Reaktionen, Kritik und Antworten konservativer Akteure in Parteien und Publizistik auf diese Bewegung ein. Diese Akteure wendeten sich weniger gegen den Inhalt der 1968er Forderungen, als gegen die Art und Weise, wie diese Forderungen vorgebracht wurden und umgesetzt werden sollten.

Panel 5: Projections of Europe on the Jewish Identities

Sebastian Musch (Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, Thema: „Judaism to the Rescue! Jewish Responses After the First World War“) eröffnete das fünfte Panel mit einer Darstellung der in ganz Europa aufkommenden Umbruchstimmung und kulturellen Identitätssuche nach dem Ersten Weltkrieg und der hierbei stattfinden Rückbesinnung auf Elemente und das Selbstverständnis der romantischen Epoche. Er sprach über jüdische Denker, die sich an dieser Debatte über ein neues identitätsstiftendes Element für Westeuropa beteiligten. So hätten Autoren wie z.B. Martin Buber, Theodor Lessing oder Paul Cohen-Portheim die Auffassung vertreten, das Judentum könne zu einer solchen Neuorientierung einen bedeutenden Beitrag leisten.

Ofer Idels (Universität Tel Aviv, Thema „Imagined Games: European Jewish Athletes and the XI Olympiad Through the Eyes of the Yishuv“) nahm in seinem Vortrag das Verhältnis der jüdischen Bevölkerung im britischen Mandatsgebiet Palästina zu den Olympischen Sommerspielen 1936 und Nazideutschland in den Blick. Deren Einstellung sei ambivalent gewesen: Einerseits hätten sie die Teilnahme jüdischer Sportlerinnen und Sportler an diesen Spielen abgelehnt, andererseits aber auch die hierdurch ermöglichte Demonstration der physischen Stärke des jüdischen Volkes gutgeheißen.

Aviad Levy (Hebräische Universität Jerusalem, Thema „Your Pain is Our Pleasure: Israel, Europe and the Forbidden Emotion“) analysierte in seinem das fünfte Panel beendenden Vortrag die Rolle der „Schadenfreude“ (ein im Englischen gebräuchliches Lehnwort aus dem Deutschen) im Verhältnis zwischen Israel und Westeuropa. Heute seien in der Politikwissenschaft Emotionen als aussagekräftige Forschungsgegenstände anerkannt.

Zunächst definierte Levy den Begriff der „Schadenfreude“. Es müssten folgende drei Voraussetzungen gegeben sein: 1. Schadenfreude entsteht, wenn man glaubt, der andere „verdiene“ den ihm widerfahrenen Schmerz oder das ihm widerfahrene Unglück. 2. Der Schmerz oder das Unglück des anderen hält sich in den Grenzen des Erträglichen. 3. Derjenige, der die Schadenfreude empfindet, hat selbst nichts zum Schmerz oder dem Unglück des anderen beigetragen; er ist nur passiver Beobachter. Levy möchte in seinem Forschungsvorhaben aufzeigen, dass dieses Gefühl bei Israelis gegenüber Westeuropäern nach entsprechenden Geschehnissen (z.B. Terrorattentate in Europa) regelmäßig auftritt und Teil der israelischen Identität geworden ist. Darüber hinaus möchte er künftig vergleichend analysieren, wann Westeuropäer gegenüber Israelis Schadenfreude empfinden.

Lea Grohmann

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