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Veranstaltungsberichte

Heilige Stätten im Heiligen Land

von Michael Mertes

Eine Bewährungsprobe für religiöse Toleranz

Am 30. Oktober 2013 fand in der Jerusalem Hall des israelischen Außenministeriums eine von führenden Religionsvertretern und leitenden Beamten der israelischen Ministerien für Inneres, Religionsangelegenheiten und Auswärtige Beziehungen besuchte Fachkonferenz zum Thema „Der Schutz heiliger Stätten im Heiligen Land“ statt. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der Entwurf eines „Universellen Kodex für den Umgang mit heiligen Stätten“ vorgestellt.

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Die Fachkonferenz war von der Nichtregierungsorganisation „Search for Common Ground“ in Partnerschaft mit der KAS Israel initiiert worden. Sowohl Search for Common Ground als auch die Konrad-Adenauer-Stiftung engagieren sich international für ein friedliches Miteinander der Religionen. Gerade im „Heiligen Land“ ist dieses Thema von besonderer Brisanz, denn hier treffen Interessen und Ansprüche verschiedener Glaubensgemeinschaften – Juden, Christen, Muslime, aber auch Drusen – aufeinander. Es geht dabei nicht um abstrakte theologische Fragen, sondern darum, dass oft ein und derselbe Ort (z.B. der Tempelberg oder der Zionsberg) mehreren Religionen zugleich heilig ist.

Zu Beginn erläuterte Sharon Rosen, Ko-Direktorin des Jerusalemer Büros von Search for Common Ground, die Ziele der Konferenz. Im Namen des Hausherrn begrüßte Botschafter Akiva Tor die zahlreichen Gäste. Der norwegische Botschafter Svein Sevje legte dar, weshalb seine Regierung in den vergangenen Jahren die Formulierung eines „Universellen Kodex für den Umgang mit heiligen Stätten“ maßgeblich unterstützt hat und die Verbreitung dieses Dokuments weiterhin fördern wird. Michael Mertes, Leiter der KAS Israel, unterstrich die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für seine Organisation und begrüßte, dass es bei der Fachkonferenz um ganz konkrete Fragen des Miteinanders der Religionen gehe.

Das erste Panel war höchstrangig besetzt mit David Lau, dem Oberrabbiner in Israel, Theophilus III., dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, Richter (Kadi) Dr. Hamza Hamza vom Scharia-Gericht Taybeh und Richter (Kadi) Scheich Naim Henu vom Drusischen Religionsgerichtshof in Israel. Moderiert wurde die Diskussion von Rabbiner Dr. David Rosen, dem Internationalen Direktor für Interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee.

Was macht eine Stätte „heilig“? Es bestand Einigkeit darüber, dass in den monotheistischen Religionen das „Heilige“ unter anderem durch Abgrenzung vom „Profanen“ bestimmt wird. Streng genommen, kommt das Attribut „heilig“ allein Gott zu; insofern ist die „Heiligkeit“ einer Stätte oder eines Gegenstandes immer nur etwas Abgeleitetes. Die spirituelle Erfahrung der Begegnung mit Gott mag sich an einen konkreten Ort knüpfen; ihren eigentlichen Sitz hat sie aber in der Seele des Gläubigen. Als „heilige Stätten“ können gelten:

  • Orte des Gebets und des Gottesdienstes (Synagogen, Kirchen, Moscheen);

  • Orte, in denen sich religiöser Tradition zufolge die Heiligkeit Gottes geschichtlich offenbart hat (der Tempelberg/Haram al-Sharif für Juden und Muslime, der Abendmahlssaal auf dem Zionsberg für Christen);

  • Orte der letzten Ruhe von Menschen, ob diese nun als Heilige verehrt werden oder nicht.

Einig waren sich die Panelisten auch darin, dass im Umgang mit den heiligen Stätten anderer Religionsgemeinschaften die „Goldene Regel“ gilt: Behandle die heiligen Stätten anderer Religionen mit dem gleichen Respekt, den Du von Andersgläubigen für die heiligen Stätten Deiner eigenen Religion erwartest. Diese Regel ist nicht nur ein profanes, sondern auch ein religiöses Gebot. Denn auch wenn ich nicht verstehen kann, warum eine bestimmte heilige Stätte beim Andersgläubigen eine spirituelle Erfahrung auslöst, so weiß ich doch aus eigenem Erleben beim Besuch einer heiligen Stätte meiner eigenen Religion, was eine solche spirituelle Erfahrung bedeutet. Das Sich-Hineinversetzen in den anderen macht unmittelbar einsichtig, weshalb die ihm heiligen Stätten zu respektieren sind.

Dieses Denken muss schon Kindern vermittelt werden. In der Diskussion wurde deutlich, dass alle Religionsgemeinschaften mehr dafür tun müssen, jungen Menschen Respekt vor dem Glauben anderer beizubringen. Wenn religiöse Autoritäten Vandalismus gegen die heiligen Stätten anderer Religionen zur guten Tat erklären oder gar Gewalt gegen Andersgläubige gutheißen, so ist das nicht nur eine profane Straftat, sondern auch die Verletzung eines elementaren religiösen Gebots, nämlich der Forderung, jeden Mitmenschen als Geschöpf Gottes zu achten.

Das zweite Panel widmete sich zwei Fallstudien. Es ging zum einen um den Zionsberg, zum anderen um die Große Moschee von Be’er Scheva. Unter der kundigen Moderation von Professor Jitzhak Reiter vom Jerusalem Institute for Israel Studies analysierten Fr. Pierbattista Pizzaballa OFM, Kustos des Heiligen Landes, und Jisca Hatani, eine israelische Wissenschaftlerin und Expertin für die Geschichte des Christentums, was der Zionsberg Juden, Christen und Muslimen bedeutet. Jamal Al-Aberro vom Innenministerium und Rechtsanwalt Schada Ibn Bari referierten zum Stand der Debatte über die Profanierung der Moschee in Be’er Scheva.

Fr. Pizzaballa hob in einem historischen Abriss hervor, dass der Zionsberg als (vermuteter) Ort des Letzten Abendmahls und des Pfingstereignisses nach der Grabeskirche die zweitheiligste Stätte der Christenheit sei. Jisca Hatani arbeitete heraus, das so genannte Davidsgrab sei eine christliche Zuschreibung, die später von jüdischer Seite übernommen wurde. Beide Referenten sprachen auch über die jahrhundertelange muslimische Präsenz auf dem Zionsberg. Das Fazit lautete, dass der Zionsberg Juden, Christen und Muslimen auf je unterschiedliche Weise heilig ist. Exklusive Besitzansprüche einzelner Religionsgemeinschaften seien ahistorisch und sinnlos. Es komme darauf an, einen Modus vivendi zu finden, der es allen ermögliche, an diesem heiligen Ort zu beten und Gottesdienst zu feiern.

Im Fall der Moschee in Be’er Scheva, die bis zum Unabhängigkeitskrieg 1948 als Gotteshaus diente, geht es vordergründig nicht um eine heilige Stätte, auf die sich die exklusiven Besitzansprüche verschiedener Religionsgemeinschaften richten, sondern zunächst nur um die Frage, ob der Staat ein solche Gebäude ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung profanieren darf. Der israelische Oberste Gerichtshof entschied im Juni 2011, dass das Gebäude nicht in ein Museum verwandelt, sondern allenfalls als Museum für islamische Kunst verwendet werden dürfe. Damit ist der Streit über die Rückkehr zur ursprünglichen Funktion des Gebäudes jedoch nicht abschließend beigelegt. Er liegt heute darin begründet, dass die mehrheitlich jüdischen Anwohner eine dauerhafte Störung der öffentlichen Ordnung und einen Anstieg gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Juden und Muslimen befürchten, sollte die Moschee wieder für den Gottesdienst verwendet werden.

Zum Auftakt des dritten Panels stellte der Moderator Ya’akov Salame die Frage: „Was tut Israel, um die heiligen Stätten zu schützen?“ Die anschließenden Vorträge setzten sich mit dieser Frage auseinander und sprachen gleichzeitig Defizite an.

Avit Biton, Polizeiverantwortlicher für die Altstadt, betonte, dass die Sicherheit der heiligen Stätten oberste Priorität habe. Besonderes Augenmerk werde auch darauf gelegt, sowohl Anwohner als auch Touristen und Pilger vor Übergriffen religiöser Fanatiker zu schützen. Der stellvertretende israelische Generalstaatsanwalt Jehuda Shaffer vom Justizministerium hob hervor, dass Sicherheit nicht allein auf juristischer Ebene, sondern nur im Zusammenspiel mit sozialen Maßnahmen erreicht werden könne.

Arad Nir, der bei Channel 2 News als Kommentator für internationale Angelegenheiten und Ressortleiter Außenpolitik tätig ist, machte deutlich, dass von den israelischen Medien über die Konflikte um heilige Stätten frei und unabhängig berichtet werde. Er sieht die Verantwortung der Medien in einer Darstellung der Fakten, nicht jedoch im Schutz der heiligen Stätten. Nava Firer stellte dar, wie auf Bildungsebene versucht wird, den interreligiösen Dialog zu fördern – sowohl im Unterricht als auch durch Austauschprogramme. Naomi Tzur, bis vor Kurzem stellvertretende Oberbürgermeisterin von Jerusalem, mahnte zu Offenheit und Respekt im Umgang miteinander. Eine der größten Gefahren für Israel sei ein Mangel an Achtung vor anderen.

In ihrem Resümee sagte Sharon Rosen, dass Entscheidungen, die sich auf heilige Stätten von Bedeutung für mehrere Religionsgemeinschaften beziehen, nur gemeinsam getroffen werden können. Mit dem „Universellen Kodex für den Umgang mit heiligen Stätten“ hätten wichtige Religionsführer bereits einen bedeutenden Schritt getan. Nötig sei jedoch die Unterstützung der Regierungen und anderer Institutionen, um den Codex weltweit durchzusetzen.

Michael Mertes und Paul Schwarz

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