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Länderberichte

Italien: Fällt dieses Jahr die Sommerpause aus?

von Wilhelm Staudacher, Markus Goller
Gemeinhin sind dies die Wochen, in denen das politische und öffentliche Leben Italiens erlischt. Bis Anfang September sind üblicherweise alle Entscheidungsträger im Urlaub. Selbst der Vatikan verfällt in den Sommerschlaf und Papst Benedikt verweilt in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo. Dies könnte in diesem Sommer anders sein, die Stimmung ist explosiv. Ein Fall der Regierung nach der Sommerpause und Neuwahlen scheinen wahrscheinlich.

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Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat ein Schloss am Rande Roms angemietet, um jederzeit zur Stelle zu sein und eine Strategie für mögliche Neuwahlen vorzubereiten. Sollte die Regierung nach dem Bruch zwischen dem Ministerpräsidenten und Kammerpräsident Fini nicht mehr handlungsfähig sein, könnte Staatspräsident Giorgio Napolitano Neuwahlen anordnen. Wie kam es zu dieser Situation?

Die Rolle der Partei PDL

Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Kammerpräsident Gianfranco Fini haben im April 2009 gemeinsam die Mitte-Rechts-Partei „Popolo della Libertà“ (Volk der Freiheit – PDL) nach einer Fusion von Berlusconis „Forza Italia“ und Finis „Alleanza Nazionale“ aus der Taufe gehoben. Von Anfang an vertraten die beiden Gründer aber divergierende Ansichten, was die Rolle der neuen Partei anging. Während Fini eine Partei im traditionellen Sinn mit Statut, Struktur und innerparteilicher Diskussion aufbauen wollte, erklärte Berlusconi die Schaffung einer „leichten“ Partei nach Vorbild der Forza Italia zu seinem Ziel. Berlusconi empfindet innerparteiliche Diskussionen als störend für den direkten Dialog zwischen Volk und „Leader“. Fini kritisierte diese Haltung und sprach stets von einem „Kasernenton“ innerhalb der PDL. Im April 2010 kam es auf einem Kongress der PDL zu einem Schlagabtausch vor laufenden Kameras zwischen den beiden. Berlusconi bezeichnete dabei Finis Äußerungen als parteischädigend und forderte ihn zum Rücktritt vom Amt des Kammerpräsidenten auf. Fini warf im Gegenzug dem Regierungschef vor, dass er innerhalb der Partei keine Meinungsfreiheit zulasse.

Abhörgesetz und Rücktritt von Nicola Cosentino

Daraufhin folgten in den vergangenen Monaten immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den „finiani“ (Anhänger Finis) und dem Rest der PDL. Ministerpräsident Berlusconis Entwurf für ein neues Gesetz zur Neuregelung des Gesetzes zur Telefonabhörung wurde von den „finiani“ heftig kritisiert und so stark abgeändert, dass Berlusconi eine Rücknahme des Entwurfes nach der Sommerpause erwägt.

Am 14. Juli trat der Unterstaatssekretär beim Wirtschaftsministerium, Nicola Cosentino, dem Verbindungen zur Verbrecherorganisation Camorra vorgeworfen werden, zurück. Fini, der schon seit einiger Zeit dessen Rücktritt gefordert hatte, konnte sich auch hier gegen Berlusconi, der an Cosentino festhalten wollte, durchsetzen. Die „finiani“ übten auch immer wieder heftige Kritik an der „Moral“ der PDL und forderten den Rücktritt einiger weiterer Entscheidungsträger der Partei, denen Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorgeworfen werden. Darüber hinaus kritisierten Fini und seine Anhänger das nach ihrer Ansicht zu große Gewicht des Koalitionspartners Lega Nord innerhalb der Regierung.

Ausschluss Finis

Ministerpräsident Berlusconi reagierte auf die parteiinterne Kritik und die zahlreichen politischen Niederlagen, indem er Fini am 29. Juli aus der Partei ausschloss. Als Gründe gab er an, dass Fini durch sein Verhalten dem Ansehen der Partei geschadet habe und dass seine Ansichten nicht mit dem Programm der PDL in Einklang gebracht werden könnten. Trotz dieses zweifelhaften Vorgehens des Ministerpräsidenten erklärte Fini einen Tag später, dass einige Anhänger von ihm nun in beiden Parlamentskammern eine Fraktionen mit dem Namen „Futuro e Libertà“ („Zukunft und Freiheit“) gründen werden. Zunächst schien es, dass nur eine geringe Anzahl von PDL-Abgeordneten Fini Folge leisten würden. Die Zahl wuchs aber schließlich auf 33 Kammerabgeordnete und 10 Senatoren. In der Abgeordnetenkammer ist eine Mehrheit von 316 Abgeordneten erforderlich, um ein Gesetz zu verabschieden. Bislang kamen PDL und Lega Nord gemeinsam auf 344 Sitze. Die Mitte-Rechts-Koalition verfügt ohne „finiani“ somit über keine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und die Mehrheit im Senat ist hauchdünn, die Regierungskoalition kann ohne die Fini-Gruppe auf 164 Senatoren zählen, die absolute Mehrheit liegt bei 158 Senatoren.

Fini kündigte an, dass es nicht sein Ziel sei, die Regierung zu stürzen. Seine Anhänger würden weiterhin für die Gesetze der Regierung stimmen, sofern diese mit dem Regierungsprogramm der Regierung in Einklang seien.

Neuwahlen sind wahrscheinlich

Immer mehr Faktoren deuten aber daraufhin, dass es im Herbst zu Neuwahlen kommen wird. Sowohl Innenminister Maroni als auch Ministerpräsident Berlusconi kündigten an, dass die Mitte-Rechts-Allianz im Falle des Verlustes der Mehrheit umgehend zu Neuwahlen im Herbst übergehen möchte. Dazu kam es bereits bei der Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen den Unterstaatssekretär beim Justizministerium, Giacomo Caliendo, der verdächtigt wird, einer Geheimloge (der sogenannten „P3“), die gesetzwidrig auf Justiz und Verwaltung einzuwirken versuchte, anzugehören. Dabei stimmten insgesamt 299 Abgeordnete gegen den Antrag (wie von Ministerpräsident Berlusconi gefordert) während 205 dafür stimmten. 75 Abgeordnete, darunter auch die Anhänger Finis, enthielten sich. Damit wurde der Antrag zwar abgelehnt, aber es wurde deutlich, dass die Regierung die absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer (316 Sitze) verloren hat. Berlusconi ist nun klar, dass er bei jeder Abstimmung um seine Mehrheit zittern muss. Aus diesem Grund bereitet er aktuell in einem Schloss in der Nähe Roms die Neustrukturierung der PDL und die Organisation der Wahlkampagne vor. Dabei möchte er nach Vorbild der Wahlkampstrategie Obamas lokale Wahlkomitees einrichten, wie die Nachrichtenagentur ANSA am 06. August berichtete.

Staatspräsident Giorgio Napolitano kommt nun eine entscheidende Rolle zu. Er kann, sofern offensichtlich ist, dass es keine Mehrheit für die Bildung einer Regierung besteht per Dekret die Auflösung des Parlaments und einen Termin für Neuwahlen festsetzen. Dazu müsste aber entweder der Ministerpräsident zurücktreten oder durch ein Misstrauensvotum in einer der beiden Kammern abgewählt werden und kein anderer Politiker in der Lage sein, eine Regierung zu bilden.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Bildung einer Technikerregierung, die basierend auf einer fraktionsübergreifenden Mehrheit einige wichtige Reformprojekte (neues Wahlgesetz, Umsetzung des Sparpaketes) umsetzt und bis zur Festlegung eines Wahltermins die Geschäfte führt. Der Chef der größten Oppositionspartei Partito Democratico (Demokratische Partei – PD), Pierluigi Bersani, hat Wirtschaftsminister Tremonti für die Bildung einer solchen Technikerregierung vorgeschlagen. Auch UDC-Chef Pierferdinando Casini forderte die Einsetzung einer Übergangsregierung. Allerdings erklärten Lega Nord und PDL umgehend, dass sie für eine derartige Lösung nicht zu gewinnen seien.

Platz für einen dritten Pol im Zentrum?

Die neue Fraktion „Zukunft und Freiheit“ führte nach ihrer Gründung gleich Gespräche mit der christdemokratischen UDC, der Gruppe „Alleanza per l’Italia“ Francesco Rutellis und der sizilianischen Autonomiebewegung „Movimento per le Autonomie“. Dies nährt die Diskussion um eine mögliche Auflösung des bipolaren Parteiensystems, welches sich in den vergangenen Jahren in Italien herausgebildet hat. Obgleich der Generalsekretär der UDC, Lorenzo Cesa, nicht von der Bildung einer neuen politischen Bewegung im Zentrum sprechen möchte, erklärte er, dass es einige Überschneidungspunkte zwischen den vier Gruppierungen gebe und dass man auch in Zukunft miteinander Gespräche führen werde.

Das italienische Wahlgesetz ist nicht von Vorteil für Bewegungen jenseits der beiden großen Blöcke, aber eines ist klar: das italienische Parteiensystem wird auch in Zukunft in Bewegung bleiben.

Fazit

Der Bruch innerhalb der PDL ist das Ende der Zusammenarbeit zwischen Berlusconi und Fini. Der Austritt von 43 Parlamentariern setzt die Regierung immer stärker unter Druck und macht Ministerpräsident Berlusconi zu einer „lahmen Ente“. Er muss nun bei jedem Gesetz der Regierung um die Parlamentsmehrheit zittern. Diese Situation macht Neuwahlen im Herbst wahrscheinlich. Von solchen würde vermutlich die Lega Nord, welche bei den Regionalwahlen im März 2010 Traumergebnisse erzielen konnte, profitieren. Berlusconis PDL leidet unter den sinkenden Umfragewerten des Regierungschefs während die Oppositionspartei PD sich zum wiederholten Male eine Führungsdiskussion leistet und dadurch ihre Position schwächt. Innerhalb des oppositionellen Lagers könnte davon Antonio Di Pietros Bewegung „Italia dei Valori“ (Italien der Werte – IdV) profitieren. Unklar ist noch, in welcher Form sich die christdemokratische UDC bei Neuwahlen präsentieren wird, alleine oder in einem Wahlbündnis mit anderen moderaten Bewegungen. Gianfranco Finis neue Bewegung ist noch nicht auf Neuwahlen vorbereitet und muss die kommenden Monate dazu nützen.

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