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Veranstaltungsberichte

Parteien als Säulen der Demokratie: Parteiorganisation und Programmarbeit

von Dr. Nadine Carlson (geb. Mensel)

Studien- und Dialogprogramm für Nachwuchspolitiker aus Israel in Deutschland

Eine Gruppe sechs israelischer Nachwuchspolitiker nahm vom 14. bis 20. April an einem Studienprogramm in Deutschland teil. In der Delegation vertreten waren politische Aktivisten und Berater aus dem Likud, von Kadima und von Jesch Atid. Von besonderem Interesse waren die politische Nachwuchsförderung, die Entwicklung von Wahlkampfstrategien, die Aufgaben der verschiedenen Verfassungsorgane, aber auch die jüngere deutsche Vergangenheit des friedlichen Umbruchs und der Wiedervereinigung.

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Anliegen der Studienreise

Die Entwicklung der parteipolitischen Landschaft in Israel zeigt eindeutig, dass das Lager der Mitte bzw. rechts der Mitte langfristig das öffentliche Meinungsbild wie auch politische Entscheidungsprozesse prägen wird. Aus diesem Grund pflegt die KAS Israel intensive Kontakte zu den Parteien jenes Spektrums – Likud und Kadima. Ferner bedeutet der Erfolg der Parteineugründung Jesh Atid („Es gibt eine Zukunft“) bei den Knesset-Wahlen 2013, dass die politische Mitte gut aufgestellt ist. Nun bedarf es der Festigung der Parteistrukturen, um die mit dem Wahlerfolg verbundenen Erwartungen zu erfüllen. Um das parteipolitische Engagement der jüngeren Generation zu profilieren, erwies sich die Durchführung eines Studien- und Dialogprogramms in Deutschland als optimale Gelegenheit.

Der Zeitpunkt für die Studienreise war günstig gewählt, denn im Herbst dieses Jahres stehen in Deutschland und Israel Parlaments- bzw. Kommunalwahlen an (September bzw. Oktober 2013). Somit hatte die Delegation aus Israel die Möglichkeit, unmittelbare Einblicke z.B. in die Wahlkampfarbeit und die Programmentwicklung zu erhalten. Weitere inhaltliche Schwerpunkte waren die Veranschaulichung innerparteilicher Entscheidungsprozesse und Strategieentwicklung, die Mitwirkung von Parteiplattformen, die Basis- und Jugendarbeit sowie der Austausch mit Mandatsträgern über die Verantwortung in Legislative und Exekutive auf unterschiedlichen vertikalen Ebenen.

Wahlverhalten und öffentliche Meinung

Um die parteipolitischen Prozesse in Deutschland besser einordnen und nachvollziehen zu können, bedurfte es zum Auftakt des Programms am 15. April einer wissenschaftlichen Aufbereitung. Frau Dr. Viola Neu, Leiterin Team Empirische Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung, informierte die Gruppe über das Wahlsystem und die Parteienfinanzierung in Deutschland sowie über jüngste Ergebnisse demoskopischer Studien zum Wahlverhalten. Demnach sei eine wirkliche Wechselstimmung bei den Wählern derzeit nicht nachweisbar. Je näher der Wahltermin rücke (Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 15. bzw. 22. September, Bundestagswahlen am 22. September), werden aber Faktoren wie die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa oder die neu gegründete Protestpartei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Umfragen und bei der Wahlentscheidung eine größere Rolle spielen, wie Dr. Neu erläuterte.

Die Nachwuchspolitiker aus Israel interessierte darüber hinaus, wie man in Deutschland mit antidemokratischen Parteien umgeht. Hier verwies die Wissenschaftlerin auf das Grundgesetz, das ein Parteiverbot vorsieht, wenn die betreffende Partei gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung mit einer „aktiven kämpferischen Haltung“ vorgeht. Besorgniserregend seien in diesem Zusammenhang nicht allein Unterstützer des politischen Links- und Rechtsextremismus. Mehr und mehr geht vom religiösen Fundamentalismus eine ernsthafte Gefahr aus, was in erster Linie auf das Umfeld islamistischer Salafisten zutrifft.

In der weiteren Diskussion kam zudem die Frage auf, inwiefern sich Wahlkampf und Wählermobilisierung sich stärker in den virtuellen Raum verlagern würden. In Israel hätte bspw. die Partei Jesch Atid bei den netzaffinen Wählern überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Die Präsenz in den sozialen Netzwerken wäre wahlentscheidend gewesen, wie Herr Dan Schori, verantwortlich für Neue Medien bei Jesch Atid, ausführte.

Nach einer Besichtigung des Deutschen Bundestags und einer Einführung in die Grundlagen des deutschen parlamentarischen Systems, vertiefte Herr Dr. Mario Voigt, Generalsekretär der CDU Thüringen, die Gesprächspunkte, die bereits zuvor intensiv behandelt wurden. Schwerpunkt war dabei außerdem die Analyse des Wahlverhaltens mittels geografischer Informationssysteme und nach Landtags- bzw. Bundestagswahlen sowie die Themenbesetzung im Wahlkampf. Dr. Voigt nahm ebenfalls Bezug auf die online-basierte Mobilisierungsstrategie. Diese gewinne zwar immer mehr an Bedeutung, ersetze aber noch keinesfalls die traditionellen Instrumente einer Kampagne.

Diese wiederkehrende Frage der Onlinepräsenz politischer Parteien machte deutlich, wie sich einerseits die Art der politischen Partizipation – vor allem im Vorfeld von Wahlen – in Israel und Deutschland unterscheidet. Andererseits ergaben sich auch Anknüpfungspunkte, um voneinander zu lernen und die jeweiligen Strategien um bestimmte Komponenten zu ergänzen.

Funktionen der Exekutive

Nachdem die Gäste aus Israel erste Kenntnisse über das Wahlsystem und die Funktionsweise der Legislative in Deutschland erworben hatten, galt es zusätzlich die Aufgaben der Exekutive aufzuzeigen und speziell das Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen aufzuschlüsseln. Aus diesem Anlass begab sich die Delegation am 16. April ins Bundeskanzleramt, wo sie Herr MinDirig Dr. Georg Kleemann, Leiter der Gruppe „Kabinett und Parlament, Bund-Länder-Beziehungen“ zu einem Gespräch empfing.

Erläutert wurden zunächst der Aufbau des Kanzleramts, die interne Arbeitsweise, die Zusammenarbeit mit den Bundesministerien, aber auch das Verhältnis zu den Fraktionen im Bundestag. Im Mittelpunkt stand ferner ein Exkurs über die Besonderheiten des Föderalismus in Deutschland, der eine Mitwirkung der Bundesländer im Gesetzgebungsprozess mit sich bringt. In der anschließenden Diskussion interessierte die Nachwuchspolitiker besonders, wie das Kanzleramt seiner Transparenz- und Informationspflicht nachkommt und wie stark der Gestaltungsspielraum der Kanzlerin und einzelner Minister ist.

Am Tag darauf wurde diese Thematik aufgegriffen, als die Gruppe aus Israel das Bundesministerium für Bildung und Forschung besuchte. Frau Barbara Götze stellte die Kompetenzen des Ministeriums vor und blickte ferner auf die Herausforderungen in der Bildungspolitik, die aus dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik resultierten. Wenn es zum Beispiel um die Konzeption von Schultypen geht, verfügt das Ministerium über sehr geringe Gestaltungsmöglichkeiten. Bei der Förderung von Innovationen und Talenten oder bei der Fokussierung bestimmter wissenschaftlicher Bereiche im öffentlichen Diskurs (etwa während der sog. Wissenschaftsjahre) kann die Behörde weitaus präsenter sein und deutliche Akzente setzen.

Politik in den Medien

Diese Sichtweise der Exekutive konnte die Delegation anschließend den Einschätzungen eines Medienvertreters gegenüberstellen. Herr Dr. Jacques Schuster von der Tageszeitung „DIE WELT“ skizzierte in seinen einführenden Worten die Medienlandschaft in Deutschland, wobei Unterschiede zu anderen europäischen Ländern ebenfalls angesprochen wurden. Des Weiteren ging die Runde auf das Verhältnis von Journalismus und Politik ein und diskutierte die strukturellen Veränderungen in der Medienbranche. Kostenzwänge und die Allgegenwärtigkeit des Internet stellten die Journalisten vor Herausforderungen. Allerdings könne man sich ebenso wenig den neuen Medien und Technologien verschließen.

Welche Medienkanäle die CDU nutzt, um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren und um über ihre Inhalte zu informieren, erklärte Herr Markus Brauckmann, der Leiter von CDU-TV, in der Bundesgeschäftsstelle der Partei. Die Delegation erhielt darüber hinaus Einblicke in die Organisation des nach und nach einsetzenden Wahlkampfs. Außerdem stand Herr Bertil Wenger, Leiter des Büros für Auswärtige Beziehungen der CDU, Rede und Antwort zu Fragen des internen Aufbaus der Partei. Für die Gruppe war es besonders lehrreich zu erfahren, wie vielfältig die CDU aufgestellt ist, welche Plattformen ihre Interessen wahrnehmen und wie speziell die Jugend zur politischen Mitsprache angeregt wird.

Dass es in diesem Kontext ganz besonders auf die Mitwirkung der Landesverbände ankommt, erfuhren die Teilnehmer der Studienreise während einer Exkursion nach Mainz. Herr Robin Schmidt von der Strategischen Abteilung des Landesverbands Rheinland-Pfalz gab detailliert Auskunft über die Wahlkampfführung auf Landesebene und die Themengestaltung in der Landespolitik.

Aufgaben von Abgeordneten

Wie sich die Aufgabe der Interessenwahrnehmung und Politikgestaltung in der Praxis gestaltet, konnten die israelischen Gäste von Mandatsträgern und politisch Aktiven erfahren. Mehrmals bot sich die Gelegenheit zum regen Austausch mit Abgeordneten, u.a. mit Herrn Danny Freymark, MdA, Herrn Dr. Peter Tauber, MdB, Frau Barbara Richstein, MdL, und Herrn Andreas Göbel, MdL. Im Blickfeld standen tagespolitische Themen in Deutschland, Europa und Israel, ferner das Aushandeln einer politischen Agenda im parlamentarischen Alltag, die Kontaktpflege zum Wahlkreis sowie die Aufgaben von Abgeordneten, wenn diese entweder einer Regierungsfraktion oder der Opposition angehören.

Des Weiteren schilderten wissenschaftliche Mitarbeiter von Mitgliedern des Bundestags ihre Eindrücke vom Alltag in einem Abgeordnetenbüro in Berlin, der den Abläufen in der Knesset in Jerusalem ähnelt. Was in Deutschland jedoch von großer Bedeutung ist, ist die Arbeit der Abgeordneten in ihren Wahlkreisen. Dort kommt es darauf an, Politik bürgernah zu vermitteln, komplexe Zusammenhänge nachvollziehbar zu kommunizieren und ansprechbar für unterschiedlichste Sachverhalte zu sein.

Deutsch-israelische Beziehungen

Neben der Auseinandersetzung mit praktischen Fragen der Politik in Deutschland und der Art und Weise, wie unterschiedliche Akteure zusammenwirken, hatte die Studienreise auch zum Ziel, die internationale Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung näher zu betrachten und sich über das deutsch-israelische Verhältnis auszutauschen. Anlass zu einer lebendigen und innerhalb der Gruppe aus Israel kontrovers geführten Diskussion ergab sich mit Herrn Dr. Gerhard Wahlers, stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit, Herrn Thomas Birringer, Leiter des Teams Afrika und Naher Osten, und Herrn Dr. Oliver Ernst, Länderreferent für Israel.

Zwei Fragen prägten das Gespräch im besonderen Maße: zum einen die innenpolitische Situation in Israel und die Erwartungen an die vor einem Monat gebildete Regierung in Jerusalem sowie die Perspektiven für Israels Entwicklung in der Region des Nahen Ostens. Zentrale Themen, die nicht nur den jüngsten Wahlkampf bestimmten, sondern nun auch die politische Agenda von Ministerpräsident Netanjahu dominieren, sind die notwendigen Reformen in den Bereichen Bildung, Lastenverteilung und Wehrgerechtigkeit.

Ein Grund, warum die 2012 gegründete Partei Jesch Atid zur zweitstärksten Fraktion in der Knesset wurde, war unter anderem der Zuschnitt der Kampagne auf sozioökonomische Probleme. Herr Gal Bareket, Vertreter des liberalen Flügels im Likud, drückte die Hoffnung aus, dass die Regierung den Wunsch nach Veränderungen in der israelischen Gesellschaft erkennt und Taten folgen lässt. Die Aussichten dafür wären günstig, weil momentan keine ultraorthodoxe Partei an der Regierungskoalition beteiligt ist. Insbesondere wenn es darum geht, den Anteil der Ultraorthodoxen an der arbeitenden Bevölkerung zu erhöhen, hätte sich ein Zeitfenster geöffnet und konstruktive Entscheidungen müssten getroffen werden.

Wie wichtig die Festigung der deutsch-israelischen Beziehungen auf zwischenmenschlicher Ebene ist, wurde beim Besuch im hessischen Gelnhausen deutlich. Möglich wurde dieser Programmpunkt durch den Einsatz von Herrn Dr. Peter Tauber, MdB. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe, Lehrer und Elternvertreter des Grimmelshausen Gymnasiums tauschten sich mit den Gästen aus Israel über vielfältige Themengebiete aus, stellten Fragen über das Leben in Israel, zum Judentum und zu den Umbrüchen in der arabischen Welt.

Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte

Dass das heutige politische System der Bundesrepublik auch im Licht der jüngeren deutschen Vergangenheit zu betrachten ist, erfuhren die israelischen Nachwuchspolitiker in vielfacher Hinsicht. Eine Besichtigung im Reichstagsgebäude war Anlass, die wechselvolle Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland kennenzulernen. Insbesondere die Erfahrungen aus der Weimarer Republik führten dazu, 1949 das Grundgesetz auf ein solideres Fundament zu stellen und sich gegen antidemokratische Angriffe zu schützen.

Die Folgen der Demokratiefeindlichkeit in Deutschland sind allseits bekannt. Auf die Weimarer Republik folgte die totalitäre Herrschaft der Nationalsozialisten, samt Weltkrieg sowie Verfolgung und Vernichtung Andersdenkender und erklärter Feinde des Regimes. Der Besuch des „Mahnmals für die ermordeten Juden Europas“ und des dazugehörigen Dokumentationszentrums vermittelte eindrücklich diesen Teil der deutschen Geschichte, zeigte aber genauso, wie präsent in der deutschen Gesellschaft die Auseinandersetzung mit jener Zeit ist.

Von großem Interesse war darüber hinaus das Zusammentreffen mit Zeitzeugen der zweiten deutschen Diktatur, der sozialistischen Diktatur in der DDR von 1949 bis 1989. Frau Dr. Maria Nooke, stellv. Direktorin der Stiftung Berliner Mauer, informierte die Gruppe ausführlich über Politik und Gesellschaft in der DDR und ging speziell auf die Geschichte der Mauer und den friedlichen Umbruch im Herbst 1989 ein. Für Freiheit und Selbstbestimmung gingen die Menschen in Ostdeutschland auf die Straße, brachten ein Regime zum Einsturz und mussten Demokratie schrittweise erlernen. Dieser Lernprozess dauert im Grunde weiter an, denn Änderungen in den Einstellungen und der Mentalität ist eine Generationenfrage.

Wie sehr sich das System der DDR gegen die eigene Bevölkerung richtete, wurde beim Gespräch mit Frau Vera Lengsfeld, MdB deutlich. Frau Lengsfeld gründete 1987 die „Kirche von Unten“ und setzte sich mit Gleichgesinnten für die Anerkennung der Menschen- und Bürgerrechte in der DDR ein. 1988 wurde sie im Gefängnis der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Die ehemalige Haftanstalt ist heute eine Gedenkstätte, und dort fand auch das Treffen mit den Gästen aus Israel statt. Anhand ihrer persönlichen Geschichte zeigte Frau Lengsfeld die Methoden des Überwachungsstaates auf. Für die Delegation war dies eine bewegende Erfahrung, was auch dazu führte, das heutige Deutschland im neuen Licht zu sehen.

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Mit vielen neuen Eindrücken und Kenntnisse hat die Gruppe das Programm beendet und zeigte sich davon überzeugt, das erworbene Wissen in ihrem Umfeld zu verbreiten. Für die KAS Israel wird es zudem darauf ankommen, die Kontakte zu den beteiligten Parteien zu vertiefen sowie Teile des Studienprogramms in Workshops und Seminaren aufzugreifen.

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