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Umbrüche in der arabischen Welt – Was passierte, was kommt als nächstes?

Am 6. Mai 2011 veranstaltete die KAS Amman gemeinsam mit dem Institute of Financial Economics der American University of Beirut einen Workshop über „Die Umbrüche in der arabischen Welt – Was passierte, was kommt als nächstes?“ Experten und Akademiker verschiedener Wissenschaftszweige diskutierten über die Gründe und die zukünftigen Herausforderungen des "Arabischen Frühlings", der als das bewegenste Massenereignis seit dem Berliner Mauerfall 1989 beschrieben wurde. Hier geht es zum Bericht:

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Event: Regionaler Workshop

Datum/Ort: 6. Mai 2011, West Hall, Amerikanische Universität in Beirut - Beirut, Libanon

Konzeption: Dr. Marcus Marktanner, Dr. Martin Beck

Organisation: Amerikanische Universität in Beirut / Institut für Finanzwirtschaf, KAS Amman

1. Programmübersicht

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Samstag, den 6. Mai, 2011

Eröffnung: Willkommensansprache

Dr. Marcus Marktanner

Institut für Finanzwirtschaft

Amerikanische Universität in Beirut

Beirut, Libanon

Dr. Martin BeckLandesbeauftragter

Konrad- Adenauer-Stiftung

Amman Büro

Amman - Jordan

Einleitung: Über den anhaltenden arabischen Autoritarismus und die Perspektiven für Demokratisierung

Dr. Samir Makdisi

Institut für Finanzwirtschaft

Amerikanische Universität in Beirut

Beirut, Libanon

Panel 1: Perspektiven und Ursachen der Umbrüche

Ökonomische Ursachen

Dr. Marcus Marktanner

Associate Professor der Fakultät für Wirtschaft, Amerikanische Universität in Beirut

Beirut – Libanon

Soziale Ursachen

Dr. Sari Hanafi

Associate Professor für Soziologie

Amerikanische Universität in Beirut

Beirut – Libanon

Panel II: Was kommt als nächstes? – Auf dem Weg zu ökonomischer und demokratischer Konsolidierung?

Ökonomische Reformen: In welche Richtung?

Dr. Ghassan Dibeh

Professor für Wirtschaft

Vorsitzender, Fakultät für Wirtschaft Libanesisch-Amerikanische Universität

Beirut – Libanon

Politische Reformen: In welche Richtung?

Dr. Ibrahim Saif

General Sekretär

Wirtschafts- und Sozialrat

Amman - Jordanien

Panel III: Länderbeispiele

Jordanien

Dr. Mohammad Al Momani

Associate Professor für Politik Wissenschaften

Yarmouk Universität

Irbid – Jordanien

Nord Afrika

Dr. Lahcen Achy

Professor für Wirtschaft

Wissenschaftler am Carnegie Middle East Zentrum

Beirut – Libanon

Wrap-up

Dr. Darius Martin

Professor

Fakultät für Wirtschaft, Amerikanische Universität in Beirut

Beirut – Libanon

2. Zielsetzung

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Die derzeitigen Umbrüche in der arabischen Welt sind das bewegendste Massenereignis seit dem Berliner Mauerfall 1989. Die derzeitigen Revolutionen in Ägypten und Tunesien, sowie die Umbrüche in anderen Regionen der arabischen Welt eröffnen Möglichkeiten für weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen. Dennoch herrscht Unsicherheit über den Ausgang der Ereignisse. Eine Reihe von Fragen rückt in dieser Hinsicht in den Vordergrund. Wird sich der politische Wandel in Tunesien und Ägypten konsolidieren? Welche Rolle werden fundamentalistische Gruppen zukünftig spielen? Werden marktwirtschaftliche Reformen erfolgreich sein? Wie werden sich die politischen Veränderungen auf den bisher ungelösten arabisch-israelischen Konflikt auswirken? Wie werden externe Akteure die Geschehnisse beeinflussen? Was sind mögliche Parallelen und Unterschiede zwischen den Veränderungen in Ost- und Zentraleuropa und der arabischen Welt?

Während des eintägigen Workshops diskutierten Wissenschaftler verschiedener Forschungsrichtungen über die Gründe und Herausforderungen des „Arabischen Frühlings“.

3. Ablauf

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Dr. Marcus Marktanner hieß die Vortragenden und Teilnehmer willkommen. Danach wies er darauf hin, wie wichtig es für das Verständnis der aktuellen Umbrüche sei, die politischen und die sozio-ökonomischen Faktoren zu betrachten, auf die sich die Umbrüche in der arabischen Welt zurückführen lassen. Er fügte hinzu, dass es wichtig sei, die bestehenden Herausforderungen zu identifizieren, vor denen alle arabischen Länder, trotz ihrer spezifischen Unterschiede, stehen und zu fragen wie und ob die arabischen Länder in der Lage sind, diese Herausforderungen zu überwinden. Des Weiteren stellte er die Frage, ob die Überwindung der derzeitigen Herausforderungen, sowie die aus den Umbrüchen resultierenden Veränderungen zu einem arabischen Binnenmarkt, der sich durch ein Mehr an Freiheit und Gerechtigkeit auszeichnet, führen könnte.

Dr. Martin Beck begann seine Ansprache mit einem Dank an die Vortragenden und die Teilnehmer und hob positiv hervor, dass führende Akademiker sich bereit erklärt haben, eine Analyse über die sogenannte “Arabische Renaissance” vorzubereiten. Des Weiteren betonte er, dass die Hauptschwierigkeit darin läge, die Konsequenzen dessen, was sich derzeit in der arabischen Welt ereignete, zu erfassen. In der Tat wurden die meisten Experten und Wissenschaftler von der Welle und der Intensität der Demonstrationen überrascht, obwohl ihnen bewusst war, dass sich Umbrüche in der arabischen Welt ankündigten.

Einleitung: Über den anhaltenden arabischen Autoritarismus und die Perspektiven für Demokratisierung

Dr. Samir Makdisi stellte zuerst einmal die Frage, ob die ägyptische und die tunesische Revolution zur Entstehung von konsolidierten Demokratien beitragen würden oder ob die Staaten mit einigen kosmetischen Reformen autoritär bleiben würden. Sein Vortrag drehte sich vor allem um die Fragen: Wird man von einer arabischen Welt „vor 2011“ und einer arabischen Welt „nach 2011“ sprechen können? Und welche Faktoren begünstigen den Wandel von Autokratien zu Demokratien?

Die letzen Jahrzehnte in der arabischen Welt wurden durch wirtschaftliche Liberalisierungen vor dem Hintergrund autokratischer Herrschaft geprägt. Während des Liberalisierungsprozesses gab es geheime Absprachen zwischen den herrschenden Eliten und einflussreichen Geschäftsleuten. Dies führte zu einem Anstieg der Korruption, wie es sich besonders in Ländern wie dem Libanon feststellen lässt.

Eine weitere Frage, die Dr. Samir Makdisi ansprach, war, warum die arabische Welt nicht schon vor dem Jahr 2010 anfing, sich aus der autoritären Herrschaft zu befreien. Entsprechend der Modernisierungstheorie von Lipset (1959) führt ein Mehr an Entwicklung auch zu einem Mehr an Demokratie und Freiheit. Aber auch wenn es eine Korrelation zwischen Pro-Kopf Einkommen und Demokratie gibt, so handelt es sich nicht um eine Kausalbeziehung. Die beiden Faktoren sind lediglich kovariant. In der arabischen Welt gab es zwar Wachstum, sozio-ökonomische Entwicklung und eine Reduzierung der Armut, dennoch zeichnete sich kein signifikanter Wandel in Richtung Demokratisierung ab. Ländervergleiche und verschiedene Fallstudien haben einige Erklärungsfaktoren für das Ausbleiben von Demokratisierungsprozessen geliefert. Dr. Samir Makdisi hält zwei Faktoren für die Demokratieresistenz in der arabischen Welt für maßgeblich: den Faktor Ölreichtum, der mit dem Rentierstaatsmodel einhergeht, und den Faktor Konflikt, insbesondere der arabisch-israelische Konflikt.

Dennoch betonte er, dass Öl allein das Vorherrschen von autoritären Regimen nicht erklären könne, sondern dass es der sozio-politische und historische Kontext sei, der Autoritarismus begünstige. So hob er hervor, dass in Regimen wie Kuwait und Bahrain nicht der gleiche politische Stillstand herrsche wie beispielsweise in Saudi Arabien. So hatte Kuwait schon vor dem Entdecken der Ölvorkommen eine Tradition beschränkter gesellschaftlicher Mitbestimmung. Des Weiteren wurde betont, dass die arabische Welt von zahlreichen Konflikten geprägt ist. Neben dem arabisch-israelischen Konflikt herrschte im Libanon und in Algerien Bürgerkrieg, während im Irak militärische Interventionen stattfanden. Der Einfluss des arabisch-israelischen Konflikts variiert je nach Distanz der jeweiligen Länder zu Israel. Die Levante-Staaten sind somit mehr durch diesen Einfluss betroffen als Länder wie Tunesien oder der Jemen. Die Art und Weise, wie sich Konflikte auf Autoritarismus auswirken, wird zudem durch die Staatsführung bestimmt. Viele der arabischen Herrscher nutzen Konflikte als Vorwand und Rechtfertigung für repressive Politik und hohe Ausgaben für Militär und Sicherheit. Ein weiteres Argument gegen Demokratisierung ist die Angst vor islamischem Fundamentalismus. Überdies wurden viele Intellektuelle vom Regime kooptiert, so dass sie dieses nun verteidigen, anstatt es zu kritisieren. Dennoch bleibt die Frage offen, warum die Umbrüche gerade jetzt einsetzten.

In den letzten fünf Jahren ist die Anzahl der Arbeitslosen stark gestiegen, da die Wachstumsrate des Privatsektors geringer war als der Rückgang im öffentlichen Sektor. Daraus resultierte eine hohe Arbeitslosenquote, die bei 25% weltweit nahezu die höchste war. Der Privatsektor in der arabischen Welt ist nicht in der Lage, die ansteigende Menge von Erwerbstätigen zu absorbieren und die Wirtschaftspolitik war vor allem darauf ausgerichtet möglichst hohe Renten (Einnahmen aus Rohstoffen sowie ausländische Hilfszahlungen) einzustreichen. Die Diversifizierung der Wirtschaft rückte dabei in den Hintergrund. Die Auswirkungen trafen vor allem die Mittelklasse, die daraufhin ökonomische und politische Reformen forderte, wie es besonders in Ägypten und Tunesien deutlich wurde. Die Muslimbrüder und andere Gruppierungen, die hauptsächlich mehr Jobs und verbesserte Lebensbedingungen forderten, begannen, sich den Forderungen der Mittelklasse anzuschließen.

Vermehrte technologische Öffnung war ein wichtiger Aspekt der Umbrüche in der arabischen Welt. Das Internet mit samt seinen Möglichkeiten ermöglichte es den Regimen nur in geringem Maße, die Opposition zu zersplittern. Dass die Regierungen die Online-Aktivitäten kaum kontrollieren konnten, gab den Protestierenden die Möglichkeit, sich zu organisieren.

Was die derzeitigen Umbrüche und Revolutionen verdeutlichen, ist die universelle Forderung nach Freiheit und Gerechtigkeit: Die Menschen fordern keine abstrakten Konzepte, sondern haben reale wirtschaftliche und politische Forderungen.

Panel 1: Perspektiven und Ursachen der Umbrüche

Dr. Marcus Marktanner beleuchtete die wirtschaftlichen Ursachen für den “Arabischen Frühling”. Er stellte heraus, dass es falsch wäre, nur die letzten fünf bis zehn Jahre zu betrachten, stattdessen liegen die wirtschaftlichen Probleme, vor denen die arabischen Staaten stehen, sehr viel tiefer. Seit ihrer Unabhängigkeit waren die arabischen Staaten durch eine nicht-funktionierende Form des Sozialismus geprägt. Arabischer Sozialismus basierte auf der Subventionierung des Konsums durch Öl-Einnahmen. Des Weiteren fanden in der arabischen Welt keine wirtschaftlichen Reformen statt, so dass es zu einem Wandel von nicht-funktionierendem Sozialismus zu nichtfunktionierendem Wirtschaftsliberalismus kam. Eine wirkliche Reformbewegung blieb dagegen aus. Die Transformationen in der arabischen Welt können somit nicht durch eine deterministische Theorie erklärt werden, sondern sind eher ein historischer Zufall, der durch den spezifischen geopolitischen Kontext entstand. In den 1990ern wurden ökonomische Reformen eingebracht, während politische Reformen ausblieben. Es entstanden sogenannte „Cash Cow“ Reformen, d.h. im Zuge der Liberalisierung erhöhte sich zwar die Vielzahl von Konsumgütern, es entstanden aber keine neuen Arbeitsplätze oder nachhaltige Investitionen. Soziale Ungleichheit war schon seit der Unabhängigkeit ein Problem in der arabischen Welt, aber die derzeitige Lebensmittelkrise, die in den 1990er einsetzte, hatte drastische Auswirkungen auf die sozioökonomische Lage in den arabischen Ländern und verschärfte diese Ungleichheit noch einmal.

Dr. Marcus Marktanner fuhr dann mit einem Vergleich zwischen den Umbrüchen in der arabischen Welt und der Demokratisierungswelle von 1989 in Zentral- und Osteuropa fort. Der Sozialismus in der arabischen Welt war nicht von den Sowjets aufgezwungen, sondern entwickelte sich vor allem nach der imperialistischen Herrschaft. Nach den 1980ern funktionierten die Regime in Zentral- und Osteuropa nahezu genauso schlecht wie die in der arabischen Welt. Dennoch wurde der Konsum in den arabischen Staaten durch Öl-Einnahmen subventioniert, während die Staaten Zentral- und Osteuropas über eine Nahrungsmittel produzierende Industrie verfügten. Am Ende der 1980er wurden in den zentral- und osteuropäischen Staaten ökonomische und politische Reformen eingeleitet, während in der arabischen Welt politische Reformen ausblieben. Ein Hauptgrund dafür könnte im ausbleibenden internationalen Druck auf die arabische Welt liegen. Während die Aufnahme in den Europäischen Binnenmarkt, sowie später der Beitritt zur Europäischen Union, einen Reformanreiz für die Staaten Zentral- und Osteuropas darstellte, boten sich den arabischen Staaten keinerlei vergleichbare Anreize. Deshalb gingen ökonomische und politische Reformen in der arabischen Welt, anders als in Zentral- und Osteuropa, nicht Hand in Hand, sondern es wurde an der Macht festgehalten und die Korruption stieg an. Als die Lebensmittelkrise einsetze, gab es keinerlei Absicherungen, und die arabischen Regime waren der Situation hilflos ausgeliefert. Besonders Länder, die stark von Nahrungsmittelimporten abhingen, waren nicht in der Lage, Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren. So stiegen die Kosten für Nahrungsmittelimporte in den 1990ern um ca. 300%. Ungleichheiten innerhalb der Bevölkerung stiegen an, denn je niedriger das Einkommen einer Person war, desto höher stiegen ihre Ausgaben für Lebensmittel. Dennoch zeigen Statistiken, dass besonders die Mittelklasse vom Preisanstieg der Lebensmittelkrise betroffen war, und so war es auch die Mittelklasse, die zuerst anfing zu protestieren.

Im Großen und Ganzen lässt sich festhalten, dass die ungünstige ökonomische Lage, die in den meisten arabischen Ländern vorherrscht, das Ergebnis von 50 bis 60 Jahren Fehlplanung sowie ausbleibender politischer Reformen ist.

Dr. Sari Hanafi betrachtete in seinem Vortrag die sozialen Ursachen für den “Arabischen Frühling”. Seine Argumentation betonte, dass die neu entstandenen sozialen Bewegungen die klassische Form von sozialen Klassen mit einer neuen Form von Ringen um Bürgerrechte kombiniere. Zusätzlich zur Identität der Arbeiterklasse definieren sich die Individuen, ausgestattet mit einem Potential zur Selbstreflektion, im Raum zwischen sozialer Integration und Desintegration, was Alain Touraine als „Engagement“ und „Nicht-Engagement“ beschreibt. Dr. Sari Hanafi beleuchtete zudem, wie soziale und demokratische Bedürfnisse formuliert wurden. Die immer wiederkehrenden Motive schienen dabei „Gerechtigkeit, Wü rde und Freiheit“ zu sein. Über Demonstrationen hinausgehend, setzte die von Armut, Arbeitslosigkeit und einem Mangel an Freiheit geprägte arabische Jugend als letztes ihr zur Verfügung stehendes Mittel, um gegen das Regime zu protestieren, ihren eigenen Körper ein. Dr. Sari Hanafi ging dann auf die Rolle von sozialen Medien ein und stellte zur Diskussion, ob die Rolle der Medien in den Analysen der Revolution überbewertet wurde. Die grundlegende Funktion der Medien war die Kommunikation. Soziale Netzwerke ermöglichten es der Jugend, eine große Anzahl von Unterstützern zu mobilisieren. Dies wurde besonders erfolgreich eingesetzt, wenn es den staatlichen Sicherheitskräften nicht gelang, die Medien zu kontrollieren. In Syrien wurde beispielsweise von staatlicher Seite Facebook verboten, aber junge Leute nutzten Proxies, um die Internetseite dennoch zu nutzen. Der Staat legalisierte das soziale Netzwerk, um die Urheber der Proteste ausfindig zu machen, aber junge Leute nutzen weiterhin Proxies und bestimmte Verschlüsselungen, um unerkannt zu bleiben. Zusätzlich dienten die sozialen Medien einer weiteren Funktion: Sie stellten ein Mittel dar, die Jugend gegen eine Welt von staatlichen Repressionen und Angst zu ermutigen. Ein Faktor, der den derzeitigen Umbrüchen einen neuen Charakter von sozialen Protesten in der arabischen Welt verleiht. Der religiöse Aspekt, vormals ein Hauptaspekt bei Demonstrationen, wurde vernachlässigt. Seine ehemals Schutz bietende Funktion wurde zugunsten eines Gefühls von Gemeinschaft, das durch die „Online Verbundenheit“ gestärkt wurde, in den Hintergrund gedrängt. Der zweite neue Aspekt der Demonstrationen war das Ausbleiben von Bezugnahmen zum palästinensischen-israelischen Konflikt. Stattdessen richteten sich die Forderungen der Demonstranten rein auf politische und soziale Belange. In gewisser Weise haben politische Forderungen und Bürgerrechte ideologische Fragen abgelöst. Dr. Sari Hanafi schloss damit, dass Moscheen und das Freitagsgebet zwar eine wichtige Rolle bei den derzeitigen Demonstrationen spielten, aber nur insofern, als sie dazu betrugen, dass die Menschen es wagten sich zu versammeln und auf die Straße zu gehen.

Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Teilnehmer über die verschiedenen Ursachen der Umbrüche, wobei noch einmal die Frage diskutiert wurde, inwieweit der arabisch-israelische Konflikt von den arabischen Regimen als Vorwand genutzt werde, um demokratische Reformen aufzuschieben und an ihrer Macht festzuhalten. Ebenso hat der Konflikt den Konfessionalismus in verschiedenen Ländern, besonders im Libanon, verstärkt. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Frage nach den geographischen Ursprüngen der Proteste (rural versus urban). Demonstrationen begannen häufig dort, wo der Staatsapparat am schwächsten ausgeprägt ist, außerhalb der Hauptstadt, sowie dort, wo die wirtschaftliche Lage besonders schwierig ist. Dr. Samir Makdisi schloss das Panel mit der Bemerkung ab, dass die Protestierenden nach langer Zeit des Schweigens nun die Fehler und Schwächen, sowie das jahrelange Nicht-Funktionieren von Institutionen, was den dringend notwendigen Reformprozess verhindert, aufzeigten.

Panel II: Was kommt als nächstes? – Auf dem Weg zu ökonomischer und demokratischer Konsolidierung?

Dr. Ghassan Dibeh erläuterte in seinem Vortrag die wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen die arabischen Länder in der derzeitigen Phase des Umbruchs stehen. Er verglich die sich ausbreitenden Revolutionen und Umbrüche sowie die Phase der Unabhängigkeit in den 1950ern in der arabischen Welt mit den europäischen Revolutionen 1848 sowie den Umbrüchen in Zentral- und Osteuropa 1989.

Die Herausforderungen sind dabei so unterschiedlich wie die Länder, in denen die Demonstrationen stattfanden. Sie fanden in ressourcenreichen und ressourcenarmen Staaten statt, sowie in Ländern mit hohem und niedrigem Arbeitskräftepotential. Historisch betrachtet herrscht in der arabischen Welt sowohl eine Stagnation des Bruttoinlandproduktes als auch des technologischen Fortschritts. Die Region blieb folglich außerhalb des Clubs der Erfolgsgeschichten und Modernisierung, wie sie beispielsweise in Ostasien stattfand. Stattdessen ist die Region von hoher Jugendarbeitslosigkeit und einer ungleichen Verteilung von Reichtum geprägt. Das Ende der alten Sozialverträge hat zu hybriden Systemen geführt, die zwischen Marktreform und den alten Sozialverträgen liegen.

Die MENA Region gemeinsam mit Subsahara-Afrika die einzige Region, in der reale Investitionen negativ sind, weil Investitionen keine positiven Auswirkungen auf die Bevölkerung, deren Wohlstand und deren soziale Sicherheit haben. Dr. Ghassan Dibeh stellte die Frage, wie die Bestrebungen der arabischen Bevölkerung (Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Gleichheit) erfüllt werden können. Es ist somit zu diskutieren, ob man eine egalitäre Marktordnung braucht oder nicht. Dabei unterscheidet sich die Situation in den arabischen Ländern stark von der in Osteuropa in den 1990ern. In der arabischen Welt herrschen eine strukturelle Krise und eine Lebensmittelkrise. Dennoch kollabieren die Wirtschaften nicht, die Krisen sind weder so drastisch noch so sichtbar wie damals die Krise der osteuropäischen Staaten. Trotzdem sind Reformen dringend notwendig. Seit 2002 gab es Wirtschaftswachstum, aber vor allem, weil der Staat Investitionen unterstützt hat, um das Wachstum anzukurbeln. Die makro-ökonomischen Anreize gemeinsam mit den Entwicklungsanreizen (Sachs) bilden vier miteinander verbundene Herausforderungen: Klima, Energiesicherheit, Armut und Nahrungsmittelsicherheit. Dr. Ghassan Dibeh stellte im Hinblick auf die aufstrebenden Wirtschaften wie Brasilien die Frage, warum die arabische Welt sich nicht in gleicher Weise entwickelt. Laut seiner Einschätzung müssen die Regime sowohl die horizontalen als auch die vertikalen Ungleichheiten beheben. Hierbei sollten Modelle des Armutsbekämpfung aus Staaten wie Bolivien und Brasilien als Beispiele herangezogen werden. Es sollte somit möglich sein, Umverteilungen durchzusetzen, um die Ungleichheiten in der arabischen Welt zu beheben. In ökonomischer Hinsicht braucht die arabische Welt Reformen hin zur freien Marktwirtschaft sowie wirtschaftliches Wachstum.

Dr. Ibrahim Saif betrachtete die politischen Herausforderungen, vor denen die arabische Welt steht. Er stellte dabei die Frage, ob die arabischen Regime sich von innen heraus reformieren könnten oder nicht. Laut seiner Einschätzung könnten sich Reformkonzepte ambivalent auswirken und am Ende ggf. sogar gegen diejenigen richten, die derzeit in den Straßen demonstrieren. Jedes Land ist durch seinen eigenen spezifischen Kontext geprägt. Derzeit versuchen aber fast alle Regime, Zeit zu gewinnen. Öl importierende Länder wie Jordanien und Marokko stehen teils vor Budgetrestriktionen. Für die Golfstaaten wird es ein langer Weg sein, bis sie sich zu Demokratien wandeln, da die Institutionen nur sehr schwach und fragmentiert ausgeprägt sind. Die Staaten folgen einer Rentierstaatslogik und orientieren sind weniger an der Nachfrage und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Dadurch wurden die Institutionen über lange Zeit geschwächt, und es wird eines langen Prozesses bedürfen, die institutionellen Funktionsfähigkeiten zu verbessern.

In Jordanien war die Schaffung eines Komitees für den nationalen Dialog ein großer Schritt in Richtung nachhaltige Reformen, da es den Willen des Regimes, die Verfassung zu verändern unterstreicht. Der Prozess zum politischen Wandel ist ein sehr schwieriger Prozess, denn er bedeutet, dass alte Eliten ausgetauscht werden müssen, um Platz für eine neue politische Klasse zu schaffen.

Besondere Betrachtung findet hierbei die Mittelklasse, da sie in vielen der Transformationsprozesse in Ost- und Mitteleuropa eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Mittelklasse entstand aus den schnell wachsenden Sektoren wie dem Bankwesen, dem Kapitalmarkt und dem Telekommunikationsbereich, so dass sie einen exklusiven Club darstellt. Traditionell bildeten Angestellte des öffentlichen Sektors die Mittelklasse, aber die staatliche Unfähigkeit, die öffentlichen Gehälter anzuheben hat dazu geführt, dass die Angestellten des öffentlichen Dienstes mittlerweile eher zur Klasse mit niedrigem Einkommen gehören.

Die wichtigsten Herausforderungen für die arabischen Staaten liegen somit im Kampf gegen Korruption, in der Verbesserung von institutioneller Funktionsfähigkeit und in einem erhöhten Wirtschaftswachstum.

Die Teilnehmer diskutierten im Anschluss, ob Nationalstolz ein Faktor seien könnte, der die Transformation des Regimes unterstützt, oder ob vor allem politische und wirtschaftliche Forderungen die treibenden Kräfte von politischem Wandel sind. Des Weiteren bemerkte Dr. Martin Beck, dass ein Vergleich der arabischen Welt mit Lateinamerika ergiebiger sein könnte, als der Vergleich mit Zentral- und Osteuropa. Ein anderer Teilnehmer warf die Frage auf, ob sich die arabische Welt zurück zu den 1950er entwickeln würde. Dr. Ibrahim Saif verneinte dies und betonte, dass die neue Mittelklasse nicht wie gewöhnlich zur Normalität zurückkehren würde, sondern reale politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen verlangen würde.

Panel III: Länderbeispiele

Dr. Mohammad Al Momani präsentierte seine Analyse über die derzeitigen Umbrüche und ihre Ursprünge im Haschemitischen Königreich Jordanien. Selbstverständlich unterscheidet sich das Land stark von den nord-afrikanischen Staaten, Syrien, dem Jemen und Bahrain, da es weder das gleiche Ausmaß von Protesten noch von staatlicher Gewalt erlebte. Aber was ist es, was Jordanien von den anderen arabischen Staaten unterscheidet? Schon lange vor dem Beginn des „Arabischen Frühlings“ gab es in Jordanien Proteste. Vor zwei Jahren fanden in ländlichen Regionen, die besonders unter steigender Arbeitslosigkeit und Armut litten, Demonstrationen statt. Als Reaktion darauf wurden Reformen eingeleitet. Als jedoch in Ägypten und Tunesien Unruhen begannen, waren die Jordanier ermutigt und formulierten ebenso ihre Forderungen.

Unter den Protestierenden lassen sich drei Gruppierungen identifizieren. Erstens, die sich spontan zusammengesetzte Gruppe aus hauptsächlich ökonomisch motivierten Lehrern, Studenten und Arbeitern, die eine Verbesserung der Lebensstandards fordern. Zweitens, die besser organisierten Oppositionsgruppen, die sowohl aus Gruppierungen des linken Spektrums als auch islamischen Gruppen bestehen. Ihre Hauptforderungen sind politische Reformen. Drittens, die relativ neue, politisch motivierte Gruppe der sogenannten „Facebook Jugend“, die weniger organisiert auftrat.

Im Zuge der Proteste versuchte die jordanische Regierung, einige Reformen einzuleiten, um die Demonstrationen abzudämpfen. Die Ernennung einer neuen Regierung führte in der Tat für einen gewissen Zeitraum zum Abklingen der Proteste, da die Bevölkerung das Gefühl hatte, mit ihren Forderungen wahrgenommen zu werden.

Die Formung verschiedener Komitees, die sich mit konstitutionellen Reformen beschäftigen, war ebenso ein guter Impuls, um die öffentliche Meinung zu besänftigen. Dennoch ist es relativ bekannt, dass immer, wenn eine besondere Problemlage auftritt, ein Komitee dafür gegründet wird, wobei die Ergebnisse des Komitees häufig unbedeutend und frustrierend sind.

Jordanien zeichnet sich durch große sozioökonomische Ungleichheiten und eine sehr jungen Bevölkerung aus. 65% der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt. Ein Großteil dieser Bevölkerungsgruppe ist arbeitslos und arm, während ihm die sozialen Ungleichheiten bewusst sind.

Weitere Probleme, die die jordanische Jugend kritisiert, sind das Involvieren des Geheimdienstes in die Politik sowie die vorherrschende Korruption.

Im Vergleich zu Ägypten haben soziale Medien in Jordanien keine überragende Rolle eingenommen, sie wurden nicht in gleichem Maße genutzt.

Die Instabilität der Regierung hat dagegen zu verschiedenen Problemen geführt. Die Regierung leitete eher kurzfristige Maßnahmen ein oder gab nur ihre Absicht zur Implementierung von Reformen bekannt, ohne dass diese folgten. Ebenso deklarierte die Regierung Islamisten als Urheber jeglicher Proteste sowie Gewalt von Seiten der Opposition. Die „islamistische Bedrohung“ wurde als Rechtfertigung für Repressionen instrumentalisiert.

Jordaniens Zukunft lässt sich schwer voraussagen, aber es scheint, dass es zu einigen Verbesserungen kommen wird. Das Land wird sich kaum zu einer vollen Demokratie hin entwickeln, aber es wird sich auf der Skala der hybriden Systeme in Richtung Demokratie bewegen.

Abschließend identifizierte Dr. Mohammed Al Momani drei wesentliche Variablen, um zu bestimmen, in welche Richtung sich ein Land bewegt: Erstens nehmen die Staatsführung und das persönliche Profil des Staatsoberhaupts eine Schlüsselfunktion ein. Zweitens spielt die institutionelle Stabilität eines Landes eine wichtige Rolle, sowie auch das Militär. Schließt sich das Militär wie in Ägypten und Tunesien dem Volk an? Oder stellt es sich gegen dieses? Drittens ist die ethnische Homogenität oder Heterogenität des Landes mitbestimmend, d.h. inwieweit ist die Gesellschaft gespalten oder aber homogen?

Dr. Lahcen Achy stellte im Folgenden die Länderbeispiele Marokko und Algerien vor. Obwohl die beiden Länder sehr unterschiedlich sind, vereint sie, dass die Proteste in beiden Ländern eher gering geblieben sind.

Nach den Umbrüchen in Tunesien erlitt Algerien eine Reihe von Protesten, und es gab mehrere Fälle von Selbstverbrennungen. In der Vergangenheit hatte Algerien die höchste Jugendarbeitslosigkeit in der Region, aber seit Mikrokredite an junge Leute vergeben werden, hat sich die Lage verbessert und Wirtschaftswachstum sowie Entwicklung wurden gefördert. Dennoch bleibt die Arbeitslosenquote hoch.

Generell lässt sich das Ausbleiben von starken Protesten durch einige Faktoren erklären. Ein vergleichsweise höheres Maß an Wohlstand innerhalb der Bevölkerung ist ein wichtiger Faktor. Gleichzeitig sind die Forderungen der Bevölkerung vergleichsweise disparat. Die Opposition hat unterschiedliche Forderungen und ist in sich zersplittert. Die Anzahl der Protestierenden wurde zudem bei weitem von der Anzahl der Polizisten übertroffen, was zum einen daran liegt, dass Algerien über einen sehr starken Sicherheitsapparat verfügt, zum anderen wurde die Anzahl der Polizeikräfte im Zuge der Demonstration verdreifacht. Ebenso wurden die Löhne der Sicherheitskräfte während den Demonstrationen erhöht. Des Weiteren ist das Militär stärker in die politische Sphäre des Landes integriert als in anderen arabischen Ländern. In der Vergangenheit wurden alle Präsidenten Algeriens vom Militär unterstützt. Ein weiterer Faktor ist zudem, dass der derzeitige Präsident alt und gesundheitlich angeschlagen ist, so dass er nicht wirklich die Führung des Landes bestimmt. Da seine Existenz rela tiv irrelevant für eine Veränderung des Regimes ist, wurde sein Rücktritt nicht von den Demonstranten gefordert. Einer der Hauptfaktoren für das Ausbleiben größerer Proteste scheint aber vor allem in der spezifischen Historie Algeriens zu liegen, da die Erinnerungen an den Bürgerkrieg Anfang der 1990er Jahre noch lebhaft im Gedächtnis der algerischen Bevölkerung haften.

Die obigen Faktoren erklären zu einem gewissen Maß, warum die Proteste in Algerien nicht das gleiche Ausmaß wie in anderen arabischen Staaten erreichten. Die Bevölkerung ist somit eher geneigt, einen Kompromiss einzugehen, zumal der algerische Staat über finanzielle Möglichkeiten verfügt, Löhne anzuheben und wirtschaftliche Entlastungen zu veranlassen.

Bei der Betrachtung von Marokko stellt man fest, dass es Algerien in wirtschaftlicher Hinsicht ähnelt. Genau wie Algerien verfügt Marokko über ein weniger fortschrittliches Bildungssystem als Tunesien, wo die Anzahl der hoch gebildeten Arbeitskräfte dreimal höher ist als in Marokko. Des Weiteren herrscht in Marokko eine hohe soziale Ungleichheit. Obwohl sich die sozioökonomische Lage im letzten Jahrzehnt verbessert hat, konnte die Ungleichheit nicht aufgehoben werden. Als am 20. Februar 2009 Proteste in Marokko ausbrachen, antwortete der König mit konstitutionellen Reformen. Exekutivgewalt wurde vom König auf den Premierminister verlagert. Vormals bestand die Aufgabe des Premierministers lediglich in der Koordinierung der Aufgaben zwischen den verschiedenen Ministerien. Ebenso sollten die Reformen Macht vom König auf die Wähler verlagern, besonders im Hinblick auf die Ernennung des Premierministers, der nun direkt vom Volk gewählt wird, und den Handlungsrahmen der Legislative ausdehnen, d.h. das Parlament mit mehr Macht ausstatten. Ein weiterer Aspekt der Reformen bestand aus Dezentralisierungsmaßnahmen, so dass Macht vom Zentrum an die Kommunen abgegeben wurde. Regionale Räte werden nun direkt gewählt, während sie vormals vom Innenministerium ernannt wurden. Ein ungelöstes Problem besteht dagegen weiterhin in der Kluft zwischen verschiedenen Regionen sowie einem Mangel von Umverteilungsmechanismen.

Dennoch hörten die Proteste nicht auf und es gibt immer noch monatlich stattfindende Sonntagsdemonstrationen, die allerdings relativ klein und gewaltfrei blieben.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Resultate der Proteste vom „Druck der Straße“ abhängen werden, sowie von den politischen Parteien. Es gab kaum Fortschritt, aber der König hat die Fehler, die der Staat unter der Herrschaft seines Vaters begangen hat, anerkannt. Dennoch kam der Reformprozess schnell zum Stoppen, was zum einen durch die nach den Anschlägen von 2003 vorherrschende „islamistische Gefahr“ zu erklären ist, und zum anderen auf den politische Stillstand in der Region zurückzuführen war.

Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Teilnehmer und Sprecher verschiedene Aspekte der vorgestellten Länderbeispiele. Im Bezug auf Marokko fügte Dr. Lahcen Achy den Aspekt der Vermögensungleichheit hinzu. So besitzen 5% der Bauern 75% des Bodens, was bedeutet, dass die Steuervergünstigungen im landwirtschaftlichen Sektor nur den reichen Bauern zu Gute kommen, denn die armen Kleinbauern sind von den Steuern befreit, da ihr Einkommen unter dem Besteuerungssatz liegt. Das Problem liegt somit im Mangel an echten Reformen.

Im Bezug auf Jordanien wurde der „palästinensische Faktor“ diskutiert. Gemäß Dr. Mohammed Al Momani könnte er als Vorwand für das Ausbleiben politischer Reformen im Haschemitischen Königreich dienen. Die Proteste haben Unstimmigkeiten über das Thema hervorgerufen und das Regime hat die Palästinenserfrage genutzt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Des Weiteren fügte er hinzu, dass das Regime keine politische Macht abgeben werde, solange es nicht unter Druck gerät. Nichtsdestotrotz ist deutlich geworden, dass die arabischen Herrscher seit Einsetzen der Proteste weniger arrogant geworden sind. Er bemerkte ebenso, dass der Westen König Abdullah II unterstütze, ohne politische Vorgaben zu machen, und dass die Rolle der Stämme, sowie ihr Beitrag zur Initiation der Proteste nicht in Vergessenheit geraten dürfe.

Wrap-up

Dr. Darius Martin dankte den Vortragenden für die aufschlussreichen Einblicke, die ihre Vorträge über die derzeitigen Umbrüche in der arabischen Welt boten. Er bemerkte, dass die Vorträge wesentlich informativer gewesen seien, als die Pressemitteilungen der letzten vier Monate. Er betonte, dass es klar ist, dass die Ereignisse, die in der arabischen Welt stattfinden von großer historischer Bedeutung sein werden, so wie die Welle von Revolutionen 1848 und 1989. Trotz verschiedener Vergleiche mit den Ereignissen von 1989 unterscheidet sich der „Arabische Frühling“ in Bezug auf den politischen, den wirtschaftlichen und den sozialen Kontext deutlich. Dennoch fand ein Zusammenbruch der alten Ordnung statt. Der Wandel vom Sozialismus zu (wirtschaftlicher) Liberalisierung unter autoritärer Herrschaft hat die Regime insofern geschädigt, als sie die Unterstützung der Mittelklasse, die sich komplett gewandelt hat, verloren haben. Die alte Ordnung ist nun zusammengebrochen, und es bleibt die Frage, was als nächstes kommt.

Die graduelle Implementierung von Reformen zur Liberalisierung, wie sie in Staaten wie Jordanien und Marokko stattgefunden hat, ist ein Grund für Optimismus. Ebenso haben die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zum Entstehen einer neuen Form von nationaler Identität beigetragen. Die Ergebnisse der Umbrüche in Syrien und im Jemen bleiben dagegen unklar, und es stellt sich die Frage, ob es im Falle des Sturzes der Regime zu konfessionellen und gesellschaftlichen Spaltungen kommen könnte. Unsicherheit herrscht auch im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen in Ägypten, bei denen den Muslimbrüdern ein gutes Ergebnis vorausgesagt wird.

Dr. Martin Beck beendete den Workshop mit einem Dank an die Vortragenden für die vielen neuen Impulse sowie an alle Teilnehmer für ihr reges Interesse am Thema.

4. Zusammenfassung

Der gemeinsame Workshop der Konrad-Adenauer-Stiftung Amman und des Instituts für Finanzwissenschaften der Amerikanischen Universität in Beirut über „Die Umbrüche in der arabischen Welt: Was passierte, was kommt als nächstes?“ hat zu einer ertragreichen Diskussion geführt, die den Teilnehmern und Vortragenden neue Einsichten aus verschiedenen akademischen Blickwinkeln ermöglichte. Die Darstellung verschiedener Länderbeispiele lieferte interessante Einblicke und neue Ideen über die Herausforderungen, vor denen die arabischen Staaten zukünftig stehen werden.

Es bleibt abzuwarten, ob die Umbrüche in der arabischen Welt zu tiefgreifenden politischen Reformen führen werden, oder ob die alten Mechanismen der Repression und des Kooptieren erneut greifen werden. Es gibt bereits Anzeichen, dass Länder, die über ausreichende Einnahmen verfügen, wie die Öl exportierenden Golfmonarchien Saudi Arabien, Kuwait und Oman sowie auch Algerien, versuchen, die Opposition zu kooptieren und zukünftige Proteste klein zu halten, indem sie die öffentlichen Ausgaben steigern, d.h. Löhne erhöhen, neue Arbeitsplätze schaffen sowie bestimmten Teilen der Bevölkerung finanzielle Unterstützung zukommen lassen.

Des Weiteren wurden politische Versprechen gegeben. So hat die algerische Regierung den Notstand aufgehoben und Unterstützung für soziale Programme angekündigt. Andere arabische Staaten haben Reformen angekündigt und Komitees zur Vorbereitung von institutionellen Reformen gegründet sowie Minister entlassen und neue Regierungen ernannt. Dennoch glauben die Protestierenden in vielen Staaten, besonders denen mit geringem Budget, den Versprechen nicht, und die Demonstrationen dauern an.

Es kann somit festgestellt werden das reale Reformen gefordert sind. Dennoch werden die wirtschaftlichen Probleme, wie hohe Arbeitslosigkeit, steigende Lebenshaltungskosten und Nahrungsmittelpreise sowie Armut, die zu den Umbrüchen geführt haben, nicht allein durch einen Machtwechsel verschwinden, sondern es bedarf einer veränderten Wirtschaftsplanung. Sozioökonomischer Wandel lässt sich nur auf lange Sicht erreichen. Politische Reformen werden von der Agenda verschwinden, wenn es keinen Konsens über die Reformziele gibt. Während die Proteste gegen das alte Regime die verschiedenen oppositionellen Gruppen vereint haben, muss nicht zwanghaft Einigkeit über die neuen politischen Strukturen und Regierungsbildungen zwischen diesen Gruppen herrschen.

Des Weiteren müssen Klientelismus und Paternalismus überwunden werden. Ein demokratischer Geist muss sich entwickeln, so dass alle sozialen Gruppen in den politischen Prozess integriert werden können.

Das Presseteam der Amerikanischen Universität Beirut berichtete über den Kooperationsworkshop zwischen dem Institut für Finanzwissenschaften, der Amerikanischen Universität in Beirut, und der Konrad-Adenauer-Stiftung Amman. Es wurde gelobt, wie der Workshop hinter die Facetten der Umbrüche in der arabischen Welt schaute. Folgender Link führt zum Artikel:

http://www.aub.edu.lb/news/Pages/workshop-arab-uprisings.aspx

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