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Veranstaltungsberichte

Kriegsvölkerrecht und Strafvollzug: Ein begrifflicher Widerspruch?

Die 7. jährliche Minerva/ ICRC/ KAS Konferenz zum Völkerrecht

Das Minerva-Center für Menschenrechte an der Hebräischen Universität Jerusalem und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel, luden zahlreiche Wissenschaftler und Fachleute nach Jerusalem ein, um vom 4. bis 5. Dezember 2012 über die komplexe und immer signifikanter werdenden Wechselwirkungen zwischen zwei internationalen Rechtsgrundlagen zu diskutieren: das Kriegsvölkerrecht, das sich aus dem Humanitären Völkerrecht ableitet, und die Strafverfolgung, deren Fundament vor allem das Menschenrechtsgesetz ist.

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Das Kriegsvölkerrecht bezeichnet gewöhnlich den Bereich, der den Einsatz von Gewalt zwischen kriegführenden Parteien in bewaffneten Konflikten regelt. Dagegen bezieht sich die Strafverfolgung auf den Gewalteinsatz staatlicherseits gegen individuelle Akteure, einschließlich Aufrührer und gewalttätige Demonstranten. Jedoch sind die Grenzen zwischen diesen Gebieten kaum mehr so trennscharf, wie sie es einst waren. Situationen, die die Anwendung von Gewalt durch Streitkräfte und Ordnungshüter mit sich bringen, liegen in zunehmendem Maße in einer Grauzone zwischen militärischen Operationen, die dem Kriegsrecht unterstehen, und Polizeiaktionen, die der Strafverfolgung obliegen.

In solchen und anderen Fällen kann der Handlungsspielraum recht unterschiedlich ausfallen, wenn gleiche oder ähnliche Sicherheitsherausforderungen mit Strafverfolgungs- oder Kriegsrecht analysiert werden. Zum Beispiel erlaubt das Kriegsvölkerrecht die Tötung legitimer Ziele. Dem gegenüber strebt die Strafverfolgung danach, Leben zu schützen, indem sie Gefangennahme statt Tötung verdächtiger Personen anordnet, sofern diese keine unmittelbare Lebensgefahr darstellen. Ferner toleriert das Kriegsvölkerrecht eher Kollateralschaden als die Strafverfolgung. Die Festlegung, welcher Rechtsrahmen gilt, kann daher weitreichende Folgen auf die humanitären Konsequenzen einer Operation haben.

Derartige rechtliche Unklarheiten sind von universalem und regionalem Belang. In verschiedenen von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägten Situationen, einschließlich des israelisch-palästinensischen Kontextes, liegen widersprüchliche Interpretationen von ‚gezielter Tötung’ vor: entweder als kriegerischen Akt oder einer Strafverfolgungsmaßnahme. In ähnlicher Weise kam es unlängst zu einer lautstark geführten Debatte über die Wechselwirkung zwischen Strafverfolgung und Vorschriften, die das Kriegsvölkerrecht in militärischen Operationen regeln, die in den Palästinensischen Gebieten und andernorts stattfinden. Hintergrund für diese Debatte sind Situationen, die eine Gewaltanwendung erforderlich machen, um das Gesetz gegen Zivilisten anzuwenden, und gleichzeitig auf militärische Bedrohungen zu reagieren. Koalitionsstreitkräfte in Afghanistan und im Irak sehen sich ähnlichen Herausforderungen gegenüber, zwischen rechtlichen Paradigmen abzuwägen, wenn sie die Doppelrolle von Strafvollzieher und Kämpfer im Verlauf ihrer Operationen gegen feindselige Akteure einnehmen.

Zusätzlich zu den Herausforderungen aufgrund simultan laufende Kampf- und Strafvollzugsoffensiven wird zunehmend die Frage diskutiert, wie man gewaltsame Kriminalität mithilfe von Streitkräften bewältigt, die Einsatzregeln aus dem Kriegsvölkerrecht anwenden. Dies betrifft zum einen lateinamerikanische Länder, wo die sogenannten ‚Kriege’ gegen das organisierte Verbrechen zu großräumigen Zusammenstößen zwischen staatlichen Truppen und schwer bewaffneten kriminellen Gruppen führten, und zum anderen Operationen der Marine gegen die moderne Piraterie, die vor der Küste Ostafrikas operieren.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Völkerrechtskonferenz stand die immer schwieriger werdende Trennung von Operationen im Rahmen des Kriegsvölkerrechts bzw. des Strafvollzugs. Dieser Trend, so die Konferenzpartner, sei mit dramatischen humanitären Implikationen und signifikanten praktischen wie rechtlichen Auswirkungen verbunden, und verdiene deshalb große fachliche und öffentliche Aufmerksamkeit. Organisatoren und Publikum unternahmen mit dieser Veranstaltung den Versuch, für mehr Klarheit in dieser komplexen Sachfrage zu sorgen.

Hauptrednerin der Konferenz war die profilierte Fachfrau Prof. Françoise Hampson (Universität Essex), deren Präsentation den Titel „Zwischen Scylla und Charybdis: Die Wechselwirkung von Kriegsrecht und Strafvollzug aus einer Kontrollperspektive“ trug. Der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Hebräischen Universität, Prof. Yuval Shany, saß der Hauptsitzung vor.

Im Verlauf weiterer Sitzungen untersuchten die Referenten zunächst das übergreifende Wechselspiel zwischen Humanitärem Völkerrecht und Strafvollzug (Anton Camen vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes; Amichai Cohen vom Ono Academic College; David Kretzmer von der Hebräischen Universität Jerusalem und dem Sapir College; Yael Ronen vom Shaarei Mishpat Law College). Außerdem wurde die Anwendung von Prinzipien des Internationalen Völkerrechts im Strafvollzug (Eitan Barak von der Hebräischen Universität; Lawrence Hill-Cawthorne von der Universität Oxford; Michelle Lesh von der Hebräischen Universität; Michael Newton von der Vanderbilt Universität) thematisiert. Auf die Rolle des Strafvollzugs im Umfeld von Kriegseinsatzgebieten gingen Rogier Bartels von der Netherlands Defence Academy, Emma Bickerstaffe von der Universität Cambridge, Geoffrey Corn vom South Texas College of Law sowie Charles Shamas von der Mattin Group in Ramallah ein.Inwiefern der Rechtsrahmen dehnbar ist und wie es um Gesetze am Rande der Legalität bestellt ist, erörterten Eitan Diamond vom Internationales Komitee des Roten Kreuzes, Rotem Giladi von der Hebräischen Universität, Monica Hakimi von der Universität Michigan und Shlomy Zachary von der Michael Sfard Anwaltskanzlei, Israel. In einer letzten Diskussionsrunde setzten sich Danny Evron von der Hebräischen Universität, Tamar Feldman und Raghad Jaraisy von der Association for Civil Rights in Israel (ACRI), Eliav Lieblich vom Interdisciplinary Center Herzliya sowie Fatma Süzgün Sahin von der Gazi Universität und Serdar Ünver von der Cankiri Karatekin Universität mit Fallstudien von atypischer Gewalt auseinander.

Rund 150 Teilnehmer besuchten die Konferenz. Wissenschaftlich aufbereitete Konferenzpapiere werden in der Fachzeitschrift Israel Law Review veröffentlicht und damit einem größerem Kreis zugänglich gemacht.

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