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Veranstaltungsberichte

Unheiliger Streit über heilige Stätten

Wege von der Konfrontation zum Dialog

Am 20. Mai 2014 – fünf Tage vor Beginn des Besuchs von Papst Franziskus – fand im „Jerusalem Institute for Israel Studies“ eine von der NGO „Search for Common Ground“ in Zusammenarbeit mit der KAS Israel organisierte Konferenz zum Thema „Reisestationen von Papst Franziskus: Heilige Stätten in Jerusalem“ statt. Gegenstand der Konferenz, die auf große öffentliche Aufmerksamkeit stieß, war der Schutz heiliger Stätten in Jerusalem, die für mehrere Konfessionen oder Religionen von Bedeutung sind, sowie der Stand der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel.

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Eröffnet wurde die Konferenz von Sharon Rosen, der israelischen Ko-Direktorin des Jerusalemer Büros von „Search for Common Ground“. Sie rief den Konferenzteilnehmern eine Hauptbotschaft des „Universellen Kodex für den Umgang mit heiligen Stätten“ in Erinnerung: Spannungen zwischen Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften sind lösbar, nämlich mit Hilfe eines fortwährenden Dialogs zwischen den Beteiligten. Diesen Dialog unterstützt auch die KAS Israel, hob deren Leiter Michael Mertes hervor. Er betonte, dass die in jüngster Zeit gegen christliche und muslimische Einrichtungen begangene „Hassdelikte“ eine Herausforderung für den israelischen Rechtsstaat seien, der im eigenen Interesse keine rechtsfreien Räume dulden dürfe. Es sei ermutigend, dass wichtige jüdische Persönlichkeiten gegen solche Tendenzen die Stimme erhöben. Der norwegische Botschafter Svein Sevje, dessen Regierung die Entwicklung des „Universellen Kodex für den Umgang mit heiligen Stätten“ maßgeblich unterstützt hat, sprach sich in seinem Grußwort für die Fortsetzung des Dialogs zwischen den Vertretern aller involvierten Religionsgemeinschaften aus.

Zu Beginn des ersten Panels, das dem christlich-jüdisch-muslimischen Streit um den Zionsberg und dem innerchristlichen Status quo in der Grabeskirche gewidmet war, hob Moderator Professor Yitzhak Reiter vom „Jerusalem Institute for Israel Studies“ die Bedeutung der Konferenz vor dem Hintergrund des anstehenden Besuches von Papst Franziskus und der wachsenden Anzahl von „Hassdelikten“ gegen heilige Stätten und Vertreter anderer Religionsgemeinschaften in Jerusalem hervor. Die meisten dieser Delikte würden bedauerlicherweise nicht aufgeklärt.

Streit um den Zionsberg

Fr. Pierbattista Pizzaballa OFM, Kustos des Heiligen Landes, analysierte als erster Redner die Bedeutung des Zionsberges für die Christenheit. Das dort gelegene „Coenaculum“, wo nach christlicher Tradition das Letzte Abendmahl und das Pfingstereignis stattgefunden haben sollen, bezeichnete er als zweitwichtigste heilige Stätte der Christenheit nach der Grabeskirche. Es gehe der Katholischen Kirche, namentlich dem Franziskanerorden, keineswegs darum, die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Coenaculum wiederzuerlangen, nachdem die Osmanen den Franziskanerorden 1551 vom Zionsberg vertrieben hatten. Gegenstand der gegenwärtigen Verhandlungen mit dem Staat Israel sei lediglich das Recht der Christen, in einem bestimmten Zeitfenster – zum Beispiel zwischen 6.00 und 8.00 morgens – täglich Gottesdienste im Coenaculum feiern zu dürfen. Die von nationalreligiösen Fanatikern in die Welt gesetzte Behauptung, im Rahmen des Besuchs von Papst Franziskus sei eine Übergabe der Coenaculums an die Katholische Kirche geplant, entbehre jeder Grundlage. Es gehe darum, einen für alle Seiten – Christen, Juden und Muslime – annehmbaren Modus vivendi auf dem Zionsberg zu finden.

Dr. Hagai Agmon-Snir, Direktor des „Jerusalem Intercultural Center“, erläuterte in seinem Diskussionsbeitrag, weshalb der Zionsberg nicht nur den Christen heilig sei. Von jüdischen Gläubigen wird dort – genau unterhalb des Coenaculums – das Grab des König Davids verehrt. Muslimische Gläubige verehren diese biblische Gestalt als im Islam anerkannten Propheten (Nabi Daoud). Professor Mohammed Dajani, Gründer der moderat islamischen Wasatia-Bewegung und Politikwissenschaftler an der Al-Quds-Universität Jerusalem, beleuchtete in einem historischen Abriss die Bedeutung des Zionbergs für die muslimische Welt. Dabei ging er insbesondere auf die Geschichte seiner eigenen Familie, der palästinensischen Dajani-Dynastie ein. Die Dajanis sind seit über 700 Jahren in Jerusalem ansässig und waren jahrhundertelang die Hüter des Grabes von König David/Nabi Daoud. Dajani beendete seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass nur eine Mäßigung aller Parteien im Streit um den Zionsberg eine allseits befriedigende Lösung ermögliche.

Sodann berichtete Hana Bendcowsky, Programmdirektorin des „Jerusalem Center for Jewish-Christian Relations“, von ihrer Arbeit und den verschiedenen Berührungspunkten mit dem Streit um den Zionsberg. Da der Zionsberg mit dem Davidsgrab in West-Jerusalem liegt, war er für Juden bis 1967 die einzige bedeutsame heilige Stätte, die sie besuchen konnten – die Altstadt von Jerusalem und die Patriarchengräber in Hebron waren ihnen ja bis zum Ende des Sechstagekrieges nicht zugänglich. Während der Zweiten Intifada (2000-2005) habe das Davidsgrab erneut einen großen Zulauf jüdischer Besucher erlebt. Bei Führungen mit israelischen Schulklassen, aber auch anderen Besuchergruppen, werde die Komplexität der Geschichte des Zionsbergs deutlich: Für die Guides sei es fast unmöglich, den Teilnehmern der Gruppe innerhalb kurzer Zeit ein Verständnis für die wechselvolle Geschichte dieses Ortes und die daraus resultierenden Konflikte – vor allem über die Frage, welche Religionsgemeinschaft welche Ansprüche auf den Zionsberg oder Teile davon erhebt – zu vermitteln.

Merav Horovitz, Programmdirektorin des „Yad Ben Zvi Institute“, bestätigte diese Beobachtung. In ihrem Bericht konzentrierte sie sich auf Erfahrungen, die sie bei der Führung von israelischen Schulkindern am Zionsberg gemacht hat. Oftmals wüssten diese nicht mit der geschichtlichen, religiösen und politischen Komplexität dieses Ortes umzugehen. Dennoch müsse man sich dieser Mühe unterziehen, denn es sei nicht legitim, allein den jüdischen Standpunkt darzulegen und die Positionen von Christen und Muslimen zu verschweigen. Die zwei Panelistinnen Bendcowsky und Horovitz waren sich einig, dass es dringend notwendig sei, jungen Israelis und jungen Palästinensern im Unterricht sachlich über die jeweils anderen Religionen zu informieren; erst ein ausreichendes Wissen befähige die jungen Menschen zu einem echten interreligiösen Dialog.

Der Status quo in der Grabeskirche

In der zweiten Runde des Panels ging es um die Grabeskirche und das sich dort nach orthodoxer Überlieferung alljährlich am Karsamstag ereignende Wunder des „Heiligen Feuers“. Erzbischof Aristarchos von Constantinis, Generalsekretär des Heiligen Synods des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Jerusalem, hob die Bedeutung der Zeremonie für die orthodoxen Christen hervor. Tausende Pilger kämen jährlich nach Jerusalem, um an der Zeremonie teilzunehmen. Hierbei sei die orthodoxe Kirche in besonderem Maße auf eine gute Zusammenarbeit mit der israelischen Polizei angewiesen; diese Kooperation sei allerdings noch verbesserungsbedürftig. Der Erzbischof beklagte vor allem die langen Wartezeiten für die Pilger vor Einlass in die Grabeskirche und ganz allgemein die nach seiner Wahrnehmung bestehende Ungleichbehandlung von jüdischen und christlichen Pilgern durch die israelischen Sicherheitskräfte während der Pessach- und Osterzeit.

Der armenische Erzbischof Aris Shirvanian beleuchtete den Status quo in der Grabeskirche aus armenischer Sicht. Er legte Wert auf die Feststellung, dass bei der Zeremonie des „Heiligen Feuers“ der griechisch-orthodoxe und der armenische Patriarch gleichberechtigt nebeneinander stünden – der Grieche als Repräsentant der orthodoxen, der Armenier als Repräsentant der altorientalischen Kirchen. Auch forderte er ein härteres Durchgreifen der israelischen Polizei gegen „Hassdelikte“, denen sich christliche Kleriker und Einrichtungen zunehmend ausgesetzt sähen.

Inspektor Johnny Kassabri, Verbindungsbeamter der israelischen Polizei zu den christlichen Kirchen und Gemeinschaften und Katholik aus Nazareth, erklärte, dass die Polizei den Ehrgeiz habe, einen reibungslosen Ablauf christlicher Gottesdienste und Zeremonien – besonders auch des „Heiligen Feuers“ – zu gewährleisten. Sie bemühe sich, die Wartezeiten für die Pilger vor Einlass in die Grabeskirche möglichst kurz zu halten. Im Jahr 2014 sei das besser gelungen als 2013. Er bat aber auch um Verständnis dafür, dass die Zeremonie des „Heiligen Feuers“ wegen der Brandgefahr und möglicher Massenpaniken eine enorme Herausforderung für Polizei und Feuerwehr darstelle. Sicherheit habe oberste Priorität – sie gehe im Zweifel den verständlichen Wünschen der einzelnen Pilger vor. Kassibri erörterte den Aufbau sowie die Zuständigkeiten und Hierarchien der Jerusalemer Polizei anhand eines Organigramms. Der Besuch des Papstes werde seit Monaten vorbereitet und stelle die Polizei vor eine enorm komplexe Aufgabe.

Die Beziehungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl

Weihbischof William Shomali vom Lateinischen Patriarchat beschrieb in seinem Vortrag die positive Entwicklung des vatikanisch-israelischen Verhältnisses in den letzten 50 Jahren (seit der Reise von Papst Paul VI. ins Heilige Land 1964 und der Erklärung „Nostra Aetate“ 1965) und bezog sich hierbei auf die Aussagen verschiedener Päpste. Nach deren einhelliger Ansicht muss die Stadt Jerusalem den Gläubigen aller monotheistischen Religionen gleichermaßen offen stehen, da sie – aus verschiedenen Gründen – Juden, Muslimen und Christen gleichermaßen heilig sei. Deshalb befürworte der Heilige Stuhl einen speziellen, international garantierten Status für Jerusalem im Rahmen einer israelisch-palästinensischen Friedensregelung.

Die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Status der Stadt, so Weihbischof Shomali, schüfen Konflikte und Trennlinien. Während Jerusalem aus jüdischer Sicht schon seit 3000 Jahren, der Zeit des Königs David, zu Israel gehöre, sähen die Palästinenser – und die ganze muslimische Welt – die israelische Annexion des Ostteils der Stadt als unrechtmäßig an. Weihbischof Shomali wies darauf hin, dass die im Grundlagenvertrag vom 30. Dezember 1963 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel vereinbarte schnelle Regelung noch offener Statusfragen immer noch ausstehe.

Rabbiner David Rosen, Internationaler Direktor für Interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee, bezeichnete die Entwicklung des vatikanisch-israelischen Verhältnisses in den letzten Jahrzehnten als Revolution, die mehr sei als ein bloßer Wandel. Theodor Herzl sei Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner Bitte um Unterstützung des zionistischen Anliegens bei Papst Pius X. noch auf klare Ablehnung gestoßen. Das Verhältnis zwischen dem Vatikan einerseits und den Juden und Israel andererseits sei bis Mitte des 20. Jahrhunderts von wechselseitiger Distanz und Misstrauen geprägt gewesen.

Erst Papst Johannes XXIII., ein Wegbereiter der Erklärung Nostra Aetate (der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils „über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“), habe die entscheidende Wendung in Richtung Versöhnung gebracht. Mit diesem im Jahr 1965 unter dem Pontifikat Papst Paul VI. beschlossenen Dokument habe die Katholische Kirche anerkannt, dass der Bund Gottes mit den Israeliten durch den Neuen Bund in Christus nicht annulliert worden sei. Rosen bekannte, dass er seine eher kritische Sicht auf den Besuch von Paul VI. im Heiligen Land 1964 mittlerweile revidiert habe. Bislang sei es in Israel herrschende Meinung gewesen, dass dieser Besuch eine rein innerchristliche Dimension gehabt, das christlich-jüdische Verhältnis ausgeklammert und die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel überhaupt nicht vorangebracht habe. Schaue man jedoch genauer hin – und berücksichtige man die politischen Konstellationen in der Region vor dem Sechstagekrieg –, ergebe sich ein anderes, sehr viel positiveres Bild.

Diplomatische Beziehungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und dem Staat Israel wurden allerdings erst Ende 1993 etabliert. Auch Rosen forderte – mit unüberhörbarer Kritik an der Zögerlichkeit der israelischen Diplomatie –, dass die Zeit für eine Regelung der noch offenen Statusfragen reif sei. Der im orthodoxen Judentum verbreiteten Auffassung, christliche Gottesdienste seien „Götzendienst“, hielt er entgegen, führende Rabbiner seit der Spätantike hätten die Gegenposition vertreten und – wie die meisten Juden heutzutage – das Christentum als monotheistische Religion anerkannt.

In ihrem Schlusswort forderte Sharon Rosen die Anwesenden nachdrücklich dazu auf, den öffentlichen Dialog fortzuführen, um Aussöhnung zwischen den Religionen und eine langfristige Stabilität des Zusammenlebens in Jerusalem zu ermöglichen.

Lea Grohmann / Michael Mertes

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20. Mai 2014: Eröffnung der Konferenz in Jerusalem über den Schutz heiliger Stätten. V.l.n.r.: Sharon Rosen, Michael Mertes, Botschaften Svein Sevje Eigenes Foto KAS Israel

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