Länderberichte
Vorausgegangen war einer der erbittertsten Wahlkämpfe der jüngeren Vergangenheit Kolumbiens. Meldungen über Skandale und Meinungsverschiedenheiten waren an der Tagesordnung und die gegenseitigen Beschuldigungen der beiden Kandidaten drängten die Diskussion konkreter Vorschläge für die gravierendsten Probleme des Landes wie z.B. Gesundheitsversorgung, Schulbildung oder Justiz in den Hintergrund. Dadurch kam es im Ergebnis zu einer starken Polarisierung der kolumbianischen Gesellschaft und auf der Zielgeraden zeigte sich, dass es schließlich vom Umgang mit dem Thema Frieden abhängen sollte, wer den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen gewinnt.
Ohne jeden Zweifel sieht sich der wiedergewählte Präsident in den nächsten vier Jahren großen Herausforderungen gegenüber: Er wird nicht nur den Friedensprozess mit der FARC-Guerilla und die vor kurzem angekündigten Verhandlungen mit der Guerilla der ELN konkretisieren, sondern auch die verhandelten Punkte umsetzen und die offenen Fragen in den Bereichen Wahrheitsfindung, Ge-rechtigkeit und Wiedergutmachung lösen müssen. Somit beginnt die neue Legislaturperiode in einem gespaltenen Land mit einer komplizierten Beziehung des Präsidenten zur Legislative. Santos wird gegen eine erstarkte Opposition des Ex-Präsidenten Uribe im Kongress ankämpfen müssen, die die Unterzeichnung und die Durchführung der Abkommen zur Beendigung des bewaffneten Konflikts ebenso wie die dringend notwendigen Reformen im Bereich Gesundheit, Bildung und Justiz hinterfragen wird.
Für Kolumbien eröffnen sich dennoch neue Möglichkeit und auch Chancen, einige der strukturellen Hindernisse zu überwinden, die zur Konsolidierung der Demokratie notwendig sind, um so einen stabilen und dauerhaften Frieden im Land erlangen zu können.
Ein Wahlkampf voller Kontroversen
Der Präsidentschaftswahlkampf zum ersten Wahldurchgang im Mai 2014 war zunächst untypisch. Noch vier Monate vor dem ersten Urnengang deuteten die Meinungsumfragen auf eine Protestwahl und Wahlenthaltung hin. Das „Voto en blanco“ wurde zu diesem Zeitpunkt auf 27% geschätzt und 23% der Kolumbianer waren sich noch unschlüssig, für wen sie ihre Stimme im ersten Wahlgang abgeben wollten. Präsident Santos hatte laut Umfragen zwar einen deutlichen Vorsprung vor anderen Kandidaten, doch unterlag selbst sein Stimmenanteil dem „voto en blanco“. Óscar Iván Zuluaga, der Gegenkandidat von Santos im zweiten Wahlgang, war zu diesem Zeitpunkt praktisch unbekannt und sein Wahlkampf schien nicht in Gang zu kommen, obwohl seine Kandidatur vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez nachhaltig unterstützt wurde.
Erst wenige Wochen vor dem ersten Wahlgang kam der Wahlkampf in Bewegung und zwar durch Skandale und Kontroversen, die die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung und der Medien erregten. Sie rückten die beiden Kandidaten in den Mittelpunkt der Debatte. Die eine Seite behauptete, die Kampagne des Präsidenten Santos sei im Jahre 2010 zum Teil mit Drogengeldern finanziert worden. Die andere beschuldigte den Kandidaten des Centro Democrático nahe Kontakte zu einer Person zu ha-ben, die Mitglieder der Verhandlungskommission der Friedensgespräche in Havanna illegal abgehört und auch Präsident Santos und Informationen der militärischen Geheimdienste ausspioniert haben soll. Ein bekanntes Massenmedium veröffentlichte ein Video, in dem der Kandidat Zuluaga bei einem Gespräch mit dieser Person zu beobachten war und Informationen austauschte, um der Kampagne des Präsidenten einen „Schlag zu versetzen“.
Diese Skandale trugen zur bereits existierenden Polarisierung des Landes bei und belebten die Umfragen, die beide Protagonisten im zweiten Wahlgang sahen. Eine Sachdebatte und Diskussionen konkreter Vorschläge und Ideen wurden von den gegenseitigen Anschuldigungen der Kandidaten überschattet und blieben weitgehend aus. Dabei ähnelten sich die Vorschläge von Santos und Zuluaga in Themen wie Gesundheitsversorgung, Bildung oder Justiz sehr stark und es fehlte beiden gleichermaßen an Inhalten. Und obwohl es auch zum Thema Frieden keine konkreten Vorschläge gab, war dies jedoch der einzige Punkt, in dem sich beide unterschieden. Vor allem Zuluaga hatte anfänglich angekündigt, die Gespräche mit der FARC-Guerilla abbrechen zu wollen.
Vor diesem Hintergrund kristallisierten sich nach dem ersten Wahlgang am 25. Mai die beiden Kandidaten für den zweiten Wahlgang heraus. Óscar Iván Zuluaga mit 29,25% (3.759.971 Stimmen) und Juan Manuel Santos mit 25.69% (3.301.815 Stimmen). Dabei war die überraschend hohe Wahlenthaltung mit fast 60% die höchste in den letzten 20 Jahren. Hervorzuheben sind auch die guten Ergebnisse der beiden Kandidatinnen Marta Lucía Ramírez von der Partido Conservador und Clara López vom Polo Democrático Alternativo im ersten Wahlgang, wobei vor allem die Kandidatin der Konservativen Partei als große Gewinnerin bezeichnet werden kann. Die fast 2 Millionen Stimmen, die sie erhalten hat, waren umso erstaunlicher, als vier der fünf Kandidaten versuchten, Wähler des Mitte-Rechts-Spektrums anzusprechen. Zudem hatte Marta Lucía Ramírez zwei weitere Punkte gegen sich: Erstens hatte sie wenig finanzielle Mittel zur Verfügung und zweitens unterstützte ein Großteil der Parlamentarier ihrer eigenen Konservativen Partei Präsident Santos.
Die Wahl zwischen Santos‘ „Frieden mit Kompromissen“ und dem „bedingten“ Frieden von Zuluaga bestimmt die Entscheidung
Vor dem zweiten Wahlgang hing es dann vor allem von zwei Aspekten ab, wer die Präsidentschaftswahlen gewinnen würde. Zum einen wurde die Frage nach möglichen Koalitionen entscheidend, da beide Kandidaten sich darauf konzentrierten, Anhänger der im ersten Wahlgang unterlegenen Kandidaten an sich zu ziehen. In diesem Punkt konnte Santos mit der Unterstützung eines Großteils der konservativen Parlamentarier rechnen. Ebenso sagten Clara López und einige Abgeordnete der Alianza Verde ihm ihre Unterstützung zu. Oscar Iván Zuluaga gewann den Rückhalt von Marta Lucía Ramírez und der anderen Gruppe der konservativen Parlamentarier, die der Empfehlung ihrer im ersten Wahlgang gescheiterten Kandidatin folgten. In den Tagen vor dem entscheidenden Wahlgang suchten beide Kandidaten außerdem noch strategische Allianzen mit Unternehmerverbänden abzuschließen und den Landwirtschaftssektor für sich einzunehmen.
Zum anderen wurde im Endspurt des Wahlkampfes das Thema Frieden zum zentralen Inhalt der Debatten und stellte gleichzeitig die größte Differenz zwischen den beiden Kandidaten dar. Die Kolumbianer sahen sich vor die Wahl zwischen einem Frieden mit Zugeständnissen an die FARC (Santos) oder einem Frieden ohne Straflosigkeit (Zuluaga) gestellt. Inzwischen hatte Letzterer nach der Allianz mit Frau Ramírez seine Position hinsichtlich der Fortsetzung der Friedensgespräche gegenüber seinen Aussagen vor dem ersten Wahlgang gemäßigt.
Vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang wurden zudem bei der Verhandlungsrunde in Havanna einige vorläufige Vereinbarungen zum Thema Opferentschädigung getroffen und Präsident Santos kündigte mögliche Friedensverhandlungen mit der Guerillagruppe der ELN an. Diese beiden für das Land durchaus wichtigen politischen Punkte wurden von einigen politischen Beobachtern als opportunistische Strategie des Präsidenten und Kandidaten Santos bewertet.
In den Tagen vor der Wahl veröffentlichten dann beide Kandidaten in den Medien und sozialen Netzwerken noch zahlreiche Wahlspots, wobei stellenweise recht unkonventionelle Strategien im Kampf um die Wählerstimmen angewandt wurden. Ein Beispiel, das große Aufmerksamkeit erregte, war ein dem „Papamobil“ ähnelndes Fahrzeug, in dem der ehemalige Präsident Uribe mit einigen Wahlhelfern durch Bogotá fuhr, um für die Kandidatur von Zuluaga zu werben.
Am Ende sind von den 33 Millionen wahlberechtigten Kolumbianern nur 15.8 Millionen an die Urnen gegangen. Zwar stieg die Wahlbeteiligung gegenüber dem ersten Wahlgang um ca. 8% an, doch mit 52% war die Wahlenthaltung immer noch sehr hoch. Auf den Präsidenten Santos entfielen 7.816.986 und damit 50,95% der Stimmen, während Zuluaga 6.905.001 und damit 45,01% der Stimmen erhielt. Vor allem an der Atlantikküste verdoppelte sich die Wahlbeteiligung gegenüber dem ersten Wahlgang und Präsident Santos konnte ca. 868.000 Stimmen hinzugewinnen.
In Bogotá stieg die Zahl der Wählerstimmen für Santos auf 1.300.000, während er dort im ersten Durchgang lediglich 440.000 Stimmen erhalten hatte. Die Allianzen von Santos mit dem Polo Democrático und der unabhängigen Linken in Bogotá, aber auch mit Parlamentariern der Partido Conservador an der Karibikküste erwiesen sich somit als wahlentscheidend.
Santos wird in den nächsten vier Jahren Kompromisse mit der Opposition eingehen müssen
Nach Bekanntwerden seines Wahlsieges dankte Präsident Santos den Kolumbianern und forderte sie auf, sich seinen Bemühungen um den Frieden anzuschließen, und versprach einen dauerhaften Frieden für Kolumbien zu schaffen: „Dieser Moment ist der Moment des Friedens, der Moment, den Konflikt zu beenden und die Rechte der Opfer anzuerkennen und auf ihre Forderungen zu reagieren, ... der Moment, die jahrzehntelang von der Gewalt gegeißelten Regionen wieder aufzubauen. Es ist der Moment, uns alle für ein gemeinsames Ziel zu vereinigen ...: Die Suche nach dem Frieden, das ist der Auftrag, den die Kolumbianer mir heute gegeben ha-ben, ein Auftrag, den ich mit großer Bescheidenheit annehmen und auf den ich meine ganze Energie und die Energien meiner Regierung ausrichten werde.“
In diesen Worten zeigen sich die großen Herausforderungen für Santos und seine Regierung. Fast 7 Millionen Kolumbianer denken anders als der gewählte Präsident und das wird die erste Hürde für ihn sein, weil er einen Weg finden muss, die Kolumbianer zu vereinigen und die bestehende Polarisierung des Landes zu verringern. Er muss dabei die andere Seite der öffentlichen Meinung berücksichtigen, den großen Teil der Kolumbianer, die Zuluaga unterstützt oder „en blanco“ gewählt haben.
Nach Bekanntwerden der Ergebnisse gratulierte Zuluaga dem wiedergewählten Präsidenten zu seinem Sieg, akzeptierte seine Niederlage und versicherte, dass er auch weiterhin für das Land arbeiten werde: “Unsere Bewegung hat mit Größe und Standhaftigkeit verloren.... Hier kämpfen wir weiter den politischen Kampf für unser Land”. Marta Lucía Ramírez erkannte den Wahlsieg von Santos ebenfalls an und bestand darauf, dass die Friedensvereinbarungen gewisse Bedingungen erfüllen müssten: “Wir werden weder in unseren Werten noch in unseren Überzeugungen nachgeben und auch weiterhin darauf bestehen, dass jegliche Verhandlung unter gewissen Bedingungen geführt werden muss. ... Ich bin davon überzeugt, dass der Frieden von einer Regierung abhängt, die effizient funktioniert, die uns Gesundheitsversorgung, Sicherheit, Arbeitsplätze gibt, die uns Gerechtigkeit garantiert und die gleichzeitig Friedensverhandlungen führt, die einen wirklichen Frieden erreichen können”.
Es wird also eine große Heraus-forderung für Santos sein, ein Friedensabkommen mit der Guerilla zu erreichen, das sachgerechte Rahmenbedingungen definiert und garantiert, so dass der Konflikt danach nicht wieder aufflammt. Für Santos hat der bewaffnete Konflikt einen politischen Ursprung und in diesem Sinne müssen z.B. von einem Großteil der Bevölkerung anerkannte Mechanismen geschaffen werden, um die Entwicklung in den ländlichen Regionen zu fördern und auch Garantien zu schaffen, damit die dann demobilisierten Guerilleros auf der Basis demokratischer Wahlen an der Politik teilnehmen können.
Insgesamt wird es nicht leicht sein, in den nächsten vier Jahren zu regieren. Santos sieht sich im Gegensatz zu seiner ersten Legislaturperiode einer gestärkten Opposition gegenüber, die vor allem aus dem Centro Democrático, einem Teil der Konservativen Partei und der linken Bewegungen besteht, die, obwohl sie das Thema Frieden unterstützt haben, ihre Opposition nach der Einsetzung des neuen Parlaments offiziell formieren werden. Dies wird die Durchsetzung von Reformen erschweren, wenn es darum geht, nicht nur die in einem Postkonflikt notwendigen strukturellen Änderungen durchzusetzen, sondern auch andere dringende Themen wie die Bildungs-, Gesundheits-, und Justizreform durch das Parlament zu bringen. Von anderen der Lösung harrenden Problemen wie dem Oppositionsstatut, einer Wahlreform und der Abschaffung der Wiederwahlmöglichkeit des Präsidenten, die Santos im Wahlkampf versprochen hatte, ganz zu schweigen.
Somit entsteht in Kolumbien ein ganz neues politisches Panorama, von dem die Zukunft eines Landes abhängen wird, das vom bewaffneten Konflikt gekennzeichnet ist und wo der Frieden als ein Motor für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zwar herbeigesehnt wird, aber viele Kolumbianer noch misstrauisch sind, ob es denn wirklich ein dauerhafter Friede sein wird. Der wiedergewählte Präsident Juan Manuel Santos ist nunmehr aufgerufen, seine Landsleute durch Wort und Tat zu überzeugen.