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Veranstaltungsberichte

Politisches Dialogprogramm mit Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Jürgen Rüttgers

von Anna Jandrey, Eva Keeren Caro, Palina Kedem

Ein politischer und gesellschaftlicher Austausch

Im 50. Jubiläumsjahr der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel besuchte Bundesminister a.D., Ministerpräsident a.D. und Mitglied des Stiftungsvorstandes Prof. Dr. Jürgen Rüttgers im Rahmen eines politischen Dialogprogramms Israel. Die Studienreise umfasste zahlreiche Gespräche mit Vertretern aus der Politik sowie Wirtschaftsexperten und Wissenschaftlern.

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Am ersten Tag des viertätigen Programms besuchte Prof. Rüttgers das für ihre Fortschrittlichkeit und Modernität bekannte Institut für Kommunikation der Universität IDC Herzliya (Interdisciplinary Center Herzliya). Dort traf er Dr. Noam Lemelshtrich den Leiter und Gründer von NoCamels Israeli Innovation News, einer Internetplattform, die neue Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnisse aus Israels Forschungssektor publiziert und so weltweit bekannt macht. Israel ist das Land mit der größten Anzahl an Firmengründungen pro Kopf und zeichnet sich vor allem durch seine große und etablierte Gründerszene im Bereich der Digitalisierung und Hochtechnologie aus. Warum Israel so viel erfolgreicher ist als andere Länder und was Deutschland von Israels Wirtschaftspolitik und Mentalität lernen kann stand zunächst im Fokus des Gesprächs. Es sei vor allem das exzellente Bildungssystem, die hohe Rate an Universitätsabsolventen und die aus der Geschichte des jüdischen Volkes entstandene Notwendigkeit zur Improvisation und Kreativität, auf der sich der Schaffungsgeist, gerade der der jungen Generation, begründe. Darüber hinaus sei auch der in Israel obligatorische Militärdienst einer der Hauptgründe für Israels fortschrittlichen Technologiesektor: Durch das Militär und dessen hoch entwickelter Technologie im Bereich der elektronischen Kriegsführung (cyber warfare) kämen die jungen Menschen schon vor ihrem Hochschulstudium mit dem neusten Forschungs- und Entwicklungsstand in Berührung und erhielten dadurch einen frühen Zugang zu den besonders nachgefragten Fächern wie dem Ingenieurwesen oder der Informatik. Daher sei es nicht überraschend, dass viele Firmengründungen – insbesondere in der Start-Up Szene - ihren Ursprung im Militär fänden. Ein weiterer Grund warum gerade Israel ein nahrhafter Boden für die Gründungen von Firmen darstelle, sei die enge Verknüpfung und Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und der Wirtschaft. Schon früh knüpften die Studierenden Kontakte in die Arbeitswelt. Ebenso stünden den Lernenden im Studium durchgehend erfahrene Unternehmer als Berater zur Seite. Demzufolge entstehe eine Symbiose aus Wirtschaft und Forschung, von der beide Seiten gleichermaßen profitierten, erklärte Dr. Lemelshtrich. Diesen symbiotischen Ansatz verfolge auch seine Website NoCamels.

Im Anschluss traf sich Prof. Rüttgers mit Prof. Boaz Gamor, Dekan der Lauder School und Leiter des Instituts für Terrorismusbekämpfung an der IDC Herzliya sowie mit Dr. Amichai Magen, der ebenfalls am Institut lehrt. Die Studienprogramme des Instituts sind auf politische Strategieplanung, öffentliche Verwaltung, internationale Konfliktlösung und internationale Beziehungen mit einem Schwerpunkt auf den Nahen Osten ausgerichtet. Laut Prof. Gamor erfreue sich das Institut aufgrund der breiten akademischen Aufstellung, aber auch wegen der Spezialisierung im Forschungsfeld des Terrorismus und dessen zunehmender Aktualität, gerade bei internationalen Studierenden großer Beliebtheit. Terrorismus in einem Land wie Israel zu erforschen, das sich seit Jahrzehnten mit dessen Bekämpfung tagtäglich konfrontiert sehe, ermögliche den Studierenden eine ganz besondere Herangehensweise und biete einen einmaligen Zugang. Besonders beeindruckt zeigte sich Prof. Rüttgers von den Kooperationen zwischen dem Institut und der israelischen Regierung und dem Militär. Wie schon im Gespräch zuvor wurde betont, es sei auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Lehre des Instituts eng mit der Wirtschaft und dem „realen Leben“ verbunden.

Das Thema „Start-Up Nation“ und der florierende Technologiesektor Israel wurde bei einem Besuch eines sogenannten „Coworking Space for Entrepreneuers“ in Tel Aviv erneut aufgegriffen. Die Firma Wework bietet Kurzzeitvermietungen von Arbeitsräumen für kleine Firmen und einzelne Personen an. Dabei hat sich Wework vor allem auf junge Unternehmen spezialisiert, die sich in ihrer Gründungsphase befinden. Bei der Besichtigung der zu mietenden Räumlichkeiten wurde erklärt, dass dieses Konzept den Mietern vor allen zwei Vorteile verschaffe: dem Mieter werde die komplette Infrastruktur, d.h. Telefon- und Internetanschluss, Wasser, Elektrizität, etc. zur Verfügung gestellt. Außerdem könne je nach Bedarf schnell beliebig mehr Arbeitsraum dazu gebucht werden, einschließlich von Konferenzräumen. Ein weiterer, und noch viel bedeutsamer Vorteil sei das Netzwerk, das sich jedem Mieter durch einen Arbeitsplatz in einem Coworking Space eröffne. Firmengründer würde die Möglichkeiten geboten, sich untereinander auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und eventuell gar Kooperationen zu schließen. Nach zahlreichen erfolgreichen Eröffnungen in etwa den USA, Großbritannien und Israel plane Wework das Konzept nun auch in Berlin anzubieten. Dies würde auch die Gründungsszene in Deutschland weiter fördern und internationale Kooperationen erleichtern, so das Management von Wework. Gerade Berlin sei aufgrund seiner Beliebtheit als Standort in der internationalen Start-Up Branche für das Konzept von „coworking space“ prädestiniert.

Nach der Besichtigung der Büroräumlichkeiten tauschte sich Prof. Rüttgers mit Gregor Schlosser von der Deutschen Außenhandelskammer in Tel Aviv über die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen im Land aus. Besonders erkenntnisreich war dabei die Diskussion über die israelische Gründungsmentalität. Herr Schlosser bestätigte die Aussage von Dr. Lemelshtrich während des ersten Termins am Morgen, dass die junge Generation durch ihren Militärdienst einen leichten und frühen Zugang zu neuen Technologienentwicklungen genieße. Ferner seien es aber auch die hohen Lebenshaltungskosten, die viele antreiben würden, unternehmerisch aktiv zu werden. Außerdem gebe es in Israel, im Vergleich zu Deutschland, keine ausgeprägte „Kultur des Scheiterns“. Fehlschläge würden als ein wichtiger Erfahrungswert angesehen, der zum Leben unweigerlich dazu gehöre und gelte daher als selbstverständlich. In Israel stehe man nach einem Misserfolg schnell wieder auf und mache sich an eine neue Idee. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass auch Deutschland auf einem guten Weg sei, wirtschaftliche Niederlagen gesellschaftlich ebenfalls weniger zu verurteilen. Dennoch könne Israel hier weiterhin für Deutschland als Vorbild fungieren.

Das Programm des ersten Tages fand seinen Ausklang bei einem Treffen mit dem Gründer und Präsident der Universität IDC Herzliya, Prof. Urie Reichmann, den Prof. Rüttgers von vorherigen Reisen bereits gut kannte. Das Gespräch diente dem politischen Austausch über die aktuellen deutsch-israelischen Beziehungen und die politischen Herausforderungen, denen beide Länder sich derzeit und künftig stellen werden müssen sowie die Diskussion um mögliche Kooperationen der Universität und der Konrad-Adenauer-Stiftung.

In der Knesset traf sich Prof. Rüttgers mit zwei der jungen Stimmen des israelischen Parlaments, die erst kürzlich aufgrund ihres Listenplatzes für ihre Parteien in die Knesset eingezogen sind: die Likud-Abgeordnete Sharren Haskel und Yael Cohen-Paran, Mitglied der Zionistischen Union. Im Mittelpunkt der beiden Treffen standen sowohl die politischen Themen der jungen Generationen Israels als auch Umwelt- und Wirtschaftsfragen. MK Haskel erklärte, dass sie als junge Abgeordnete in der Pflicht stehe, sich für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen, um so die Zukunft der nächsten Generationen mitgestalten zu können. Insbesondere die Wasserknappheit im Nahen Osten und die damit verbundene Frage, wie mit dieser Thematik politisch umgegangen werden muss, sei einer der Schwerpunkte auf ihrer politischen Agenda. Darüber hinaus betonte MK Haskel, dass die Lebenshaltungskosten, vor allem die hohen Immobilienpreise, eine drastische Kehrtwende der israelischen Sozialpolitik erfordere, damit Israel auch für junge Menschen lebenswert bleibe. Interessiert zeigte sich Haskel gegenüber Prof. Rüttgers Ausführungen, der einen detaillierten Überblick über die deutsche Politik zu diesen Themen gab. Angesichts der Erfahrungswerte von Prof. Rüttgers wurde in beiden Gesprächen auch ausgiebig über das deutsche und israelische Bildungssystem gesprochen. Es sei vor allem die hohe Universitätsdichte und die große Anzahl an Akademikern, die Israel auszeichne, so MK Haskel. Diese Tatsache, argumentierte Prof. Rüttgers, diene als ausgezeichnete Möglichkeit die deutsch-israelischen Beziehungen gerade unter den jüngeren Generationen auszubauen und zu stärken. Er brachte in diesem Zusammenhang seine Sorge zum Ausdruck, dass Israel sich künftig weiter von Deutschland und Europa isolieren könne. Studienaustausche, wissenschaftliche Delegationsreisen und Forschungskooperationen böten hier eine einzigartige Chance diesem Trend entscheidend entgegenzuwirken. Bildung sei schlicht und einfach eine hervorragende Brücke zwischen Israel und Europa, erklärte Prof. Rüttgers. Aus diesem Grund seien auch die Fortsetzung und die Eingliederung Israels in das Bologna-System von so großer Bedeutung. MK Haskel erklärte, dass sie sich hierfür stark machen wolle und sich mit den notwendigen und involvierten Institutionen in Israel in Verbindung setzen werde.

Während des Gesprächs mit MK Yael Cohen-Paran wurde intensiv über die israelische Umweltpolitik gesprochen. Coehen-Paran ist Gründerin und Leiterin des “Israelischen Forums für Energie“, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erschließung von erneuerbaren Energien zu fördern. Im Rahmen der öffentlichen Diskussion um die neu erschlossenen Ölvorkommnisse in Israel, sei das Thema Umwelt und Energie wichtiger und aktueller denn je, wie die Abgeordnete deutlich machte.

Nach seinem Besuch in der Knesset setze sich Prof. Rüttgers intensiv mit der deutschen Erinnerungskultur und der deutsch-jüdischen Geschichte auseinander. Als Vorsitzender des „Freundeskreis von Yad Vashem Deutschland e.V.“ war es für Prof. Rüttgers von herausgehobener Bedeutung, sich im Rahmen eines offiziellen Besuchs vor Ort über neue Programme der Gedenkstätte zu informieren und Möglichkeiten der Weiterentwicklung bestehender Kooperationen mit deutschen Institutionen zu diskutieren. Neben der Besichtigung der Ausstellung von Holocaustkunst, welche in Teilen Anfang 2016 in Berlin zu sehen sein wird, der Artefakte-Sammlung und des Museums-Archivs, hatte Prof. Rüttgers am dritten Programmtag die Gelegenheit zum Austausch mit dem Führungspersonal der Gedenkstätte sowie offiziellen Repräsentanten des Internationalen Departments.

Beim gemeinsamen Mittagessen mit dem Vorsitzenden des Yad Vashem-Direktoriums Avner Shalev, der Generalsekretärin der Gedenkstätte Dorit Novak sowie dem Leiter des International Departments Shaya Ben Yehuda diskutierten Prof. Rüttgers und Dr. Michael Borchard über die wachsenden Herausforderungen für die Holocaust-Erziehung in Deutschland, welche sich aus einer sich verändernden demografischen Realität ableiten. In diesem Zusammenhang betonte Prof. Rüttgers die Wichtigkeit der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Yad Vashem und deutschen Institutionen. Yad Vashem verfüge wie keine andere Einrichtung in der Welt über Wissen und pädagogische Ressourcen zum Thema Holocaust und sei daher ein unabkömmlicher Partner.

Im Gespräch mit Richelle Budd-Kaplan, Direktorin der europäischen Abteilung, und der Leiterin des German Desk der Internationalen Schule für Holocaust-Studien Debby Hartman, informierte sich Prof. Rüttgers über die laufenden Kooperationen mit deutschen Institutionen. Dabei wurde deutlich, dass gravierende Unterschiede in puncto Anzahl der Projekte zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen.

Im Anschluss an die aufschlussreichen Gespräche in Yad Vashem stand ein Besuch in der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg auf dem Programm. Hier wurde Prof. Rüttgers von Pater Dr. Nikodemus C. Schnabel empfangen. Der Auslandsseelsorger und Pressesprecher der Abtei informierte ihn über aktuelle Entwicklungen in Bezug auf Rolle und Situation der Christen im Heiligen Land. Dabei wies er auf die Gewalt- und Hassattacken auf christliche Vertreter und Institutionen in den vergangenen Monaten hin, welche von jüdischen Extremisten ausgingen (Brandanschläge auf die Abtei auf dem Zionsberg und das Kloster Tabgha, Spuck- und Schimpfattacken gegen Mönche). Zudem berichtete er über seine nicht immer einfache Aufgabe als Auslandsseelsorger im Heiligen Land.

Das Jubiläumsjahr erfuhr mit dem Besuch von Herrn Prof. Rüttgers eine große Bereicherung und ermöglichte einen intensiven deutsch-israelischen Austausch auf politischer und kultureller Ebene. Das Dialogprogramm machte wieder einmal deutlich, wie wichtig solche bilateralen Gespräche zwischen erfahrenen deutschen Politikgrößen und israelischen Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Forschung sind, um die Beziehungen beider Länder zu festigen, das gegenseitige Verständnis zu fördern und von den Erfahrungen des jeweils anderen zu lernen.

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