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Veranstaltungsberichte

Passive Beobachter oder aktive Teilnehmer?

von Michael Mertes, Palina Kedem

Die Rolle und Verantwortung der Schriftsteller in einer Zeit politischer Umbrüche

Auch am diesjährigen „International Writers Festival“ in Jerusalem (18.-23. Mai 2014) beteiligte sich die KAS Israel, indem sie am 19. Mai ein Panel zum Thema „Passive Beobachter oder aktive Teilnehmer? Die Rolle und Verantwortung der Schriftsteller in einer Zeit politischer Umbrüche“ ausrichtete. Nicht zuletzt durch die positive Vorberichterstattung in der Tageszeitung Ha’aretz und die hochkarätige Besetzung des Podiums wurde ein großes, literarisch und politisch interessiertes Publikum angezogen.

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Das „International Writers Festival“ hat sich zu einem weit über Israel hinaus geschätzten Treffpunkt für Schriftsteller aus aller Welt entwickelt. Eingeladen wird, wer wenigstens ein Buch auf Hebräisch oder in hebräischer Übersetzung vorweisen kann. Das trifft natürlich auf israelische Autoren zu, aber es gilt auch für wichtige Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem Ausland, die sich international einen Namen gemacht haben.

An dem von der KAS Israel ausgerichteten Panel nahmen – in alphabetischer Reihenfolge – teil: Oudeh Bisharat, ein israelisch-arabischer Journalist und Schriftsteller, der in seinem viel gelobten Erstlingsroman „Die Straßen von Zatunia“ israelisch-arabische Kommunalpolitik im Spannungsfeld zwischen Reformnotwendigkeiten und traditioneller Loyalität zur eigenen Großfamilie humorvoll unter die Lupe nimmt; der in Vietnam geborene australische Autor Nam Le, der mit seinen preisgekrönten Kurzgeschichten (zusammengefasst im Buch „Das Boot“) international erfolgreich ist; die US-amerikanische Romanschriftstellerin und Essayistin Marilynne Summers Robinson, die unter anderem Trägerin des Pulitzer-Preises 2005 war und schon seit Langem eine große und begeisterte Lesergemeinde weit über ihr eigenes Land hinaus anspricht; der deutsche Romancier Jan-Philipp Sendker, der als „stern“-Korrespondent von 1990 bis 1995 in den USA und von 1995 bis 1999 in Asien tätig war und dessen Bücher in Israel außerordentlich beliebt und erfolgreich sind. Moderiert wurde das Panel von Michael Mertes, dem Leiter der KAS Israel.

Ausgangspunkt der Diskussion waren drei Gedichte, die auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema des Panels zu tun hatten. In dem Prosagedicht „Was gesagt werden muss“, das 2012 veröffentlicht wurde, vertrat Günter Grass die These, Israel plane einen nuklearen „Erstschlag“ gegen den Iran, der das iranische Volk „auslöschen könnte“. Angesichts dessen kritisierte er die Bundesregierung, die „aus meinem Land … ein weiteres U-Boot nach Israel“ liefern wolle – ein Trägersystem also, „dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist“. Dieses Gedicht – vor allem auch die darin enthaltene Behauptung, Kritik an der israelischen Regierungspolitik werde in Deutschland tabuisiert – wurde in Israel leidenschaftlich debattiert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Günter Grass 1944/45 Mitglied der Waffen-SS gewesen war.

Das zweite Beispiel ist Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ entnommen, einer Antwort auf den Nazi-Terror in den 1930er Jahren: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Als drittes Beispiel diente ein Passus aus dem Gedicht „On Artistic Freedom in the Nationalist Era“ von Salman Masalha. Die englische Übersetzung dieses Textes wurde 2011 veröffentlicht: „… As I am not a fatalist / or member of an underground, / building churches, mosques and synagogues / in the hearts of children … / as I have no government, / with or without a premier, / and there is no chairman sitting on my head, / I can under such extenuating circumstances / sometimes allow myself to be human, /to be a bit free.“

Jedes dieser Gedichte steht für eine bestimmte Auffassung von der Rolle des Schriftstellers: Bei Grass ist er ein politischer Aktivist, der ein polemisches Flugblatt verfasst. Bei Brecht geht es um die Pflicht des Schriftstellers, das in einer bestimmten Situation belanglos gewordene Sujet zu wechseln und die Stimme zu erheben. Masalha wiederum verteidigt das Recht des Schriftstellers, sich dem Zwang zur Stellungnahme zu verweigern – eine Haltung, die nur auf den ersten Blick unpolitisch und eskapistisch wirkt.

In der Diskussion wurden zwei verschiedene, ja entgegengesetzte Standpunkte deutlich. Während Oudeh Bisharat eine besondere politische Verantwortung des Schriftstellers emphatisch bejahte, betonte Jan-Philipp Sendker, er als Schriftsteller habe die gleiche politische Verantwortung wie jeder andere Bürger auch; ein Romancier sei nicht kompetenter als ein Bäckermeister oder ein Zahnarzt, sich zu politischen Themen zu äußern. Bisharat meinte, der Schriftsteller sei die „Stimme“ der Gesellschaft, in der er lebt. Er müsse nicht unbedingt für eine bestimmte politische Agenda eintreten, spiele aber eine sehr wichtige Rolle bei der Formung gesellschaftlicher Werte und bei der Beeinflussung von Stimmungen in der Gesellschaft.

In diesem Kontext kam auch die von Land zu Land unterschiedliche Bedeutung des Schriftstellers als „public intellectual“ zu Sprache. Während es in Frankreich eine lange Tradition öffentlicher Einmischungen von Autoren gibt (das berühmteste Beispiel ist Émile Zolas „J’accuse!“ im Zusammenhang mit der „Dreyfus-Affäre“), finden solche Interventionen in Australien, so Nam Le, kein besonderes Gehör. Le sah die primäre Verantwortung des Schriftstellers darin, seinem Publikum die Wahrheit zu erzählen. Schon eine persönliche, mit Emotionen verbundene Wahrheit könne an sich politisch sein. Auch Marilynne Robinson meinte, die gesellschaftliche Relevanz von Literatur ergebe sich eher über die persönliche Dimension: „Literatur soll die Menschen dazu führen zu verstehen, wer sie sind.“

In Salman Masalhas Gedicht verteidigt der Autor seine Freiheit gegen die Zumutungen eines „nationalistischen Zeitalters“. Inwiefern geben Schriftsteller – gewollt oder ungewollt – ethnischen und religiösen Identitäten eine Stimme? Müssen Schriftsteller stets im Blick haben, dass – in den Worten des libanesisch-französischen Autors Amin Maalouf – kollektive Identitäten „mörderischen“ Charakter annehmen können? Die Panelisten erklärten dazu, sie wollten Werke der Literatur schaffen, die zwar lokale Sujets haben, aber universell verstanden werden können und sich insofern an alle Menschen richten.

Für Nam Le, Marilynne Robinson und Jan-Philipp Sendker, deren Bücher bereits in mehrere Sprachen übersetzt wurden, ist deshalb das Feedback ihrer Leser aus anderen Ländern sehr wichtig. Alle drei äußerten sich positiv über das israelische Publikum. Oudeh Basharat meinte, für ihn habe sich mit der hebräischen Ausgabe des zunächst auf Arabisch publizierten Romans „Die Straßen von Zatunia“ ein Stück jüdisch-arabische Gemeinsamkeit verwirklicht. Nationale und lokale Sujets könnten Außenstehenden eine ihnen fremde Binnenperspektive näher bringen. Dieser Erkenntnisgewinn bedeute eine große kulturelle Bereicherung.

Englischsprachiges Medienecho

  • David B. Green: Feast your eyes: Jerusalem International Writers Festival about to kick, Ha’aretz online, May 16, 2014: “A more international perspective on a similar question (i.e. the role of the fiction writer as political and social critic, and whether that role is or should be changing) should be evident in a discussion – ‘The Writer’s Role and Responsibilities in the Era of Political Change’ – to be led by the Adenauer Foundation’s Israel director Michael Mertes (Monday, 4:30 P.M., with free admission on advance registration). Mertes, himself a lawyer and a literary translator, will speak with Palestinian-Israeli Odeh Bisharat, who among other things is a columnist for this paper; Jewish-Israeli novelist Gail Hareven; Nam Le, a Vietnamese-born writer who arrived in Australia as a baby; and Jan-Philipp Sendker, a German journalist who has published two novels whose action alternates between the U.S. and Burma. Speaking with Haaretz the week before the session, Mertes said he had just had an email exchange with one of his panelists about the question of the writer’s ‘responsibility.’ His correspondent, he says, proclaimed that ‘My answer will be that the writer’s responsibility is to write good books, full stop. As far as political responsibility is concerned, it’s no different for a lorry driver, or dentist, or any other citizen.’”

  • Felice Miryam Kahn Zisken: Gained In Translation, The Jewish Weekly online, May 30, 2014: “‘What does it mean to you to be published in Israel?’ moderator Michael Mertes, of Konrad-Adenauer-Stiftung, asked a panel of writers. Vietnamese-Australian novelist Nam Le (‘The Boat’) responded, ‘Gravy, more people reading my work, audience.’ Israeli-Arab author Oudeh Basharat (‘The Streets of Zatunia’) answered, ‘People aspire to live in peace; our climate and our language unite us. When my book was translated, I was very satisfied.’ American author Marilynne Robinson (‘Gilead’) observed, ‘The first translation of my book was into Hebrew. It makes me fond of the place! Hebrew-language readers were so quickly responsive.’ German author Jan-Philip Sendker (‘The Art of Hearing Heartbeats’) wondered why Israelis like his books with their Far East setting.”

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