Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Die Nachwirkungen der Umbrüche: Probleme und Zukunft der euro-mediterranen Beziehungen

von PD Dr. Martin Beck, Simone Hüser

تحت رعاية صاحب السمو الملكي الأمير الحسن بن طلال

Die Proteste in den arabischen Staaten haben das Streben nach mehr Freiheit und Demokratie verdeutlicht. Europas Rolle in diesem Prozess der Demokratisierung hat das Potenzial die Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Europa bedeutend zu verändern. Die KAS Amman und das Royal Institute for Inter-Faith Studies veranstalteten in diesem Zusammenhang eine Konferenz zu den Problemen und der Zukunft der euro-mediterranen Beziehungen. Eine deutsche Fassung des Berichts wird in Kürze folgen.

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Unter der Schirmherrschaft von SKH Prinz El Hassan bin Talal

Veranstaltung: Internationale Konferenz

Datum/Ort: 25. Juli, 2011

Mövenpick Resort & Spa Dead Sea Jordanien

Organisation: Royal Institute for Inter-Faith Studies, European Abrahamic Forum Zϋrich, KAS Amman

Teilnehmerliste

HE Prof. Dr. Kamel Abu Jaber

Direktor

Royal Institute for Inter-Faith Studies

Jordanien

HE Mr. Hassan Abu Nimah

Berater von SKH Prinz El Hassan bin Talal

Jordanien

Dr. Martin Beck

Landesbeauftragter

Konrad-Adenauer-Stiftung

Amman Office

Jordanien

Rabbi lic. phil. Michel Bollag

Geschäftsführender Direktor

Stiftung Zürcher Lehrhaus: Judentum, Christentum & Islam

Schweiz

Dr. Marko-Antonio Brkić

Direktor

Inter-religious Institute of Bosnia-Herzegovina

Sarajewo

Dr. Johann Peter Ernst

Geschäftsführender Direktor

Stiftung Zürcher Lehrhaus: Judentum, Christentum & Islam

Schweiz

Very Reverend Nabil Haddad

Geschäftsführender Direktor

Jordanian Interfaith Coexistence Research Center

Jordanien

Dr. Amer al Hafy

Berater für akademische Angelegenheiten

Royal Institute for Inter-Faith Studies

Jordanien

HE Prof. Fayez Khasawneh

Geschäftsleitender Generalsekretär

Arab Thought Forum

Jordanien

Dr. Lic. Phil. Rifa’at Lenzin

Geschäftsführender Direktor

Stiftung Zürcher Lehrhaus: Judentum, Christentum & Islam

Schweiz

Dr. Naseef Naeem

Forscher für islamisches Recht und Verfassungsrecht

Universität Göttingen

Deutschland

Prof. Dr. Stefan Schreiner

Professor für Religionswissenschaft und Judaistik/Universität Tübingen

Deutschland

Koordinator und Vorstandsmitglied der Stiftung Zürcher Lehrhaus: Judentum, Christentum & Islam

Schweiz

Prof. Dr. Muhammad A. Sharkawi

Fachbereichsleiter der Fakultät Islamische, Philosophische und Vergleichende Religion

Dar-ul-Ulum, Universität Kairo

Ägypten

Mr. Karl J. Zimmermann

Vorsitzender

Stiftung Zürcher Lehrhaus: Judentum, Christentum & Islam

Schweiz

Vorwort

Am 25. Juli 2011 trafen Experten aus verschiedene politischen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen zusammen, um, in Anbetracht der derzeitigen politischen Umbrüche im Nahen Osten, die Zukunft und die Probleme der euro-mediterranen Beziehungen zu diskutieren. Schwerpunkte der internationalen Konferenz waren die interregionalen politischen Beziehungen zwischen Muslimen, Christen und Juden und die Förderung des inter-religiösen Dialogs.

Die Konferenz richtete sich nach der Chatham-House-Regel. Folglich fasst dieser Bericht die wichtigsten Themen und Streitpunkte zusammen, die während der Veranstaltung hervorgehoben wurden, ohne einzelne Teilnehmer zu zitieren.

Die Proteste Im Nahen Osten haben den Willen – besonders junger Menschen – nach mehr Freiheit und Demokratie verdeutlicht. Heute, sechs Monate nach Beginn der Aufstände, zeigt die Situation in verschieden arabischen Staaten, wie z.B. Syrien oder Ägypten, dass ein Ende der Revolutionen noch nicht erreicht ist, sondern wir uns noch immer im Umbruch befinden. Europas Rolle in diesem Prozess der Demokratisierung hat das Potenzial, die Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Europa bedeutend zu beeinflussen. Der Grundstein für die euro-mediterrane Zusammenarbeit wurde bereits 1995 durch den Barcelona-Prozess gelegt, welcher die gemeinsamen Werte Demokratie, Frieden und Menschenrechte hervorhob. Gleichwohl lag ein Fokus der Konferenz auf der Politik Europas in Bezug auf die derzeitigen Entwicklungen im Nahen Osten. Jedoch sind die Beziehung zwischen der arabischen Welt und Europa, bzw. dem Westen im Allgemeinen, stark von inter-religiösen Konflikten beeinflusst, besonders im Hinblick auf muslimisch-jüdische Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund des Israel-Palästina-Konflikts. Die Präsenz und das Ausmaß dieses Konflikts macht es erforderlich, ihn in die Diskussion zur Verbesserung der interregionalen Beziehungen einzubeziehen. Gleichzeitig weisen auch die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Europa und im Nahen Osten Probleme auf. Der tragische Terrorangriff, welcher in Norwegen von einem christlichen Extremisten ausgeführt wurde, zeigte einmal mehr das zerstörende Potenzial von gescheiterter Integration und die Notwendigkeit von interreligiösem und interkulturellem Verständnis.

Probleme und Zukunft der euro-arabischen Beziehungen

Nach Vorträgen zur derzeitigen Situation im Nahen Osten stellten sich folgende Hauptaspekte zur Diskussion heraus, welche die euro-arabischen Beziehungen beeinflussen:

• Entwicklungen in der euro-arabisch Politik seit Beginn des arabischen Frühlings

• Die Bedeutung des Israel-Palästina-Konflikts für die zukünftigen Beziehungen

Unzweifelhaft begrüßt Europa die derzeitigen Entwicklungen in der arabischen Welt und ist gewillt den Geist der Revolution zu unterstützen. Dieser Wille lässt sich anhand verschiedener, bereits lancierter Politiken der EU verdeutlichen, wie z.B. dem SPRING Programm der Europäischen Kommission (Programm zur Unterstützung von Partnerschaft, Reform und Wachstum), der Europäischen Stiftung für Demokratie oder der Erhöhung der Gelder für das Erasmus und Marie Curie Programm. Insgesamt sollen die finanziellen Mittel der EU für den Mittleren Osten in den nächsten drei Jahren auf sieben Milliarden Euro ansteigen. Diese Anstrengungen zeigen, dass Europa seine Politik in der arabischen Welt beständig fortsetzt. Die Teilnehmer stellten jedoch die Frage, inwiefern dieser Weg, den euro-arabischen Beziehungen eine neue, den Umständen angemessene, Richtung verleihen kann. Die anschließende Diskussion kam zu dem Schluss, dass trotz der finanziellen und politischen Unterstützung im Prozess der Demokratisierung die EU ihre grundlegende Einstellung bzw. Richtung der Nahost-Politik nicht geändert hat, was sich in verschiedener Weise äußert: erstens, sie ist unwillig, demokratisch gewählte Regime zu akzeptieren, wenn diese nicht mit den Demokratieidealen der EU übereinstimmen. Zweitens, sie weigert sich weiterhin, den europäischen Agrarmarkt für die arabischen Staaten zu öffnen. Drittens, sie fordert zwar beständig Frieden und Stabilität in der arabischen Welt, ist aber nicht bereit, die kurzfristigen Kosten und Verluste im Prozess der Demokratisierung zu akzeptieren. Viertens, sie zeigt sich weiterhin unwillig, Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen. Diese Indikatoren verdeutlichen, dass die EU zwar die Umbrüche in der arabischen Welt begrüßt, jedoch nicht bereit ist, ihrer Nahost-Politik eine neue Richtung zu geben. In diesem Zusammenhang stellten einige der Teilnehmer die Frage nach den europäischen Interessen in der arabischen Revolution bzw. der Region im Allgemeinen. Es wurden Bedenken geäußert, dass Europa mit einer Doppelmoral handelt, da die Interessen für Demokratie scheinbar höher sind in Staaten, die dem Westen gewisse ökonomische Anreize bieten. Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass Europa realisieren muss, dass eine Demokratisierung der arabischen Welt auf lange Sicht im Interesse Europas ist und dass es darum die Kosten und Verluste in diesem Prozess akzeptieren sollte, um das Ziel – Demokratie – zu erreichen. Außerdem wurde angemerkt, dass es viele Wege zur Demokratie gibt – Europa sollte den arabischen Staaten die Freiheit einräumen, ihren eigenen Weg zu finden.

Der zweite Aspekt, der in diesem Zusammenhang diskutiert wurde, war die Bedeutung des Israel-Palästina-Konflikts für die euro-arabischen Beziehungen. Die Teilnehmer stimmten überein, dass die EU zwar den Einfluss hat, die Situation in diesem Konflikt bedeutend zu verändern, jedoch unentschlossen wirkt, den Konflikt wirklich lösen zu wollen, da Europa gegenüber Israel politisch sehr zurückhaltend handelt. Dies hat zur Folge, dass ein großer Teil der arabischen Bevölkerung sich gehemmt fühlt, Europa zu vertrauen. In diesem Kontext wiesen die Teilnehmer auf die Rolle bzw. den Einfluss der Türkei als EU-Beitrittskanditat für die zukünftigen euro-arabischen Beziehungen hin. Da die Türkei nicht nur ein islamischer, sondern auch ein europäischer Staat ist, würde ein Beitritt zur EU die arabische Haltung gegenüber Europa – als ein Akteur, der islamische Staaten als gleichgestellt ansieht – positiv beeinflussen und folglich auch die Beziehung zwischen den Regionen verbessern. Fortwährende Zurückweisungen gegenüber der Türkei, kombiniert mit einer reservierten Haltung im Israel-Palästina-Konflikt, hingegen beeinträchtigen die Entwicklung positiver euro-arabischer Beziehungen in bedeutendem Maße. Zwar war die EU offen und willig, osteuropäischen Staaten einen schnellen Beitritt zur EU zu ermöglichen, ist aber nicht bereit, der Türkei oder den arabischen Staaten gleiches anzubieten.

Probleme und Zukunft der muslimisch-christlich-jüdischen Beziehungen im Mittleren Osten

Der zweite Teil der Konferenz konzentrierte sich auf die Probleme und die Zukunft der muslimisch-christlich-jüdischen Beziehungen im Nahen Osten. Die Vorträge als auch die anschließende Diskussion machten deutlich, dass die Akzeptanz und Toleranz von religiösem Pluralismus in der arabischen Welt stärker gefördert werden muss. Die Teilnehmer sahen dafür die folgenden Punkte als ausschlaggebend an:

• Verstärkter Dialog zwischen muslimischen, christlichen und jüdischen Akademikern

• Der Wille der christlichen und jüdischen Bevölkerung, sich in ihrem jeweiligen Land und seiner Gemeinschaft zu integrieren

• Der Respekt von Muslimen gegenüber anderen Religionen

• Die Abwendung von bestehenden Feindbildern

• Eine Lösung des Israel-Palästina-Konflikts

Eine praktische Umsetzung dieser Aspekte erfordert die Verbesserung von Minderheitenrechten im Nahen Osten als auch die Ambition von Experten, interreligiösen Dialog durch Konferenzen und Debatten aufrichtig vorantreiben zu wollen. Besonders Kleriker der drei Religionen können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Es wurde jedoch ebenfalls angemerkt, dass die Integration von Christen in verschiedenen arabischen Staaten äußerst erfolgreich war. Diese Fälle sollten – auch im Hinblick auf die Integration von Juden im Nahen Osten – als positives Beispiel dienen. Die Tatsache, dass Abraham der Stammvater des Judentums, Christentums und des Islams ist und die Religionen weitere Gemeinsamkeiten in ihrem Glauben teilen, sollte als motivierender Faktor dienen, um interreligiösen Dialog zu ermöglichen. Dennoch, ohne eine politische Lösung des Israel-Palästina-Konflikts scheint eine Verbesserung der Beziehungen, vor allem zwischen Muslimen und Juden, schwer umsetzbar.

Probleme und Zukunft der Integration von Muslimen in Europa

Bereits seit vielen Jahren ist die Integration von Muslimen ein Thema auf der europäischen Agenda. Während viele Christen in der arabischen Welt als Araber angesehen werden, haben Muslime in Europa noch immer überwiegend den Status der ‘Migranten’, statt als Europäer anerkannt zu werden. Daraus lässt sich folgern, dass die Integration von Muslimen in vielen Teilen Europas fehlgeschlagen ist.

Die Vorträge behandelten die Frage der Integration von der rechtlichen als auch von der soziologischen Perspektive. Rechtlich gesehen ist die Integration von Muslimen in Europa durch zwei strukturelle Probleme gehemmt: erstens, während viele europäische Staaten dem Prinzip des Säkularismus folgen – der Trennung von Staat und Religion – haben verschiedene muslimische Gruppen in Europa Probleme, sich dieser Trennung anzupassen. Zweitens, nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind die Mitgliedsstaaten der EU dazu verpflichtet, das Recht eines jeden Menschen auf Religionsfreiheit und Menschenwürde anzuerkennen. Diese Rechte scheinen jedoch nicht von allen Muslimen in Europa vollständig akzeptiert zu werden, was zu Konflikten mit Europäischen Recht führen kann. Einige der Teilnehmer merkten an, dass diese Probleme zunächst innerhalb der muslimischen Gemeinschaften gelöst werden müssen, d.h. die jeweiligen Gruppen müssen für sich das Prinzip des Säkularismus akzeptieren und gewisse Fragen der Menschenwürde lösen.

Aus soziologischer Perspektive hat sich in den letzten Jahren eine Entwicklung ergeben, die Europa vor eine neue Herausforderung stellt. Während sich Muslime in Europa in der Vergangenheit stark im Hintergrund hielten und dadurch wenig auffielen, sind sie in den letzten Jahren mehr und mehr in den Vordergrund getreten, da ihre Gemeinschaft bedeutend gewachsen ist. Ein Resultat dieses Zuwachses ist die vermehrte Forderung nach einer Institutionalisierung des Islam in Europa, beispielsweise durch den Bau von Moscheen und islamischen Schulen oder das Tragen des Hijabs. Diese Entwicklungen werden von vielen Nicht-Muslimen als integrationshemmend gesehen und der Islam folglich als inkompatibel mit bestehenden europäischen Identitäten. Auch das Phänomen der ‘Islamophobie’ – der Angst vor dem Islam und den Muslimen – wächst kontinuierlich, was wiederum in verstärkter Diskriminierung von Muslimen resultiert. Auch der Terroranschlag in Norwegen war indirekt ein Anschlag auf muslimische Immigranten. Einige der Teilnehmer wiesen außerdem auf das Phänomen der ‘Isolierung’ hin, welches eine typische Verhaltensweise von Minderheiten ist. Demnach bevorzugen Muslime es häufig, sich von der Gemeinschaft zu isolieren und sich stattdessen in muslimischen Kreisen aufzuhalten. Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass eine erfolgreiche Integration von Muslimen in Europa zum einen voraussetze, dass Europa gewillt ist, sie als Teil der Gemeinschaft anzuerkennen und dementsprechend einzubinden, und zum anderen, dass die Muslime willens sind, eingebunden zu werden. Dies setzt jedoch nicht das Ablegen von Traditionen oder gar des Glaubens voraus, sondern allein die Absicht und die Offenheit, andere Religionen und Kulturen zu respektieren. Insbesondere christliche und muslimische Kleriker sollten versuchen, dieses gegenseitige Verständnis aktiv zu fördern. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass erfolgreicher Multikulturalismus erfordert, Menschen mit anderem religiösen oder kulturellen Hintergrund als gleichwertig anzuerkennen.

Fazit

Der arabische Frühling hat bisher nicht zu bedeutenden Veränderungen in den euro-arabischen Beziehungen geführt, was nicht allein auf den Transitionsprozess und die anhaltenden Proteste zurückzuführen ist, sondern auch auf Europas unveränderte Haltung gegenüber den arabischen Staaten. Ein positiver Wandel der Beziehungen erfordert sowohl ein beidseitiges Entgegenkommen der Regionen in Hinblick auf ihre Politik und ihr religiöses Verständnis als auch eine Veränderung der europäischen Haltung im Israel-Palästina-Konflikt. Wie herausgestellt wurde, ist beidseitiger Dialog un d gegenseitiges Verständnis von höchster Wichtigkeit für die zukünftigen euro-arabischen Beziehungen. Da diese Konferenz ein Treffen europäischer und arabischer Experten, Akademiker und Kleriker war, kann es als ein bedeutender Schritt zur Förderung des interregionalen als auch interreligiösen Dialogs gesehen werden. Dennoch, in Anbetracht der derzeitigen politischen Entwicklungen im Nahen Osten, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Abstimmung der Vereinten Nationen zur Anerkennung eines Staates Palästina, scheinen weitere Debatten erforderlich. Dementsprechend schlugen die Teilnehmer vor, 2012 zu einer zweiten Konferenz in Beirut, Libanon, zusammen zu kommen.

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