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„Die Italiener wollen ein besseres Europa“

Die Wahlgewinne populistischer Parteien in Italien zeugen von Misstrauen gegen den Staat und gegen Europa

Italiens Bürger haben Anfang März 2018 gewählt – und dem Ergebnis zufolge dürfte eine schnelle Regierungsbildung kaum möglich sein. Zudem haben die Wähler ein klares Zeichen an Europa gesandt. Über die Hälfte der Stimmen gingen an EU-kritische und populistische Parteien: die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung, der MoVimento 5 Stelle, kurz M5S. Was das Wahlergebnis bedeutet und welche Regierungsoptionen es gibt, haben die beiden italienischen Experten Giovanni Orsina und Giuseppe Scognamiglio jetzt in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin diskutiert.

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„Im Augenblick gibt es keine mögliche Mehrheit“, fasst Professor Giovanni Orsina die Pattsituation nach der Wahl zusammen. Auf 42 Prozent der Stimmen müsste ein Bündnis kommen. Die drei Optionen, die im Raum stehen, betrachtet der Politikanalyst, der an der Guido-Carli-Universität (LUISS) in Rom lehrt, allesamt als unrealistisch – für den Moment. Einer Art großen Koalition zwischen Silvio Berlusconis Mitte-Rechts-Lager und Matteo Renzis Sozialdemokraten, der Partito Democratico (PD), würde die PD eine Abfuhr erteilen, weil die Lega ebenfalls an dieser Regierung beteiligt wäre. Die PD wolle zudem kein Juniorpartner der Fünf-Sterne-Bewegung sein und die Lega wolle kein Juniorpartner von M5S sein. Somit wachse der Druck auf alle Beteiligten bis vielleicht doch eine Partei nachgebe. Orsina ist der Ansicht, das sei vermutlich die Wahlverliererin: „Die PD ist derzeit die schwächste.“

Bevor es zu Neuwahlen komme, sei es auch möglich, dass Staatspräsident Sergio Mattarella eine Art Zweckregierung beauftrage, mit einem Arbeitsprogramm, das „wenige, aber klar umrissene Zielvorstellungen formuliert“, so Orsina. Allerdings, merkt der Direktor des Magazins „Eastwest“, Giuseppe Scognamiglio an, dass ein solches Programm durch die Beteiligung von Lega und M5S nicht europafreundlich wäre.

„Wir sind an einem Tiefpunkt angelangt“

Das jüngste Wahlergebnis zeuge jedenfalls von drei umfassenden und einschneidenden Entwicklungen, ist Orsina sicher. Erstens: „Die Italiener trauen der Politik nicht mehr“, insbesondere den dem Establishment, so Orsina jetzt „wünschen sich die Menschen eine Politik der Nicht-Eliten.“ Tatsächlich sei das Vertrauen der Italiener in ihre Politiker so gering wie lange nicht, ergänzt Caroline Kanter, Leiterin des Rom-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung: „Wir sind an einem Tiefpunkt angelangt.“ Ein Votum gegen den Klientelismus sei die Parlamentswahl gewesen, findet Scognamiglio. Der italienische Journalist, Manager und Politiker meint, die Bürger hätten damit ihren Willen geäußert, dass sie eine Veränderung wollten, aber eben nicht, wie diese gestaltet werden solle: „Und die Fünf-Sterne-Bewegung war nun eben das Neue“, so Scognamiglio. Sie gewann mit knapp 33 Prozent die meisten Wählerstimmen.

Rebellion gegen Europa?

Die zweite langfristige Entwicklung ist die „Krise des bipolaren Musters“, das Italiens politisches System seit den 1990er Jahren prägte, analysiert Orsina: In den letzten beiden Jahrzehnten habe sich ein Mitte-Rechts-Lager, das Silvio Berlusconi „fast alleine ausmachte“ einem linken Lager mit einer „postkommunistischen Kultur“ gegenübergestanden. Doch 2011 fingen diese beiden Säulen an, einzustürzen – von der „Krise des Berlusconismus“ spricht der profunde Profunder Kenner des Mitte-Rechts-Spektrums. Zudem „hat sich das linke Lager zersetzt“, resümiert Orsina. Und damit sei das Wahlergebnis ein wenig vorhersehbar gewesen: „Wir dürfen die Wahl nicht nur als unerwartetes Erdbeben sehen.“

„Die Italiener wollen ein besseres Europa“

Vom Vertrauensverlust und dem Aufbrechen des Rechts-Links-Schemas profitierten nun die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung. Gerade der Sieg der M5S sei eine „Rebellion gegen die politische Elite und gegen die Technokratie der Monti-Regierung“, eine „Rebellion gegen Europa“, so Orsina. Ursächlich dafür sei auch die Flüchtlingskrise gewesen, die den Italienern Orsina zufolge gezeigt habe, dass Europa Italien nichthelfen könne oder wolle. „Zudem fühlen sie sich nicht vom Nationalstaat geschützt.“ Doch diese dritte Entwicklung ist etwas umstrittener, denn beispielsweise „wollen die Italiener nicht aus dem Euro aussteigen“, argumentiert Scognamiglio, diese Einstellung zeigten Umfragen durch alle Wählergruppen hinweg: „Die Italiener wollen ein besseres Europa.“

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Caroline Kanter

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Stellv. Leiterin der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit

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