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Veranstaltungsberichte

Zwei Völker, zwei Staaten

von Michael Mertes

Grundsatzfragen der gegenwärtigen Friedensgespräche

Zusammen mit der „Genfer Initiative“ und dem „S. Daniel Abraham-Zentrum für Strategischen Dialog“ veranstaltete die KAS Israel am 9. April 2014 in Jerusalem eine Konferenz über Grundsatzfragen der gegenwärtigen Friedensgespräche und über die regionalen Auswirkungen der Gründung eines Palästinenserstaates. Über 230 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen, um den Diskussionen auf zwei hochkarätig besetzten Podien zu folgen. Eine besondere Rolle spielte dabei die Forderung der Regierung Netanjahu, die Palästinenser müssten Israel explizit als jüdischen Staat anerkennen.

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In seinem Grußwort betonte Michael Mertes, Leiter der KAS Israel, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung für die Zwei-Staaten-Lösung eintrete. Diese Lösung sei Voraussetzung dafür, dass Israel eine gute Zukunft als jüdischer und demokratischer Staat habe. Mertes ging auch auf die Sorge vieler Israelis ein, dass auf Europa letztlich kein Verlass sei. Israel habe in Europa viele treue Freunde, und die EU habe erst im Dezember 2013 Israelis und Palästinensern eine „Besondere Privilegierte Partnerschaft“ (Special Privileged Partnership, SPP) angeboten für den Fall, dass es zu einer Zwei-Staaten-Lösung komme.

Das erste Panel, das sich mit den Herausforderungen der gegenwärtigen Friedensgespräche beschäftigte, wurde von Gadi Baltiansky, dem Direktor der Genfer Initiative, eröffnet. Die Elemente einer Lösung, so Baltiansky, lägen in Form der „Clinton-Parameter“ schon seit Langem vor. Es sei indes ein grundsätzliches Problem, dass beide Verhandlungspartner in der Vorstellung befangen seien, jedem Vorteil für die eine Seite entspreche ein Nachteil für die andere („Nullsummenspiel“). In Wahrheit gehe es um eine „Win-win“-Chance; sollten die Gespräche scheitern, wäre eine „Lose-lose“-Konstellation die Folge.

Entscheidend sei, dass beide Seiten langgehegte Träume aufgäben. Für die jüdische Seite nannte er die Kontrolle über Ost-Jerusalem und den Tempelberg (ohne Westmauer), für die palästinensiche Seite das Rückkehrrecht. Sollte es nicht zu einer bilateral vereinbarten Zwei-Staaten-Lösung kommen, müsse Israel sich überlegen, eine solche Lösung durch unilaterale Schritte – mit dem Ziel eines weitgehenden Rückzugs aus dem Westjordanland – herbeizuführen.

Ashraf al-Ajrami, ehemaliger Palästinensischer Minister für Gefangenenangelegenheiten, erklärte in seinem Beitrag zunächst, weshalb die israelische Weigerung, die für Ende März zugesagte vierte Runde der Freilassung palästinensischer Gefangener in die Tat umzusetzen, für die palästinensische Führung ein Schock gewesen sei. Es habe sich um den Bruch einer Vereinbarung gehandelt. Infolgedessen sei die palästinensische Seite nicht mehr an ihren Teil der Vereinbarung gebunden gewesen – nämlich die Zusage, während der Verhandlungen alle diplomatischen Initiativen für die Aufnahme Palästinas in verschiedene UNO-Organisationen und für den Beitritt zu verschiedenen internationalen Konventionen zurückzustellen.

Einen besonderen Akzent setzte al-Ajrami auf die Asymmetrie in den israelisch-palästinensischen Beziehungen: Israel sei in der Region die mit Abstand führende militärische Kraft; es verfüge über 78% des Gebietes, das dem UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 zugrunde gelegen habe – für die Palästinenser gehe es heute nur noch um die verbleibenden 22%. Er plädierte dafür, die Verhandlungen an dem Punkt wieder aufzunehmen, bis zu dem sie in den Olmert-Abbas-Gesprächen 2007/2008 bereits gediehen waren. Nur der Rücktritt Olmerts als israelischer Ministerpräsident wegen der gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe habe damals die zum Greifen nahe Einigung verhindert.

Dem widersprach in seinem Beitrag der ehemalige Minister und stellvertretende israelische Ministerpräsident Dan Meridor. Aus den Memoiren der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice gehe klar hervor, dass Palästinenserpräsident Abbas eine Einigung habe scheitern lassen, weil er sich geweigert habe, auf das von der palästinensischen Seite beanspruchte Rückkehrrecht für vier Millionen Palästinenser zu verzichten. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, als gebe es Blockaden allein auf der israelischen Seite. Zwar sei Abbas jemand, der Gewalt ablehne, aber das heiße nicht, dass man ihn als nachgiebig einschätzen dürfe.

Zu der bislang unterbliebenen vierten Runde der Freilassung palästinensischer Gefangener meinte Meridor, die Regierung Netanjahu hätte sich nicht darauf einlassen dürfen, in den Deal auch arabische Israelis einzubeziehen; damit habe sie der palästinensischen Führung implizit zugestanden, dass sie auch die Interessen bestimmter israelischer Staatsbürger wahrnehme. Aber was man versprochen habe, müsse man halten. Vorstellungen auf der rechten Seite des israelischen politischen Spektrums von einem „Groß-Israel“ erteilte Meridor eine deutliche Absage; die Verwirklichung solcher Ideen würde auf Dauer den jüdischen Charakter Israels gefährden. Während Meridor sich einerseits dafür aussprach, im Rahmen einer Friedensregelung die grenznahen Siedlungsblöcke bei Israel zu belassen, kritisierte er andererseits Siedlungsaktivitäten jenseits dieser Siedlungsblöcke, weil sie nach seiner Überzeugung eine Zwei-Staaten-Lösung erschweren.

Wie würde sich die Bildung eines Palästinenserstaates auf die Region auswirken? Darum ging es im zweiten Panel der Konferenz. Dr. Reuven Pedatzur, Direktor des S. Daniel Abraham-Zentrums für Strategischen Dialog am Netanya Academic College, erläuterte die Überlegungen, die einer von EU und KAS Israel unterstützten Studie über diese Frage zugrunde gelegen hatten. Zwei Jahre lang untersuchten israelische, palästinensische und jordanische Forscherteams verschiedene Aspekte des Themas. Die Ergebnisse sind ermutigend: Zwar würde eine Zwei-Staaten-Lösung nicht sofort alle Probleme im israelisch-palästinensischen Verhältnis – und natürlich auch nicht in der Region – lösen. Aber sie wäre mit großer Wahrscheinlichkeit der Beginn einer positiven Entwicklung.

Dr. Anat Kurz, Senior Research Fellow und Forschungsdirektorin am israelischen Institute for National Security Studies (INSS), stellte dar, welchen politischen Charakter ein Palästinenserstaat haben werde – oder haben müsste, um ein Gewinn für die Region zu sein. Zwar werde dieser Staat islamisch geprägt sein (z.B. im Blick auf die gesetzlichen Feiertage), aber als demokratischer Rechtsstaat zugleich volle Religionsfreiheit garantieren. Dr. Avichai Snir von der School of Banking and Capital Markets am Netanya Academic College wandte sich den ökonomischen Aspekten zu. Die gegenwärtige Lage, so seine Hauptthese, blockiere Wachstumschancen auf palästinensischer Seite, schade aber auch Israel in wichtigen Sektoren wie zum Beispiel der Tourismusbranche.

Prof. Asher Susser, Senior Research Fellow am Moshe Dayan Center for Middle Eastern Studies der Tel Aviv University, richtete sein Augenmerk auf die Unvereinbarkeit des israelischen und des palästinensischen Geschichtsbildes. Von den Palästinensern zu fordern, dass sie Israel explizit als jüdischen Staat anerkennen, laufe darauf hinaus, von ihnen zu fordern, das zionistische Narrativ anzuerkennen. Israel sei ein jüdischer Staat und habe es selbst in der Hand, diesen Charakter auf Dauer zu bewahren. Eben dazu bedürfe es einer Zwei-Staaten-Lösung.

Susser unterschied zwischen „dauerhafter Sicherheit“ und „fundamentaler Sicherheit“. Unter „fundamentaler Sicherheit“ versteht er die langfristige Sicherung des jüdischen Charakters von Israel. Zwar habe der viel kritisierte einseitige Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 neue Risiken für Israel mit sich gebracht, aber im Interesse von Israels fundamentaler Sicherheit sei er unabdingbar gewesen. Aus demselben Grund müsse Israel, sollten die gegenwärtigen Gespräche scheitern, darüber nachdenken, sich in unilateralen Schritten aus dem Westjordanland zurückzuziehen und einen Palästinenserstaat anzuerkennen.

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